Es ist kein Witz, daß die Ostfriesen das Watt bei
Ebbe gelegentlich als Bauland anbieten - an ahnungslose Festland-Bayern z.B..
Selbst der große nordische Künstler Emil Nolde, dessen Vater einst friesischer
Bauer war, hat einmal - beim Kauf des Hofes Utenwarf in Nordfriesland - nicht
bedacht, daß das "ganze Land" im Winter unter Wasser stand, "ja sogar im
Sommer überschwemmte". Gerade als er sich damit abgefunden hatte, "wurden die
Grenzen direkt vor unser Haus und Land gelegt und wir an Dänemark abgetreten".
Schon bald rückten dänische Ingenieure an, die eine künstliche Entwässerung
des Gebietes vorbereiteten. Als früher Ökologe erstellte Emil Nolde daraufhin
einen landschaftsschonenderen Gegenentwurf. "Als ich durch Zufall erfuhr, daß
der Entwässerungsplan politisch sei - da war es mir klar, daß meine Arbeit in
dieser Sache verlorene Mühe war". Man
sagt, die Friesen kommen bereits mit einem Bausparvertrag auf die Welt.
Tatsächlich könnte die "Blut und Boden"-Formel eine ursprünglich friesische
Parole gewesen sein, obwohl die Nazis dann die "nordische Kunst" doch
vorsichtshalber ächteten - und u.a. Emil Nolde mit Malverbot belegten.
Wiewohl Bauern und Seefahrer, besteht die
eigentliche Kulturleistung der Friesen in der Landgewinnung. Das Husumer
Nissenmuseum - einst von einem friesischen Auswanderer, der in Amerika reich
wurde, gestiftet - ist deswegen auch und vor allem der friesischen
Deichbau-Kunst gewidmet. Ein anderer Auswanderer - nach Deutsch-Südwest-Afrika,
Sönke Nissen, finanzierte sogar die Eindeichung eines ganzen nach ihm dann
benannten Koogs, inklusive der darin errichteten riesigen Bauernhöfe. Und der
Husumer Dichter Theodor Storm wurde nach seinem Tod vor allem mit seinem
Deich-Drama "Der Schimmelreiter" bekannt. Umgekehrt benannte man einen nach
dem Zweiten Weltkrieg eingedeichten Koog nach seinem Novellen-Held, den
Deichgrafen "Hauke Haien". Einen zuvor eingedeichten Koog hatte man nach
"Adolf Hitler" benannt und das Letzte Aufgebot des Krieges mußte dann -
zusammen mit den Insassen des KZ Husum - einen "Friesenwall" aufschütten -
gegen eine ziemlich unmögliche zweite alliierte Invasion vom Wattenmeer her.
Mit einer seltsam sturen Leidenschaft versucht
dieses stets entlang der Nordseeküste und auf den Inseln bzw. Halligen
siedelnde Volk allen See-Stürmen trutzig die Stirn zu bieten. Inzwischen hat
ihr "Projekt" - über die Jahrhunderte hinweg - "etwas absolut Extravagantes"
im Sinne einer "poetischen Erfindung", eines "Unternehmens von großer
tragischer Thematik" bekommen, wie der norditalienische Schriftsteller Giorgio
Manganelli 1985 im "Corriere della Sera" schrieb.
Schon den römischen Gelehrten Gajus Plinius
Secundus hatten einst die Friesen ins Grübeln gebracht: dieses "armselige
Volk", das auf "hohen Erdhügeln" in Schilfhütten lebt und mit "getrocknetem
Kot" seine kärglichen Speisen kocht, damit sich "ihre vom Nordwind erstarrten
Eingeweide erwärmen". Bei Flut, "wenn die Gewässer die Umgebung bedecken,
gleichen sie mit ihren Hütten den Seefahrern, Schiffbrüchigen aber, wenn die
Fluten zurückgetreten sind". Dennoch wollten die Friesen sich partout nicht
den reichen, zivilisierten Römern unterwerfen: "wahrlich," seufzte Plinius,
"viele verschont das Schicksal zu ihrer Strafe".
Verzweifelt wehrten sich die Friesen - in
Sonderheit die sich selbst regierenden Kirchspiele der "Bauernrepublik
Dithmarschen" - auch noch im Jahre 1500, als der holsteinische Herzog,
zugleich dänischer König, sie mit einem starken Ritter- und Landsknecht-Heer
zu unterwerfen suchte. Die von den Bauern aufgrund ihrer Hartnäckigkeit und
der winterlichen Wegelosigkeit auf dem von ihnen selbst geschaffenen Land
gewonnene "Schlacht bei Hemmingstedt", schuf endlich - im Verein mit ihrer
Bearbeitung zum Mythos - eine markante Eigensinnigkeit, an der bis heute
herumgerätselt wird.
So fragte sich z.B. 1977 der einst aus
Helgoland ausgewanderte Redakteur der New Yorker Zeitung "Frisian Roundtable",
ob wenigstens "unser inneres Friesland überleben wird?". Ihm antwortete ein
Vorstandsmitglied der niederländischen "Fryske Akademy" in Leeuwarden: "Wenn
das Eigene ausschließlich auf die Sphäre der privaten Liebhaberei beschränkt
bleibt, ist es eine verlorene Sache".
Im politischen Kampf um den Erhalt der
"friesischen Identität" war noch 1848 Theodor Storm in das ihm verhaßte
preußische Exil abgetrieben worden, nachdem das dänische Heer die
"schleswig-holsteinische Freiheitsbewegung" zerschlagen hatte. Auch als dann
einige Jahrzehnte später Preußen an der "Düppeler Schanze" die Dänen
zurückschlug und Storm als Landvogt im Triumph nach Husum heimkehrte, konnte
er sich nicht recht über diese Fremd-"Befreiung" freuen. Deutschland und
Friesland wissen die Friesen bis heute sauber zu unterscheiden. So antwortete
mir z.B. der Emder Bürgermeister, auf die Frage, was er früher gewesen sei:
"Die bisherige ostfriesische Evolution verlief vom Bauern und Fischer über den
Hafen- und Werftarbeiter zum VW-Arbeiter. Ich habe ebenfalls auf der Werft
gearbeitet, aber auch in Deutschland: vier Jahre - in Köln, dann bin ich aber
wieder zurückgekehrt". Bei der "Nordsee-Zeitung" erzählte mir ein Redakteur,
daß heute viele junge Leute bis zum Bodensee fahren müssen, um Arbeit zu
finden, "aber sie kommen am Wochenende immer wieder zurück und bleiben auch
hier gemeldet". Deswegen sei die Arbeitslosenquote für diese Region
irreführend: "in Wirklichkeit ist sie sehr viel höher".
Für Nordfriesland gilt, daß es zwar die
industrieärmste Region Deutschlands ist, aber die meisten Sport- und
Bäder-Anlagen besitzt. In der Landwirtschaft, die ohnehin kaum noch
Arbeitskräfte beschäftigt, setzt sich der Konzentrationssprozeß, "Bauernlegen"
nach wie vor genannt, fort, und die Fischerei gibt es praktisch schon nicht
mehr, dafür ist jedoch der Fremdenverkehr noch ausbaufähig. Ihm wird mit immer
mehr Naturparks und Vogelschutzgebieten Rechnung getragen. Selbst
Landgewinnungs- und Eindeichungsmaßnahmen haben sich inzwischen dem Erhalt der
touristisch attraktiven Wattenmeer-Ökologie teilweise untergeordnet. Es geht
nicht mehr um die Gewinnung neuer Agrarflächen. In der Landwirtschaft wird
deswegen ausweichend mehr und mehr mit dem Anbau von Windkraftanlagen
spekuliert. Die Nordseeküste wirkt bereits stellenweise wie mit Feldern
gigantischer Spargel versperrt. Ökonomisch macht es vielleicht Sinn, wenn in
dem einst größten Betrieb der Nord-Region, der Husumer Schiffswerft, die
jüngst Konkurs anmelden mußte, nun Windkraftanlagen montiert werden. Es will
einem jedoch nicht so recht in den Kopf, daß sich gerade die Konzentration
dieser haushohen Windenergie-Türme an der Wattenmeer-Küste mit dem Ausbau
derselben zu einem großen Vogelbrutgebiet und Rastplatz für nordische Zugvögel
verträgt. Auch wenn man weiß, daß die Zahl der durch Windkraftanlagen zu Tode
kommenden Tiere noch "nicht besorgniserregend" ist. Und bei Sturm werden die
Anlagen sowieso stillgestellt.
Bei Sturm geht der Friese auf den Deich und
schaut schweigend auf das tosende Meer - während man sich in Süddeutschland,
vor allem in Wien, lärmend auf der Couch wälzt. Hier heißt es deswegen auch:
"Wer nicht will deichen - muß weichen!" Oder - um im Bilde zu bleiben: Wo
Blanker Hans war - soll Ich werden!
Das friesische Ich ist zu großen individuellen
Leistungen vor allem im Ausland fähig, im "Inneren" setzt dem die
altehrwürdige Kollektiv-Ökonomie Grenzen. Das ist der Kern der berühmten
Stormschen Novelle über das Scheitern - "Der Schimmelreiter": "Als Exponent
der von Storm so hoch geschätzten Selbstverwaltung ist der Deichgraf auf
demokratisches Miteinander angewiesen; Hauke Haiens Verhältnis zu seinen
Dorfgenossen aber ist gestört," schreibt der Stormbiograph K.E. Laage. Storm
selbst spricht von "der Ehrsucht und dem Haß" in seinem Herzen. Gerade als er
eine neue - flache - Deichkonstruktion, die heute nebenbei bemerkt überall zu
finden ist, durchsetzen will, gerät er "in Gegensatz zu seinen Freunden" - und
scheitert deswegen.
In der berühmten fast dokumentarischen
Verfilmung der Novelle - aus dem Jahr 1933 - wird diese Handlung an einigen
wenigen aber entscheidenden Stellen zugunsten des "Führergedankens" verändert.
Dadurch bekommt das Stormsche Drama ein Happy-End - und aus dem
menschlich-fragwürdigen Deichgrafen, der zuletzt bereut, wird ein rundum
positiver Held - der Neuen Zeit vorauseilend.
Den Nordfriesen scheint dieser
nationalsozialistische "Ausweg" - aus der immer wieder von Fontane gegenüber
Storm ins Feld geführten "Husumerei" - mehrheitlich gefallen zu haben. Die
sozialdemokratisch-proletarischeren Ostfriesen blieben dagegen dem neuen
Deutschland gegenüber eher skeptisch, sie hatten schon ihren Zwangsanschluß an
Preußen übel aufgenommen - und z.B. nach 1918 das Hohenzollern-Denkmal vom
zentralen Emder Platz sofort weg und hinter den Deich verbannt, wo es bis
heute steht. Als die Stadt vor zwei Jahren den sogenannten Stadtgarten - u.a.
mit einer großzügigen Spende des Ostfriesenkomikers Otto - neu gestaltete und
dazu das Preußen-Denkmal rückführen wollte, verweigerte die Siel-Verwaltung
schlicht seine Herausgabe. Die calvinistischen Ostfriesen verschanzten sich in
Mikropolitik. Immerhin trauten sie sich bereits am 4.Mai 1945, eine erste
Demonstration in Emden gegen das NS-Regime durch zu führen. Die holländischen
Westfriesen wagten jedoch noch viel früher den Widerstand gegen die deutschen
Okkupanten - u.a. indem sie Teile ihres eingedeichten Landes unter Wasser
setzten, Sabotage verübten und Juden versteckten. Im Jahre 2000 widmete das
Friesische Museum von Lieuwarden nicht dem Widerstand, sondern der
Kollaboration der Niederländer mit den Deutschen eine Sonderausstellung. Dabei
wurde festgestellt, dass es insgesamt 120.000 Kollaborateure in Land gab,
davon 5000 in Friesland. Die Gerichte verhängten nach dem Krieg 190
Todesurteile, von denen 39 vollstreckt wurden.
In einem Vortrag über "Die große und die kleine
Welt" - gehalten auf dem 15. Friesenkongreß in Aurich - bezeichnete der
Philosoph Hermann Lübbe den "Regionalismus" als das "Ringen um Heimat", dem
eine wichtige kompensatorische Funktion angesichts der sich beschleunigenden
"zivilisatorischen Innovation" zukomme. In der Zeitschrift "Nordfriesland"
widersprach ihm daraufhin der Kieler Soziologiestudent Harm-Peer Zimmermann,
der eine "Analyse des Wesens des Heimatgefühls" sowie eine "historische
Ableitung der gesellschaftlichen und politischen Bedeutung" des von Lübbe
konstatierten "Vertrauensschwunds" und "Identitätsverlusts" vermißte.
"Wie in Gorleben," behauptete der Student
demgegenüber, "so entsteht Identität überall in der Auseinandersetzung mit dem
Alltag. Das Glück stellt sich nicht durch einfache Erinnerung der
Vergangenheit ein". Das war - 1982/83 - durchaus noch klassenkämpferisch
gemeint - und vor allem gegen "Musealisierungen" gerichtet.
Desungeachtet sind z.B. die einst armen
Krabbenfischer, die es dann mit sozialdemokratischer Hilfe langsam zu
Schiffseignern brachten - heute alle in der CDU beheimatet, ebenso die letzten
vier noch existierenden Miesmuschelfischer, deren Tätigkeit von einem
"Miesmuschel-Management-Plan (MMP) durchgeregelt wird. Anfang letzten Jahres
fanden sie sich zu einer Aktionseinheit mit den Kleinbauern, die die
Salzwiesen im Vorland der Deiche mit Schafe beweiden, zusammen: auf der
Deichlinie zündeten sie Mahnfeuer an. Damit wollte ihre "Allianz für die
Westküste" einen schleswig-holsteinischen Kabinettsbeschluß zur Erweiterung
des Nationalparks Wattenmeer abwehren. Die US-Journalistin A. Shrivastava sah
darin das "Potential eines umgekehrten Gorlebens" - also einen reaktionären,
antiökologischen Widerstand.
Tatsächlich ging es aber bei beiden
Bauernprotesten - im wendtländischen Gorleben wie an der
schleswig-holsteinischen Westküste - um die Gefährdung ihrer
landwirtschaftlichen Existenz, gegen die sich sich zur Wehr setzten. Dort ist
es der immer noch geplante Bau eines Nuklearen Entsorgungszentrums (NEZ) und
hier die ebenfalls von oben verfügte Ausweitung von Naturschutzgebieten - zu
Ungunsten der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Die Anfänge dieses bäuerlichen
Widerstands reichen bis nach Whyl im Dreyländereck, wo die bundesdeutsche
Anti-AKW-Bewegung ihren Anfang nahm. Weitere Orte, in denen diese Bewegung
kulminierte, waren dann Wackersdorf in Oberbayern und Mutlangen nahe
Schwäbisch-Gemünd.
Es scheint fast, dass die nachkriegsdeutsche
Linke im Westen, wiewohl marxistisch-proletarisch orientiert, eher bei den
Bauern auf dem Land als bei den Arbeitern in der Fabrik ein Echo auf ihre
eigenen Kämpfe fand und findet. Man kann es auch so sagen: Der bäuerliche
Widerstand bot den intellektuellen Linken in der BRD immer wieder
Möglichkeiten für eine Massenbasis - zur Ausweitung ihrer Kämpfe, wobei die
Bewegung sich jedoch auch immer wieder spaltete - in militante und weniger
militante bzw. in legale und illegale. Im Gorlebener "Stiftung Unruhe Info"
heißt es 2001: "Die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg und die Bäuerliche
Notgemeinschaft könnten den 'Autonomen' wenigstens klammheimlich dankbar sein,
dass gerade wir und nicht sie die zentrale Zielscheibe dieses
gesellschaftlichen Ausgrenzungsbemühens sind". Oft genug gerieten jedoch auch
die unvermummten Bauern ins Visier von Polizei und Staatsschutz. In Gorleben
war das insbesondere der Bauer Adi Lambke, der darüber inzwischen auch auf
einer eigenen Webpage regelmäßig berichtet. "Mein Trecker und ich" heißt es
dort z.B. an einer Stelle. Es gibt in diesen Protestbewegungen mittlerweile
einen eigenen Traktorwortschatz: Treckerdemo, Demotrecker, Treckerblockade
usw.. Gelegentlich operiert man sogar mit Spielzeugtreckern. 1979
veranstalteten die Gorlebener einen Trecker-Zug nach Hannover und im Jahr 2000
einen nach Berlin durchs Brandenburger Tor. Die Polizei reagiert darauf mit
Treckerzerstörungen, Treckerstillegungen und Führerscheinentzügen.
Wenn mich nicht alles täuscht, begann dieser
bäuerliche Widerstand schon vor dem Zweiten Weltkrieg - mit der
"Landvolkbewegung" in den späten Zwanzigerjahre - von der
schleswig-holsteinischen Westküste aus, damals noch ohne Trecker.
Diese Bauernkämpfe hatten zum Hintergrund eine
massive Agrarkrise - im Zusammenhang der Weltwirtschaftskrise, von der vor
allem die dortigen Mittelbauern betroffen waren, insofern sie als Viehmäster
(Gräser) eine spekulative Landwirtschaft betrieben, d.h. sie nahmen Kredite
auf, um im Frühjahr Mastvieh zu kaufen, dass sie anschließend mit Gewinn
wieder zu verkaufen hofften. Weil aber immer mehr Billigimporte aus dem
Ausland auf die Preise drückten, mußten viele Bauern Konkurs anmelden, zumal
sie auch noch mit jede Menge Steuern belastet wurden. Bis 1932 wurden 800.000
Hektar Land zwangsversteigert und über 30.000 Bauern mußten ihre Höfe
aufgeben.
"Keine Steuern aus der Substanz!" das war dann
auch die Parole, unter der am 28. Januar 1928 140.000 Bauern in Heide, der
Kreisstadt von Dithmarschen, demonstrierten. Ihre Sprecher wurden der Landwirt
und Jurist Wilhelm Hamkens aus Tetenbüll im Eiderstedtischen und der Bauer
Claus Heim aus St.Annen in Oesterfeld. Die beiden suchten sich ihre
intellektuellen Bündnispartner sowohl in rechten als auch in linken Kreisen.
Um die Landvolkbewegung voranzubringen, verkaufte der "Bauerngeneral" genannte
Claus Heim dann 20 Hektar seines Landes und gründete eine Tageszeitung,
außerdem wurden von dem Geld zwei Autos angeschafft. Als Redakteure gewann er
den später kommunistischen Bauernorganisator und Spanienkämpfer Bruno von
Salomon sowie dessen Bruder Ernst von Salomon, der zu den Rathenau-Mördern
gehörte und in antikommunistischen Freikorps gekämpft hatte. Während die
Kopfarbeiter fast alle aus der seit dem Kapp-Putsch berüchtigten "Brigade
Ehrhardt" kamen, waren die Handarbeiter der Zeitung Kommunisten. Da man ihnen
aus Geldmangel keine Überstunden vergüten konnte, durften sie gelegentlich
auch eigene Artikel im "Landvolk" veröffentlichen. Als Heims "Adjudant"
fungierte bald der antisemitische Haudegen Herbert Volck, der wie folgt für
die schleswig-holsteinische Bewegung gewonnen wurde: "Kommen Sie, organisieren
Sie uns!" bat ihn ein Bauer in Berlin, "setzen Sie ihre Parole 'Blut und
Boden' in die Tat um". Volck gab ihm gegenüber zu bedenken, "ihr müßt euer
Blut dazu geben", nur für bessere "Preise von Schweinen, Korn und Butter
kämpfe ich nicht". Die Ursache für die wachsende Not der Bauern sah er darin,
daß "plötzlich auf den jüdischen Vieh- und Getreidenhöfen die Preise
herunterspekuliert" wurden. Und als wahre Kämpfer anerkannte er dann nur ganz
wenige: "Claus Heim, der Schlesien- und Ruhrkämpfer Polizeihauptmann a.D.
Nickels und ich,...keine Organisation, aber selbst bereit, in die Gefängnisse
zu gehen, wollen wir dem Volke ein Naturgesetz nachweisen - das Gesetz des
Opfers". Tatsächlich mußten die Aktivisten später alle unterschiedlich lange
im Gefängnis sitzen. Die Landvolkbewegung radikalisierte sich schnell,
zugleich spaltete sich ein eher legalistischer Flügel um Wilhelm Hamkens ab -
und die schleswig-holsteinische NSDAP ging ebenfalls auf Distanz zur
Landvolkbewegung. Es kam zu Bombenattentaten, Landrats- und Finanzämter wurden
in die Luft gesprengt, und Polizei und Beamte daran gehindert, Vieh zu
pfänden. Ein Landvolk-Lied ging so: "Herr Landrat, keine Bange, Sie leben
nicht mehr lange.../Heute nacht um Zwei, da besuchen wir Sie,/ Mit dem Wecker,
dem Sprengstoff und der Taschenbatterie!" Bei den Bombenattentaten wurde
jedoch nie jemand verletzt. Einmal sprachen die Bauern sogar ein Stadtboykott
- gegen Neumünster - aus, nachdem auf einer Bauerndemo ihr Fahnenträger, der
Diplomlandwirt Walther Muthmann, schwer verletzt worden war. Er mußte dann
nach Schweden emigrieren, später kehrte er jedoch wieder nach Deutschland
zurück, wo man ihn für einige Wochen inhaftierte.
In Neumünster war 1928/29 der ehemalige
Gutshofhilfsinspektor Hans Fallada Annoncenaquisiteur einer kleinen
Regionalzeitung. Als ihr Gerichtsreporter saß er dann auch im Landvolk-Prozeß.
Sein 1931 erschienener Roman "Bauern, Bonzen und Bomben" ist allerdings mehr
ein Buch über das Elend des Lokaljournalismus als über die Not der Bauern. Von
dieser handelte dann sein Roman aus dem Jahr 1938 "Wolf unter Wölfen", in dem
es um drei ehemalige Offiziere des Ersten Weltkriegs geht, die auf einem
Gutshof bei Küstrin untergekommen sind. Auch Fallada arbeitete lange Zeit als
Gutshilfsinspektor. Mit den Landvolkaktivisten teilte er dagegen mehrfache
Knasterfahrungen. Während der "Bauerngeneral" Claus Heim bei seinem Prozeß und
auch danach jede Aussage verweigerte, begannen seine Mitangeklagten schon in
U-Haft mit ihren Aufzeichnungen. Herbert Volck nennt seine abenteuerlichen
Erinnerungen "Landvolk und Bomben", Ernst von Salomons Erfahrungsbericht heißt
"Die Stadt". Erwähnt seien ferner die Aufsätze der Kampfjournalisten Friedrich
Wilhelm Heinz und Bodo Uhse. Heinz arbeitete später im Range eines Majors mit
antisowjetischen Partisanen in der Ukraine zusammen und machte dann eine kurze
Karriere in Adenauers "Amt Blank". Uhse brachte es zu einem anerkannten
Schriftsteller in der DDR und war dort kurzzeitig Präsident der Akademie der
Künste, seine frühere Frau Beate Uhse machte derweil in Schleswig-Holstein
Karriere - mit einem Sexartikel-Versandhaus. Nach dem Krieg kamen vor allem
Richard Scheringer und Ernst von Salomon noch einmal auf die Landvolkbewegung
zu sprechen - Salomon in seinem berühmten Buch "Der Fragebogen" und der
bayrische Bauer und DKP-Funktionär Scheringer mit seiner Biographie "Das große
Los - unter Soldaten, Bauern und Rebellen".
Noch später - nämlich nach der
Wiedervereinigung - fühlte die FAZ sich im Sommer an Hans Falladas
Neumünsterroman erinnert und übertitelte einen langen Kampfartikel gegen das
unerwünschte Fortbestehen vieler LPGen in den fünf neuen Ländern mit: "Bauern,
Bonzen und Betrüger", ihm folgte der noch schärfere Spiegel-Aufmacher "Belogen
und betrogen". Vorausgegangen waren diesen West-Schmähschriften eine Reihe von
Ost-Straßenblockaden und Demonstrationen - u.a. auf dem Alexanderplatz - von
LPG-Bauern, die gegen den Boykott ihrer Waren - durch westdeutsche
Lebensmittelkonzerne und von Westlern privatisierte Schlachthöfe sowie
Molkereien - protestierten. Für die FAZ waren sie bloß gepresstes Fußvolk der
"Roten Bonzen", die sich noch immer an der Spitze der LPGen hielten,
inzwischen jedoch Geschäftsführer von GmbHs, Genossenschaften oder sogar
Aktiengesellschaften geworden waren. Diese Protestbewegung kanalisierte sich
relativ schnell in Gremien- und Verbandspolitiken, wobei es meist nur noch
juristisch darum ging, ob das Vermögen bei den LPG-Umwandlungen zu Ungunsten
der Beschäftigten allzu niedrig angesetzt worden war, wie die FAZ und andere
Anti-LPG-Kämpfer behaupteten, oder zu hoch, wie die LPG-Vorsitzenden und ihre
Verbandssprecher nachzuweisen versuchten. Unter den mit der Anti-LPG-Politik
der Wessis unzufriedenen Betroffenen gab es auch etliche LPG-Bauern - z.B.
Emil Kort aus Kampehl, die zuvor schon einmal - bei der Kollektivierung der
Landwirtschaft in der DDR - Widerstand geleistet hatten. Damals noch als
Einzelbauern. Emil Kort mußte wegen Sabotage und Boykotthetze sogar ins
Gefängnis - und anschließend in den Untertagebau der Wismut. Nun fühlte er
sich erneut - diesmal von Westlern - "angeschissen". Er blieb jedoch
optimistisch - und meint, der Bauer ist als Unternehmer und Arbeiter zugleich
Individualist, wenn auch meistens ganz unintellektuell, was eine Stärke und
Schwäche gleichzeitig sei, aber das mache ihn kämpferischer und ausdauernder
als ein Arbeiter, dessen Identifikation mit "seinem" Betrieb eigentlich nur
ein frommer Selbstbetrug sei.
An die Bauernunruhen, die mit der
Kollektivierung der Landwirtschaft in der DDR einsetzten, erinnert das frühe
Stück "Die Bauern" von Heiner Müller, das dem Autor jedoch zunächst bloß ein
mehrjähriges Schreibverbot einbrachte und über eine einmalige Aufführung in
der DDR nicht hinausgelangte. Es gibt darin nebenbei bemerkt ebenfalls schon
einen ganzen Treckerwortschatz, denn: "Das Dorf wird motorisiert...Traktoren
kriegen wir und der Bürgermeister wird verhaftet - wenn das kein Feiertag
ist".
Neuerdings macht auf dem Territorium der DDR
nur noch das vom Braunkohleabbau bedrohte sorbische Dorf Horno in der
Niederlausitz mit seinen Widerstandsaktionen von sich reden, aber auch dort
wird inzwischen hauptsächlich juristisch gekämpft. Neben den sorbischen
Verbänden und Gebietskörperschaften sind hier vor allem die Umweltschützer
solidarisch, deren Unterstützer-Netz inzwischen bis nach Indien und Nicaragua
reicht, aber vor allem bis ins Umweltmusterland Schweden, wo die Spitze des
Staatskonzerns Vattenfall sitzt, dem neuerdings die Lausitzer Braunkohle
gehört.
Der inzwischen verstorbene
Braunkohlen-Baggerführer Gundermann brachte es hier als regional verbundener
Sänger zu einiger Berühmtheit. Auf der anderen Seite - vom Kampf der Bauern
und Winzer in Wyhl aus - hub einst der "Barde der Anti-AKW-Bewegung" Walter
Moßmann an. Auch an intellektuellen Sympathisanten fehlt es hier wie dort
nicht. In Gorleben war das z.B. der Berliner Schriftsteller Hans-Christoph
Buch, der mit seiner Frau ein Landhaus im Wendland besaß, in dem er dann sein
"Gorlebener Tagebuch" schrieb, während er sich zugleich in eine junge
Anti-AKW-Aktivistin vor Ort verliebte, wobei diese ihm dann mit der
Widerstandsbewegung identisch wurde - und umgekehrt. Später veröffentlichte
der März-Verlag Buchs "Bericht aus dem Inneren der Unruhe". Der Autor arbeitet
darin u.a. heraus, wie die lokale Bürgerinitiative zunächst die linken
Sympathisanten aus den Städten mehr fürchtete als die Polizei. Einer der
Aktivisten berichtete sogar regelmäßig dem Verfassungsschutz, und einem
Sägewerksbesitzer wurde anonym gedroht, man werde sein Holzlager in Flammen
aufgehen lassen, "wenn er sich weiter mit Kommunisten gemein mache". Den
ortsansässigen Künstlern und Intellektuellen sowie der immer wieder
anreisenden linken "Politprominenz" gelingt es jedoch bald, das Verhältnis der
Einheimischen zu den kommunistischen Gruppen, den "Chaoten, zu entspannen.
Im brandenburgischen Horno ist der
intellektuelle Sympathisant und Vorkämpfer ein englischer Schriftsteller,
Michael Gromm. Den laut dpa "verhasstesten Ausländer Brandenburgs" erkannte
das Cottbusser Verwaltungsgericht vor einiger Zeit wegen seines Engagements in
Horno sogar als Wahlsorbe an. Seine Kampfschriften werden von der grünen
"Heinrich-Böll-Stiftung" finanziert.
In der Lausitz geht es - ebenso wie in
Gorleben, wo die Einlagerung von Castor-Behältern in einen Salzstock
verhindert werden soll - um eine staatlich durchgesetzte unterirdische
Nutzung, bei der die Bauern der Region eine Bedrohung ihrer Existenz
befürchten. In Wyhl, am Weinberg Kaiserstuhl, ging es hingegen um die
Verhinderung einer oberirdischen Bebauung - durch ein AKW, ebenso in
Wackersdorf, wo eine Wiederaufbereitungsanlage errichtet werden sollte, und in
Mutlangen, wo die Amerikaner ihre Pershing II-Raketen aufstellten.
Ähnlich sah es auch bei der Entstehung der
überhaupt ersten bundesdeutschen Bürgerinitiative in den Fünfzigerjahren - im
niedersächsischen Künstlerdorf Worpswede - aus: Hier kämpften die Dörfler
unter der Führung des Kommunisten und Kunstsammlers Friedrich Netzel dagegen,
dass ein Kalksandsteinwerk im Rausch des allgemeinen Wiederaufbaus den für das
Dorf zentralen Weyerberg einfach abbaggerte. Damals schon entstand aus dieser
spontanen Protestbewegung eine sogenannte Unabhängige Wählergemeinschaft, die
es bis ins Rathaus hinein schaffte - Und sich dann erfolgreich erst gegen den
Plan von SPD und Bundeswehr wehrte, aus dem vor Worpswede liegenden
Teufelsmoor einen "Nato-Bombenabwurfplatz" zu machen und die dann auch noch
verhinderte, dass aus den Hamme-Niederungen ein "Freizeit-Seen-Paradies"
entstand. Die Worpsweder Intellektuellen und Künstler warfen jedoch den Bauern
nach der Gebietsreform, durch die der Ort zur Großgemeinde wurde, vor, im
Verein mit der CDU sowie mit etlichen kunstgewerblichen "Trittbrettfahrern"
die Mehrheit an sich gerissen zu haben und eine "reaktionäre Politik" zu
verfolgen. Ihre in den Achtzigerjahren als Alternative dazu gegründete
"Künstlerpartei" kam jedoch über Absichtserklärungen nicht mehr hinaus.
Um sowohl unterirdische wie oberirdische
Eingriffe in die Landschaft zu verhindern, entstand - ebenfalls in den
Achtzigerjahren - im hessischen Vogelsberg eine Bewegung aus Bauern und aufs
Land gezogenen Intellektuellen bzw. Künstlern: Dort sollten einerseits immer
mehr US-Atomminen und chemische Waffen stationiert werden und andererseits
begannen die umliegenden Großstädte das Grundwasser aus dieser Region für sich
abzupumpen. Die Vogelsberger wehrten sich gegen diese ober- wie unterirdische
Verwüstung - z.T. ebenfalls mit Bombenattentaten. Ihr Anführer, der
Speckenmüller, war in den Dreißigerjahren noch mit dem Bauernkampf in der
nahen Rhön in Berührung gekommen. Dorthin hatte es Bruno von Salomon und Bodo
Uhse verschlagen, nachdem die Landvolkbewegung in Schleswig-Holstein
zusammengebrochen war. Diese war jedoch nicht ganz erfolglos: viele Höfe
konnten gerettet werden und es kam zu Steuererleichterungen für die Bauern.
Wie so oft in sozialen Bewegungen verschwinden
die betroffenen Aktivisten anschließend aus der Geschichte, während die
intellektuellen Unterstützer sich in die nächsten Aufstände reindrängeln. Bei
den Frankfurter Linken und ihrer putschistischen Übernahme der hessischen
Grünen habe ich das Anfang der Achtzigerjahre am Rande noch selbst miterlebt,
ebenso in den Neunzigerjahren dann, als süddeutsche Maoisten die ostdeutsche
Betriebsräteinitiative zu dominieren versuchten. Im Gegensatz zur
Arbeiterbewegung, in der die Gewerkschaften nur allzu gerne die "Rädelsführer"
aufsaugen, gelingt es im bäuerlichen Widerstand immer nur ganz wenigen, sich
anschließend als Berufsrevolutionär oder deutscher Professor durchzuschlagen.
Allgemein bekannt wurde inzwischen der Bauer Onno Poppinga - aus Ostfriesland.
Er gründete die immer noch wichtige linke Zeitung "Bauernstimme" mit und ist
heute Professor in Kassel. Eine seiner ersten Publikationen in den
Siebzigerjahren war ein Vorwort zu einer französischen Studie und hieß im
Untertitel "Power to the Bauer", außerdem verfaßte er ein Buch über
Biographien widerständischer Bauern in Ostfriesland sowie eins über "Bauern
und Politik", in dem er auch kurz auf die schleswig-holsteinsiche
Landvolkbewegung einging, denn die bange Frage nach ihrer Zerschlagung 1933
lautete - nicht zuletzt für die Gestapo: "Wird Florian Geyers Fahne noch
einmal über das Hakenkreuz siegen?" Für Poppinga bestand da keine Gefahr, denn
die Landvolkbewegung "hatte keine antikapitalistische und sozialistische
Perspektive: Sie wurde getragen von Großbauern, die ihre privilegierte soziale
Stellung bedroht sahen. Das wird nirgends deutlicher als daran, daß nur sehr
wenige Landarbeiter daran teilnahmen. Vor allem die klassenbewußten
Landarbeiter der Marsch lehnten die Teilnahme an einer Bewegung, in der die
Großbauern den Ton angaben, ab; es finden sich Hinweise, daß Landarbeiter von
ihren Bauern nur durch 'mittelbaren Zwang' zur Teilnahme an den
Demonstrationen veranlaßt werden konnten".
Poppingas Einschätzung trifft sich mit der von
DDR-Historikern, für die die "Einheitlichkeit" der Landvolkbewegung ebenfalls
"nur in ihrer großbäuerlichen Klassenbasis, also in ihrem Konservativismus"
bestand. Ganz anders schätzten das zur selben Zeit, Mitte der Siebzigerjahre,
die eher anarchistisch-autonomistisch inspirierten Autoren der Göttinger
Zeitschrift "Politikon" ein, die Poppinga dabei vorwarfen, daß er einem
"klassischen Bewertungsschema verfallen" sei. Sie entdeckten rückblickend in
der Landvolkbewegung, besonders in den Aktivitäten von Claus Heim und seinem
Nachbarn Bur Hennings, eine "Qualität", die weit über das hinausgging, "was
wir an 'linken' Aktionen auch nur zu träumen wagen".
Für Onno Poppinga ist dagegen das Wesentliche
am Bauerntum nicht, wie noch bei Michail Bakunin, die spontane Fähigkeit zum
Widerstand, zum Bruch - auch und gerade heute noch - sondern die
"Dauerhaftigkeit der sozialen und betrieblichen Organisation", wobei jeder
"politische Eingriff" nur schädlich sein kann. Bei einem Rückzug des Staates -
wie bei den Rechtsnachfolgern der LPGen - bemerkt er denn auch, daß dabei
wieder "immer deutlicher bäuerliche Strukturen sichtbar werden". Bei seinem
anhaltenden Engagement geht es ihm um eine Stärkung des bäuerlichen
Eigensinns. Genau dieser führte aber dazu, daß die Aktivisten der
Landvolkbewegung sich weder von links noch von rechts vereinnahmen ließen,
sondern nach der Zerschlagung ihrer Selbsthilfe-Organisationen da weiter
machten, wo sie angefangen hatten - auf kleiner Flamme, weswegen die dann auch
nicht mehr in der ganzen Literatur danach auftauchen. Erst einige
Vorort-Recherchen ergaben: Der Bauernsprecher und Jurist Hamkens, der es über
die NSDAP bis zum Landrat in Schleswig-Holstein gebracht hatte, sprach sich
nach dem Krieg überraschenderweise für einen Wiederanschluß Schleswig-Holstein
an Dänemark aus. Er starb erst Ende der Siebzigerjahre, war aber angeblich
lange vorher schon altersdebil geworden. Nachdem Claus Heim und andere
politische Gefangene auf Initiative von NSDAP und KPD amnestiert worden waren,
wurde dem "Bauerngeneral" sowohl von der KPD als auch der NSDAP eine
Parteikarriere angeboten. Er lehnte ab, der Nazi-Partei gelang es dann jedoch
auch ohne ihn, die Bauern hinter sich und ihren "Reichsnährstand" zu bringen,
nachdem die Landvolkbewegung zerschlagen war. Im Endeffekt verloren sie
dadurch gänzlich ihre Selbständigkeit, indem sie durch Festsetzung der Preise
und Quotierung der Anbauflächen sowie mit dem Pfändungsverbot auf Erbhöfen
gleichsam zu ideologisch veredelten Staatsbauern wurden (was die
EU-Agrarpolitik dann nach dem Krieg quasi fortsetzte). Claus Heim zog sich
derweil still auf seinen Hof zurück. Neben der Landwirtschaft gab er zusammen
mit seinem Nachbarn Bur Hennings noch einmal in der Woche ein kleines, fast
privates Kampfblatt heraus: "Die Dusendüwelswarf". In den Fünfzigerjahren zog
er sich auf sein Altenteil zurück und kümmerte sich fortan nur noch um seine
Obstwiesen und die Hühner. Der Leiter des Heimatmuseums Lunden Henning Peters
kann sich noch erinnern, dass Claus Heim die Landvolk-Heimschule regelmäßig
mit Eiern belieferte. Und seine Enkelin, die heute in Berlin lebende
Faschismusforscherin Susanne Heim, erinnert sich, dass die Bauern 1963 an der
Westküste, "als sie wieder mal wegen einer Rationalisierungskrise
demonstrierten", ihren Opa noch einmal als "Gallionsfigur" hervorholten. Sie
schrieb später ihre Diplomarbeit über ihn, und kürzlich besuchte sie eine
Finka in Paraguay, die ihr Großvater einst als Auswanderer bewirtschaftet
hatte, bevor er in den Zwanzigerjahren wieder nach Dithmarschen zurückkehrte,
um sich der Landvolkbewegung zu widmen. Claus Heim starb im Januar 1968. Und
jetzt ist es der alte Leiter des Lundener Heimatmuseums, der meint, "es wird
Zeit, mal wieder an ihn zu erinnern".
Derzeit gibt es in Schleswig-Holstein nicht nur
einen Widerstand gegen die meist grünen Naturschützer, die hier laut Aussage
des Kehdinger Bauern Schmoldt gegenüber dem Spiegel "das Land beherrschen wie
einst die Gutsherren", sondern auch einen wachsenden Unmut gegen die
staatlichen grünen BSE-Maßnahmen - vor allem um die existenzzerstörenden
Massentötungen von Rindern zu verhindern.
Als 2003 die Kälber des Landwirts Bernd Voß in
Nordhastedt abtransportiert werden sollten, blockierten 350 Bauern den Hof.
Sie fordern eine "Kohortenlösung", d.h. im BSE-Fall nicht eine "Keulung" der
gesamten Herde, sondern nur des betroffenen Tieres, seiner Familie und seines
Jahrgangs. Den protestierenden Bauern gelang es, ein gerade geborenes Kalb
beim herbeigeeilten Staatssekretär Rüdiger von Plüskow wieder loszueisen. Das
Tier nahm die Nindorfer Bäuerin Michaela Timm in Pflege. Es wurde auf den
Namen "Jeanne d'Arc" getauft und - nachdem in den nächsten Tagen alle
Verhandlungen zwischen der Landesregierung und Michaela Timm gescheitert waren
- auf einem anderen Hof versteckt. Es kam daraufhin zu einem Streit zwischen
der grünen Landwirtschaftsministerin, dem Land und dem Kreis Dithmarschen,
wobei es zuerst einmal um die Frage ging: "Wer hat welche Ansprüche, und wie
will er sie durchsetzen?" Gleichzeitig wurden von den Bauern überall im Land
"Mahnfeuer" angezündet. Mit dem Kalb will die bäuerliche Notgemeinschaft nun
einen eigenen Betrieb gründen, um einer drohenden Bestandssperre des Hofes der
Familie Timm zuvorzukommen.
Der bäuerliche Widerstand - der von 1928/29
ebenso wie der im Jahre 2000/2003 - ist zwar nicht auf die Westküste
beschränkt, aber man ist sich einig, dass er durchaus mit der zähen
friesischen bzw. dithmarschener Selbstbehauptung zusammenhängt - darin liegen
sozusagen seine Wurzeln. Oder anders ausgedrückt - mit den Worten des
Vorstandsmitglieds der Friesischen Akademie in Lieuwarden: "Nur wenn das
Eigene nicht auf die Sphäre der privaten Liebhaberei beschränkt bleibt, ist es
keine verlorene Sache." Und dementsprechend wurde auch der Friesenkongreß
inzwischen aktiv. Er beauftragte den Friesenrat, in Ahnlehnung an die 15 Mio
DM, die jährlich von Bund und Ländern an die sorbische Stiftung gezahlt
werden, nun auch eine finanzielle Förderung für die friesische Minderheit zu
verlangen - 100.000 DM wurden ihnen daraufhin sofort bewilligt.
Die Sorben in der Lausitz sollten während der
Nazizeit als "führerloses Arbeitsvolk" zum Straßenbau in den Osten deportiert
werden, ihre Organisation, die Domowina, wurde verboten. Sie gehörte dann mit
zu den ersten, die nach dem Einmarsch der Roten Armee wieder zugelassen
wurden, später unterstützte die SED "ihre" Sorben großzügig. Diese
Minderheiten-Politik wurde - mit Abstrichen - nach der Wende vom Westen
fortgesetzt, außerdem wurde ein Siedlungs-Schutz für die slawischen Sorben in
die Landesverfassungen von Brandenburg und Sachsen aufgenommen. Das hinderte
die Sozialdemokraten bis hin zum Kanzler Schröder jedoch nicht, jetzt die
zügige Abbaggerung des sorbischen Dorfes Horno zu verlangen, dessen Bewohner
sich in toto weigern, der Braunkohleverstromung zum Opfer zu fallen - d.h. den
Baggern zu weichen. Was gestern Gorleben war, könnte heute Horno werden, zu
dem es bereits ein von der westdeutschen Energiegewerkschaft organisiertes
"umgekehrtes Horno" in Form einer "Mahnwache" gibt, damit die Bagger das Dorf
endlich plattmachen können - 4000 Arbeitsplätze seien sonst angeblich
gefährdet.
Aber so wie sich die extrem umweltschädliche
Braunkohleförderung - also der Landabbau - seit der Liberalisierung des
Strommarktes nicht mehr rechnet - und damit den in der Braunkohle arbeitenden
Sorben in der Lausitz langsam die Existenzgrundlage entzogen wird, ist es auch
mit der Landgewinnung an der friesischen Küste vorbei. Hier wie dort zerfällt
jetzt eine bäuerliche bzw. proletarische Kollektiv-Identität. In dieser
Situation setzen beide Minderheiten auf staatliche Alimentierung - wenigstens
ihrer Körperschaften. Im Gegensatz zu den Sorben sind die Friesen jedoch "kein
Volk und auch kein Stamm, sondern eine Rechtsgemeinschaft" - der Schweizer
Eidgenossenschaft ähnlich, wie Professor Ernst Schubert vom Göttinger Institut
für historische Landesforschung kürzlich - auf dem 21.Friesenkongreß in Jever
- ausführte. Deren zukünftiges Heil sieht man in einer wachsenden "Vernetzung"
- hin zu einer eigengeprägten Identität als "Euroregion Frisia". Wobei die
Grenze der friesischen Sprache, die an immer mehr Hochschulen gelehrt wird,
"leider mit der Landesgrenze nach Dänemark identisch ist", wie man mir im
Nordfriisk Instituut in Bredstedt erklärte. Das sei deswegen bedauerlich,
"weil die EU besonders gerne grenzüberschreitende Aktivitäten fördert".
Umgekehrt - von unten - übrigens auch: So wurde
z.B. der Anti-AKW-Widerstand in Wyhl, im Dreyländereck, von vielen Schweizern
und insbesondere Elsässern unterstützt, die sich bis heute auf Allemanisch
untereinander verständigen, und zum Kampf in Wackersdorf rückten jedesmal so
viele österreichische Sympathisanten aus dem nahen Salzburger Land an, dass
die Regierungen ihnen schließlich den Grenzübertritt verweigerten. In Gorleben
bemerkt man seit der Wende eine ansteigende Solidarität aus dem Osten,
umgekehrt reisen viele Aktivisten aus Lüchow-Dannenberg regelmäßig zu
Protestveranstaltungen in die Prignitz nach Wittstock, wo eine
Bürgerinitiative gegen einen Bombenabwurfplatz der NVA und nunmehr der
Bundeswehr kämpft.
Auch in Nordfriesland registriert man mit
Genugtuung ein gestiegenes Interesse des Auslands an den bisher hier
erkämpften Errungenschaften: Nachdem die Kurverwaltungen schon angefangen
hatten, die ersten Strandkörbe reinzuholen, resümierte die "Dithmarscher
Landeszeitung" die letzte Urlaubs-Saison. Unter der Überschrift "Welt trifft
sich im Nationalpark" hieß es da: "Umweltminister aus Süd- und Mittelamerika
und der Mongolei, Lehrer und ein Filmteam aus Korea, ein Nationalparkdirektor
aus Madagaskar und viele andere internationale Umweltexperten bereisten allein
in diesem Jahr das Wattenmeer". Hinzu kamen noch "1700 meist jugendliche
Spielleute aus 6 Nationen" - zum internationalen Musikfestival nach Husum,
sowie erneut etliche Prominente und Cineasten - zum erfolgreich über ganz
Ostfriesland ausgedehnten Filmfestival von Emden. Touristen ließen sich jedoch
heuer - wetterbedingt - nicht so viele blicken wie im Vorjahr. Meine
Zimmervermieterin in Ockholm hatte sich gar nicht erst einen Quittungsblock
angeschafft. Dafür kamen in diesem Jahr mehr Ringelgänse als sonst - aus dem
sibirischen Partner-"Naturreservat Taymirski". Die Bauern dürfen den
gesammelten Kot der Gänse hernach bei der EU als Flurschaden in Rechnung
stellen: Kleinvieh macht auch Mist - die dabei anfallende Menge pro Fläche
zählt!
Daneben wird der "Küstenschutz" zunehmend von
einem Arbeit-Nehmer zu einem Arbeit-Geber, d.h. der Einzelne wird immer
weniger zu freiwilligen Deicharbeiten und Noteinsätzen herangezogen, das
übernehmen Hauptberufler in den diversen Verbänden und Subunternehmen mit
schwerstem Gerät, wo Landwirte höchstens noch als Ehrenamtliche in den
Vorständen sitzen. Das Geld kommt vom Bund und vom Land, außerdem zahlen über
50.000 Grundeigentümer eine jährliche Deichsteuer. Auseinandersetzungen gibt
es heute meistens zwischen den Deichverbänden und den Naturschützern. Im
Endeffekt kommt es dabei im Küstenschutz zu immer neuen Arbeitsplätzen,
mindestens Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Diesbezügliche Einbrüche gab es
dagegen seit der Wiedervereinigung beim Nationalschutz - d.h. bei der
Bundeswehr, die aber noch immer ein großer Arbeitsplatz-Beschaffer ist:
Marine, Luftwaffe und Heer. Letzteres benannte sogar seine Kaserne in Heide
nach der einzig historisch belegten Heldenfigur aus der Schlacht bei
Hemmingstedt: "Wulf Isebrand" - ein Niederländer, dem mit seinem Schanzenplan
und seinem vorbildhaften Verhalten im Kampf "der größte Anteil am Sieg der
Dithmarscher Bauern zukommt", wie das Landesmuseum in Meldorf meint. Ja,
Freesenbloud is keene Bottermelk!
Editorische Anmerkungen
Der Text bildet den Teil 1
der unregelmäßig erscheinenden "Friesengeschichten". Dieser Teil wurde uns
vom Autor am 10.1.2005 zur Verfügung gestellt.
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