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Der Ruf nach Gerechtigkeit
 
Das neue Urheberrecht und die Folgen für die Verlage

von Bernd F. Lunkewitz

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Das Urheberrecht hat einen historischen Ursprung in der Zensur. Lange Zeit in der Geschichte war es unvorstellbar, dass Gedanken, Ideen, literarische Werke, selbst Erfindungen, Privateigentum seien und nicht etwa Gemeineigentum, da sie ja aus dem gesellschaftlichen Leben hervorgingen und besonders die Sprache und Kultur uns ja allen "eigentümlich" ist. 

Erst Gutenbergs Erfindung hat dies für die Literatur geändert: Als Gegenleistung zur vorherigen inhaltlichen Prüfung der vervielfältigten Werke durch die Obrigkeit erhielten die ersten Verleger gedruckter Bücher das Privileg zur ausschliesslichen Drucklegung und zahlten prompt den Autoren ein nicht nur symbolisches Honorar aus ihrem Gewinn. Der Kapitalismus, der alles in Ware verwandelt, tat dies in seiner langen Geschichte auch mit dem geistigen Eigentum, das seit einigen Jahrzehnten in Deutschland, anders als in den USA, freilich nicht veräusserbar ist, sondern nur zur Nutzung überlassen werden kann. Aber in langen und komplizierten Gesetzgebungsverfahren und im nicht weniger komplexen wirschaftlichen Verhalten der Verleger, Agenten, Autoren und Künstler hat sich seit mehr als hundert Jahren ein Gleichgewicht der Interessen in der deutschen Verlagslandschaft herausgebildet, das im wesentlichen allen Parteien gerecht wird. Nur im Bereich der neuen elektronischen Medien, dort wo ein Oligopol von wenigen Verwertern besteht, gibt es in Ungleichgewicht der Macht. Anstatt nun an die staatliche Lizenz oder die öffentlich-rechtliche Verfassung dieser wenigen Unternehmen einige einfache Bedingungen zu knüpfen: z.B. "angemessene" Bezahlung der Urheber, Herausgabe nicht verwerteter Rechte, Möglichkeit zum Remake nach gewissen Fristen usw., wird von der Bundesregierung auf Betreiben der IG Medien und anderer Lobbyisten zum Rundumschlag ausgeholt.

Berufsfremde Nebenverdienste

Mit dem Gestus des Gutmenschen trat die Justizministerin Däubler-Gmelin, vor die versammelte Schar der deutschen "Urheber" und verkündete der angeblich "regelmässig schwächeren Vertragspartei", sie wolle jetzt endlich die üblen Missstände des Urheberrechts beseitigen, die seit hundert Jahren die Dichter und Denker unseres Landes in schmählicher Armut halten und den "regelmässig stärkeren" blutsaugenden Verlegern, Produzenten und Verwertern ungeheure Reichtümer bescherten. Um diesem Vorhaben den Ruch der Klientelpolitik zu nehmen, wurden zunächst fünf deutsche Professoren mit dem Entwurf für ein neues Urheberrecht beauftragt, die alsbald auch ein von scharfsinniger akademischer Begründung strotzendes Werk ablieferten, das einen Nachteil hat: für die Existenz besonders der unabhängigen Buchverlage ist es verheerend.

Die wichtigste Begründung lieferte die Statistik, wie sie schon Churchill meisterhaft zu verwenden verstand: die deutschen Urheber leben (statistisch) unter dem Existenzminimum, so die Behauptung. Daraus ergibt sich, dass die deutschen Urheber ohne die wenigen Arrivierten wie Hera Lind, Stefan Raab oder Alfred Biolek dem Hungertode nahe wären, wenn sie nicht "mit berufsfremden Neben-verdiensten ihre Existenz sicherten", wie es in der Begründung des Gesetzes heisst. Für die schlechten Bedingungen, in denen viele Kreative im Kulturbetrieb arbeiten müssen, wurden als Schuldige die Verwerter und besonders die Verlage ausgemacht.

Eine Gegenstatistik, etwa über die mehr als 2000 unabhängigen deutschen Verlage, die nicht den Grosskonzernen angehören, oder die vielen Auftragsproduzenten, die mit kleinen Margen als Zulieferer für die TV-Sender arbeiten, wurde nicht vorgelegt. Für die genügt die Behauptung, dass sie den Urhebern selbstverständlich wirtschaftlich überlegen sind und natürlich nicht über deren gute Gesinnung verfügen, da sie ja nur von der Kreativität der anderen profitieren.

Um diese Kreativität zu fördern, soll es daher neben der vertraglich vereinbarten Bezahlung noch einen abstrakten Anspruch auf "angemessene" Vergütung geben. Ausserdem werden der Rückfall der Verwertungsrechte nach dreissig Jahren und einige andere einseitig die Interessen der "Kreativen" begünstigenden Bestimmungen eingeführt. Es ist offensichtlich der schon von Marx kritisierte sozialdemokratische Traum vom "gerechten Lohn", der die Ministerin umtreibt und sie in den Pathos der "Gerechtigkeit" fallen lässt, an einer Stelle, wo blosse Interessen verschiedener Marktteilnehmer gewahrt werden sollen und jeder intelligente Mensch das Wort "Gerechtigkeit" nicht durch inflationären Gebrauch entwertet.

Die Interessen aller Beteiligten sind deshalb klar auszusprechen, denn zwischen Urhebern und Verwertern gibt es zwar darin Gegensätze aber auch Gemeinsamkeiten, die vom Staat und von den Interessenvertretern der Urheber und Übersetzer nicht gefährdet werden dürfen, weil sonst alle geschädigt werden. Wenn das Resultat dieses Gesetzes der beschleunigte Konzentrationsprozess in der Verlagslandschaft ist, wenn die bisher unabhängigen Verlage unter das Dach von Konzernen flüchten, wenn die letzten unabhängigen Filmproduzenten zu Abteilungen der grossen Sender geworden sind, wenn also nur noch wenige grosse Konzerne übrig bleiben, wird durch deren Verhalten schliesslich auch neu definiert, was "angemessen" ist und vor allem, was überhaupt verlegt oder produziert wird.

Die im neuen Gesetz verlangte "Angemessenheit" ist eine blosse Worthülse, die aber einseitig die Vertragsfreiheit zwischen Verleger und Autor beseitigt und damit Stoff bietet für endlose Rechtsstreitigkeiten. Die Justitzministerin sägt an dem Ast, auf dem nicht nur die Buchverlage, sondern auch die Autoren und die Übersetzer sitzen: Die Kündigung der Verwertungsverträge nach dreissig Jahren mag für den einen oder anderen Urheber und besonders für deren Erben von grosser Bedeutung sein. Er kann erneut einen vielleicht sogar grossen Vorschuss auf die nächsten dreissig Jahre einstreichen, besonders wenn es etwa einem Grosskonzern in den Kram passt, den Eckpfeiler im Programm eines literarischen Verlages herauszubrechen. Die in der Begründung des Entwurfs geäusserte Meinung dazu, "die kleineren Verlage könnten stets mithalten", ist nicht etwa dumm, sondern zynisch.

Sie ist ausserdem, wie auch die angebliche "Angemessenheit", ein Verrat an den nicht so erfolgreichen Autoren, die auch dann ihre Bücher veröffentlichen möchten, wenn sie nicht so gut verkauft werden. Aber auch dies versteht die Ministerin nicht, für sie "kann ein reichhaltiges kulturelles Angebot nur dort erwartet werden, wo Kreativität sich lohnt".

Solch platter Materialismus wird aber den Intentionen der Autoren und auch der Verleger nicht gerecht. Aber in gewisser Hinsicht hat sie Recht: das Risiko, Neues und Unbekanntes zu schaffen, werden die Autoren immer eingehen, aber die Verleger, die das finanzielle Risiko tragen, werden das nur noch selten können, wenn dieses Gesetz in Kraft tritt. Die grossen Konzerne könnten viel Geld vielleicht aus anderen Geschäftsbereichen abzweigen, die TV~Sender finanzieren sich durch Werbung oder Gebühren. Bei den kleinen und mittleren Verlagen kann dies aber nur durch das eigene Programm geschehen. Bei uns müssen die erfolgreichen Titel und eine aktive Backlist die Vielfalt der Bücher und damit die Suche nach neuen erfolgreichen Titeln querfinanzieren. Zu dieser Querfinanzierung gehört auch die Beteiligung an den Nebenrechtseinnahmen eines erfolgreichen Buches. Solange die Verleger die Bücher nicht selber schreiben, bleibt dies als simple Notwenigkeit bestehen, auch wenn dies nicht in die Köpfe von deutschen Professoren und Ministorinnen passt.

Die Regelung gleicht daher einer Steuer, die nicht den Gewinn, sondern die Einnahmen besteuert, die Ausgaben aber nicht berücksichtigt.Ffast jedes Unternehmen würde dadurch in den Ruin getrieben und die Steuerquelle würde versiegen. Ein solcher Pyrrhussieg könnte daher die Mehrheit der Urheber nicht glücklich machen. Die deutschen Autoren würden es dadurch noch schwerer haben, Verleger zu finden. Die übersetzte englischsprachige Literatur hat in Deutschland fast 80 Prozent Marktanteil in der Belletristik. Von diesen gesetzlichen Regelungen wird sie nicht betroffen, ausser dass ihre starke Marktstellung zementiert wird. Die deutschen Verlage könnten die Übersetzungen der englischen Literatur gleich bei den Verlagen in New York oder den Agenten in der Schweiz einkaufen, gegen "total buy out" nach amerikanischem Recht und nur noch wenige direkte Beziehungen zu deutschen Übersetzern haben. Auch Verträge mit deutschen Autoren könnten in Zukunft über ausländische Holdings abgeschlossen werden, mit noch weniger Rechten für die unbekannten Autoren. Die könnten erst dann auftrumpfen, wenn sie dort erfolgreich waren und sich mit späteren Titeln getrost von einem Grosskonzern vermarkten lassen, dem diese Bestimmungen im Urheberrecht egal sind, da er sowieso nur Bestseller verlegen will. Die sind meist nur zu noch schlechteren Bedingungen zu haben, als das neue Gesetz festlegt. Aber der gesetzliche Zwang, alle Autoren wie Bestsellerautoren zu behandeln, wird den unabhängigen Verlagen das Genick brechen.

Gesetzgebers Alleingang

Die in der Gesetzesbegründung genanne "mächtige Filmindustrie" hat zwar vielfältige Verträge mit den nicht weniger "mächtigen" Organisationen der Urheber geschlossen, aber eine gesetzliche Regelung besteht nicht. Das ist die Grundlage für viele "independent" Produzenten, die low-budget Filme mit (noch) unbekannten Künstlern machen, völlige Vertragsfreiheit geniessen, und in ihrer Kreativität auch die wirkliche Basis der amerikanischen Filmindustrie sind.

Im Zeitalter der globalen Wirtschaft und der bestehenden Überlegenheit der amerikanischen Verlagsindustrie (Bertelsmann ist in dieser Hinsicht längst ein amerikanisches Unternehmen und nennt seine Buchsparte auch in Deutschland jetzt konsequent Random House) ist der Alleingang des Gesetzgebers in Deutschland für die einheimische Literatur verheerend. Das deutsche Kino ist schon lange von Subventionen abhängig. Auf diesen Weg führt das neue Gesetz endlich auch die deutsche Literatur. Das Herumspielen am Urheberrecht wird gewiss nicht die Gerechtigkeit bringen, sondern das Lieblingsszenario der Sozialdemokratie: grosse Konzerne mit Betriebsrat und viel Verwaltung auf der einen, grosse Gewerkschaften mit vielen Funktionären auf der anderen Seite. Auf der Strecke werden bleiben: die unabhängigen Verlage, die meisten Autoren und schliesslich die deutsche Literatur, sofern sie nicht subventioniert wird von sozialdemokratisch besetzten Gremien.

  • Der Autor ist Verleger des Aufbau Verlages.