Betrieb & Gewerkschaft
Irak
Gewerkschaftlicher Widerstand

Das nachstehende Interview gab Amjad Al Jawhari, Vertreter der Föderation der Arbeiterräte und Gewerkschaften im Irak (FWCUI), der Zeitung Rouge.
02/05

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Kannst du deine Organisation vorstellen?

Die Föderation der Arbeiterräte und Gewerkschaften im Irak wurde im Dezember 2003 gegründet. Sie schließt solche Gewerkschaften und Arbeiterräte zusammen, die nach dem Grundsatz der Selbstorganisation arbeiten. Wir stützen uns auf etwa 500 Delegierte, die vor Ort von Gewerkschaften und Räten gewählt werden und in verschiedenen Berufszweigen arbeiten. Im Süden des Landes sind wir gut verankert, hier haben wir etwa 10000 Mitglieder und wachsen. Ende November haben wir hier eine Konferenz organisiert, an der mehrere Dutzend Gewerkschafter und Räte aus der Region Basra teilgenommen haben. Sie arbeiten hauptsächlich im Energiesektor, in der Ölindustrie und in der Schiffahrt. Zur Sprecherin wurde eine Frau gewählt, Kifah Hasn. Das ist ein wichtiger Fortschritt in unserer Organisierung und in der Verteidigung unserer Rechte.

Wir geraten dabei in Konflikt mit den Besatzungsmächten und ihrer Marionettenregierung, die uns zum Schweigen bringen wollen. Sie wollen nur eine einzige Gewerkschaft anerkennen — diejenige, die ihnen gegenüber am unterwürfigsten ist — und am liebsten alle anderen verbieten. Nimmt man dazu die Wahlfarce, die im Januar stattfinden soll, dann erkennt man den übergeordneten Willen, jede Meinungsfreiheit und Organisationsfreiheit zu unterdrücken und das politische Feld allein den religiösen und Stammesmilizen zu überlassen, die die Besatzung und die provisorische Regierung unterstützen.

Nach 18 Monaten Besatzung scheint der Irak im Chaos zu versinken…

Fast 70% der irakischen Bevölkerung ist arbeitslos. Die Wirtschaft ist durch die Besatzung und die tägliche Gewalt fast zum Stillstand gekommen. Die sozialen Dienstleistungen sind verschwunden, es gibt keinen Schutz mehr, kein Gesetz, keine Sicherheit. Die Bevölkerung ist die Leidtragende. Auf der einen Seite gibt es die monströsen Verbrechen der Besatzungskräfte wie in Falluja und in zahlreichen anderen Städten, auf der anderen Seite gibt es die Verbrechen des politischen Islam, gleich ob schiitischer oder sunnitischer Prägung, der alles tut, um einen ethnischen Krieg zu entfachen. Wir erleben derzeit die faktische Übernahme der Herrschaft durch sich befehdende Milizen, und was sich als Widerstand ausgibt, tötet zehnmal mehr Zivilisten als amerikanische Soldaten. Frauen werden von diesen Gruppen systematisch angegriffen. Der Irak soll zurück ins Steinzeitalter. Unter diesem doppelten Druck ist die Lage für die Zivilbevölkerung ziemlich verzweifelt. Die Iraker stehen den verschiedenen Milizen zunehmend feindlich gegenüber, weil sie Terror verbreiten und mit Waffengewalt herrschen.

Gibt es sozialen Widerstand?

Natürlich, seit dem Sturz des Regimes. Es gab Kämpfe zur Vertreibung des alten Kaders der Baath-Partei, der von den Besatzungsmächten weiter eingesetzt wird. Zahlreiche Kämpfe hat es auch in der Elektrizitätswirtschaft und in der mechanischen Industrie gegeben — für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und für Lohnerhöhungen. Es gibt keine sozialen Regelungen mehr. Arbeiter haben auch bewaffnete Widerstandsgruppen gebildet, um die Banden von Motaqa Al Sadr zu vertreiben, die den Arbeitsplatz als Basis für ihre Operationen benutzt haben wie in Nassiriya. Wir haben solche Aktionen erfolgreich in zwei Stadtteilen von Bagdad wiederholt. Das ist überhaupt ein Schlüsselelement in der gegenwärtigen Situation: die Organisierung der Zivilbevölkerung, um den Milizen und den Besatzungstruppen den Einmarsch in die Städte zu verwehren.

Einen anderen bedeutenden Kampf führen die Erwerbslosen. Wir haben Dutzende von Demonstrationen organisiert, einige von ihnen wurden von den Besatzungskräften unterdrückt. Wir setzen Einstellungen durch und leisten humanitäre Hilfe denen, die flüchten mussten und ohne Obdach sind.

Welche Alternative gibt es zur Besatzung und zu den Milizen?

Unser Ziel ist, die Arbeiter zu sammeln und ihre Rechte zu verteidigen, gleich welcher religiösen und ethnischen Herkunft sie sind. Wir wollen ihre Einheit herstellen, wir kämpfen aber auch für die Freiheit der Frauen und für eine laizistische, fortschrittliche und soziale Alternative zur amerikanischen Besatzung und zur islamistischen Unterdrückung. Der Bevölkerung wird ein Zweifrontenkrieg aufgezwungen, beide Seite sind eine tödliche Gefahr für die arbeitende Bevölkerung und das irakische Volk. Wir müssen deshalb diese dritte Front stärken, die soziale und demokratische. Nur der soziale Widerstand kann siegreich sein.

Übersetzung: Angela Klein

Editorische Anmerkungen

Der vorliegende Text erschien in der Printausgabe der SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2005, Seite 16 auf von der Website der SoZ  gespiegelt http://members.aol.com/soz9/0501162.htm