Ungesühnt
Die Massaker der Wehrmacht in Griechenland 1941 bis 1944

Von Martin Seckendorf

02/02
 
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Der deutsche Urlauber liebt Griechenland und die Stätten der Antike, verdrängt aber gern die jüngere Geschichte. In Deutschland kaum bekannt, vor allem nicht in den alten Bundesländern, sind die Massaker, die die Wehrmacht während der deutschen Besatzung in den Jahren 1941 bis 1944 an der griechischen Zivilbevölkerung verübt hat. Selbst seriöse Reiseführer berichteten bis weit in die 80er Jahre hinein kaum etwas über das Terrorregime der deutschen Okkupanten. Bestenfalls die Eroberung Kretas war einem Teil des Publikums in Erinnerung - durch die als unvergleichliche Heldentat der Wehrmacht glorifizierte Luftlandeoperation auf der Insel.
Erst begleitende Veranstaltungen und Publikationen zu der seit 1995 gezeigten »Wehrmachtausstellung« und die Bemühungen griechischer Opfergemeinden, von der Bundesregierung einen Ausgleich für erlittenes Unrecht und zugefügte Schäden zu erlangen, bringen allmählich einen Wandel.

 

Jetzt erst nimmt die große Öffentlichkeit zur Kenntnis, daß die deutschen Besatzer in Griechenland fortgesetzt und massenhaft Tötungsverbrechen an der Zivilbevölkerung verübt haben, Verbrechen, die sich allenfalls in der Zahl der Opfer, nicht aber in der, wie Juristen sagen, Begehungsweise von jenen Untaten unterscheiden, die Deutsche im Zweiten Weltkrieg in Polen, der Sowjetunion und Jugoslawien begingen. Erstaunt wird registriert, daß die Massaker meist von normalen Wehrmachteinheiten mit überwiegend wehrpflichtigem Personal und nur in Ausnahmefällen von SS- oder Polizeieinheiten, aber auch dann im Auftrag der Wehrmachtführung, in Griechenland verübt worden sind.

 

Distomo - kein Einzelfall

 

Die Bergbaugemeinde Distomo in der Nähe von Dephi, dem antiken Mittelpunkt der europäischen Zivilisation, ist am 10. Juni 1944 von deutschen Soldaten geplündert und verwüstet worden. 218 Einwohner, in der Mehrzahl Frauen und Kinder, wurden auf kaum beschreibliche Art ermordet. Die Entschädigungsforderung der Gemeinde an die Bundesrepublik in Höhe von 56 Millionen DM wurde vom Obersten Gericht Griechenlands, dem Areopag, als rechtens anerkannt. Distomo ist kein Einzelfall und nicht die grauenvollste Aktion der deutschen Besatzer in Griechenland. Unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung wurden Hunderte Dörfer geplündert, verwüstet und häufig alle Einwohner jeden Alters und Geschlechts umgebracht. In keinem Fall hat Deutschland bisher eine Entschädigung gezahlt. Die Gemeinde Distomo, von dem rührigen Anwalt und langjährigen Präfekten der Provinz Böotien, Ioannis Stamoulis, vertreten, versteht sich als Vorreiter. Mehr als 10000 Klagen stehen der deutschen Seite noch ins Haus.

 

Der Fall Distomo hat die Frage nach der Verantwortung für die Verbrechen gegen die griechische Bevölkerung und damit die Frage, wer letztlich dafür materiell haftbar ist, öffentlich aufgeworfen. Waren die Massaker, die in aller Regel von Plünderungen und großflächigen Zerstörungen begleitet wurden, Ausschreitungen einzelner Offiziere? Trifft der Standpunkt der Bundesregierung, sowohl jener unter Kohl als auch dieser unter Schröder, zu, das flächendeckende Töten und Zerstören wären Folgen »normalen« Kriegsgeschehens zwischen Wehrmacht und Partisanen gewesen, wobei die Bevölkerung unglücklicherweise zwischen die Fronten geraten sei? Oder waren die exzessiven Gewaltaktionen originärer Bestandteil der Okkupationspolitik? Antworten auf solche Fragen geben die mit der Okkupation verfolgten Ziele und eine Analyse der Direktiven, die den für das besetzte Griechenland zuständigen deutschen Behörden erteilt worden sind.
Heimtückischer Überfall

 

Seit der Niederlage Frankreichs im Sommer 1940 war Griechenland ins Blickfeld der Hitler-Regierung gerückt. Griechenlands Unterwerfung sollte zum einen Großbritannien aus dem östlichen Mittelmeer vertreiben und zum anderen den deutsch-italienischen Feldzug in Nordafrika unterstützen. In den deutschen Plänen fungierte Griechenland als Nachschub- und Absprungbasis für Operationen in Nordafrika und gegen Nahost. Als am 28. Oktober 1940 Italien von Albanien aus in Griechenland einfiel und die Aggression wegen der tapfer kämpfenden Griechen zu einem Desaster für das faschistische Bündnissystem zu werden drohte, wurden die deutschen Kriegsplanungen intensiviert. Man beschloß, Griechenland, dem inzwischen britische Truppen vertragsgemäß zu Hilfe geeilt waren, im Frühjahr 1941 mit überlegenen Kräften niederzuwerfen - nicht zuletzt, um die Südflanke des für den Sommer 1941 geplanten Überfalls auf die UdSSR zu sichern. Am Palmsonntag, dem 6. April 1941, fiel die Wehrmacht ohne Kriegserklärung von Bulgarien aus in Griechenland ein. Am 27. April fiel Athen, am 30. April standen die deutschen Truppen an der Südspitze der Peloponnes. Zwischen dem 20. Mai und dem 1. Juni wurde die Insel Kreta erobert. Für die Griechen begann die Besatzungszeit, die auf dem Festland bis zum 2. November 1944, auf einigen Inseln bis zum Mai 1945 dauerte.

 

Der unprovozierte Überfall war das erste Verbrechen gegen Griechenland, das die wesentliche Ursache und Voraussetzung für alle weiteren an den Griechen begangenen Verbrechen, ihnen aufgebürdeten Lasten und zugefügten Leiden bildete.

 

Nach der militärischen Eroberung wurde das Land, wie vorher abgesprochen, in drei Besatzungszonen geteilt: Bulgarien erhielt als Judaslohn landwirtschaftlich wertvolle Gebiete im Norden, die etwa 15 Prozent der Fläche Griechenlands ausmachten. Diese Gebiete wurden annektiert und bulgarisiert. Zuvor hatte Deutschland die wirtschaftliche Nutzung dieser Zone sich vertraglich gesichert. Die deutschen Truppen zogen sich in zwei kleinere, für die Nachschub- und Absprungfunktion aber militärgeographisch wichtige Zonen zurück. Das Gebiet um Thessaloniki, ein Streifen an der türkischen Grenze sowie einige Inseln in der Nordägäis wurden zum Befehlsbereich Saloniki-Ägäis zusammengefaßt. Der Landstreifen Athen-Piräus mit Hafen, zwei Drittel Kretas sowie einige Inseln unterstanden dem Befehlshaber Südgriechenland. Die beiden Befehlshaber waren dem »Wehrmachtbefehlshaber im Südosten« in Saloniki untergeordnet, der alle deutschen Streitkräfte auf dem Balkan befehligte und die zentrale deutsche Besatzungsbehörde auf dem Balkan darstellte.

 

Der größte Teil Griechenlands - etwa 70 Prozent - wurde dem italienischen Armeeoberkommando 11 zur polizeilichen und militärischen Sicherung übergeben. Auf deutschen Druck verzichtete Italien auf eine Militärverwaltung. Die Verwaltungsfunktionen sollten von einer machtlosen Kollaborationsregierung in Athen wahrgenommen werden. Um die deutschen Interessen in der italienischen Zone gegenüber Italien und der griechischen »Regierung« zu sichern, wurde ein »Bevollmächtigter des Reichs für Griechenland« eingesetzt.

 

Das Besatzungsregime in Griechenland stand in einem auch zeitlich engen Zusammenhang mit dem Überfall auf die Sowjetunion. Trotz Blitzsiegseuphorie war die deutsche Führung sich darüber im klaren, daß der Krieg gegen die Sowjetunion sowie die Verwaltung und Ausbeutung des riesigen Gebietes den Einsatz aller militärischen Ressourcen erfordern wird. Dagegen nahm sie an, die Griechen würden die Wehrmacht mehr oder weniger freiwillig im Lande dulden. Die deutsche Propaganda stellte den Überfall als Kampf gegen England und dessen griechische Helfer dar. Hitler erklärte, die Briten hätten es verstanden, Griechenland »zu mißbrauchen«. Er habe immer betont, daß »das deutsche Volk keinerlei Gegensätze zu dem griechischen Volk besitzt«. Bereits am 13. Mai verfügte das Oberkommando der Wehrmacht (OKW), alle frontfähigen Verbände aus Griechenland nach Osten abzuziehen, da mit der Entwaffnung der griechischen Armee kein weiterer militärischer Einsatz erforderlich sei. Eine gravierende Fehlprognose, wie sich sieben Tage später bei der Invasion auf Kreta zeigen sollte.
Volkskrieg der Kreter

 

Auf Kreta stieß die Wehrmacht auf nicht für möglich gehaltenen Widerstand und erlitt unerwartet hohe Verluste. Zum ersten Male im Zweiten Weltkrieg wurden deutsche Truppen mit einem Volkskrieg und dessen speziellen Kampfformen konfrontiert. Entgegen der Haager Landkriegsordnung vom 18. Oktober 1907 sahen die deutschen Militärs im Widerstand der Kreter an der Seite der griechischen und britischen Truppen eine kriminelle, todeswürdige Handlung. Noch während der Kämpfe ordneten Kommandeure Massenerschießungen an. Generalmajor Ringel, Kommandeur der 5. Gebirgsdivision, befahl, »für jeden Verwundeten oder Gefallenen 10 Kreter zu erschießen, Gehöfte und Dörfer, in denen deutsche Truppen beschossen werden, niederzubrennen, in allen Orten Geiseln sicherzustellen«.

 

Am 31. Mai 1941, als die Kämpfe beendet waren, erließ Student, Kommandierender General des XI. Fliegerkorps, einen Grundsatzbefehl für die Handhabung des Terrors gegen die Bevölkerung von Kreta. Die während der Kämpfe begangenen Massenmorde an Zivilisten legalisierte er nachträglich als Notwehr. Für künftige Erschießungen bis zur »Ausrottung der männlichen Bevölkerung ganzer Gebiete« schuf er die Obergrenzen ab. Eine Anrufung der Wehrmachtjustiz verbot Student ausdrücklich. Nach diesem Terrorbefehl kam es zu furchtbaren Massakern und zur Zerstörung zahlreicher Dörfer. Nach griechischen Erhebungen wurden binnen weniger Wochen - bis August 1941 - mehr als 2000 Zivilisten umgebracht.

 

Am 9. Juni 1941 dekretierte Hitler in der »Weisung Nr. 31«, daß die Niederwerfung innerer Unruhen Hauptaufgabe der Territorialbefehlshaber sei. In den deutschen Zonen wurde der verschärfte Ausnahmezustand verkündet und für die Dauer der Besetzung beibehalten. Die Befehlshaber erhielten die vollziehende Gewalt und die deutschen Zonen wurden zum Operationsgebiet erklärt. Denn auch auf dem Festland regte sich Widerstand. Schon im Mai 1941 verhängten Gerichte der 12. Armee gegen Griechen Todesstrafen wegen »Freischärlerei«. Die Unruhen wurden hauptsächlich durch Hunger ausgelöst - eine Folge der ungeheuren deutschen Ausbeutung des Landes. Sie führte ab Herbst 1941 in eine Hungersnot mit mehreren hunderttausend Toten - Opfer deutscher Okkupation, über die kaum gesprochen wird. Die Säuglingssterblichkeit erreichte über achtzig Prozent. Die allgemeine Sterberate betrug zeitweise das Siebenfache des Vorkriegsstandes. Allein im Großraum Athen verhungerten fast 100000 Menschen.

 

Volksbefreiungsarmee
 

Schon in den ersten Widerstandsaktionen trat nach Erkenntnissen der deutschen Militärs die zahlenmäßig kleine, in fünf Jahren Metaxas-Diktatur fast zerriebene Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) als Initiator und Organisator auf. Der Erste Generalstabsoffizier (Ia) der 12. Armee, Foertsch, notierte am 16. Juni 1941: »Die durch die Ernährungslage bedingte Mißstimmung des Volkes bildet den Nährboden für kommunistische Propaganda.« Am 16. Juli meldete der Wehrmachtbefehlshaber Südost dem OKW: »Kommunistische Einflüsse nehmen zu«. Am 1. Juli 1941 beschloß die KKE ein Programm der nationalen Einheitsfront. Auf dieser Grundlage entstand am 27. September 1941 die Nationale Befreiungsfront (EAM), der im November 1944 mehr als 1,6 Millionen Griechen (bei knapp sieben Millionen Einwohnern) angehörten. Damit ist die EAM die bis in die Gegenwart größte Organisation in der griechischen Geschichte. Im Februar 1942 schuf die EAM die Griechische Volksbefreiungsarmee, ELAS. Beide wurden die entscheidenden militärischen und politischen Kräfte des Befreiungskampfes.
Als ihr Masseneinfluß evident war, beteiligten bürgerliche Gruppen sich am Kampf gegen die deutschen Besatzer. Zur größten bürgerlichen Gruppierung wurde der im September 1941 gegründete Nationale Republikanische Bund EDES, der seit Ende Juli 1942 eine kleine, von den Briten exzellent ausgerüstete Partisanenarmee in Nordwestgriechenland führte. Der Hauptstoß der deutschen Unterdrückungspolitik richtete sich von Anfang an und mit besonderer Brutalität gegen die Mitglieder der KKE, der EAM, gegen die Soldaten der ELAS und alle Menschen, die man linker Gesinnung verdächtigte. So berichtete die 164. Infanteriedivision, daß im Raum der kleinen Gemeinde Nigrita bei Thessaloniki 97 Personen festgenommen wurden,, weil »sie sich kommunistisch betätigt hatten«. Der Befehlshaber Saloniki- Ägäis meldete im November 1941 »die Verhaftung und Einlieferung aller bekannten Kommunisten der Stadt Saloniki in das Konzentrationslager«. Kurze Zeit danach wurden zwölf der Verhafteten »als Vergeltung« erschossen. Die deutsche Planung kalkulierte: Massenhinrichtungen und eine besonders grausame Art der Tötung würden lähmendes Entsetzen erzeugen, die Abschreckung weitere Widerstandshandlungen verhindern.

 

Am 16. September 1941 beauftragte Hitler den Wehrmachtbefehlshaber im Südosten, die Aufstandsbewegung rigoros niederzuschlagen und »im Gesamtraum mit den schärfsten Mitteln die Ordnung wieder herzustellen«. Am gleichen Tag erließ Keitel, Chef des OKW, Richtlinien zur Ausführung des Führerbefehls und erklärte: »Bei jedem Vorfall der Auflehnung gegen die deutsche Besatzungsmacht muß auf kommunistische Ursprünge geschlossen werden.« Und fuhr fort: »Um die Umtriebe im Keime zu ersticken, sind beim ersten Anlaß unverzüglich die schärfsten Mittel anzuwenden, um (...) einem weiteren Umsichgreifen vorzubeugen. Dabei ist zu bedenken, daß ein Menschenleben in den betroffenen Ländern vielfach nichts gilt und eine abschreckende Wirkung nur durch ungewöhnliche Härte erreicht werden kann. Als Sühne für ein deutsches Soldatenleben muß in diesen Fällen im allgemeinen die Todesstrafe für 50-100 Kommunisten als angemessen gelten. Die Art der Vollstreckung muß die abschreckende Wirkung noch erhöhen.«
Im Verwaltungsbericht für Oktober 1941 beschrieb der Befehlshaber Saloniki-Ägäis, Generalleutnant von Krenzki, den Vollzug des Befehls: »Durch entschiedenen Einsatz schneller Truppenstreifen wurden die Unruheherde im Keim erstickt. Hierbei wurde mit ausgesprochener Schärfe vorgegangen, um eine abschreckende Wirkung zu erzielen.« Im Oktober 1941 seien 422 Griechen erschossen und weitere zehn gehängt worden. »Hinzu kommen vier Vollstreckungen von Todesurteilen der Kriegsgerichte.« Außerdem seien drei Dörfer völlig niedergebrannt und 63 Griechen als Todeskandidaten in das von der Wehrmacht errichtete und verwaltete Konzentrationslager - das erste auf griechischem Boden - eingeliefert worden. Nach einer Tagesmeldung des Wehrmachtbefehlshabers Südost, List, an das OKW vom 18. Oktober 1941 brannten Wehrmachteinheiten (vermutlich der 164. Infanteriedivision - ID) zwei Dörfer an der Strimonmündung nieder und erschossen 202 Personen. Am 25. Oktober 1941 haben Soldaten der 164. Infanteriedivision zwei Dörfer nordöstlich von Thessaloniki niedergebrannt und alle angetroffenen männlichen Bewohner im Alter von 16 bis 60 Jahren, insgesamt 67 Personen, erschossen. Frauen und Kinder seien umgesiedelt worden.
 

In beiden Fällen erfolgten die Erschießungen, Plünderungen und Zerstörungen ausschließlich, weil die Deutschen den Verdacht hegten, die Dörfer hätten Partisanen als »Rückhalt« gedient. Zusammenfassend ergibt die Dokumentenlage, daß allein im Oktober 1941 in Thessaloniki und in einer Umgebung von knapp 50 Kilometern mehr als 800 Griechen umgebracht und mindestens 10 Dörfer total zerstört worden sind. 1942 ebbte die Mordwelle zunächst ab. Nach der Stalingrader Schlacht und der Kriegswende begann eine neue, noch grausamere Welle des Terrors gegen die griechische Bevölkerung.
 

Mit der militärischen Lage veränderte sich Ende 1942, Anfang 1943 auch die strategische Bedeutung Griechenlands für die deutsche Kriegführung. Bei Stalingrad erzwang die Rote Armee die Kriegswende, in Nordafrika besiegten die Westalliierten Rommels Afrikakorps, in Jugoslawien und Griechenland erlebte die Partisanenbewegung einen gewaltigen Aufschwung. Am 8. September 1943 schied Italien aus dem faschistischen Achsenbündnis aus.
Gefahr an Südostflanke
 

Die deutsche Führung ging davon aus, daß die Westalliierten im Frühjahr 1943 mit einer Landung in Griechenland eine zweite Front in Europa eröffnen werden. Galt Griechenland im strategischen Kalkül der deutschen Führung bisher als Absprung- und Nachschubbasis, sollte es jetzt in eine Festung verwandelt werden und die militärisch wie kriegswirtschaftlich immer wichtiger werdende Südostflanke des Nazi-Imperiums decken.
 

Wegen des Ausscheidens der Italiener als Besatzungsmacht dehnte die Wehrmacht die deutsche Herrschaft auch auf die italienische Zone in Griechenland aus. Die deutschen Truppen wurden von 75000 auf 250000 Mann verstärkt und erhielten eine neue Befehlsführung. Oberste Kommandobehörde für Griechenland wurde die neu aufgestellte Heeresgruppe E unter Generaloberst Löhr. Die Heeresgruppe konnte erstmals über alle bewaffneten Kräfte der Eroberer, einschließlich der Verbände der Bulgaren und der Waffen-SS sowie der Kollaborateure in Griechenland, verfügen.
 

Für die Okkupationsverwaltung wurde die Dienststelle Militärbefehlshaber Griechenland unter General Speidel geschaffen. Er erhielt in ganz Griechenland die vollziehende Gewalt. Damit entschied die Wehrmacht auch in der neuen Etappe der Besatzungspolitik alle für die Griechen und das Land wichtige Fragen. Dem Militärbefehlshaber war auch der ebenfalls neu berufene Höhere SS- und Polizeiführer (HSSPF) samt seiner Institution unterstellt. Dieser sollte im Auftrag des Militärbefehlshabers den polizeilichen und geheimpolizeilichen Bereich, einschließlich jenen der Kollaborationsverwaltung, leiten, ausbauen und gegen die Widerstandsbewegung, vornehmlich in den Städten, führen.
 

Hauptaufgabe des umgestalteten Besatzungsapparates war die rigorose Bekämpfung der Partisanenbewegung und die brutale Unterdrückung der sie unterstützenden Zivilbevölkerung. Zur Abwehr der erwarteten Invasion der Alliierten sei es notwendig, die inneren Verhältnisse der besetzten Südostgebiete »mit starker Hand zu ordnen«, heißt es in einer Denkschrift des Führungsstabes der Wehrmacht vom 10. Dezember 1942. Der Chef des OKW, Keitel, fügte hinzu, »der griechische Raum ist heute als ein Kriegsschauplatz erster Ordnung zu bezeichnen«. Die »Befriedung« der Festung Griechenland war nicht mehr nur ein okkupationspolitisches, gewissermaßen innenpolitisches Problem. Angesichts der erwarteten Invasion war sie Teil der Vorbereitungen auf den militärischen Großkampf. Deshalb sollte die Widerstandsbewegung noch vor der Landung alliierter Truppen endgültig vernichtet und die Bevölkerung durch terroristische Maßnahmen derart eingeschüchtert werden, daß sie im Invasionsfall nicht wage, sich gegen die Deutschen zu erheben. Die präventive Funktion des Massenterrors trat noch stärker hervor.
Hauptkraft des bewaffneten Befreiungskampfes und seit Herbst 1943 einziger militärischer Gegner der Deutschen in Griechenland war die ELAS. Die bürgerliche Organisation EDES spielte militärisch keine Rolle mehr; ihre Führer kollaborierten seit Ende 1943 mit den Deutschen. Bereits im April 1943 hatte der Militärbefehlshaber Südgriechenland die politische Struktur des Widerstandes mit »etwa 90 Prozent rein kommunistisch, 10 Prozent nationalistisch« angegeben. ELAS fügte den Okkupanten nach einem Bericht des Militärbefehlshabers Griechenland vom 19. Oktober 1943 »erhebliche Verluste an Menschen und Material« zu.
 

Mit brutalsten Mitteln
 

Kaum noch verschlüsselt befahlen alle Führungsebenen jetzt den Massenmord an Zivilisten beiderlei Geschlechts und jeden Alters. Hitlers »Weisung Nr. 47« vom 28. Dezember 1942 bestimmte als Hauptaufgabe des Oberbefehlshabers Südost die »endgültige Befriedung des Hinterlandes und Vernichtung der Aufständischen und Banden aller Art«. Hitler forderte, die Befehle zur Partisanenbekämpfung noch weiter zu verschärfen. Den deutschen Kräften dürften keinerlei Beschränkungen bei der Tötung von Menschen und der Vernichtung von Sachwerten auferlegt, jedem Soldaten müsse generell Straffreiheit zugesichert und jene Soldaten als »Verräter am deutschen Volk« gebrandmarkt werden, die nicht mit der geforderten Rücksichtslosigkeit vorgingen. Der Chef des Führungsstabes der Wehrmacht, Jodl, versicherte, nach diesem Befehl könnten die Soldaten auch mit Frauen und Kindern »machen, was sie wollen: Sie dürfen sie aufhängen, verkehrt aufhängen oder vierteilen«. Der am 16. Dezember 1942 erlassene Befehl richtete sich nicht nur gegen die Partisanen, sondern auch gegen »Mitläufer«, was den zu vernichtenden Personenkreis beträchtlich ausweitete. Der Chef des OKW befahl: Der Kampf muß »mit den allerbrutalsten Mitteln geführt« werden. »Die Truppe ist berechtigt und verpflichtet, in diesem Kampf ohne Einschränkung auch gegen Frauen und Kinder jedes Mittel anzuwenden, wenn es nur zum Erfolg führt.« Auf dieser Grundlage erließ am 14. Juli 1943 der Oberbefehlshaber Südost, Löhr, einen speziellen Befehl. Nach der inzwischen erfolgten alliierten Landung auf Sizilien (9./10. Juli 1943) ordnete er noch direkter den Massenterror gegen die Bevölkerung als Prävention und Vorbereitung auf eine alliierte Landung an. Partisanen und »Mitläufer« spielten im Befehl keine Rolle, die gesamte Bevölkerung sollte getroffen werden. Es heißt dort: »Bei feindlichen Landungsangriffen ist mit weitestgehender Beteiligung aufsässiger Bevölkerungsteile auf Seiten des Feindes zu rechnen ... Ich ermächtige und verpflichte alle Kommandeure, von sich aus, ohne vorherige Genehmigung der vorgesetzten Stelle, bei offensichtlich feindseliger Haltung der Bevölkerung schärfste Maßnahmen zu ergreifen.«
 

Auch bei anderen Grundsatzbefehlen des OKW nutzten die Militärbehörden im Südosten ihren Handlungsspielraum und verschärften die zentralen Direktiven. Wegen des Arbeitskräftemangels in Deutschland wies Hitler am 7. Juli 1943 an, Partisanen und »Mitläufer« nicht mehr generell und sofort zu töten, sondern die Arbeitsfähigen als militärische Zwangsarbeiter nach Deutschland zu deportieren. Die Behörden im Südosten machten in den Ausführungsbefehlen die Einschränkung, daß es dabei keine Abstriche am Konzept der massenhaften Tötung von Zivilisten zur Bekämpfung der Partisanenbewegung geben dürfe. »Sühnemaßnahmen« seien »wie bisher mit den härtesten Mitteln durchzuführen«. Der Grundsatz, »die gesamte männliche Bevölkerung« eines Dorfes bei Verdacht auf »Teilnahme oder Unterstützung der Banden zu erschießen oder zu erhängen«, müsse unbedingt beibehalten werden. Erst in zweiter Linie sei die Deportation zur Zwangsarbeit zu erwägen. Am 18. August 1943 bestätigte der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht diese Linie der Militärbehörden im Südosten. Er schrieb, bei besonderen Umständen könne angeordnet werden, »daß keine Gefangenen gemacht werden bzw. daß Gefangene und im Kampfraum ergriffene Bevölkerung erschossen werden dürfen«.
 

Mit der Kriegswende wurde auch das terroristische Methodeninventar erweitert. Neben Luftangriffen gegen »verdächtige« Ortschaften wurde die Beschießung der Dörfer mit weitreichender Artillerie befohlen. Bei Partisanenaktionen seien die »in der Nähe« liegenden Ortschaften durch zusammengefaßte Feuerschläge ohne Vorwarnung zu vernichten. Eine besonders brutale Neuerung war die Einführung fahrbarer Geisellager. Am 15. Juli 1943 wurde befohlen, bei jedem Transportzug einen verriegelten Güterwagen mit Geiseln mitzuführen. Bei einer Partisanenaktion, »ob sie gelingt oder nicht«, so der Chef des Generalstabs des OB Südost, seien die Geiseln durch Zündung vorsorglich angebrachter geballter Ladungen und durch das zusammengefaßte Feuer der Begleitkommandos »sofort« zu töten. Für Kreta wurde angeordnet, bei Kfz-Kolonnen »in größerer Zahl« junge Mädchen als Geiseln mitzuführen.
Die »Edelweiß-Division«
 

Die deutschen Behörden drängten die Italiener, in ihrer Zone mit den Griechen in gleicher Weise zu verfahren, was diese ablehnten. Die nach der Kriegswende in die italienische Zone einrückenden deutschen Divisionen erhielten die Anweisung, unter Umgehung der italienischen Behörden selbständig gegen die griechische Bevölkerung nach den deutschen Grundsatzbefehlen vorzugehen. Damit wurde vor der italienischen Kapitulation die bis dahin nur in den deutschen Zonen praktizierte Terrorpolitik auch auf die italienische Zone übertragen.
 

Für die Verlegung der 1. Gebirgsdivision, wegen ihres taktischen Zeichens auch »Edelweiß-Division« genannt, in das von den Italienern besetzte Gebiet Joannina erging am 7. Juli 1943 folgender Befehl: »Alle Ortschaften, die den Banden als Zuflucht dienen können, sind zu zerstören, die männliche Bevölkerung ist, soweit sie nicht wegen Verdachts der Teilnahme am Kampf oder Unterstützung der Banden erschossen wird, restlos zu erfassen und als Gefangene abzuschieben. Bei Sabotagefällen ... sind strengste Sühnemaßnahmen gegen die Bevölkerung zu treffen.« Der Erste Generalstabsoffizier (Ia), Thilo, dessen Aufgabe u.a. die Vorbereitung der Einsatzbefehle war, baute nach 1945 die »Gebirgstruppe« der Bundeswehr auf, führte jahrelang als Kommandeur die 1. Gebirgsdivision der Bundeswehr - ebenso »Edelweiß-Division« genannt - und schied nach Erreichung der Altersgrenze in allen Ehren und mit gut dotierter Pension als Generalmajor aus den westdeutschen Streitkräften aus. Die 1943 nach Griechenland versetzte »Edelweiß-Division« kam aus Jugoslawien, wo der Verband nach Divisionsberichten mehr als 10000 »Banditen«, sprich Tito- Partisanen und »Mitläufer«, vernichtet hatte. Im Juli 1943 brannten Einheiten der Division bei mehreren »Säuberungsunternehmen« im italienisch besetzten Gebiet Griechenlands mehrere Dörfer nieder und erschossen über 100 Zivilisten. Am 16. August 1943 vernichteten die Gebirgsjäger die im italienisch besetzten Epiros liegende Ortschaft Kommeno und metzelten 317 Bewohner jeden Alters und beiderlei Geschlechts auf unbeschreiblich grausame Weise nieder. In einer Ermittlungsakte des Bayerischen Landeskriminalamtes vom 16. April 1969 heißt es, daß sich unter den Opfern »schwangere Frauen befunden haben. Viele Frauen seien vor der Ermordung vergewaltigt worden, Leiber von Frauen aufgeschnitten und die Kinder in der Weise verbrannt, daß sie ihnen mit Benzin getränkte Watte in die Münder stopften und die Watte dann anzündeten. Auch seien Personen die Augen ausgestochen worden.« (Das Verfahren wurde eingestellt, da es sich nach Meinung des Landgerichts München I um normale Kriegshandlungen gehandelt habe). Die Italiener wurden über die Aktion in ihrer Zone nicht einmal informiert.
 

Nach dem Ausscheiden Italiens aus dem faschistischen Bündnis richtete sich der deutsche Terror auch gegen die in Griechenland stationierten Soldaten des ehemaligen Bundesgenossen. Wegen »Verrats an der Achse« wurden ab 8. September auf Rhodos und auf Ägäischen Inseln mehrere hundert italienische Offiziere erschossen. Die italienische Besatzung der Ionischen Insel Kephalonia widersetzte sich der Aufforderung zur Kapitulation. Deutsche Truppen stürmten die Insel. Aufgrund eines Sonderbefehls sollten keine Gefangenen gemacht werden. Hauptsächlich Einheiten der »Edelweiß-Division« erschossen den italienischen Divisionskommandeur und 4000 (!) Soldaten - nachdem diese sich ergeben hatten.
 

Nachdem Hunderte Dörfer zerstört und viele tausend Griechen ermordet waren, fürchtete der Kollaborationsministerpräsident Rallis, seinen ohnehin geringen Kredit bei den Griechen vollständig zu verlieren. In einem Schreiben an den deutschen Militärbefehlshaber wies er darauf hin, daß unter dem Vorwand, Sühne- und Vergeltungsmaßnahmen für Partisanenaktionen durchzuführen, »die Vernichtung Griechenlands« im Gange sei. Allein im Oktober 1943 habe man im Epiros, dem Operationsgebiet der 1. Gebirgsdivision, über 1000 Griechen umgebracht. Seit dem Einmarsch der Wehrmacht in das relativ kleine Gebiet im Juli 1943 seien mehr als 100 Dörfer zerstört worden.
 

Fehleinschätzung
 

Ende 1943 stellten die deutschen Militärs fest, daß ihre Erwartung, mit den Truppenverstärkungen und exzessiver Terrorpolitik die Partisanenbewegung vernichten zu können, auf einer eklatanten Fehleinschätzung beruhte. EAM und ELAS hatten inzwischen ein großes politisches und militärisches Gewicht gewonnen. Im September 1943 stellte der Militärbefehlshaber fest, daß »Griechenland nur zu einem kleinen Teil wirklich in deutscher Hand« ist. Hinzu kam, daß in den deutschen Vorstellungen die alliierte Landung immer wahrscheinlicher wurde, weitere Truppenverstärkungen aber wegen der Gesamtkriegslage unmöglich waren. Hermann Neubacher, »Sonderbevollmächtigter des Auswärtigen Amtes für den Südosten«, kam zu dem Schluß, die Wehrmacht sei nicht in der Lage, die ihr gestellte doppelte Aufgabe zu lösen: Die Invasion zu verhindern und zuvor, gewissermaßen als Voraussetzung einer Invasionsabwehr, die Partisanen zu vernichten.
 

In einem erneuten Schwenk ihrer Okkupationspolitik versuchten die Deutschen nunmehr, das für sie immer ungünstigere Kräfteverhältnis mit politischen und propagandistischen Mitteln, insbesondere mit »zielgenauerem« Antikommunismus auszugleichen. Im Zentrum stand jetzt die Kollaboration. Vor allem im bewaffneten Bereich versuchten sie, die Kollaboration erheblich auszuweiten und einen Bürgerkrieg zu entfachen. In einem regelrechten Vernichtungskrieg sollten die Träger und Sympathisanten des Widerstands ausgerottet und dabei unter deutscher Leitung künftig immer mehr Griechen von Griechen umgebracht werden. Ab Herbst 1943 gingen Neubacher und die Militärs daran, dieses Konzept zügig umzusetzen. Dabei kam es 1944 zu einer nochmaligen Steigerung der Opfer unter der Zivilbevölkerung.
 

Im Verlauf des Jahres 1943 geriet das Okkupationsregime wegen der für Deutschland verschlechterten militärischen Gesamtlage, der rücksichtslosen Ausbeutung des Landes und der immer stärker werdenden Widerstandsbewegung in eine Krise. Ein noch brutalerer Einsatz von Machtmitteln war nicht mehr möglich. Jetzt sollte eine Mixtur aus Propaganda und politischer Taktik die Griechen dafür gewinnen, die deutsche Herrschaft im Lande zu dulden, für sie zu arbeiten und gegen die eigenen Landsleute zu kämpfen. Als Gegenleistung für Kollaboration sicherte das faschistische Deutschland Griechenland einen ehrenvoller Platz im künftigen Europa zu. »Jeder Grieche, den wir dahin bringen, in uns die Vertreter einer besseren und gerechteren Zukunft zu sehen, wird zunächst nicht auf unsere Männer schießen und keine Sabotageakte begehen«, schrieb im August 1943 der stellvertretende Leiter der Informationsabteilung im Auswärtigen Amt, Rudolf Rahn. Es müsse gelingen, die kollaborierenden Gruppen »so zu binden, in unserem Sinne zu kompromittieren und gegen die uns feindlichen Organisationen kämpferisch einzusetzen, daß sie nicht mehr zurück können«. »Mit politischen Mitteln die Verhältnisse zu verbessern«, nannte der Sonderbevollmächtigte des Auswärtigen Amtes, Neubacher, das Ziel der »neuen Politik«.
Bürgerkrieg entfacht
 

Am 29. Oktober 1943 erließ Hitler die Weisung über »die einheitliche Führung des Kampfes gegen den Kommunismus im Südosten«. Neubacher sollte die antikommunistischen Kräfte organisieren und ihren Einsatz gegen die Partisanen politisch lenken, die Versorgung der Bevölkerung »auf die antikommunistische Aktion ausrichten« und Einfluß auf die »Sühnemaßnahmen« nehmen.
 

Die erste Maßnahme der Spaltungskonzeption, wie die Generalität die »neue Politik« zutreffend nannte, war die Bewaffnung der Kollaborateure. Unter Leitung des Höheren SS- und Polizeiführers wurde die griechische Polizei auf 27000 Mann verstärkt und erstmals seit der Besetzung bewaffnet. Neun »Sicherheitsbataillone« wurden aufgestellt und gegen den Widerstand eingesetzt. Die Wehrmacht bildete zusätzlich mehr als 20 griechische Freiwilligeneinheiten in Kompaniestärke. Die bis dahin unbedeutende griechische Nazi-Partei, Ethniki Enossis Ellados, erhielt von Neubacher beträchtliche finanzielle Mittel zur »Aufstellung antikommunistischer Kampfverbände«.
 

Die Kollaborateure
 

Die deutsche Politik konnte sich bei der Schürung des Bürgerkriegs auf Teile der griechischen Oberschicht stützen. Diese, obwohl traditionell eher britisch orientiert, unterstützten die deutschen Maßnahmen gegen die Nationale Befreiungsfront (EAM) und die Griechische Volksbefreiungsarmee (ELAS), weil sie damit die bürgerlich- kapitalistische Nachkriegsentwicklung gesichert glaubten. In einem kürzlich aufgefundenen Schreiben der Heeresgruppe E vom 15. Juli 1944 heißt es: »Die führende griechische Oberschicht (Vertreter der Industrie, des Handels, Bankwesens, der hohen Geistlichkeit, Spitzen der Beamtenschaft und des ehem. Offz.-Korps)« sieht in dem »immer mehr anwachsenden Kommunismus die einzige ihre Interessen und besitzbedrohende Gefahr«. Sie sei »gewillt, eine nationale Organisation mit militanten Formationen aufzubauen«. Es wird mitgeteilt, in Nordgriechenland arbeite seit Sommer 1943 »eine Art nationales Verteidigungskomitee, das sich aus Vertretern der griechischen Oberschicht zusammensetzt«. Die von der Wehrmacht in Nordgriechenland aufgestellten griechischen Verbände würden »von diesem Komitee in jeder Hinsicht unterstützt«.
Ein wesentlicher Aspekt der »neuen Politik« war der allenthalben gelungene Versuch, antikommunistische (»nationale«) Widerstandsgruppen dazu zu bewegen, den Kampf gegen die Deutschen einzustellen und nunmehr die EAM/ELAS militärisch zu bekämpfen. Besonderes Gewicht hatte der Übertritt der Einheiten des Nationalen Republikanischen Bundes (EDES) auf die Seite der Deutschen im Herbst 1943. Er war die größte Gruppierung des nichtkommunistischen Widerstands. Die Heeresgruppe E beschreibt in einem Bericht die bürgerkriegspolitischen, auf die Nachkriegszeit gerichteten Motive der EDES-Führung. Diese »sucht nach wie vor die deutsche Besatzungsmacht ihrer Loyalität zu versichern, um sich so unangetastet auf den kommenden militärischen und politischen Machtkampf vorzubereiten«. Gegen die ELAS habe EDES in Nordwestgriechenland eine militärische Offensive begonnen. Für die Bemühungen, die Kollaboration auszudehnen, erwies sich die bisherige Terrorpraxis als Hindernis. Die Massaker unter der Zivilbevölkerung trieben auch Griechen in den Widerstand, die nicht mit der ELAS sympathisierten. Wie die Propaganda sollte nun auch der Terror zielgenau gegen Links eingesetzt werden. Der Generalstabschef der Heeresgruppe E, Generalmajor Winter, erläuterte Anfang Dezember 1943 vor deutschen Einheiten, es gehe »leider nicht an, alle Leute zu köpfen« und »völlig unbeteiligte Ortschaften dem Erdboden gleichzumachen«, da dies »nur zur Vermehrung des Bandenwesens« führe. Die »antikommunistische Aktion« sollte nicht weniger, aber die richtigen Griechen töten, die »wahrhaft Schuldigen«.
 

Am 22. Dezember 1943 erging ein Grundsatzbefehl des Oberbefehlshabers Südost für die Handhabung des Terrors. Darin heißt es: »Das Verfahren, nach einem Überfall oder Sabotageakt aus der näheren Umgebung des Tatortes wahllos an Personen und Wohnstätten Sühnemaßnahmen zu vollziehen, wird verboten.« Zunächst seien die »Täter« und deren Angehörige zu töten. Sollten die »Täter« nicht gefaßt werden, was üblicherweise der Fall war, so wären alle Personen, die einer »offenen oder versteckten Mitwirkung« verdächtigt werden oder die »ein bewußt passives Verhalten« zeigten, als »Banditenhelfer zu erschießen und deren Wohnstätten zu vernichten«. Der Befehl beschreibt dann die Hauptgruppe der zu Tötenden: »Lassen sich derartige Mitschuldige nicht finden, so muß auf Personen zurückgegriffen werden, die, ohne mit der einzelnen Tat in Verbindung zu stehen, trotzdem als mitverantwortlich anzusehen sind. Mitverantwortlich sind in erster Linie solche Personen, die sich zum Kommunismus bekennen.« Damit war der klassenideologische Vernichtungskrieg definiert.
Eskalation des Terrors
 

Todeskandidaten waren alle 1,6 Millionen Mitglieder der EAM und ihrer Massenorganisationen, die Soldaten der ELAS sowie deren Angehörige. Um den Spaltungseffekt zu verstärken, wurde jenen Griechen, die sich zur Kollaboration bereit fanden, eine Überlebensgarantie gegeben. »Nicht zu Sühnezwecken zu verwenden«, so der Befehl, »sind Feinde des Kommunismus«. Mit dem Dezemberbefehl wurde die »neue Politik« für alle Soldaten, Polizisten und SS-Männer bindend. Danach hätte man wegen der angestrebten »chirurgisch sauberen Schnitte« eine Verringerung der Opfer und der Zerstörungen erwarten können.
 

Der Ablauf der Ereignisse 1944 aber zeigt ein anderes Bild. Trotz der »neuen Politik« ging das großflächige Zerstören und massenhafte Töten von Zivilisten weiter. Die Opferzahlen erreichten Rekordhöhen. Massaker mit hundert und mehr Toten sowie riesigen Zerstörungen waren 1944 eine fast alltägliche Erscheinung. So wurden nach unvollständigen Meldungen der Heeresgruppe E in den Monaten Juni, Juli und August 1944 im statistischen Durchschnitt täglich 110 Griechen bei »Säuberungsaktionen« getötet.
 

Ursache dafür, daß sich an der Politik nicht viel änderte, war die Auffassung der Militärbehörden im Südosten, auf die massenhafte Tötung von Zivilisten als vorbeugend wirkendes Element der Machtsicherung nicht verzichten zu können. Zahlreiche Ausnahmen in dem Grundsatzbefehl schrieben weiterhin undifferenzierte Massaker auch an Frauen und Kinder zwingend vor. Umfangreiche »Sühnemaßnahmen« seien immer dann durchzuführen, wenn dadurch »die Verhütung künftiger Anschläge zu erwarten ist«. Auch die verhängnisvollen Begriffe »Banditenhelfer« und »Mitschuldige« als Bezeichnung für eine nach jedem Partisanenangriff zu tötende Personengruppe wurden beibehalten und durch den Straftatbestand »passives Verhalten« extensiv ausgelegt. Außerdem blieb die Anzahl der bei einer »Sühne- oder Vergeltungsaktion« zu tötenden Griechen nach oben offen, was in der Praxis zu furchtbaren Massenmorden führte. »Sühnequoten werden nicht festgelegt«, heißt es in dem Befehl. Und: »Für das Verhalten der Truppe im Kampf gelten die bisherigen Bestimmungen.« Damit hing die Auslegung der Befehle von der Einschätzung der jeweiligen politischen und militärischen Situation in einem bestimmten Gebiet ab. Welche Regionen als »Kampfgebiete« oder, was auf das gleiche hinauslief, als »partisanenverseucht« eingestuft wurden, entschieden die Ic-Offiziere der Wehrmacht, die »Feindlagebearbeiter«. In diesen Territorien, die Anfang 1944 drei Viertel des Landes umfaßten, konnte die gesamte Bevölkerung, unabhängig von ihrer politischen Haltung, für »Sühnezwecke« ins Visier genommen werden. »Rücksichtsloses Durchgreifen« befahl der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe E am 13. August 1944. Der Vertreter Neubachers in Athen telegrafierte am 4. Oktober 1944 nach Berlin, daß nicht nur Dörfer entvölkert und zerstört werden, sondern Massaker immer häufiger auch in Städten erfolgten. Der »Begriff kommunistische Viertel« werde sehr weit ausgelegt. Alle Bewohner von Stadtvierteln, »in deren Nähe deutsche Soldaten angegriffen« worden seien, würden »zu Sühneaktionen herangezogen«, d.h. umgebracht.
Absprachen mit dem Feind
 

Ende August 1944 durchbrach die Rote Armee in einer gewaltigen Schlacht bei Jassi-Kischinjow, dem Cannae des 20. Jahrhunderts, den Südteil der deutschen Ostfront. Der Weg nach Belgrad und Wien war frei. Von Westen marschierte die Volksbefreiungsarmee Titos auf die jugoslawische Hauptstadt. Rumänien und Bulgarien wurden vom Verbündeten zum Kriegsgegner Deutschlands. Den beiden deutschen Heeresgruppen auf dem Balkan drohte die Einschließung, ein »Superstalingrad«. Um eine neue Front im Norden aufzubauen, befahl Hitler die Räumung Griechenlands. In der Räumungsphase kam es zu einem im Zweiten Weltkrieg einmaligen Abkommen. Das Oberkommando der Wehrmacht und zentrale britische Stäbe vereinbarten, die Deutschen sollten mit Blick auf die Nachkriegsentwicklung Griechenlands die ELAS weiterhin rücksichtslos bekämpfen und ihre ausgebauten Stellungen vor allem an den Küsten gegen die ELAS halten, bis britische Truppen anlandeten. Als Gegenleistung garantierte man den Deutschen militärisch unbedrängten Abzug zum Aufbau einer neuen Front gegen die Rote Armee - damals der Verbündete der Briten. Das Abkommen wurde von beiden Seiten eingehalten. Trotz drückender britischer Überlegenheit zu Wasser und in der Luft konnten die Deutschen verlustlos von den Inseln evakuiert werden und ab 10. Oktober 1944 von den Briten wiederum unbedrängt auch das Festland räumen. ELAS durchkreuzte die schändliche Vereinbarung. Die griechischen Soldaten lieferten den fliehenden Deutschen schwere Kämpfe und unterstützten wirkungsvoll den Kampf der Tito-Verbände und der Roten Armee an Save und Donau. Die deutschen Verbände kamen nicht nur verspätet, sondern auch abgekämpft, personell stark geschwächt und fast ohne schwere Waffen in Jugoslawien an.
 

In der Nacht vom 2. zum 3. November 1944 verließen die letzten deutschen Einheiten Griechenland. Auf einigen Inseln blieben etwa 20000 Deutsche zurück, die meist erst am 8. Mai 1945 kapitulierten. Viele hundert Dörfer und Kleinstädte waren total zerstört, eine Million Griechen obdachlos, das Eisenbahnwesen nur noch zu einem Viertel brauchbar. Alle die für das Land so wichtigen Häfen waren stark zerstört. Schätzungsweise 90000 Griechen wurden Opfer von Geiselmorden und anderen »Strafaktionen«. Fast 58000 Juden waren umgebracht. Die Gesamtverluste betrugen 7,2 Prozent der Vorkriegsbevölkerung.
 

Neues Leid
 

Nach dem Abzug der Deutschen landeten britische Truppen und die Exilregierung in Griechenland. Im Dezember 1944 verlangten die Briten die Entwaffnung der ELAS. Sie stützten sich dabei auf eine Vereinbarung, die sie im Oktober 1944 mit Moskau getroffen hatten. Damals sicherte Stalin dem britischen Premier Churchill zu, Griechenland gehöre »zu 100 Prozent« in die britische Einflußzone und solle kapitalistisch bleiben. Die einzige Kraft, die dieses Abkommen stören konnte, war EAM/ELAS. Ihre Soldaten hatten in einem opferreichen Kampf gegen Deutsche, Italiener und Bulgaren sowie deren griechische Helfer gut 90 Prozent des Landes befreit, eine politisch legitimierte Zentralregierung in Griechenland und eine funktionierende öffentliche Verwaltung aufgebaut. Für die Briten und die griechische Oberschicht bestand die Gefahr, daß in Griechenland ein zum Kapitalismus alternatives System entstand. Als sich ELAS weigerte, die Waffen niederzulegen und den schwer errungenen Sieg aufzugeben, gingen die Briten mit Gewalt gegen die ELAS und deren politische Sympathisanten vor. Seit dieser Zeit wird von vielen Griechen der Einmarsch der Briten als neue Okkupation betrachtet.
Aus den Attacken vom Dezember 1944 entwickelte sich ein blutiger Krieg gegen die Linksbewegung. Dabei wurden die Briten und die griechische Regierung in großem Umfang von jenen Kräften unterstützt, die bereits in deutschen Diensten Erfahrung im Kampf gegen ELAS gesammelt hatten. Ab 1947 übernahmen die USA die Rolle der Briten. Mit Dollars, neuen Waffen und modernen Methoden der psychologischen Kriegführung drängten sie die Linkskräfte zurück und Griechenland in die NATO. Im Oktober 1949 gaben die antifaschistischen Kräfte den militärischen Kampf auf. Nicht alle Kämpfer konnten ins Ausland fliehen und sich der teilweise ungezügelten Rache der Sieger entziehen. Die bürgerlich-kapitalistische Ordnung in Griechenland war gesichert. Bis in die 80er Jahre mußten die Kämpfer der ELAS darauf warten, daß ihr Kampf von 1941 bis 1944 von der griechischen Regierung als Beitrag zum Sieg der Antihitlerkoalition im Zweiten Weltkrieg gewürdigt wurde.

 

  • Martin Seckendorf ist Historiker und Mitglied der Berliner Gesellschaft für Faschismus- und Weltkriegsforschung e.V. Er veröffentlichte u.a.: Ein einmaliger Raubzug. Die Wehrmacht in Griechenland - 1941 bis 1944. In: Johannes Klotz (Hg.), Vorbild Wehrmacht? Wehrmachtsverbrechen, Rechtsextremismus und Bundeswehr, PapyRossa, Köln 1998, S. 96-124. (Dort auch weiterführende Literatur).
    Europa unterm Hakenkreuz. Die Okkupationspolitik des deutschen Faschismus (1938 bis 1945). Achtbändige Dokumentenedition. Hg. vom Bundesarchiv, Band 6: Die Okkupationspolitik des deutschen Faschismus in Jugoslawien, Griechenland, Albanien, Italien und Ungarn (1941 bis 1945). Dokumentenauswahl und Einleitung von Martin Seckendorf unter Mitarbeit von Günter Keber, Jutta Komorowski, Horst Muder, Herbert Stöcking und Karl Übel. Hüthig, Berlin, Heidelberg 1992. Teil I und II erschienen in jW vom 4. und vom 8./9. Juli

     

Editoriale Anmerkung:

Der Text
 ist eine Spiegelung von
http://www.jungewelt.de/2000/07-04/014.shtml
http://www.jungewelt.de/2000/07-13/021.shtml
http://www.jungewelt.de/2000/07-15/010.shtml

Damit unterstützen wir die Veranstaltungsreihe und Ausstellung "Hellas unterm Hakenkreuz", die vom 1.2.-1.3.2001 im Kulturzentrum in Berlin-Steglitz läuft.