Marine Le Pen ist nicht nur die jüngste
Tochter des Front
National-Chefs, sie war auch die Zukunftshoffnung des alternden
Parteigründers, der im Juni dieses Jahres 77 wird. Seit dem Ausgang der
Präsidentschaftswahl vom Frühjahr 2002 hatte sie an der Strategie
gearbeitet, den Front National zu "entdämonisieren" (dédiaboliser). Die
blonde Mittdreißigerin und ehemalige Rechtsanwältin, geschieden und mit
einem jungen Parteikader - wieder verheiratet, die auch gern mit
wirtschaftlichen Führungskräften auftritt, sollte der Partei ein jüngeres
und "moderneres" Gesicht geben als die derzeit ansonsten tonangebenden
Altfaschisten, ultrakatholischen Fanatiker und Veteranen der Kolonialkriege.
Das war einmal. Seit den jüngsten Erklärungen
höchster FN-Funktionäre sieht
sie ihre Kommunikationsstrategie gescheitert oder jedenfalls schwer
gefährdet. Am 11. Oktober 04 hatte Bruno Gollnisch, "Nummer Zwei" in der
Parteihierarchie, die Existenz der Gaskammern öffentlich in Zweifel gezogen.
Marine Le Pën erklärte am 18. Oktober auf RTL ihre "ehrliche und eindeutige
Missbilligung", bevor sie kurz darauf im Politischen Büro der Partei
"unter Druck", wie sie selbst erklärte einer "Solidaritätserklärung" für
Gollnisch als angebliches Opfer einer Hexenjagd zustimmte. Wie die Le
Pen-Tochter damals auf RTL erklärte, hätte sie es für strategisch
geschickter gehalten, nicht als Verteidiger des Antisemitismus der
historischen Nazis zu erscheinen sondern lieber "die Einwanderung und den
radikalen Islam" als Ursachen für den "heutigen Anstieg des Antisemitismus"
anzuprangern. Damit, so Marine Le Pen, müsse "der FN als einzige politische
Organisation erscheinen, die in der Lage ist, sie (die französischen Juden)
zu verteidigen, da er als einzige Partei das Immigrationsproblem vorher
gesehen hat."
Dann aber erklärte im Januar 05 ihr eigener
Vater im Januar die Periode der
Besatzung Frankreichs durch Nazideutschland für "nicht besonders inhuman".
Nach mehrtägiger Denkpause, während derer sie
aus der Öffentlichkeit
verschwunden war, hat Marine Le Pen sich nun aus den Führungsgremien der
Partei zurückgezogen. Dies wurde erstmals durch einen Bericht der
Tageszeitung Le Parisien vom 26. Januar 05 publik und (trotz offiziellem
Dementi durch den FN) alsbald durch andere Berichte bestätigt. Demnach lässt
sie ihre Ämter im Bureau exécutif, dem obersten Führungsgremium der Partei,
und wahrscheinlich auch im Bureau politique dem zweithöchsten Gremium
ruhen, ohne sie formal niederzulegen. Ihre eigene Vereinigung ’Générations
Le Pen', die vor allem die jüngeren Parteikader im Alter bis 40
zusammenbringen sollte, wird ihre Aktivitäten ab sofort einstellen.
Hingegen wird sie ihre Mandate im Europa- und
im Pariser Regionalparlament,
im letzteren hat sie auch den Vorsitz der FN-Fraktion inne, weiterhin
behalten. Im Pariser Regionalrat sprach sie am vorigen Dienstag (25. 01.)
auch zur Haushaltsvorlage; es war ihr erster öffentlicher Auftritt seit dem
jüngsten Skandal, nachdem sie einen Auftritt in der Nähe von Montpellier
abgesagt und die BP-Sitzung am 17. Januar "geschwänzt" hatte. Bis dahin
hatte sie eine gute Woche mehr oder minder schmollend im Familienhaus
Jean-Marie Le Pens im bretonischen Trinité-sur-Mer verbracht, zusammen mit
ihren drei Kindern, nachdem sie (so wird jedenfalls kolportiert) diesem
angeblich zuvor von Angesicht zu Angesicht ihre Meinung gegeigt habe.
Dagegen wird Marine Le Pen an der FN-Kampagne
zur französischen
Volksabstimmung über den EU-Verfassungsentwurf, die voraussichtlich im Juni
05 stattfindet, aktiv teilnehmen. Aber sie wird nur unter Ausschluss der
Presse auftreten. Bisher hatte sie stets sehr auf Medienrpräsenz und die
Anwesenheit von Kameras bei all ihren Aktivitäten geachtet.
Im kommenden September will Marine Le Pen ein
Buch herausbringen, in dem sie
ihre Strategie näher darlege. Bis dahin will sie keine öffentlichen
Auftritte mehr absolvieren.
Ein (nicht namentlich genanntes) Mitglied im
Politischen Büro des FN wird in
’Libération' vom 27. Januar mit den Worten zitiert: "Bisher hat sie (Marine
Le Pen) es immer leicht gehabt. Und jetzt, beim ersten Kanonenstoß, legt sie
sich flach auf den Boden." Dass rechtsextreme Funktionäre die politische
Auseinandersetzung mit Vokabel aus dem Bereich von Militär und Krieg
beschreiben, ist als solches nicht ungewöhnlich aber die Tochter des Chefs
so hämisch zu kritisieren, ist es schon.
Bruno Gollnisch: Auschwitz, die UdSSR und
"die Verbrechen des Kommunismus"
Auf RTL äußerte sich am Montag (31. Januar)
der "Generalbeauftragte" des
FN, délégué général, Bruno Gollnisch, zu der jüngsten Affäre um die
Auslassungen seines Parteichefs. Gollnisch zog sich hinter die vermeintlich
objektive Feststellung zurück, dass die Praxis der deutschen Besatzungsmacht
in Holland oder Polen "inhumaner" gewesen sei als in Frankreich. Insofern
gebe es "Stufengrade in der Inhumanität wie auch unterschiedliche Grade der
Humanität".
Befragt nach dem jüngsten, breiten
öffentlichen Gedenken zum 60. Jahrestag
der Befreiung der Überlebenden im Vernichtungslager Auschwitz ("manche
Zeitzeugenaussagen waren natürlich sehr bewegend") meinte Gollnisch anmerken
zu müssen: "Für Auschwitz war auch die UdSSR verantwortlich." Das klingt
nach Ernst Nolte (der Nazismus und sein Massenvernichtungsprogramm als
angebliche Reaktion auf den Bolschewismus), doch auf Nachfrage hin
begründete Gollnisch seinen Hinweis auf die angeblich zwischen
NS-Deutschland und Sowjetunion geteilte "Mitverantwortung" mit dem
deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt vom 23. August 1939. Dieser sog.
Hitler-Stalin-Pakt habe die Aufteilung Polens erst ermöglicht. Das ist
zweifellos richtig, doch keineswegs ursächlich für das Auslösen des
NS-Vernichtungsprogramm. Doch um dessen Ursachen ging es Gollnisch auch
überhaupt nicht, sondern eher um eine Ablenkung auf die "nicht minder
kriminelle" UdSSR. Denn alsbald fuhr der rechtsextreme Politiker mit
folgenden Worten fort: "Ich bedauere, dass man niemals von den Verbrechen
des Kommunismus spricht. Darin liegt ein Geschichtsrevisionismus, der einer
Untersuchung wert wäre."
Bezüglich Marine Le Pen erklärte Bruno
Gollnisch, ihr vorläufiger?-
Rückzug werde falsch interpretiert: Die Tochter des Parteichefs sei nämlich
nicht aufgrund der Äußerungen Jean-Marie Le Pens schockiert, sondern
vielmehr "durch die Kommentare" dazu. Denn "es ist in der Tat schwer, das
Übermaß an Verteufelung zu ertragen, das auf die geringste Äußerung" seines
Parteichefs hin erfolge. Damit hat Gollnisch nicht nur argumentativ noch die
Kurve bekommen, sondern zugleich auch noch Marine Le Pen als "Weichei", die
gegenüber den (ungerechtfertigten) öffentlichen Angriffe einknicke,
hinstellen können. Es spricht ein wohl gut platzierter Anwärter auf die
Nachfolge des Jean-Marie Le Pen.
Jean-Marie Le Pen: "Entdiabolisierung" gut
oder nicht?
Letzterer Variante zur Erklärung von Marine
Le Pens Rückzug (nicht wegen der
skandalträchtigen Äußerungen selbst, sondern "wegen der falschen Anklagen,
deren Gegenstand sie bilden") hat sich mittlerweile auch der Parteichef und
Papa angeschlossen. In einem Interview mit der Tageszeitung "Le Parisien"
vom 2. Februar 05 äußerte Le Pen sich in diesem Sinne. Er fügte hinzu: "Ich
verstehe sie: Ich, ich habe ein Leder wie ein Krokodil und ich bin
gepanzert. Die jungen Leute haben da eine sensiblere Haut. Marine leidet für
ihren Papa. Denn bei uns besteht Familienliebe."
Neben diesem Seifenoper-Rührstück ging
Jean-Marie Le Pen auch kurz auf die
strategischen Fragen für seine Partei ein. Im Interview mit dem "Parisien"
bestreitet er, dass die wiederholten Skandale im Zusammenhang mit Äußerungen
über den Zweiten Weltkrieg und die NS-Taten zu "irgend einer Strategie"
gehörten. Bis dahin hatten manche Beobachter gemutmaßt, Le Pen wolle durch
eine Strategie des Skandals wieder vermehrt von sich reden machen und
"bürgerliche Weichlinge" aus den eigenen Reihen abschrecken; zudem wollten
mehrere Parteikader die "Hardliner" zwecks Regelung der Nachfolge des Chefs
auf ihre Seite ziehen. Jean-Marie Le Pen selbst hatte diesen Analysen im
Übrigen reichlich Nahrung gegeben. Gegenübermit dem Wochenmagazin "Le Nouvel
Observateur" (vom 20. Januar) trompetete der FN-Chef noch hinaus: "Marine
ist nett, aber ihre Strategie der <Entdiabolisierung> hat uns nichts
eingebracht. Die Medien nehmen uns nicht wahr. Ein netter FN, das
interessiert niemanden."
Dazu meint Le Pen jetzt im "Parisien", er
habe "niemals die Dämonisierung
(diabolisation) des FN gewollt oder gesucht". Und fügt hinzu: "Die Strategie
des FN bestimmt sich nicht im Hinblick auf den Zweiten Weltkrieg. 60 Jahre
danach wollen die jungen Leute von diesen ollen Kamellen nichts mehr hören.
Sie sagen: <Geht das schon wieder los? Genug!>" Im Übrigen, so fügte Le Pen
hinzu, "gibt es keine Hardliner beim FN. Lediglich meinen Einige, angesichts
des intellektuellen Terrorismus, der bezüglich bestimmter Themen herrscht,
sei es besser, keine Risiken mit diesen Themen einzugehen." Er selbst "sehe
das (aber) anders". Als Richtlinie gab er die schwammige Direktive aus: "Die
Vergangenheit darf die Gegenwart nicht erschlagen, aber darf auch nicht
versteckt werden."
Von einem Rückzug seiner Tochter wisse er im
Übrigen nichts: "Ich warte die
nächste Sitzung des Büros ab. Ich habe keinerlei (Rücktritts-)Schreiben von
ihr bekommen..." Prompt bestätigte Marine Le Pen in den Spalten von "Le
Monde" (vom 4. Februar): "Ich werde nicht zur nächsten Sitzung des
Exekutivbüros erscheinen", die am 28. 02. Stattfinden soll.
Innerparteilicher Unmut: "Schluss mit dem
Stochern in der Vergangenheit!"
Der Hintergrund für diese eiernden
Auslassungen Jean-Marie Le Pens ist, dass
es anscheinend tatsächlich einen wachsenden innerparteilichen Unmut seit den
sich häufenden, jüngsten Skandalen gibt.
Der Generalsekretär des FN, Carl Lang, sieht
sich veranlasst, in den Spalten
von "Le Monde" anzuerkennen: "Ein Zehntel der Aktivisten und Kader will von
diesem Thema (Anm.: der Relativierung der NS-Verbrechen) reden. Ein Zehntel
ist der Auffassung, es sei eine Schande, die offizielle Geschichtsversion in
Frage zu stellen. Der Rest will von etwas Anderem reden." (LM, 04. Februar)
Unter den erstgenannten 10 Prozent dürfte sich wohl ein Gutteil der
Hardliner befinden, die sich als Aktivisten in direkter Kontinuität zu den
historischen faschistischen Bewegungen begreifen. Das bedeutet nicht, dass
jene Parteimitglieder, die vielleicht eine weniger weite historische
Perspektive haben und sich weniger als ideologisch gefestigte Kader
begreifen (oder aber eine "Modernisierung" und Imageglättung anstreben),
dadurch sympathischere und humanistischer Ansichten vertreten würden.
"Le Monde" berichtet in derselben Ausgabe,
die Parteibasis des FN sei
angesichts des Sturms der Empörung, der ihnen in den letzten drei Monaten
aus den Medien entgegen schlug, eher perplex. "Viele denken an (die
Präsidentenwahl)) 2007 und reden von den Schwierigkeiten, die die Kader und
Aktivisten haben werden, um die 500 Unterschriften von Bürgermeistern und
Mandatsträgern aufzutreiben", die notwendig sind, um eine Kandidatur zu den
Präsidentschaftswahlen anmelden zu können.
Öffentlich einen Ausweg bietet derzeit
ausgerechnet einer der Hardliner an,
der sich aber (taktisch geschickt!) mit rein formalen Argumenten gegen Le
Pens jüngste Äußerungen gewandt hatte, weil diese durch keinen
Parteibeschluss gedeckt seien. Jacques Bompard, der monentan einzige
FN-Bürgermeister einer Stadt (Orange), meldet sich auch in der oben
zitierten Ausgabe von "Le Monde" schon wieder zu Wort. Es müsse ein
Parteikongress einberufen werden, fordert er, auf dem auch die mögliche
Abwahl Jean-Marie Le Pens von der Parteispitze und die Aufstellung des
nächsten Präsidentschaftskandidaten offen debattiert werden müssten. Statt
der Modalitäten bisheriger Parteitage (auf denen mit offener Hand und
beinahe immer einstimmig "abgestimmt" wurde) sollten andere Mechanismen, mit
offener Aussprache und geheimer Wahl, eingeführt werden.
Strategisch bemängelt Bompard, Jean-Marie Le
Pen habe immer nur die
Präsidentschaftswahl als "Königin aller Wahlen" im Blick, wobei er
irgendwann wie ein Wunder in deren zweitem Wahlgang erfolgreich sein würde.
Das sei aber eine Illusion, wenn keine gesellschaftlich verankerte
Partei-Bewegung dahinter stehe, die sich etwa auf gewerkschaftliche und
vereinsförmige Vorposten stützen könne. Dies habe man im Jahr 2002 gesehen.
Daher müsse die Partei von Grund auf neu aufgebaut werden, wobei die
Strukturierung mit der Herausbildung lokaler Kader und der Gewinnung
kommunaler Mandate beginne nmüsse.
Jean-Marie Le Pen reagierte auf dieses
Interview, auf Nachfrage von
Journalisten, mit den Worten: "Ich kenne diese Person nicht."
Dem Politbarometer des "Figaro Magazine" vom
05/06. Februar zufolge befindet
der FN sich (im Rahmen des "Sympathiespiegels" der verschiedenen Parteien)
momentan bei nur 7 Prozent "positiven Meinungen" und 84 Prozent "negativen
Meinungen". Üblicherweise ist die Prozentzahl der positiven Einstellungen
zum FN zumindest zweistellig.
Editorische Anmerkungen
Der Autor stellte uns seinen Text
am 6.2.2005 zur Veröffentlichung zur Verfügung.
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