Was moderne Frauen über ihren Status im Judentum wissen sollten

von Theodor Much

02/04

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Für mich als religiösen, aber nichtorthodoxen (progressiven) Juden ist die völlige Gleichstellung der Frauen im Judentum eine Notwendigkeit und Selbstverständlichkeit. Es überrascht mich daher immer wieder, wie wenig (auch moderne) Juden und Jüdinen über die Benachteiligung der Frau im (orthodoxen) Judentum wissen und wie gleichgültig viele von ihnen dieses Thema läßt.

Es erscheint mir daher dringend notwendig dieses heikle Thema nicht zu verschweigen, offen darüber zu berichten, aufzuklären, zumal die Konsequenzen bestimmter Ungerechtigkeiten für viele jüdische Frauen und deren Kinder (besonders in Israel, wo das Familien- und Eherecht allein dem ultraorthodoxen Rabbinat unterstellt ist) katastrophal sind.

Die Grundlage der traditionellen jüdischen Sicht zur Stellung der Frauen in Familie und Gesellschaft entspringen einer patriarchalischen Kultur biblischer und talmudischer Zeiten.

Damals wurde die Frau - wie u.a. aus dem Mischna Traktat Kidduschim 1.1. hervorgeht ("Die Frau wird erworben...") - als Eigentum des Mannes angesehen, derer vornehmste Pflicht es war Kinder zu gebären, sie zu erziehen, ihrem Mann beizustehen und ihn zu ergänzen.

Daß die Halacha Männer und Frauen verschieden einstuft - und auch behandelt - wird von niemanden bestritten, inwieweit dieses Messen mit zweierlei Maß in der religiösen Gesetzgebung und Praxis ihre Berechtigung hat, darüber gehen die Meinungen in der jüdischen Welt stark auseinander.

Befürworter dieser alten Praxis weisen darauf hin, "daß der Respekt vor Frauen im Judentum immer sehr ausgeprägt war (und immer noch ist)".

Sie argumentieren, daß "Frauen und Männer vor Gott zwar gleichwertig seien , Frauen aber dennoch - gottgegeben - sich mental und auch physisch stark von Männern unterscheiden, bzw. in der Gesellschaft andere Aufgabenbereiche als Männer erfüllen" und "daher Gesetze notwendig wurden, die dem Schutz der Frau und ihrer Lebensqualität dienten".

Es handelt sich - so sagen die Traditionalisten - " nur um eine scheinbare Benachteiligung der Frau, denn im eigenen Heim, sei die Frau eine Königin, stets vom Gatten geachtet, umsorgt, behütet und sogar sexuell verwöhnt, mit vielen Privilegien ausgestattet, wie z.B. dem Recht die Schabbatkerzen anzünden zu dürfen".

Gleichzeitig wird argumentiert, "daß Frauen zu ihrem eigenen Besten, von bestimmten schwer einzuhaltenden, weil zeitgebundenen positiven Mizwot (Pflichten wie das Beten zu vorgeschriebenen Zeiten, Anlegen von Gebetsriemen, dem täglichen Besuch der Synagoge und dem Talmud -Torah Studium), befreit wurden".

Diese Argumentation sollte nicht belächelt werden, denn in der Tat war in biblischen und talmudischen Zeiten der Status der jüdischen Frau sehr viel besser als die Stellung ihrer nichtjüdischen Nachbarin. Während sich aber das einst so vorbildliche jüdische Gesetz zum Schutz der Frau seit dem 12. Jahrhundert kaum mehr weiterentwickelte (sich sogar teilweise verschlechterte, weil aus "Befreiungen" Verbote wurden), änderte sich die Stellung der Frau in der nichtjüdischen (westlichen) Welt ganz wesentlich, mit dem Ergebnis, daß heute die Diskriminierung von Frauen, zumindest in manchen Bereichen des traditionellen Judentums, stärker ist als selbst in der katholischen Kirche.

Das traditionalistische Argument der "Befreiung" erscheint mir schon deswegen unglaubwürdig, weil auch solche Frauen von religiösen Pflichten "befreit" werden, die nicht - oder nicht mehr - die Bürde einer kinderreichen Familie tragen müssen und selbst den Wunsch hegen, sich aktiv am religiösen Leben zu beteiligen.

Befürworter der alten Tradition verschweigen auch gerne die Tatsache, daß die Diskriminierung der Frau sich nicht nur auf religiöse, sondern auch auf soziale und familienrechtliche Bereiche erstreckt.

Bezeichnenderweise sind die meisten (der im allgemeinen selbstsicheren und emanzipierten) jüdischen Frauen über ihren eigenen Status im jüdischen Gesetz wenig bis überhaupt nicht informiert. Nicht wenige von ihnen empfinden ihre "Sonderstellung" als "nicht unangenehm und durchaus berechtigt". Es kann aber auch nicht übersehen werden, daß immer mehr (auch orthodoxe) Frauen mit den bestehenden Zuständen nicht mehr einverstanden sind und ihre Stimme gegen sämtliche Diskriminierungen erheben.

Wo liegen nun die gravierendsten Benachteiligungen der Frau im (ultra)orthodoxen Judentum?

Es sind in erster Linie Fragen des religiösen und sozialen Status und des halachischen Ehe- und Scheidungsrechtes, welche mit den modernen Menschenrechten bzw. der Würde aller Menschen sich nicht mehr in Einklang bringen lassen, wie etwa:

1. Religiöser Status:

Wie schon einleitend dargestellt, wurden Frauen aus einst lobenswerten Gründen, von bestimmten zeitgebundenen positiven Mizwot entbunden. Von den negativen Geboten ("Du sollst nicht...") wurden sie allerdings nie "befreit".

Aus dieser ursprünglichen "Befreiung" wurde im Lauf der Jahrhunderte Verbote, die bis zum heutigen Tag in wesentlichen Punkten gültig geblieben sind.

Frauen werden in orthodoxen Synagogen nicht zum Minjan (die Mindestzahl von 10 Erwachsenen die dem Gottesdienst den Charakter eines öffentlichen Gemeindegebetes verleiht) gezählt; sie sitzen dort von den Männern separiert in den hinteren Reihen, hinter einem Vorhang oder einer Wand, manchmal auf einem Balkon. Begründet wird diese Separierung mit der "Ablenkungsgefahr" der Männer durch den "erregenden" Anblick von Frauen.

Wer allerdings einen nichtorthodoxen (egalitären) Gottesdienst besucht, wird rasch feststellen können, daß dort - im Gegensatz zu vielen orthodoxen Synagogen - sehr diszipliniert und konzentriert (mit viel Kawana = Verinnerlichung) gebetet wird und von "Ablenkung" keine Rede sein kann.

In orthodoxen Synagogen werden Frauen nicht zur Thoralesung aufgerufen, übrigens ganz im Gegensatz zur (theoretischen) Aussage im babylonischen Talmud (Traktat Megilla 23A) und der Ansicht der großen halachischen Autorität Rabbenu Yerucham (14. Jahrhundert). In der Praxis war man der Meinung, daß "ein solcher Aufruf die Gemeinde diskreditieren würde".

Es ist auch nicht allgemein bekannt, daß laut Schulchan Aruch (Orach Chayim 88:1) "rituell unreine Personen" das Schemagebet rezitieren dürfen (was Moses Isserles dazu bewog zu erklären, daß seiner Ansicht nach - und er beruft sich u.a. auf Raschi - "sogar menstruierende Frauen die Synagoge betreten- und beten können, ja selbst die Thora berühren und den göttlichen Namen aussprechen dürfen").

Die "Befreiung" gilt weiteres für die Kiddusch-Zeremonie (Heiligung des Schabbat, mit vorangehendem Segen über Brot und Wein) und der Rezitation des Kaddisch-Gebetes (dem Gebet der Trauernden, das den Hinterbliebenen Trost spenden sollte)

Auch eine der Bar Mitwa Zeremonie entsprechende Feier, die Bat Mitzwa, wurde Mädchen lange Zeit vorenthalten. Erst in den letzten Jahren werden auch in einigen orthodoxen Synagogen (in Anlehnung an Reform-Traditionen) solche Feiern für Mädchen eingeführt.

2. Familien- und Eherecht:

Als klar definierte Pflichten des Manns, "der sich eine Frau nimmt", galten und gelten in einer Ehe: Die Sorgepflicht für Frau und Kinder, die Ehefrau zu ehren, sie nie zu kränken oder zu schlagen, ihr treu zu bleiben und ihr Recht auf sexuelle Erfüllung zu gewährleisten.

Ein Ehevertrag (Ketuba) garantiert der Frau, die aber den Ehevertrag nicht unterschreiben darf, auch ihre finanzielle Sicherheit im Falle des Ablebens des Ehemannes und bei einer Scheidung.

Trägt aber die Frau die Schuld an der Scheidung, dann kann sie die im Vertrag festgelegten finanziellen Rechte ("als Strafe") verlieren.

Den für die Scheidung notwendigen Scheidungsbrief (Get) kann aber nur der Mann übergeben.

In der Praxis gibt es immer wieder Fälle, in denen Männer - trotz Strafandrohung seitens der Rabbiner - die Getübergabe verweigern und hartnäckig bleiben, manchmal auch nur um die Frau finanziell zu erpressen.

Erfolgt nun in solch einer Situation lediglich eine zivilrechtliche Scheidung, dann kann nach Trennung der Partner, wohl der Mann wieder (wenn auch nur zivilrechtlich) heiraten und eine Familie gründen (diese Heirat wäre zwar gegen das religiöse Gesetz, aber für die Kinder aus seiner neuen Ehe ohne negative Konsequenzen); die Frau hingegen, die in einer neuen Verbindung lebt, sollte keine Kinder mehr bekommen, weil diese nach den religionsgesetzlichen Bestimmungen, Bastarde (Mamserim) wären.

Ein Mamser (Pl.: Mamserim) ist ein Kind aus einer inzestuösen oder ehebrecherischen Beziehung, dem es verboten ist jüdische Partner zu heiraten, ausgenommen Menschen die ebenfalls Mamserim sind oder Proselyten. Die Mamserut-Bestimmungen gelten über 10 Generationen, was bedeutet, daß Kinder von Mamserim ebenfalls als solche gelten.

So wurde im Laufe der Zeit aus einem Gesetz, das ursprünglich zur Bekämpfung der Unmoral gedacht war, eine höchst unmoralische Bestimmung, die im völligen Gegensatz zu diversen biblischen Aussagen ("Kinder sollen nicht für ihre Eltern und Eltern nicht wegen ihrer Kinder bestraft werden": 5 Mose, 24.16; bzw. "Jeder Mensch ist für seine Vergehen verantwortlich, nicht für die Fehltritte anderer": Ezechiel 18.20) steht.

Aus diesen Gründen und auch weil das Mamserut-Gebot die Gleichwertigkeit von Proselyten (Baba Metzia 4.10) verletzt, unschuldige Menschen stigmatisiert, wird der Begriff der Mamserut im nichtorthodoxen Judentum strikt abgelehnt.

Gleiches gilt für die verlassene Ehefrau (Aguna, angekettete Frau), deren Ehemann verschwunden ist. Auch sie kann, weil ohne Scheidungsbrief (mit Rücksicht auf zukünftige Kinder) nicht mehr heiraten, selbst wenn das Verschwinden des Ehemannes schon Jahrzehnte zurückliegt.

In einer ähnlichen Situation ist auch eine kinderlose Witwe, deren Schwager sich weigert die (demütigende) Zeremonie der Chaliza (die Auslösung von der Verpflichtung zur Schwagerehe (5 Moses 25.5-9) auf sich zu nehmen; auch sie kann (wiederum wegen der Mamserut-Bestimmung) nicht mehr heiraten.

Eine weitere Benachteiligung für Frauen entsteht aus einem uralten Gesetz, das bestimmten Frauen verbietet einen Kohen (Nachkomme des Hohepriesters Aaron) zu heiraten.

In längst vergangenen Zeiten wurden Juden nach ihrer Abstammung in drei Gruppen unterteilt: Priester, Leviten und Israeliten. Nach traditioneller Auffassung ist jeder Jude mit dem Nachnamen Kohen / Kohn / Katz

ein Nachfahre der Familie Aarons und daher ein Nachkomme eines Priesters. Da es Priestern - deren Hauptfunktion im Tempel zu Jerusalem die Tieropferung war - verboten war geschiedene Frauen, Proselytinen und Prostituierte zu heiraten, gilt die gleiche Bestimmung auch heute noch im orthodoxen Judentum, ein Verbot das schon oft zu tragischen Situationen führte.

Das nichtorthodoxe Judentum stellt sich gegen diese Bestimmung u.a.aus folgenden Gründen:

a. Weil es seit bald 2000 Jahren im Judentum keine Priester mehr gibt und ein Abstammunsnachweis nach so langer Zeit nicht mehr möglich ist (schon im 2. Jahrhundert n.d.Z. war ein Stammbaumnachweis nicht mehr möglich, selbst Maimonides spricht von "vermeintlichen Priestern")

b. Die Gleichstellung von Geschiedenen und Proselytinen mit Prostituierten die Würde von Frauen und Proselyten verletzt

c. Das nichtorthodoxe Judentum nicht mehr um den Wiederaufbau des Tempels und der Wiedereinführung der alten Bräuche (wie z.B. Wiedereinführung der Priesterschaft und der Tieropfer) betet

d. Die Priesterkaste (Sadduzäer) im Judentum stets umstritten war, u.a. weil sie die mündliche Thora (die später als Talmud niedergeschrieben wurde) ablehnten .

3. Weitere Benachteiligungen:

Im allgemeinen hatten Frauen, in einer von Männern dominierten Welt früher nie die Möglichkeit zu einem gründlichen Talmud-Torah Studium, geschweige denn zur Ausbildung in geistlichen Berufen (in diesem Punkt gibt es seit einigen Jahren auch in der orthodoxen Welt langsam aber sicher ein Umdenken).

Die Tatsache, daß Frauen - ebenso wie Minderjährige - nicht direkt vor einem rabbinischen Gericht als Zeugen aussagen dürfen oder nicht Richterin werden können, ist in einem Jahrhundert in dem eine Frau - Golda Meir - schon den Posten eines Ministerpräsidenten in Israel innehatte, für aufgeklärte Menschen unerträglich, selbst wenn es mancherorts einige Bestrebungen gibt dieses Gesetz zu umgehen, indem man z.B. die rabbinische Versammelung vertagt, um die Aussage der Frau, die dann herein gerufen wird, später - wenn das Gericht wieder tagt - zu berücksichtigen.

Es blieb und bleibt daher dem nichtorthodoxen Judentum überlassen, unzeitgemäße, überholte, Frauen- und Kinder diskriminierende Gesetze entweder zu ändern oder ganz außer Kraft zu setzen (in dem z.B. ein nichtorthodoxes Beit Din, Kraft seiner Autorität, dann wenn ein Mann die Übergabe eines Scheidungsbriefes an seine Frau verweigert, ein Get der betroffenen Frau direkt aushändigt).

Sowohl im konservativen als auch im progressiven Judentum ist die religiöse und soziale Gleichstellung der Frau längst erreicht.

Die Separierung in der Synagoge wurde abgeschafft, Frauen nehmen gleichberechtigt am Gottesdienst teil und sie bekleiden, ohne jegliche Einschränkung, selbst höchste Ämter - bis hin zur Rabbinerin - im Rahmen der Gemeinde. Auch im Ehe- und Scheidungsrecht gilt hier die völlige Gleichstellung der Geschlechter.

Während die moderate Orthodoxie immer wieder, wenn auch ohne großen Erfolge, versucht das Los vieler Frauen (besonders die der Agunot) in einigen kritischen Punkten zu verbessern, ohne dabei die völlige Gleichstellung der Frau auch nur zu erwägen, betrachtet die Ultraorthodoxie jede Veränderung des Status quo als Sakrileg.

Editorische Anmerkung

Theodor Much (Präsident der Or Chadasch Bewegung für progressives Judentum in Österreich) ist auch Autor verschiedener Bücher über das Judentum: Judentum, wie es wirklich ist Wien 1997 Die bedeutendsten Prinzipien und Traditionen, die verschiedenen Strömungen, die häufigsten Antijudaismen.Ein profunde und übersichtliche Darstellung des Judentums.

Kontakt zum Autor: a9609274@unet.univie.ac.at

Der Text ist eine Spiegelung von http://www.talmud.de/statfrau.htm