Editorial
Vati sagt

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Manchmal sagt der Vati stolz zur Mutti: "Der Bub hat´s doch zu was gebracht." Aber damals 68 - da waren Vati und Mutti ganz verzweifelt. Und erst in den 70er Jahren. Da sollte der Bub sogar Berufsverbot kriegen. Dann hat er doch noch eine Stelle als verbeamteter Lehrer bekommen und ist später sogar Rektor geworden. Heute ist er immer noch bei den Grünen. Deswegen, und weil Mutti den Joschka immer mit ihrem Bub vergleicht, wählen Vati und Mutti die Grünen.

So oder so ähnlich dürften in den 90er Jahren relevante Teile aus der Mitte der Gesellschaft als Wähler der Kohl-CDU verloren gegangen sein. M&M.,  Merz & Merkel müssen nun die Kohlschen Hinterlassenschaften entsorgen. Doch was tun - wo sind die Alternativen? Was ist modern?

Man hätte freilich auch nur die stummen Zwänge der "invisible hand" der Kapitalverwertung zu exekutieren. Und in ihrem Kosovokrieg wäre auf Urangeschosse auch nicht verzichtet worden.

Oder sollen M&M etwa dem Fischer vorhalten, er sei für den Tod tausender Zivilisten auf dem Balkan verantwortlich? Das würde Vati und Mutti nicht überzeugen. Erstens sind die Toten keine Deutschen und zweitens hat Fischer den Krieg nicht gewollt. Der Krieg war reine Notwehr. Das sagt auch Scharping.

M&M wollen die Wohlfühlgesellschaft. Nicht erst durch Big Brother´s Reality TV, sondern spätestens durch ihre Entsorgung Kohls wußten sie, dass man sich in einer Gesellschaft nur wohlfühlt, nachdem man Leute rausgemobbt hat. Doch sie hätten auch wissen müssen, dass ein echt cooles Mobbing nur mit echten Opfern läuft, besonders dann, wenn plebiszitär entschieden wird, wer geht. Deshalb sagt Vati, hätten M&M bei Joschka die Rechung ohne den Wirt gemacht. Das sieht Mutti auch so: Dass der Joschka seine Jugendsünden ohne Wenn und Aber dem Stern erzählt hat, zeugt ihrer Meinung nach für seinen sauberen Charakter. "Der ist wie unser Bub. Der hat uns 89 auch alles gebeichtet, als er Rektor wurde.", meint Mutti.

Nachkarten bringt nix, wenn man verloren hat. So halfen weder Mescalero-Brief, Bild-Bolzenschneider- und Brechstangenfoto, noch Bettina Röhls schmierige Enthüllungen. Fischer ist nicht Kohl, das hätten M&M eigentlich wissen müssen. Sie hätten auch wissen müssen, dass erfolgreiches Mobbing in der Zivilgesellschaft nicht nur ein echtes Opfer zur Vorraussetzung hat, sondern auch einen demokratischen Geschäftsgang benötigt. Schließlich sollte ja nicht der Vorsitzende einer despotisch geführten Partei entmachtet, sondern die Bundesregierung gestürzt werden.

Was demokratisches Mobbing bedeutet, das wissen hierzulande besonders Immigranten. Sie werden gegen Stiefelnazis rechtsstaatlich in Schutz genommen und demokratisch abgeschoben - auf der Grundlage von Gesetzen, die ein Parlament gemacht hat. "Ob Asylanten sich im Abschiebeknast wohlfühlen, kann für uns Deutsche kein Thema sein. In Deutschland müssen sich die Deutschen erstmal wieder wohlfühlen.", sagt Vati.

Karl Müller