Produktive und unproduktive Arbeit vom Standpunkt des Kapitals

von Stefan Kalmring

02/03
 
 
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Stefan Kalmring: produktive und unproduktive Arbeit von Standpunkt des Kapitals

I.

Es gibt einige Themen innerhalb der marxistischen Theorietradition, die von jeder Generation von MarxistInnen neu diskutiert werden. Die Unterscheidung von produktiver und unproduktiver Arbeit gehört offenbar hier zu.

Während es in Deutschland seit Ende der 70er Jahre in der Debatte um die Kategorien der produktiven und unproduktiven Arbeit merklich ruhig geworden ist[1], wird die Kontroverse im anglo- amerikanischen Sprachraum seit Anfang der 90er Jahre im Zusammenhang mit dem tendenziellen Fall der Profitrate und den krisenhaften Entwicklungsprozessen kapitalistischer Ökonomien wieder intensiv geführt. Wie schon in den 70er Jahren spinnt sich die englischsprachige Debatte nicht nur um Detailfragen der Abgrenzung von produktiver und unproduktiver Arbeit, nicht nur um die Frage der analytischen Brauchbarkeit der Konzeption für diesen oder jenen Bereich, sondern die Begriffe der produktiven und unproduktiven Arbeit werden abermals als solche in Frage gestellt. Während in den 70er Jahren neoricardianische Autoren wie Gough und Harrison den Versuch unternommen haben (Gough 1975; Gough/ Harrison 1975; Harrison 1973a und 1973b), den unproduktiven Charakter von Staats- Haus- und Zirkulationsarbeiten dadurch zu leugnen, dass sie einerseits die Gemeinsamkeiten dieser Tätigkeiten mit denen für das Kapital im eigentlichen Sinne produktiven Arbeiten überbetonten, andererseits eine Fähigkeit des Kapitals konstruierten, jegliche Mehrarbeit in Mehrwert zu transformieren, zeichnet sich heutzutage bei einigen Neoricardianern ein anderes Argumentationsmuster ab: Vor allem Laibman hat in diversen Beitragen versucht zu beweisen, dass MarxistInnen offenbar selber nicht in der Lage seien, ein in sich schlüssiges und operationalisierbares Konzept der Unterscheidung vorzulegen. Bei den Kategorien der produktiven und unproduktiven Arbeit handele es sich lediglich um eine metaphysische Spielerei (Laibman 1993: 231), die entsprechend behandelt, d.h. abgelehnt werden müsse[2].

Obwohl der Schluss nicht zutrifft, legt Laibman seinen Finger doch in eine offene Wunde: Er zeigt auf, wie wenig das Gefühl der Selbstgerechtigkeit angebracht ist, das viele MarxistInnen in dieser Frage an den Tag legen. Er weist zu Recht auf den Mangel an einer präzisen Argumentation, auf die Ungereimtheiten und auf die primär moralisierende Stoßrichtung hin, die, trotz aller gegenteiligen Bekundungen, nach wie vor die Debatte über produktive und unproduktive Arbeit dominiert (Laibman 1993). Die zweifellos bestehende Konfusion erstreckt sich dabei auf  den möglichen Stellenwert der Kategorien innerhalb des Theoriegebäudes, als auch auf die Frage einer schlüssigen Ableitung der Begriffe. Seit den Beiträgen von Mage, Holesovsky und Smith scheint zusätzlich fraglich, ob die übliche Behandlung der unproduktiven Arbeit als ‚Abzug vom Mehrwert’ ohne weiteres aufrecht erhalten werden kann.

Die bisherige Debatte hat gezeigt, dass eine Klärung dieser Fragen nicht durch eine bloße ‚Rückbesinnung’ auf die verstreuten Ausführungen von Marx erfolgen kann, da Marxens Kommentare selber widersprüchlich und daher interpretationsbedürftig sind (Hunt 1979). Die Marxsche Kernbestimmung von produktiver und unproduktiver Arbeit muss identifiziert und konsequent und widerspruchsfrei ‚im Sinne’ des marxistischen Ansatzes ausformuliert werden. Dabei muss stärker als bisher das Gewicht auf eine Herausarbeitung der unterschiedlichen Arten und Formen unproduktiver Arbeit, wie auch auf ihre unterschiedliche Rolle im kapitalistischen Reproduktionsprozess gelegt werden.

 

II.

Die Relevanz einer konsistenten, nicht normativen, sondern aus der „Systemlogik“ (Zinn 1980: 30) des Kapitalismus abgeleiteten Unterscheidung von produktiver und unproduktiver Arbeit scheint mir in folgenden Punkten begründet zu liegen:

1)    Die Unterscheidung zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit ist als integraler Bestandteil der marxistischen Wert- und Mehrwerttheorie untrennbar mit dieser verbunden (Mohun 1996: 31). Eine valide Rekonstruktion der marxistischen Werttheorie kann somit nur unter besonderer Berücksichtigung der Problematik von produktiver und unproduktiver Arbeit erfolgen. Ist es MarxistInnen nicht möglich, eine in sich logische und widerspruchsfreie Version der Unterscheidung von produktiver und unproduktiver Arbeit zu formulieren, so steht auch die marxistische Version der Arbeitswertlehre als solche in Frage und ein theoretischer Übergang zum neoricardianischen Konzept der undifferenzierten Arbeit würde unumgänglich.

2)    Das Analyseinstrument eines in sich differenzierten Begriffs der produktiven und unproduktiven Arbeit erleichtert das Verständnis der hierarchisch  artikulierten Einheit der verschiedenen Sphären kapitalistisch verfasster Gesellschaften. Mit Hilfe des Begriffs der produktiven Arbeit wird diejenige Arbeit identifiziert, die, ungeachtet der spezifischen Relevanz der anderen Formen von Arbeit, „allen anderen ihren Rang und Einfluss anweist“ (MEW 42: 40). Als wert- und mehrwertschaffende Arbeit fungiert sie als übergreifendes Moment und bildet die Grundlage der ökonomischen und damit auch aller anderen Prozesse (Fine/Harris 1979). Ihre Analyse bildet somit auch den notwendigen Ausgangspunkt für die Analyse der spezifischen Bedeutung anderer Arbeiten, wie ihrer wechselseitigen Beeinflussungen und Verschiebungen. Krisen werden als eine Disjunktion der relativ voneinander unabhängigen Produktions- und Zirkulationssphäre erklärbar und die Dynamik und das „timing“ von Veränderungen in den wechselseitigen Beziehungen der Sphären gerät ins Blickfeld (Meiksins 1981: 77).

3)    Ein in weitere Unterarten gegliederter Begriff der produktiven/ unproduktiven Arbeit ermöglicht es, wichtige strukturelle Veränderungen in der langen Frist zu identifizieren (Wolf 1994: 204). Diese z.B. durch die Zunahme der Zirkulations- und Staatsarbeiten, oder durch die rapide Abnahme der einfachen Warenproduktion ausgelösten Veränderungen sind dabei für ein Verständnis des gegenwärtigen Kapitalismus relevanter als z.B. die häufig diagnostizierte Schwerpunktverlagerung vom primären zum tertiären Sektor. Die wachsende Bedeutung der Kategorie der unproduktiven Arbeit ist in diesem Zusammenhang darin zu sehen, dass der Anteil der kapitalismusspezifischen Formen von unproduktiver Arbeit enorm angestiegen ist.

4)    Die Diskussion um Moselys Untersuchung des tendenziellen Falls der Profitrate hat deutlich gemacht, wie wichtig es ist, nicht nur die Wirkung arbeitssparender Technologien auf die Profitrate zu analysieren, sondern auch die Auswirkungen des Anstiegs unproduktiver Arbeiten (Mosely 1997). Der u.a. durch den Anstieg der unproduktiven Arbeit ausgelöste Fall der gesamtwirtschaftlichen Profitrate kann, wenn er nicht durch wachsende Profitmassen ausgeglichen wird, die weitere Entwicklung der produktiven Ressourcen blockieren. Der Augenblick, in dem Bereiche wie Wohlfahrt, Bildung und Gesundheit zur Schranke einer ungehemmten Kapitalverwertung werden, offenbart, dass der Kapitalismus seine zivilisatorische Schranke erreicht hat (Smith 1993: 287/8).

5)    Die Unterscheidung zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit ist, indem sie die unterschiedlichen Stellungen einzelner Fraktionen der Arbeiterklasse zum Kapital beschreibt, ein wichtiges Instrumentarium der Klassenanalyse. Mit ihr gelingt es unterschiedliche Positionen im ökonomischen, politischen und ideologischen Klassenkampf zu identifizieren. Die landläufige Kritik an dieser Auffassung (Altvater/ Huisken 1970, Mattik 1971) übersieht, dass die Marxsche Klassenanalyse auf verschiedenen Abstraktionsebenen verläuft. Die mit Hilfe der Kategorien der produktiven/ unproduktiven Arbeit vorgenommene Differenzierung der Arbeiterklasse beansprucht eben nicht, konkrete Klassen in einer spezifischen historischen Situation zu beschreiben, sondern ist noch ganz auf der Ebene der „Kernstruktur“ (Ritsert 1998: 73) bürgerlicher Gesellschaften angesiedelt (vgl. Bischoff/Herkommer/Hüning 2002).

7)    In den letzten Jahren ist der quantitativ orientierte Produktivitätsbegriff wieder zu großen Ehren gekommen. Bei Marx ist der unter dem Stichwort der Produktivkraftentwicklung abgehandelte quantitative Produktivitätsbegriff mit dem werttheoretisch-qualitativen dialektisch verbunden. Letzterer ist auch für Analysen des Produktivitätswachstums relevant (Krämer 1994). Einerseits ist die sich unter kapitalistischen Verhältnissen treibhausartig entfaltende Produktivität die „schwere Artillerie“ (MEW 4: 466), mit der über eine Verbilligung der Waren nicht-produktive Bereiche gezwungen werden, kapitalistische Produktionsmethoden bei sich einzuführen. Andererseits steigt im Zuge der Durchkapitalisierung der Gesellschaft der Anteil der spezifisch kapitalistischen Formen unproduktiver Arbeit immer weiter an, was bremsend auf eine Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität zurückwirkt, da die Produktivität bei Zirkulations- oder Staatsarbeiten im allgemeinen deutlich geringer ist als im Bereich kapitalistisch organisierter Produktionsarbeiten.

8)    Die Unterscheidung von produktiver und unproduktiver Arbeit ist auch unter wohlfahrtstheoretischen Aspekten relevant (Wolf 1987). Ein Teil des in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ausgewiesenen Sozialprodukts ist durch unproduktive Arbeit „erstellt“ worden. Ein adäquater Wohlstandsindikator muss diesen Teil des Produkts ausschließen.

 

III.

Das Marxsche Konzept der produktiven und unproduktiven Arbeit unterscheidet sich von dem der klassischen politischen Ökonomie dadurch, dass es auf eine historisch-spezifische Begrifflichkeit abzielt (MEW 26.1: 356). Jede Epoche besitzt ihren eigenen Begriff von produktiver bzw. unproduktiver Arbeit, der sich aus der Rationalität des jeweils dominierenden Produktionsverhältnisses herleitet. Der für die kapitalistische Gesellschaftsformation gültige Begriff produktiver Arbeit ist somit ein relationaler Begriff, d.h. ein Begriff, der im Hinblick auf die Logik des die gesamte bürgerliche Gesellschaft beherrschenden Produktionsverhältnisses, des Kapitals, bestimmt wird.

So unterschiedlich auch die verschiedenen Arten unproduktiver Arbeit sein mögen, sie zeichnen sich stets durch die eine Eigenschaft aus, dass sie nicht produktiv sind. Es ist deshalb aus systematischen Gründen erforderlich, zunächst einmal zu klären, welche Arbeit innerhalb einer kapitalistischen Gesellschaftsformation als produktiv gelten kann. Die Schwierigkeit der Identifikation produktiver Arbeit im Kapitalismus besteht nun darin, dass jede ‚direkt’ ins System kapitalistischer Produktion integrierte Tätigkeit äußerlich die Eigenschaften produktiver Arbeit aufweist (Miller 1981: 45). Wir müssen deshalb zunächst den Versuch unternehmen, den hinter dem Schein der unterschiedslosen Gleichheit verborgenen qualitativen Unterschied zu ergründen. Danach werden wir uns den Arbeiten außerhalb des Kapitalkreislaufs zuwenden.

 

IV.

Im 5. Kapitel des ersten Bandes des „Kapital“ beginnt Marx seine Analyse des kapitalistischen Produktionsprozesses mit einer Betrachtung des einfachen Arbeitsprozesses. In diesem Zusammenhang bestimmt er die produktive Arbeit zunächst vom „Standpunkt seines Resultats“ aus. Die Arbeit, über die der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur organisiert, ist für Marx eine ewige Naturnotwendigkeit. Durch sie transformiert der Mensch in zweckhafter Weise und unter Zuhilfenahme von Arbeitsmitteln die äußere Natur entsprechend seinen Bedürfnissen. Die so durch ‚nützliche Arbeit’ erzeugten materiellen Gebrauchswerte besitzen aufgrund ihrer objektiven Eigenschaften den Charakter von Dingen des Gebrauchs und können in die individuelle oder produktive Konsumtion eingehen. Auf dieser Ebene erscheinen nach Marx „Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstand als  Produktionsmittel und die Arbeit selbst als produktive Arbeit“ (MEW 23: 196).

Die so gewonnene abstrakte Bestimmung produktiver Arbeit bildet, indem sie als begrifflicher Ausgangspunkt fungiert, die Grundlage der Bestimmung produktiver Arbeit im Kapitalismus. Nicht jede auf der Ebene des einfachen Arbeitsprozesses als produktiv geltende Tätigkeit ist auch vom Standpunkt des Kapitals aus produktiv. Dies ist umgekehrt ist aber immer der Fall. Der spezifisch kapitalistische Begriff produktiver Arbeit wird also von dem überhistorischen „penetriert“ (Nishihawa 1960: 19), da er, um fortan als Kürzel der Formbestimmtheit von Arbeit im Kapitalismus fungieren zu können (MEW 26.1: 359), entsprechend der sozialen Form der Arbeit zu modifizieren ist.

Beim kapitalistischen Produktionsprozess handelt es sich nicht nur um einen Arbeits-, sondern wesentlich um einen Verwertungsprozess. Dies bedeutet, dass der bisherige Begriff produktiver Arbeit „verengt“ (MEW 23: 532) werden muss: Nur wenn die Mehrarbeit die Form des Mehrwerts annimmt und in dieser Form vom Kapital angeeignet wird, spielt die Arbeit eine produktive Rolle für das Kapital. Anders ausgedrückt: nur diejenige Arbeit gilt vom Standpunkt des Kapitals aus als produktiv, die sich, ungeachtet ihrer Nützlichkeit oder ihres konkreten Inhalts (MEW 23: 532), gegen variables Kapital tauscht, Mehrwert erzeugt und damit ‚direkt’ zur Selbstexpansion des sozialen Gesamtkapitals beiträgt. Produktive Arbeit ist also solche Arbeit, die unter der Kontrolle des Kapitals Waren und damit Wert, vor allem aber Wert von bestimmten Umfang und damit Mehrwert erzeugt. In Abgrenzung dazu ist diejenige Arbeit, die gegen Revenue getauscht wird, unproduktiv (MEW 26.1: 120). Sie wird nicht zum Zwecke der Verwertung, sondern zum Zwecke des Erhalts eines bestimmten Gebrauchswerts getauscht. Neben dieser „Verengung“ des abstrakten Begriffs produktiver Arbeit verlangt das Faktum einer sich vor allem unter kapitalistischen Bedingungen entwickelnden Arbeitsteilung auch eine „Erweiterung“ des Begriffs (MEW 23: 531): da Gebrauchswerte im allgemeinen nicht von einem einzelnem Individuum, sondern von einem in sich gegliederten Arbeitskörper erzeugt werden, gilt nach Marx jedes seiner Organe als produktiv.

 

V.

Die knapp dargestellte Ableitung des Begriffs produktiver Arbeit wird von fast allen Autoren der Debatte über produktive Arbeit geteilt. Sie besitzt dennoch einen eklatanten Mangel, der anhand der Dienstleistungsproblematik, wie auch der Problematik der Klassifizierung von Aufsichts- und Leitungstätigkeiten, verdeutlicht werden kann.

a) Ob kapitalistisch organisierte Dienstleistungsarbeiten als produktiv zu betrachten sind oder nicht, ist umstritten. Der Unterschied von normaler Warenproduktion zu der von Dienstleistungen liegt darin, dass bei Dienstleistungen die Produktion und die Konsumption ineinander fallen (MEW 26.1: 136). Aufgrund des direkten Kontakts der Produzenten mit dem Konsumenten ist reelle Subsumtion der Dienstleistungsarbeiten unters Kapital  schwierig (Schmiede 1973: 33)[3]. Handelt es sich bei dem dennoch inzwischen stark anwachsenden Bereich kapitalistisch betriebener Dienstleistungen um einen produktiven Bereich, so hat dies weitgehende Auswirkungen nicht nur auf die klassentheoretische Einordnung der Dienstleistungsarbeiter, sondern auch auf die Prognose aktueller Krisenprozesse. Die Expansion des Bereichs kapitalistischer Dienstleistungen besäße aufgrund der niedrigen Löhne und der unterdurchschnittlichen organischen Zusammensetzung des Kapitals einen positiven Effekt auf die gesamtgesellschaftliche Profitrate. Umgekehrt wäre der Effekt negativ. [4]

Die eine Gruppe von Autoren hält nun unter Bezug auf diverse Äußerungen von Marx rein immaterielle Produktionsarbeiten für potentiell produktiv (Rubin 1973, Bidet 1988, Gough 1972). Nicht der konkrete Inhalt der Tätigkeit entscheide, ob eine Arbeit für das Kapital produktiv sei oder nicht, sondern das soziale Verhältnis (MEW 26.1: 120, 122). Ein anderer Kreis von Autoren hält diese Auffassung für grundlegend falsch. Ähnlich wie bei Finanz- oder beim kommerziellen Kapital handele es sich beim Profit der Dienstleistungskapitale um einen bloßen Werttransfer (Tarbuck 1983). Die Begründungen für diese Auffassung differieren allerdings stark. Einige Autoren behaupten, dass Dienstleistungen deshalb unproduktiv seinen, da sie sich letztlich immer gegen Revenue tauschen würden (Poulantzas 1974: 188). Diese Argumentation beruht aber auf einer Verwechslung der Standpunkte: Statt sich auf das für die Bestimmung produktiver Arbeit entscheidende Verhältnis von Arbeiter und Kapitalisten zu konzentrieren, fokussieren die Autoren ihren Blick auf das Verhältnis des Arbeiters zum Konsumenten, so dass kapitalistisch betriebene Dienstleistungen fälschlicherweise mit sogenannten persönlichen Diensten vermischt werden (Rose 1977: 35; Meiksins 1981: 765/766).

Eine andere Gruppe von Autoren beharrt darauf, dass eine Ableitung des spezifisch kapitalistischen Begriffs produktiver Arbeit ihren Ausgangspunkt bei einer Analyse des einfachen Arbeitsprozesses nehmen müsse. Nur konkret-nützliche Arbeit könne die Form abstrakt-menschlicher Arbeit annehmen; die Analyse des einfachen Arbeitsprozesses, wie die Bestimmung des Begriffs der konkret-nützlichen Arbeit werde von Marx aber ausschließlich im Zusammenhang mit der Produktion stofflicher Güter behandelt (Mandel 1991, Hashimoto 1960, Nishikawa 1965). Entgegen ihrer Intention weisen die Autoren auf einen Mangel in der Marxschen Darstellung hin. Sie beweisen nicht, dass ‚reine’ Dienstleistungen unproduktiv sind, sondern dass die Marxsche Analyse des einfachen Arbeitsprozesses erweitert werden muss. Der Umfang der kapitalistisch organisierten Dienstleistungsarbeiten war zu Marxens Zeit derart gering, dass dieser Bereich zu vernachlässigen war: Marx analysierte den typisch kapitalistischen Produktionsprozess seiner Zeit und kam folglich zu einer verengten Betrachtung des Arbeitsprozesses. Immaterielle Produktionsaktivitäten werden von ihm an den entsprechenden Stellen nicht als ‚Arbeit’ aufgefasst, obwohl auch sie zur Produktion des menschlichen Lebens beitragen. Sämtliche Produktionsaktivitäten, materielle oder immaterielle, erzeugen Gebrauchswerte bzw. Nutzeffekte, die direkt oder indirekt auf dem Wege weiterer Produktion in die individuelle Konsumption eingehen und im Akt der Konsumption wieder ‚vernichtet’ werden (MEW 42: 19ff). Da der eigentliche Gegenbegriff zur Arbeit also der des Konsums ist, und da die immateriellen Produktionsaktivitäten zu diesem genauso im Gegensatz stehen wie die materiellen, ist die Gegenüberstellung stofflicher und nichtstofflicher Arbeit mindestens in dem hier beschriebenen Zusammenhang unplausibel. So relevant die Unterscheidung von materieller und immaterieller Arbeit auch für viele Fragestellungen sein mag, es gibt keinen vernünftigen Grund, immaterielle Produktionsaktivitäten aus der Analyse des einfachen Arbeitsprozesses auszuschließen, nur weil sie, statt sich in einem stofflichen Produkt zu materialisieren, direkt am Konsumenten verrichtet werden[5].

Der Vorteil einer solchen Argumentation erweist sich auch bei der Betrachtung der Transportarbeit. Die hier kritisierten Autoren neigen dazu, ausschließlich Warentransporte für potentiell produktiv zu halten, da diese im Unterschied zu den Personentransporten die stofflichen Gebrauchswerte der Waren noch modifizieren würden. Der Grund für den produktiven Charakter kapitalistischer Warentransporte liege darin, dass ein Gebrauchswert erst dann vollständig hergestellt sei, wenn die entsprechende Ware ‚konsumfertig’ sei (MEW 24: 151). Eine solche Argumentation scheint mir wenig überzeugend zu sein: Der Gebrauchswert eines direkt im Fabrikverkauf gekauften Schokoriegels unterscheidet sich in nichts von dem, der im Supermarkt erworben wird. Bei dem Ortswechsel handelt es sich um die Erstellung eines weiteren Gebrauchswerts und der „Tauschwert dieses Nutzeffekts ist“, so Marx an anderer Stelle (MEW 24: 60/1), „bestimmt, wie der jeder anderen Ware“. 

b) Aufgrund ihres spezifischen Inhalts wird oft noch eine andere Art von Tätigkeit aus dem Kreis produktiver Arbeiten ausgeschlossen. In Anknüpfung an einige Textstellen von Marx (MEW 26.3: 495; MEW 23: 351ff), teilen einige Autoren die Leitungs- und Aufsichtsarbeiten in zwei Gruppen ein. Ein Teil der Aufsichtsarbeiten sei von der besonderen Form der Produktion unabhängig, da er lediglich aus der Notwendigkeit resultiere, Arbeitsprozesse auf großer Stufenleiter zu koordinieren. Der andere Teil der Aufsichtsarbeiten entspringe aber aus dem antagonistischen Charakter kapitalistischer Produktion und müsse folglich im Gegensatz zum ersten als unproduktiv angesehen werden (Mohun 1996). Zur Begründung dieser Position sind zwei Argumentationsweisen denkbar. Zum Teil wird explizit oder implizit eine neue Ebene der Argumentation eingeführt, in der nicht mehr wie bisher der Standpunkt des Kapitals allein für die Bestimmung produktiver bzw. unproduktiver Arbeit entscheidend ist: Es wird nun aus dem Blickwinkel einer höher entwickelten, klassenlosen Gesellschaft die Bestimmung der Aufsichtsarbeiten normativ vorgenommen. So brauchbar der Hinweis auf die disziplinierende Funktion eines Teil der Aufsichtsarbeiten in den täglichen Klassenauseinandersetzungen aber auch sein mag, der Zusammenhang normativer Urteile mit den Wertkategorien ist nicht einzusehen (Laibman 1982: 64). Die andere Position argumentiert aus der Perspektive des einfachen Arbeitsprozesses: Autoren wie Mandel oder Mosely glauben, dass die aus dem Klassengegensatz resultierenden Aufsichtsarbeiten für die Produktion der Gebrauchswerte ‚technisch nicht notwendig’ (Mosely 1997: 26) seien. Dieser Begründungszusammenhang scheitert daran, dass die besagten Autoren das Ausmaß unterschätzen, in dem die jeweiligen Verhältnisse die Technik, die Arbeitsabläufe und die Arbeitsorganisation durchdringen. Sie neigen letztlich zu einer ahistorischen Betrachtung konkreter Arbeitsprozesse, da sie glauben, dass man einen in verschiedenen Produktionsweisen identischen konkreten Arbeitsprozess von irgendwelchen ‚zusätzlichen’, der jeweiligen Produktionsweise zukommenden Elementen, klar trennen könne. Zudem sind diese Autoren in ihrer Argumentation nicht konsequent: Andere aus dem Klassengegensatz resultierende Arbeiten müssten ebenfalls systematisch identifiziert und als unproduktiv kategorisiert werden[6]. Dass sich die besagten Autoren ausschließlich auf die Aufsichtstätigkeiten konzentrieren, legt die Vermutung nahe, dass die Kategorie der unproduktiven Arbeit hier inhaltlich entleert und auf die Funktion eines moralisierenden „Kampfbegriffs“ (Altvater/Huisken 1970) reduziert wird.

 

VI.

Die Kernaufgabe der in der Zirkulation beschäftigten Arbeiten besteht einerseits darin, den Kauf und Verkauf, d.h. die Übertragung von Eigentumstiteln bzw. die formelle Metamorphose der Ware zu organisieren, andererseits die Verwaltung der liquiden Aktiva und die juristische Übertragung von Geld auf Zeit, also das Leihgeschäft. Diese Aufgaben können entweder vom industriellen Kapital selber übernommen werden, oder aus Effizienzgründen von eigenständigen Kapitalien abgewickelt werden. Die verschiedenen Zirkulationsarbeiten sind nicht nur für die Kapitalverwertung unmittelbar notwendig, sie besitzen auch die Form der Lohnarbeit, werden gegen Kapital getauscht und verschaffen dem Zirkulationskapital einen Durchschnittsprofit. Dennoch handelt es sich - vom Standpunkt des sozialen Gesamtkapitals aus betrachtet - nicht um produktive Arbeiten, da durch ihre Verausgabung die aggregierte Wertgröße nicht anwächst. Die Zirkulationsarbeit nimmt weder die Form des Werts und Mehrwerts an, noch kann sie vom Kapital direkt angeeignet werden. Gleichwohl sind Zirkulationsarbeiten nicht nur unproduktiv, sie sind auch indirekt produktiv (MEW 25: 293): durch ihre Effektivierung können Ressourcen freigesetzt werden, die dann produktiv verwendet werden können. 

In der Literatur lassen sich für diese These drei Begründungsvarianten ausmachen. Im zweiten Band des „Kapitals“ findet sich die Behauptung, dass die in der Zirkulation aufgewandten Arbeiten deshalb unproduktiv seien, da sie ausschließlich der Warenform der Arbeitsprodukte und damit dem Charakter der kapitalistischen Produktionsweise geschuldet wären (MEW 24: 136-138, 140/1). Das Argument kokettiert mit einem vom Standpunkt einer rational organisierten Gesellschaft vorgenommenen Werturteil und auf die Schwierigkeit, normative Werturteile mit den Wertkategorien zu verbinden, darauf wurde oben bereits hingewiesen. Ein anderes, ebenfalls bei Marx auffindbares Argument lautet, dass die Tätigkeiten deshalb unproduktiv seien, da die bloße Übertragung von Eigentumstiteln den Gebrauchswert des Produktes nicht mehr verändern würde (MEW 24: 138, 150/1). Gegen diese Begründung könnte eingewandt werden, dass man hier die unproduktive Eigenschaft der Arbeit vom Inhalt der Arbeit her zu begründen versuche und nicht über das soziale Verhältnis. Autoren wie Mohun versuchen dieser Kritik dadurch zu entkommen, dass sie dem in seine Phasen gegliederten Kapitalkreislauf die primäre Bedeutung zuschreiben (Mohun 1996). Sie halten die Zirkulationsarbeiten eben deshalb für unproduktiv, da sie nicht vom produktiven Kapital, sondern vom Zirkulationskapital angewandt werden. Das jeweilige Moment im Verwertungsprozess entscheide nicht nur darüber, ob eine Arbeit produktiv sei oder nicht, sondern auch über den Inhalt der Arbeit. Damit ist aber immer noch nicht geklärt, warum das Moment der Zirkulation den dort eingesetzten Arbeiter unproduktiv macht.

Die in all den Argumenten angedeutete, aber niemals ausformulierte Ursache für den unproduktiven Charakter der Zirkulationstätigkeiten ist, dass es sich bei ihnen um keine Arbeit im eigentlichen Sinne handelt[7]. Entgegen einer weit verbreiteten Auffassung handelt es sich nicht bei jeder zweckhaften Verausgabung von „Hirn, Muskel und Nerv“ um Arbeit. Bei den in den Austausch involvierten Tätigkeiten handelt es sich um eine eigene Gruppe sozialer Aktivitäten, die weder als Arbeit, noch als individuelle Konsumption beschrieben werden können. Die Eigenschaft, überhaupt ‚Arbeit’ zu sein, ist aber ein notwendiges Kriterium produktiver Arbeit im Kapitalismus. Die soziale Aktivität „Austausch“ generiert eine besondere Form des sozialen Konsums, die Werte und Gebrauchswerte vernichtet, ohne dabei zur menschlichen Bedürfnisbefriedigung beizutragen. Während die „Arbeit“ unter Zuhilfenahme von Produktionsmitteln materielle oder immaterielle Gebrauchswerte erzeugt, vernichtet die „individuelle Konsumption“ sie im Akt der Bedürfnisbefriedigung (MEW 42: 19ff). Die Zirkulationstätigkeiten gehören weder zu dem einen noch zu dem anderen Kreis sozialer Aktivitäten. Zwar werden im Austausch Produktionsmittel verbraucht, aber nicht um Gebrauchswerte zu produzieren. Auch findet die in der Zirkulation stattfindende Vernichtung von Werten und Gebrauchswerten nicht zum Zwecke der Bedürfnisbefriedigung statt. Die Logik der Kapitalverwertung erfordert also eine besondere Art sozialer Aktivität, die auf eine eigene Weise konsumtiv und damit fürs soziale Gesamtkapital unproduktiv ist.

 

VII.

Die Begriffe der produktiven bzw. unproduktiven Arbeit weisen sowohl auf eine unterschiedliche Rolle der Tätigkeiten, als auch auf eine Hierarchie der Sektoren innerhalb der kapitalistischen Gesellschaftsformation hin. Sämtliche als unproduktiv geltende Bereiche besitzen eine nachgeordnete Stellung gegenüber dem Bereich produktiver Arbeit, da sie trotz ihrer relativen Eigengesetzlichkeit in ihrer Entwicklung von der Dynamik produktiver Arbeit abhängen. Dennoch kommt einigen Arten unproduktiver Arbeit eine für die Kapitalverwertung notwendige Rolle zu, eine Rolle, deren Widersprüchlichkeit sich allerdings dadurch erweist, dass eine den Expansionsprozess des Kapitals unterstützende Funktion durchaus in eine Blockade desselben umschlagen kann: Es kann nicht nur zu einem Konflikt zwischen den verschiedenen Steuerungsmechanismen kommen (Mohun 1996: 47), auch drosselt ein übermäßiges Ausdehnen unproduktiver Arbeit die für die Akkumulation zur Verfügung stehende Mehrwertmenge. Um die Sektorenhierarchie bürgerlicher Ökonomien herauszustellen, scheint es somit sinnvoll zu sein, die verschiedenen Arten unproduktiver Arbeit nach ihrer Bedeutung für die Existenz und die Entwicklung kapitalistischer Gesellschaftsformationen zu systematisieren. Eine solche Systematisierung besitzt außerdem den Vorteil, dass sie deutlich macht, dass „Notwendigkeit“ kein hinreichendes Kriterium produktiver Arbeit ist, wie einige Autoren glauben (Houston 1997, Laibman 1993).

Die unproduktiven Arbeiten lassen sich in diesem Sinne in drei Teilgruppen gliedern: Die erste Gruppe umfasst die oben bereits behandelten Zirkulationstätigkeiten, die für die Kapitalverwertung nicht nur unmittelbar notwendig sind, sondern auch innerhalb des Kapitalkreislaufs verausgabt werden. Bei den außerhalb des kapitalistischen Sektors aufgewandten Produktionsarbeiten handelt es sich um den anderen großen Bereich nicht-produktiver Arbeiten. Der eine Teil dieser Arbeiten ist zwar nicht kapitalistisch organisiert, aber dennoch für die Existenz und Entwicklung kapitalistischer Gesellschaften ‚vermittelt’ notwendig. Hierunter fallen die im Haushaltssektor aufgewendeten Arbeiten wie auch der größte Teil der Staatsarbeiten. Beide Gruppen erfüllen für den Erhalt kapitalistischer Gesellschaftsformationen unverzichtbare Aufgaben, wie z.B. die spontane Reproduktion der Ware Arbeitskraft im Haushaltsbereich oder die Organisation des Geldsystems, der Justiz, usw. durch den Staat. Ungeachtet dieser Gemeinsamkeit gibt es natürlich bedeutende Formunterschiede zwischen den beiden Sektoren: Marx` Ausführungen über die einfache Warenproduktion legen nahe, dass er den Begriff der unproduktiven Arbeit für diejenigen Tätigkeiten zu reservieren gedachte, bei denen sich die Arbeitskraft gegen Revenue tauscht (MEW 26.1: 370). Während die Staatsarbeit also im klassischen Sinne als unproduktiv zu bezeichnen ist – schließlich tauscht der Staatsarbeiter nicht nur seine Arbeitskraft gegen Revenue (Steuern, Staatsverschuldung), er arbeitet auch unter ‚fremder’ Kontrolle - liegt der Fall bei der Hausarbeit anders: Diese ist, da sie weder gegen Kapital, noch gegen Revenue getauscht wird, nicht nur nicht-produktiv, sie ist auch nicht-unproduktiv. Sie gehört einer dritten Kategorie an.

Bei der zweiten Teilgruppe nicht kapitalistisch organisierter Produktionsarbeiten handelt es sich um dem Kapitalismus ‚zufällig’ zukommende Formen der Arbeitsverausgabung, die, wie die einfache Warenproduktion oder die Erstellung persönlicher Dienste, aus überlebten Gesellschaftsepochen stammen und mit der Entfaltung der kapitalistischen Produktionsweise tendenziell verschwinden. Aber auch hier gibt es wichtige Formunterschiede: der Arbeiter, der persönliche Dienste erstellt, ist im üblichen Sinne unproduktiv, da er seine Arbeitskraft gegen Revenue tauscht. Da der einfache Warenproduzent hingegen im Besitz eigener Produktionsmittel ist und dementsprechend seine Arbeitskraft weder gegen Kapital noch gegen Revenue tauscht, gehört seine Arbeit - genau wie die Hausarbeit - der von Marx nicht näher bezeichneten dritten Kategorie an (ebenda). Sie unterscheidet sich aber von dieser dadurch, dass sie auf abstrakte Arbeit reduziert wird; schließlich nimmt ihr Produkt die Warenform an.

 

VIII.

Neben den beiden Debatten zum analytischen Stellenwert der Kategorien der produktiven und unproduktiven Arbeit und zu ihrer konsistenten inhaltlichen Fassung findet sich in der Literatur eine weitere Auseinandersetzung, die sich um eine adäquate Zuordnung der unproduktiven Arbeit zu den Stromgrößen des Wertprodukts dreht. Die hervorragende Bedeutung dieser Frage ist in den gravierenden Auswirkungen der Allokation unproduktiver Arbeit auf die verschiedenen Verhältnisgrößen (Mehrwertrate, Profitrate) zu suchen (Dawson/ Foster 1994). Während die Mehrheit der Autoren dazu neigt, die Auslagen für unproduktive Arbeiten als einen Abzug vom Mehrwert zu behandeln, glauben diejenigen Theoretiker, die der neoricardianischen Theorie nahe stehen, dass es sich bei den Ausgaben für die unproduktive Arbeit um einen Teil des variablen Kapitals handelt (Wolff 1994). Eine weitere Gruppe um Smith und Mage versucht wiederum, über eine, wie sie selber zugeben, „kreative Interpretation“ Marxscher Textstellen (Smith 1994/5: 491), bestimmte Formen unproduktiver Arbeit dem konstanten Kapital zuzuordnen, da man dadurch dem gesellschaftlich notwendigen Charakter dieser Arbeiten Gerechtigkeit zukommen lassen würde. Da die Allokation unproduktiver Arbeit mit den Grundprinzipien der Werttheorie vereinbar sein muss, lässt sich die Kontroverse relativ leicht entscheiden (Mohun 1996). Variables Kapital zeichnet sich dadurch aus, dass es nicht nur den eigenen Wert reproduziert, sondern auch noch einen Wertzusatz über diesen hinaus. Eine Zurechnung unproduktiver Arbeit zu diesem Teil des Wertprodukts ist somit unplausibel, da unproduktive Arbeit eben diese Eigenschaft nicht besitzt. Auch kollidiert die Zurechnung der unproduktiven Arbeit zum konstanten Kapital mit dessen Bestimmung: In dem Maße, wie der Gebrauchswert der Produktionsmittel im Akt der Arbeitsverausgabung durch Verschleiß, Verbrauch usw. vernutzt wird, überträgt sich der Wert des konstanten Kapitals auf das Endprodukt. Weder der Wert, noch der Gebrauchswert der unproduktiven Arbeitskraft wird aber vom Produkt  absorbiert, so dass auch diese Variante der Zurechnung ausscheidet (Laibman 1982: 68). Nur die Auffassung, dass die unproduktive Arbeit aus dem Mehrwert bezahlt wird, ist mit der Marxschen Werttheorie vereinbar[8].

 

IX.

Zum Abschluss sei noch eine Bemerkung gestattet. Es ist immer wieder überraschend, wie langsam die von Gramsci einst prognostizierte ’kulturelle Vereinigung Menschheit’ voranschreitet: Weder wird im deutschsprachigen Raum die aktuelle, englischsprachige Debatte über produktive/unproduktive Arbeit wahrgenommen[9], noch scheint die bundesrepublikanische Debatte der 70iger Jahre irgendeinen Einfluss auf die Diskussion im anglo-amerkanischen Sprachraum zu besitzen. Dies ist umso betrüblicher, da beide Debatten spezifische Mängel aufweisen, die über einen wechselseitigen Bezug leicht ausgeräumt werden könnten. Während sich die deutschsprachige Diskussion der 70ger Jahre auf die klassen- und bewusstseinstheoretische Relevanz der Kategorien fokussierte und dabei die ökonomietheoretische Bedeutung dieser Kategorien stark unterbelichtet ließ, ist im anglo-amerkanischen Sprachraum genau das Umgekehrte der Fall[10]. Die wenigen deutschsprachigen Debattenbeiträge, die die ökonomische Relevanz der Begriffe hervorhoben, blieben für die weitere theoretische Entwicklung in Deutschland merkwürdig folgenlos: man blieb beim bloßen Postulat dieser Relevanz stehen, so dass eine unbedingte Notwenigkeit besteht, in diesem Bereich an den Stand der anglo-amerikanischen Debatte anzuknüpfen. Die entscheidenden Schwächen der deutschen, klassenzentrierten Beiträge der 70ger Jahre sind wiederum in zwei Bereichen zu finden: Einerseits in ihrem stark exegetischen Charakter, wobei die Disputanten meist dennoch nicht in der Lage waren, die Inkonsistenzen und die Widersprüchlichkeiten der Marxschen Ausführungen zum Thema herauszuarbeiten; andererseits in der Neigung vieler Autoren, die mit Hilfe der Unterscheidung vorgenommene Gliederung der Klassen, direkt auf die Ebene konkreter Klassen herunterzubrechen. Werden allerdings die Vermittlungsschritte zwischen der Kernstruktur bürgerlicher Gesellschaften und ihrer jeweiligen historisch-konkreten Ebene eingehalten, so lässt sich in der kategorialen Unterscheidung nach wie vor ein wichtiges Instrument der Sozialstrukturanalyse finden[11]. In Abgrenzung zum weitgehend klassenblinden Diskurs im englischen Sprachraum gilt es dieses Instrument neben der ökonomietheoretischen Bedeutung weiter zu entwickeln.

Anmerkungen

[1] Eine Ausnahme bildet die Arbeit von Björn Dämpfling (Dämpfling 2000).

[2] Die alte Argumentationsweise gibt es natürlich immer noch, z.B. Houston 1997.

[3] Zur Problematik der formellen und reelen Subsumtion siehe: Herkommer 1999

[4] Die Relevanz der Diskussion ist dennoch geringer als es zunächst erscheinen mag, da der Kreis der kapitalistisch hergestellten ‚immateriellen Güter’ weit geringer ist, als die herkömmliche Klassifizierung suggeriert (Mandel 1991: 148/9). Fast alle umgangssprachlich als Dienstleistungen bezeichneten Tätigkeiten verkörpern sich in einem stofflichen Gebrauchswert. Während es sich z.B. bei einem Konzert oder bei einer Theateraufführung um eine ‚reine’ Dienstleistung handelt, verliert das Konzert diesen Charakter schon, wenn es aufgenommen und auf CD gebrannt wird.

[5] Auch Dämpfling hält den Ausschluss immaterieller Arbeiten aus der Marxschen Analyse des einfachen Arbeitsprozesses für unbegründet. Er kommt aber im folgenden zu anderen Resultaten als denen, die hier vorgestellt werden (Dämpfling 2000). Laut Mandel hat auch J. Gouverneur den Versuch unternommen, die „Begrenzung“ des Arbeitsprozesses auf materielle Arbeiten aufzuheben (Mandel 1991: 149 Fußnote 50).

[6]In diesem Zusammenhang wäre z.B. derjenige Teil der Reparaturarbeiten zu nennen, der durch die Vernachlässigung oder gar durch die Sabotage der den Arbeitern nicht zugehörigen Maschinen, notwendig wird.

[7] Die Argumentation basiert auf der Marxschen Kreislaufbetrachtung in der Einleitung zu den „Grundrissen“ (MEW 42: 19ff); ähnlich: Miller 1984

[8] Dennoch hat Laibman auch gegen diese Art der Zurechnung Einwände formuliert (Laibman 1982; 1999). Er hält es für problematisch, dass der Umfang unproduktiver Arbeit theoretisch so hoch sein könne, dass der Mehrwert nicht ausreiche, die unproduktive Arbeit zu finanzieren. Es ergebe sich so die Möglichkeit einer Profitrate, die null oder negativ sei. Es ist aber u.a. gerade die Wirkung eines Anstiegs unproduktiver Arbeit auf die Profitrate und die dadurch ausgelösten dynamischen Veränderungen zwischen den Sektoren, die die Kategorie der unproduktiven Arbeit so interessant macht. Bewegt sich die Profitrate aufgrund eines Anstiegs unproduktiver Arbeit in Richtung des Laibmanschen Extremfalls von Null, so würde dies einen starken Rationalisierungsdruck in den unproduktiven Sektoren hervorrufen. Diese wechselseitigen Beeinflussungen der Sphären bleiben anderen Ansätzen verborgen.

[9] Eine Ausnahme bilden die Arbeiten von Krämer und Dämpfling (Krämer 1994, Dämpfling 2000).

[10] Die wichtigsten Beiträge der deutschsprachigen Debatte der 70ger Jahre sind: Bischoff u.a (1970), Hübner u.a. (1970), Altvater u.a. (1970), Mattik (1971), Zinn (1972), Schmiede (1973; 1976), Autorenkollektiv (1973), Herkommer/ Bierbaum (1979). Einen Überblick über die mit den Kategorien der produktiven und unproduktiven Arbeit verbundene Diskussion über „Klassenlage und Bewußtsein“ gibt: Beckenbach (1991: 103 ff.). Spätere Beiträge aus dem deutschsprachigen Raum, die häufig weniger klassenzentriert sind, stammen von: Zinn (1980), Krüger (1986), Mandel (1991), Bensch (1995), Dämpfling (2000). Ein Kommentar von Standpunkt der kritischen Theorie findet sich in: Horkheimer (1988: 303/4, 384/5).

[11] Siehe z.B.: Bischoff/Herkommer/Hüning 2002

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Editorische Anmerkungen

Stefan Kalmrings Artikel zum Problemkomplex der produktiven
und unproduktiven Arbeit wird im März in einem Buch zur Aktualität
der Kritik der politischen Ökonomie erscheinen (Gerlach, Kalmring,
Nowak: Mit Marx ins 21. Jahrhundert - zur Aktualität der Kritik der
politischen Ökonomie, VSA-Verlag, Hamburg) erscheinen. Der Autor stellte ihn uns zur online-Veröffentlichung zur Verfügung.