Betrieb & Gewerkschaft
Gegen den Willen der Führung...

Überraschung: Die CGT ruft doch auf, mit NEIN zur EU-Verfassung zu stimmen!


von Bernhard Schmid

02/05

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Am Donnerstag war es "die" Überraschung ­ im positiven Sinne für die Einen, negativ für die Anderen. Entgegen allen bisherigen Absichten ihrer Führung unter dem Generalsekretär Bernard Thibault wird die französische CGT beim Referendum im Frühsommer nun doch dazu aufrufen, gegen den EU-Verfassungsentwurf zu stimmen.  

Am späten Mittwoch abend entschied das Comité confédéral national (CCN, ungefähr: Landesweiter Verbands-Ausschuss), also das wichtige strategische Beschlüsse fassende "Parlament" des Gewerkschaftsverbands, in diesem Sinne. Dabei stimmten 74 Teilnehmer der Abstimmung dafür, dass die CGT eine Stimmempfehlung zugunsten des NEIN abgibt. 18 der Anwesenden stimmten gegen den entsprechenden Antrag, 17 enthielten sich bei diesem Votum der Stimme.  

Das CCN des ehemals KP-nahen Gewerkschaftsbunds trat am 2. und 3. Februar zusammen. Die aktuelle CGT-Führung hatte sich eindeutig dafür ausgesprochen, dass der Gewerkschaftsverband keine Stimmempfehlung zur Volksabstimmung über den EU-Verfassungsvertrag abgeben solle. Eine "nuancierte Stellungnahme", Artikel für Artikel, wollte etwa Generalsekretär Bernard Thibault heraus kommen sehen.  

Die CGT im Sog von Brüsseler Lobby"gewerkschaft" und Sozialdemokratie  

Das verbirgt nur notdürftig, dass die CGT einerseits durch ihre seit 1999 bestehende Zugehörigkeit zum Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) in Brüssel und andererseits durch ihre seit drei Jahren mit fliegenden Schritten vorankommende Annäherung an die französische Sozialdemokratie immer stärker in die Richtung einer Befürwortung der so genannten "Verfassung" gezogen wurde. Das Näherrücken an die Sozialdemokratie drückte sich u.a. dadurch aus, dass im Wahlkampf zu den letzten Präsidentschaftswahlen 2001/02 das Angebot an die CGT erging, an der Ausarbeitung der Wahlplattform für den "sozialistischen" Kandidaten Lionel Jospin teilzunehmen. Auch trat CGT-Generalsekretär Thibault im Mai 2003 auf dem letzten Parteikongress der französischen "Sozialisten" in Dijon auf, zum denkbar günstigen Zeitpunkt, um der momentan oppositionellen Sozialdemokratie (mitten im Konflikt um die Renten"reform") vorübergehend ein sozial progressives Image zu verleihen.  

Beim EGB (dieser bürokratische Dachverband betätigt sich als reine Lobbyorganisation in den Brüsseler Gremien) haben die dorthin delegierten CGT-Vertreter in den letzten Monaten recht eindeutige Positionen zugunsten des EU-Verfassungsentwurfs abgegeben. So sprach sich der CGT-Repräsentant dort im Juli 2004 für "ein positives Herangehen" aus, da die so genannte Verfassung angeblich erlaube, "die soziale Dimension (der EU) voran zu bringen". Na, wer¹s glaubt, mag damit selig werden. Im Oktober 04, bei einer EGB-führungsinternen Abstimmung über den Verfassungsentwurf, enthielt der CGT-Vertreter sich immerhin der Stimme.  

CGT-Vorständler: "Rückschlag für die Modernisierung", die er so toll findet  

Nunmehr hat die CGT-Führung eine Niederlage erlitten, wie einer der profilierten "Reformer" des Gewerkschaftsverbands mit Sitz im Pariser Vorort Montreuil, Jean-Christophe Le Duigou, auch öffentlich gegenüber den Medien einräumte; mit diesen Worten wurde er bereits am Donnerstag früh in einer Meldung der französische Nachrichtenagentur AFP zitiert. (Le Duigou zählt zur Seilschaft des früheren französischen KP-Chefökonomen Philippe Herzog. Herzog, der früher ein Keynesianer mit marxistisch klingendem Vokabular gewesen wr, trat auf dem 29. Parteitag der französischen KP im Dezember 1996 in Paris-La Défense aus der Partei aus. Dazu erklärte er auf der Parteitagstribüne, die KP erkenne zu wenig die positive Rolle der Unternehmer und die auf ihnen lastenden Zwänge an. Dennoch wurde Herzog im Juni 1999 noch einmal auf der "offenen Liste" der französischen KP ins Europaparlament gewählt, als Beweis der neuen "Offenheit" der Partei, die in Wirklichkeit längst Beliebigkeit bedeutete. Sein Mitstreiter Le Duigou ist einer der Prediger einer notwendigen "Modernisierung" des Gewerkschaftswesens bei der CGT; er dachte bspw. in der Vergangenheit über private Rentenfonds nach, die doch gar nicht so schlecht wären, wenn Gewerkschaftsvertreter in den Aufsichtsräten sie kontrollieren würde. Kurz, eine Mischung aus technokratischem Langweiler und modernem Sozialdemokraten.)  

Nach ersten Analysen ist dieser Abstimmungserfolg der GegnerInnen der ebenso wirtschaftsliberalen wie die Aufrüstung der EU als Zielsetzung festschreibenden "Verfassung" vor allem auf die traditionell oppositionellen Sektionen innerhalb der CGT zurückzuführen. Dazu zählt man etwa den Post- und den Metall-Sektor.  

Die Führung findet sich nicht mit dem Abstimmungsresultat ab  

Die in der Abstimmung unterlegene CGT-Führung will sich mit ihrer Niederlage nicht abfinden und attackiert bereits öffentlich die "undemokratische" Entscheidung. Gewerkschaftschef Bernard Thibault wurde am Donnerstag auf Radio France Info mit den Worten zitiert, die Gewerkschaft sei mit diesem Beschluss "aus ihrer Rolle geschlüpft" und habe sich "auf einer politischen Ebene angesiedelt", auf der sie sich nicht zu positionieren habe. Demokatisch wäre es demnach einzig und allein gewesen, die Gewerkschaftsmitglieder ohne Stimmempfehlung individuell entscheiden zu lassen. Jean-Christiophe Le Duigou wird in "Libération" vom Freitag mit den Worten zitiert, dieses Votum mache "10 bis 15 Jahre Entwicklung" der CGT zunichte. Damit ist die schrittweise "Emanzipierung" des Gewerkschaftsverbands von der französischen KP gemeint. Tatsächlich hat die CGT sich seit Mitte der 90er Jahre aus der früheren inoffiziellen, doch faktischen Abhängigkeit vom politischen Kurs und der Strategie "der Partei" abgenabelt. Allerdings ging damit nicht unbedingt eine Entfernung von parteipolitischen Strategien generell einher, da Viele in der Führungsebene die frühere Gefolgschaft gegenüber der KP offenkundig durch eine andere, angeblich "moderne" gegenüber der Sozialdemokratie und ihren abgestandenen Rezepten eintauschen mögen.  

Aussichten  

Die französische Volksabstimmung zum EU-Verfassungsentwurf wird voraussichtlich im Frühsommer stattfinden, wahrscheinlich Ende Mai oder im Juni; zuvor muss noch die französische nationale Verfassung durch die beiden Parlamentskammern geändert werden, um die Ratifizierung des Vertrags zu ermöglichen. Der genaue Termin des Referendums steht bisher noch nicht fest. Präsident Jacques Chirac wird ihn auch mutmaßlich so spät wie möglich bekannt geben.  

Die CGT ist bisher die einzige Gewerkschaft, die dezidiert zum Nein-Stimmen aufruft. Ähnliches wird aber auch von den im Dachverband Solidaires locker zusammengeschlossenen linken Basisgewerkschaften (SUD) erwartet. Die Lehrergewerkschaft FSU zögert derzeit noch, ihre Führung hat aber eine Textanalyse des EU-Verfassungsentwurfs debattiert und angenommen, der eindeutig negativ ausfällt.  

Dagegen ruft der sozialdemokratische und pro-neoliberale Gewerkschaftsverband CFDT (neben der CGT, und ungefähr auf gleicher Höhe mit ihr, der größte in Frankreich) eindeutig dazu auf, mit "JA" zur EU-Verfassung zu stimmen.  

Einer freilich derzeit gründlich daneben: Der ehemalige operaistische Vordenker Toni Negri, der zur Zeit in Paris unterrichtet. Er ruft dazu auf, mit "Ja" zu dem Verfassungsvertrag zu stimmen, da die fortschreitende EU-Integration dem transnationalen "Empire" in seinem Sinne zum Durchbruch verhelfe.  

Editorische Anmerkungen

Der Autor stellte uns seinen Text am 6.2.2005 zur Veröffentlichung zur Verfügung.