Von der Reproduktion her denken
Überlegungen zu einer anderen Form des Wirtschaftens

von Carola Möller

02/01 trdbook.gif (1270 Byte)  trend online zeitung

Briefe oder Artikel: info@trend.partisan.net  ODER per Snail: Anti-Quariat  Oranienstr. 45 D-10969 Berlin
Wenn ich von einer anderen Form des Wirtschaftens spreche, so meine ich damit nicht, die derzeitige Wirtschaftsweise müsse zuerst beendet, beseitigt werden, sondern wir werden gleichzeitig und neben der herrschenden Wirtschaftsweise eine andere, eine alternative Form entwickeln müssen. Und dazu brauchen wir nicht beim Punkte Null anzufangen, weil ? wenn man beginnt genauer hinzugucken ? es schon erstaunlich vielfältige Ansätze dazu gibt. 

Thesen zur Lage

Mindestens drei Zäsuren sind es, die am Ende dieses Jahrhunderts die gesellschaftlichen Machtverhältnisse und damit die Wirtschafts? und Arbeitsmarktbedingungen weitreichend verändern:
  • der Zusammenbruch des realen Sozialismus mit der Folge, daß der Staat nicht mehr für den inneren Frieden zu sorgen hat und Sozialleistungen abbauen kann; 
  • die zunehmende Einflußlosigkeit der Staaten gegenüber dem globalisierten Kapital, insbesondere auch dem Finanzkapital; 
  • und die technischen Neuerungen im Bereich der Information und Kommunikation. 

Die großen nationalen Firmen vernetzen sich immer stärker mit dem internationalen Firmenkapital, verlagern Betriebsteile ins Ausland, zumeist ins europäische Ausland und zahlen hier kaum noch Steuern. Der Anteil des Großkapitals an unseren Steuereinnahmen beträgt ca. 4%. Rationalisierungskonzepte machen in den Betrieben die Runde. Diejenigen Unternehmen, die die neue Arbeitsorganisation am konsequentesten durchsetzen und am radikalsten Personal entlassen, machen die höchsten Gewinne. Maschinen ersetzen die Arbeitskräfte, Vollbeschäftigung wird es nie mehr geben. Die Tarifeinheit löst sich mehr und mehr auf. Die übliche gewerkschaftliche Interessenvertretung wird zahnlos. Die Vereinzelung der Erwerbstätigen verstärkt sich enorm durch die vielfältigen Vertragsformen und die flexibilisierten Einsatzzeiten. 
Die Lebensunsicherheiten wachsen. Immer öfter sind ? wie in den USA ? 2 oder 3 Jobs notwendig zur Existenzsicherung. Immer mehr Menschen leben wie auf einem abschüssigen Karussell: mal haben sie eine Erwerbsarbeit, mal sind sie erwerbslos, mal in einer Umschulung, mal auf Sozialhilfe, mal auf ABM, mal selbständig etc. Die Männer sind es, die am stärksten in ihrer Identität als Familienernährer getroffen sind. Die Frauen sind es, die am ärmsten werden, denn sie sind zu 80% in Klein? und Mittelbetrieben beschäftigt, mit allen negativen Folgen. Zu dieser Armut noch zwei Zahlen: 1994 hatten von den erwerbstätigen Frauen, die wöchentlich 40 Std. und mehr arbeiteten (und Angaben zum Einkommen machten), 47% weniger als 1.800,? DM Nettoeinkommen, und dieses Einkommen kommt nicht nur aus Erwerbstätigkeit, sondern auch aus Vermögen, Unterhaltszahlungen etc. Bei den Altersrenten sieht es dann ganz katastrophal aus: Die Durchschnittsrente einer westdeutschen Frau, die 45 Jahre Sozialversicherungbeiträge eingezahlt hat, betrug am 1.1.1996 gerade mal 796,? DM. 

Zukunftsszenarien

Über Zukunft wird landauf landab diskutiert. Die Stimmung ist so, daß die Leute sagen: "So geht es nicht weiter", aber wie es weitergehen könnte, da sind die meisten hilflos. Die gesellschaftlichen Prozesse sind ja auch in der Tat sehr kompliziert geworden. Es reicht im jetzigen System z.B. nicht mehr, sich nur nationale Lösungen zu überlegen, dafür ist die internationale Verflechtung zu stark. Z.B. verlangen die Gesetze des internationalen Marktes eigentlich, daß wir unseren Kohlebergbau hier in der BRD schließen, weil anderswo wesentlich billiger produziert wird. Was das aber für die Region und die Arbeitskräfte dort bedeutet, ist enorm. Ein Bergarbeiter ist eben auch bei gutem Willen nicht ebenso ein guter Altenpfleger oder Versicherungsvertreter. Zudem würde die Schließung unsere internationale Abhängigkeit enorm erhöhen. Zukunft ist also nicht in radikalen Brüchen, sondern in vielen kleinen Schritten zu suchen. Bei meiner Durchsicht vorliegender Vorschläge zur Umgestaltung von Gesellschaft habe ich festgestellt, daß zwischen den Vorstellungen von Männern und Frauen durchgängig ziemliche Unterschiede bestehen: Männer wie Oskar Lafontaine, Peter Grottian, Ralf Fücks, Carlo Jäger, Andre Gorz oder Jeremin Rifkin entwickeln Reformideen für das heutige Wirtschaftssystem. Sie konzentrieren sich bei ihren Vorschlägen auf den Erwerbsarbeitssektor, und dort auf Arbeitszeitverkürzung (inzwischen grundsätzlich ohne Lohnausgleich ? abgesehen von A.Gorz), auf Senkung der Arbeitskosten, auf umweltfreundliche Produktion und Ausbau des sogenannten "Dritten Sektors" der unbezahlten Arbeit, als Ergänzungsarbeit zum 1. (private Wirtschaft) und 2. Sektor (öffentlicher Sektor). Die Vorschläge der Männer sind m.E. durch sehr verengtes Denken charakterisiert, die ihre Bemühungen zu Flickwerk machen: Ihre Vorschläge sind punktuelle. Sie wollen Arbeitsmarktprobleme nur mit Arbeitsmarktveränderungen lösen, thematisieren aber nicht den Zusammenhang und das Zusammenspiel der verschiedenen Einflußsphären: Wirtschaft, Staat, Sozialpolitik, Steuerpolitik, Gesetze und Normen im weitesten Sinne. Die Männer?Vorschläge bleiben m.E. auf der Ebene der "Systemreparatur". Patriarchale Strukturen werden nicht infragegestellt; sie stellen sich nicht der Gewaltproblematik, weil sie nicht den Zusammenhang sehen zwischen dem Privatbereich und dem öffentlichen Bereich der Erwerbsarbeit. Sie fragen nicht nach der Funktion der unbezahlten Arbeit fürs Kapital. Dabei wurden 1994 ca. 77 Milliarden Stunden als unbezahlte Arbeit geleistet und nur 46 Milliarden Stunden als bezahlte. Gorz geht sogar so weit zu sagen, dieser ganze Sektor der unbezahlten Arbeit sei der nicht?ökonomische. Männer wollen auch nicht die ungleiche Arbeits?, Einkommens? und Machtverteilung zwischen Männern und Frauen verändern. 
Das dritte Manko männlichen Denkens ? für mich das zentrale ? ist ihre Unfähigkeit bzw. ihre fehlende Bereitschaft, das Wirtschaften von der Reproduktion her zu denken statt von der Produktion. Wirtschaften hat in meiner Vorstellung immer noch das Ziel, Lebensqualität für alle Menschen zu schaffen, zu erhalten und zu verbessern. Ein solches Wirtschaften würde die unterschiedlichen Bedürfnisse der Gesellschaftsmitglieder und eine gewünschte Lebensqualität zum Ausgangspunkt wirtschaftlicher Prozesse machen. Das hieße: statt der jetzigen Mehrwertproduktion bzw. Angebotswirtschaft (Say'sches Gesetz) eine Nachfragewirtschaft zu betreiben, aber nicht in dem Sinne, daß mehr Geld an die Leute gegeben wird, um das zu kaufen, was auf dem Markt angeboten wird. Nachfragewirtschaft würde bedeuten, sich zu fragen, welche Arbeit eigentlich gesellschaftlich wirklich notwendig ist und welche nicht, welche sogar schädlich und zerstörerisch ist. Die noch verbleibende notwendige unbezahlte und bezahlte Arbeit ist dann als gleichermaßen wichtig zu behandeln und unter Männern und Frauen gleichgewichtig zu verteilen, um ungleiche Machtkonstellationen zu verhindern. 
Die Denkblokaden der Männer, insbesondere der interessengeleitete falsche Arbeitsbegriff, erweisen sich auch für die linken Männer m.E. als der Knackpunkt für ihre geistige Unfruchtbarkeit. 
Ich setze dieser Ausrichtung entgegen: Ich will nicht ein Recht auf (irgendeine) Erwerbsarbeit, sondern wir brauchen ein Recht auf eine eigenständige Existenzsicherung, die aus der Summe von bezahlter und unbezahlter, gesellschaftlich notwendiger Arbeit resultiert, bei gleichgewichtiger Verteilung der unbezahlten und bezahlten Arbeit unter Männern und Frauen. Für mich heißt "notwendige Arbeit" diejenige bezahlte und unbezahlte Arbeit, die zur Bereitstellung der gewünschten Lebensqualität benötigt wird. 

Feministische Ansätze

Mit den genannten Kritikpunkten am männlichen Denken sind auch schon entscheidende Ansatzpunkte für feministische Zukunftskonzepte benannt. Von "feministischen Ansätzen" spreche ich dann, wenn sowohl die patriarchalen als auch die kapitalistischen Strukturen aufgehoben oder in ihrem Einfluß zumindest zurückgedrängt werden sollen, weil sie in wachsendem Maße gegenüber Menschen und der Natur gewalttätig und zerstörerisch wirken, weil sie den Wohlstand der einen nur auf Kosten vieler anderer, insbesondere vieler Frauen hier bei uns und in den andern Ländern, möglich machen. 
Wer jetzt erwartet, daß aus Frauensicht bereits ein detailliertes geschlossenes Konzept für alternatives Wirtschaften vorliegt, die muß ich enttäuschen. Wohl gibt es von ihnen detaillierte und profunde Kritiken am herrschenden Wirtschaftssystem und die sie legitimierenden Theorien und an der dazugehörigen Arbeitsmarktpolitik. Die werde ich hier aber nicht ausführen. 
Ich möchte stattdessen die derzeit aktuellen Überlegungen von Frauen für ein alternatives Wirtschaften vorstellen. Die Feministinnen sind auch nicht alle einer Meinung, das gehört aber zum Prozeß des kreativen Weiterdenkens. Begrifflich wird gesprochen von einer "humanen Ökonomie", einer "moralischen Ökonomie", einem "bedarfsorientierten Wirtschaften" oder einem "gemeinwesenorientierten Wirtschaften". 
Den Begriff der "human economy" verwendet Hilkka Pietilä aus Finnland, einem kleinen, agrarwirtschaftlich dominierten Land. Sie hat für Finnland eine interessante Aufstellung über die Verteilung der Zeit? und Geldanteile der drei verschiedenen Ökonomien für 1980 gemacht. Der ganze Bereich der nichtmonetarisierten Wirtschaft, der auf unbezahlter Arbeit beruht, braucht 54% der Arbeitszeit und erbringt 35% der Werte. Der Zweite Bereich, der staatlich gelenkte Bereich (Schule, Gesundheit, Verwaltung etc.) hat einen Anteil von 36% der Zeit und erbringt 46% der Werte. Der dritte Bereich, den Pietilä die "gefesselte Ökonomie" nennt, ist die Privatwirtschaft. Sie benötigt einen Zeitanteil von 10% und erbringt nur 19% der gesamten Werte. Heute wird sich das etas verschoben haben, die Privatwirtschaft benötigt vermutlich noch weniger Zeit, bringt aber mehr Werte hervor. Diese Berechnungen machen deutlich, wie wenig angemessen es ist, wenn wir in unseren Diskussionen über Wirtschaft immer nur die Privatwirtschaft im Kopf haben und alle unsere Entscheidungenan dem Wohlergehen dieses Wirtschaftssektors ausrichten.

Die "moralische Ökonomie" ist ein Begriff innerhalb des Konzepts der Subsistenzwirtschaft. Dieser Ansatz wird von Maria Mies, Claudia v. Werlhof und Veronika Bennholdt?Thomsen vertreten und verbindet sich ursprünglich mit der Universität Bielefeld. Die Autorinnen haben ihre Forschungen überwiegend in Indien und Südamerika gemacht, ihr Ansatz ist ein internationaler. Insbesondere Frauen, so sagen sie, die von Armut, Naturzerstörung und Gewalt gegenüber ihren Körpern in erster Linie betroffen sind, müssen daran interessiert sein, durch Konsumverzicht einerseits und durch Besinnung auf Werte wie Kooperation, Solidarität, Würde, Gemeinschaftlichkeit und Selbstversorgung eine andere Form des Wirtschaftens zu entwickeln, bei der der Zusammenhang von "Arbeit als Last und als Lust gleichzeitig" zu erfahren ist. Kleinräumige Wirtschaftsformen sind angesagt. Lebensfreude und Glück, schreibt Maria Mies, lassen sich nicht durch Konsumgüter gewinnen, sondern resultieren aus Zusammenarbeit mit anderen und sinnvollen Tätigkeiten (Ökofeminismus, 1995, S.335). 
Der dritte Ansatz hat als Überschrift "gemeinwesenorientiertes Wirtschaften". Er wird von Frauen an der Universität Trier (Susanne Elsen, Ulla Peters) und von mir vertreten. Mein ursprünglicher Begriff war "basisdemokratisch organisertes, bedarfsorientiertes, vorsorgendes Wirtschaften", ein Wortungeheuer, was aber wichtige Elemente dieses Wirtschaftens benannte. Ich benutze inzwischen auch den Begriff "gemeinwesenorientiertes Wirtschaften", der von Susanne Elsen 1996 entfaltet wurde (Gemeinwesenorientierte Ökonomie, in: Bildungswerk der KAB Trier (Hg.), Regionen im Aufbruch, Trier 1996, 57?74). 
Ich möchte diesen Ansatz jetzt etwas genauer darstellen. Gemeinwesenorientiertes Wirtschaften ist eine lokale Ökonomie, die am Bedarf eines Sozialraumes und dem Potential der dort lebenden Menschen oientiert ist. Es ist eine Ökonomie, die das soziale Ganze, den politischen Kontext und den Haushalt der Natur im Blick hat. Damit entspricht sie vom Anspruch her dem ursprünglichen Wortsinn von Ökonomie, dem oikos=dem ganzen Haus. Susanne Elsen nennt fünf Kriterien des gemeinwesenorientierten Wirtschaftens: 

  • Orientierung an den Bedürfnissen des Gemeinwesens und der Förderung ihrer Potentiale; 
  • sie handelt in der Erkenntnis, Teil ihrer Umwelt zu sein und nutzt sie pfleglich; 
  • sie fördert das Gemeinwohl und die Lebensqualität der Menschen. Dies hat Vorrang vor Kapitalinteressen und Profitmaßstäben; 
  • sie gestaltet ökonomische Prozesse als soziales Handeln und organisiert sie kooperativ und nach demokratischen Prinzipien einer lernenden Organisation. Sie steuert Prozesse mittels Solidarität statt Konkurrenz. 
  • Eigentum versteht sie als Gemeineigentum. 

Ich möchte hinzufügen: 

Sie beruht auf einer nicht?patriarchalen Arbeitsteilung und ist bestrebt, alle Tätigkeitsfelder gleichgewichtig und mit gleicher Einflußmöglichkeit zu gestalten. 
Gemeinwesenorientiertes Wirtschaften ist keineswegs etwas total Neues. Gerade in den romanischen Ländern ist der Sektor einer "Economie Sociale" stark ausgeprägt. Auch wir kennen aus den 20er Jahren und den Nachkriegsjahren genossenschaftliche Formen des Wirtschaftens. Solche kooperativen Wirtschaftsformen werden übrigens auch seitens der Europäischen Kommission gerne gefördert. 

Zum Stellenwert

Schöne Ideen, werden Sie sagen, aber wer setzt sie um und was bringen sie den Leuten? 
Nun, zum einen sind eben solche Überlegung so neu nicht. Und bereits heute gibt es eine Menge von Projekten und Gruppen, die solches Wirtschaften praktizieren. Ich bin derzeit dabei, ein Handbuch zusammenzustellen, u.a. mit Adressen von Gruppen, die gemeinwesenorientiert wirtschaften. 
Da sind z.B. die Tauschringe, die sich schon in ca. 80 Städten der Bundesrepublik etabliert haben. Hier wird Arbeitszeit gegen Arbeitszeit getauscht oder gegen z.B. Talente, wobei ein Talent etwa 1,? DM entspricht. Angebot und Nachfrage werden über einen Computer und ein monatliches Anzeigenblatt bekanntgemacht. Gewünschte Leistung und Gegenleistung werden von den Einzelnen selbst ausgehandelt. Leute lernen sich kennen, es entsteht ein Netz von Beziehungen, das Leben im Quartier wird bunter, die Arbeit hat direkt etwas mit meiner Bedürfnisbefriedigung zu tun. Die Bewertung der Leistung, so wird berichtet, entspricht nicht unbedingt dem bekannten Marktwert, sondern mehr der eigenen Wertschätzung. So ist mir z.B. Fensterputzen eine so unangenehme Arbeit, daß ich bereit bin, dafür zwei Zeitstunden zu geben, obgleich dafür nur eine Stunde notwendig ist. Ich werde dann irgendwann in Form von zwei Stunden Klavierunterricht bei jemand drittem diese Zeit wieder "abarbeiten". 
Andere schon praktizierte Formen von gemeinwesenorientiertem Wirtschaften finden sich in Handwerker?Selbsthilfe?Werkstätten, in feministischen Gesundheitszentren, in Kulturprojekten, in Seniorengenossenschaften. In Köln gibt es z.B. eine Seniorengemeinschaft, in der eine heute erbrachte Arbeitsleistung gutgeschrieben wird für später, wenn man später selber Unterstützung braucht. Ebenso gibt es Gruppen mit landwirtschaftlicher Selbstversorgung, Projekte zur Kinderbetreuung, Umweltprojekten, Projekte zum Bau von bezahlbaren Wohnungen u.a.m. Zum Teil existieren solche sich selbstversorgenden Gemeinschaften, in denen "leben und arbeiten" wieder eine Einheit sind, schon seit Ende der siebziger Jahre, wie z.B. Niederkaufungen in Hessen oder die Sozialistische Selbsthilfe in Köln/Mülheim. 

Wer ist heute ansprechbar auf alternative Formen des Wirtschaftens? Es sind mehrheitlich die Leute, die zwar Erwerbsarbeit haben, aber sich dort sehr verunsichert fühlen, mit Entlassungen rechnen müssen. Es sind Leute, die weiterdenken und gewohnt sind, gesellschaftliche Zusammenhänge zu sehen, die auch der Umweltproblematik gegenüber aufgeschlossen sind. Es sind jedoch nicht Leute, die Karriere machen wollen, die in Top?Jobs sind und auch nicht die, die den hohen Leistungsdruck für sich verinnerlicht haben und sich darüber identifizieren. Und es sind noch selten die Erwerbslosen. Das erstaunt vielleicht, weil diese Menschen doch am ehesten Zeit für ein anderes Wirtschaften haben. Aber es zeigt sich, daß die Menschen, die durch den Verlust ihres Arbeitsplatzes so zentral verunsichert sind, nur schwer dazu bereit sind, neue Verunsicherungen auf sich zu nehmen. Und dieses neue Wirtschaften ist ja mit vielen Unwägbarkeiten verbunden, ist Neuland, das kreativ und selbstbestimmt gestaltet werden will. 

Der "Dritte Sektor"" und die Eigenarbeit 

Nun komme ich zur politischen Einschätzung dieses Ansatzes. Läuft dieses gemeinwesenorientierte Wirtschaften auf eine Selbstverwaltung der Armut hinaus, auf eine Art "Ausfallbürgschaft" für alles, was dem Kapital nicht rentabel genug erscheint und was der Staat nicht mehr finanzieren kann oder will? Ist es die berühmte "Nischenproduktion", die unser Wirtschaftssystem zu seiner Stabilität genau braucht? Die Antwort darauf kann sicher kein glattes Ja oder Nein heißen. 
Interessant ist zu sehen, wie aus unterschiedlichen ideologischen Richtungen mit diesem 3. Sektor operiert wird. Begriffe wie: 3. Sektor, informelle Ökonomie, Selbsthilfeökonomie, unbezahlte Arbeit, Eigenarbeit haben Konjunktur, und zwar auffälligerweise erst jetzt, wo die Männer unübersehbar betroffen sind. 
Da ist z.B. Jeremin Rifkin. In seinem Buch "Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft" analysiert er sehr präzise die derzeitige und zu erwartende Entwicklung in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt. Er weiß, daß es nie mehr eine Vollbeschäftigung geben wird und macht Vorschläge dazu, wie das nicht mehr benötigte Arbeitskräftepotential nutzbringend eingesetzt werden kann. Er zählt ein breites Spektrum gemeinnütziger Tätigkeiten auf: Betreuung von Kranken, Alten, Alkoholikern, Drogenabhängigen, Mißhandelten, Obdachlosen, Beratung von Verbänden und Vereinen, Bürgerwehren, aber auch im Bereich Kunst. Die meisten der aufgeführten Tätigkeiten haben die Funktion, Reperaturarbeiten für die Schäden zu leisten, die durch die Arbeitsbedingungen in der formellen Privatwirtschaft (Erster Sektor) und im öffentlichen Sektor (Zweiter Sektor) und die sich dadurch verfestigten gesellschaftlichen Lebensbedingungen entstanden sind. Rifkin: "Der Dritte Sektor ist der Bereich der sozialen Verantwortlichkeit. Er trägt Sorge für Millionen Menschen, um die sich sonst niemand ? weder der Staat noch die Wirtschaft kümmern würde."(183) Seine Vorschläge sind insoweit 'modern', als er die polarisierte Arbeitsgesellschaft als gegeben setzt, Arbeitszeitverkürzung und Lohnerhöhung fordert, im Unterschied etwa zu Miegel (1994), der für alle Erwerbswilligen Arbeitsplätze erwartet, wenn sie auch zu "nachrangigen Tätigkeiten" mit einer dann als "angemessen angesehenen" Entlohnung bereit sind (47). 
Rifkin fordert den Ausbau gemeinnütziger Tätigkeiten, bei denen "gemeinschaftliche Bindungen" und nicht "künstliche Marktbeziehungen"(181) vorherrschen. Sein Appell richtet sich also nicht an die Hoffnung, daß Menschen sich durch Eigenarbeit eine andere Lebensqualität schaffen, sondern er denkt, die Armen und Ausgegrenzten brauchen eine Beschäftigung, die sie in ihrem Umfeld wieder einbindet. "Im Dritten Sektor arbeitet man, um anderen zu helfen, und Sicherheit gewinnt man durch persönliche Beziehungen und durch das Gefühl der Verbundenheit mit der ganzen Welt. "(187) Der Staat steht seiner Meinung nach vor der Wahl, "entweder mehr Geld für Polizisten und Gefängnisse auszugeben, um eine stetig größer werdende Schicht von Kriminellen wegzusperren, oder mehr Geld in den Dritten Sektor zu investieren, um dort für Beschäftigung zu sorgen." (189) 

Rifkin ist ein gutes Beispiel dafür, daß man genau hinsehen muß, was die einzelnen Berater für Vorschläge machen. Die Vorschläge Rifkin's zur konkreten Organisation dieser gemeinnützigen Arbeiten zielen nämlich letztlich alle auf staatliche Kontrolle und Lenkung dieses Arbeitspotentials, ganz im Widerspruch zu dem von ihm geforderten Rückzug des Staates (191ff). Selbstorganisation und Basisdemokratie sind nicht vorgesehen. Für Erwerbstätige, die ehrenamtlich für eine als gemeinnützig anerkannte Institution arbeiten, gibt es Steuerminderung als Anreiz. Für die aus der Erwerbsarbeit Ausgegrenzten soll statt der Sozialhilfe eine Art Sozialeinkommen gezahlt werden. Die dafür notwendigen Gelder werden ebenfalls über die anerkannten Institutionen gelenkt. Zusätzlich schlägt Rifkin vor (und damit verfestigt er das herrschende Bewertungssystem): Die Organisation des Dritten Sektors sollte einer ähnlichen Abstufung von Berufen, Qualifikationen und Einkommen folgen wie es sie in der Wirtschaft gibt. Rifkin denkt auch über ein garantiertes Mindesteinkommen nach, das aber an solche ehrenamtliche Arbeit gekoppelt sein soll. Zur Höhe eines solchen Mindesteinkommens äußert er sich nicht.
Eine zweite Gruppe von Autoren (Huber, Gortz, Illich u.a.) sieht die Problemlösung in der Wiederaneignung der Eigenarbeit "für die Schaffung und Abgrenzung einer Privaten Sphäre..." (Gortz, 225). Gortz, der diesen Ansatz am differenziertesten ausgearbeitet hat, fordert für den Sektor der Erwerbsarbeit eine radikale Arbeitszeitverkürzung ohne Verlust an Realeinkommen (334) und für den, wie er es nennt, nicht?ökonomischen Sektor (!) infrastrukturelle Bedingungen, um mehr unbezahlte Arbeit leisten zu können. Die Wiederaneignung der Eigenarbeit ist für ihn unabdingbar, um dem kapitalistischen Trend zur "Dienstbotengesellschaft"' d.h. hin zu einer vermarkteten Hauswirtschaft mit unterbezahlten Dienstboten, entgegenzuwirken. Der Versuch, der formalen Ökonomie eine Grenze zu setzen, endet bei ihm allerdings in einem problemlos anmutenden dualwirtschaftlichen Konzept der Ausgewogenheit. Ein garantiertes Mindesteinkommen lehnt er, im Unterschied zu anderen Autoren, ab, weil sie der Spaltung der Gesellschaft Vorschub leiste (335f). 
Da Gorz davon ausgeht, daß alle Arbeitswilligen durch die Arbeitszeitverkürzung eine existenzsichernde Erwerbsarbeit finden werden, braucht er auch nicht über die Existenzsicherung der Ausgegrenzten nachzudenken. Dem immer noch existierenden Problem der ungleichen Arbeits? und Machtverteilung zwischen Männern und Frauen stellt er sich nicht. 
Mit den Beispielen Rifkin und Gorz habe ich dargestellt, wie der Begriff Eigenarbeit in diesen Konzepten benutzt wird. Eigenarbeit hat hier den Charakter von "Ergänzungsarbeit" zum mehrwertproduzierenden Erwerbssektor. 
Um eine grundsätzlich andere Möglichkeit der Eigenarbeit handelt es sich dann, wenn Eigenarbeit für "gemeinschaftlich selbstbestimmte Zwecke" verausgabt wird. Eigenarbeit ist damit die Tätigkeit bei gemeinwesenorientiertem Wirtschaften. Hier ist die Zweckbestimmung von Arbeit und sind Interessen der Nutznießenden klar zu erkennen und zu benennen. Eigenarbeit kann dann sowohl unbezahlte als auch bezahlte Arbeit sein. Entscheidend für die Zuordnung ist, ob bezahlte oder unbezahlte Arbeit direkt oder indirekt der warenförmigen Mehrwertproduktion dient und unter patriarchal?kapitalistischen Bedintgungen eingefordert wird oder in selbstbestimmter "kollektiver Selbsttätigkeit" organisiert ist. Ganze Bereiche der sich heute ausdehnenden unbezahlten Arbeit (z.B. Konsumarbeit, Home?Banking, Teile der ehrenamtlichen Arbeit, psychische und therapeutische Reparaturarbeiten für entfremdete Arbeit) gehören nicht zu dieser Eigenarbeit. 

Eigenarbeit für gemeinwesenorientiertes Wirtschaften wird allerdings nur in einer neuen, nämlich nicht?patriarchalen Weise Chancen haben, eine Anziehungskraft zu entwickeln. Als wichtige Voraussetzungen hierfür benennen die Feministinnen: 

  • eine nicht?patriarchale Arbeitsteilung,
  • ein weitgehend, aber nicht prinzipiell geldloser Austausch von Arbeitsleistung, 
  • eine Arbeitsbewertung, die die Arbeitszeit zum Maßstab nimmt oder die Notwendigkeit der jeweiligen Arbeit. 

Voraussetzung sind ebenfalls Arbeitsinhalte, die auch einem regionalen und vorsorgenden Wirtschaften gerecht werden und eine Arbeitsorganisation, die die Beteiligten gleichgewichtig in Macht? und Entscheidungsfelder einbindet. 
Eigenarbeit bei gemeinwesenorientiertem Wirtschaften versteht sich also nicht als Verlängerung der Erwerbsarbeit in die Privatsphäre hinein oder als Ergänzung dieser, sondern als Versuch, bisher zerstörte, unterdrückte und jetzt gewünschte Lebensqualitäten zu schaffen. 

Eigenarbeit entwickelt sich gemäß diesen Ansätzen von der Basis her: den Haushalten, dem Quartier, dem Dorf, der Stadt. Und Aufgabe des Staates als Verwalter von Steuergeldern wird es sein, durch Umverteilung der Steuern eine mehrheitlich kostenlose Infrastruktur für diese Wirtschaftsweise bereitzustellen.

Probleme und offene Fragen

Ich möchte abschließend einige Probleme und offene Fragen benennen, denn wir fangen ja erst an, über ein anderes Wirtschaften nachzudenken. Wir brauchen neues Denken und den Mut, Neues zu probieren. 

1. Die wichtigste, aber auch schwierigste Frage ist die nach der "neuen Lebensqualität". Dies ist einmal eine Frage auf der Ebene: Wieviel Brotsorten brauchen wir notwendig, bzw. wollen wir für unsere neue Lebensqualität? Welcher Bedarf in unserem Alltag dient z.B. der "Ersatzbefriedigung" von Wünschen, die eigentlich nicht per Kaufakt zu decken sind und unter anderen gesellschaftlichen Bedingungen entfallen? Es ist aber auch die Frage nach den Hierarchien unter den verschiedenen Bedürfnisfeldern. Müssen z.B. die Grundbedürfnisse erst für alle gesichert sein, ehe andere Bedürfnisse befriedigt werden können/dürfen? Wer entscheidet darüber? Welche Entscheidungskriterien können wir entwickeln? Oder wird dieses alternative Wirtschaften zu einer Summe von kleinräumigen Egoismen? Wie kann sich innerhalb und zwischen den Bedürfnisfeldern eine Machtsymetrie zwischen Männern und Frauen herstellen? Mir scheint sehr wichtig, zum Thema "Lebensqualität" öffentliche Diskussionen zu führen.

2. Welche Infrastruktur brauchen wir für dieses alternative Wirtschaften? Von wem können wir die neue Infrastruktur forden, wie können wir politischen Druck ausüben, Steuergelder für den Aufbau solcher Infrastruktur zu bekommen? 

3. Welche Funktion hat diese sich selbst bescheidende Wirtschaft für den Profitmarkt? Zur Zeit sind die Armen und Ausgegrenzten ja funktional für das herrschenden System. Dies würde sicher weiterhin so sein, wenn es nicht gelingt, von der Quantität der neuen Versuche zu einer erstrebenswerten neuen Qualität des Lebens zu kommen, die auch eine Ausstrahlungskraft entwickelt. 

4. Daran schließt sich sofort die Frage an: Wie können wir verhindern, daß erfolgreiche regionale Wirtschaftskreisläufe vom Profitmarkt vereinnahmt werden? 

5. Wie bekommen es überhaupt die einzelnen Personen hin, ihre Zeit? und Arbeitsbelastung so zu verteilen, daß sie mit einem Fuß auf dem Erwerbsarbeitsmarkt sich Einkommen unter immer schwierigeren Bedingungen beschaffen müssen und mit dem andern Fuß in der Bedarfswirtschaft per Arbeit einen Teil ihres Bedarfs decken können? Vor allem: Wie können sie das so organisieren, daß sie immer weniger Zeit für die abhängige Lohnarbeit aufwenden müssen? Und dazu die Frage: Woher nehmen wir dann noch die Kraft, uns in die aktuelle Gesellschaftspolitik in unserm Interesse wirksam einzumischen? 
Gemeinwesenorientiertes Wirtschaften hat nicht nur zum Ziel, Armut erträglich zu machen, sondern durch sie soll sich eine andere, eine erstrebenswertere Lebensqualität entwickeln. 
Es wird eine Form des Wirtschaftens sein, die sich erst einmal neben dem herrschenden Wirtschaftssystem etablieren wird, und es liegt an uns, ob wir ihr eine Ausstrahlungskraft geben werden.

Quelle: http://home.t-online.de/home/t.bacher/moeller.zip