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Kalaschnikov-Pressedienst KPD III/2000

Die politische Landschaft in Rußland – ein Schweinsgalopp

von cax

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In den letzten Jahren der Sowjetunion und Anfang der 90er Jahre entstanden über all im Land eine Menge unterschiedlicher informeller Gruppen: von explizit politischen Initiativen bis hin zu Bürgerinitiativen, die sich um die konkrete Verbesserung der Lebenssituation in der nächsten Umgebung kümmerten. Sehr viel ist davon nicht übriggeblieben. Einer der Gründe für den Verfall basisdemokratischer, politischer Arbeit dürfte neben Desinteresse aus dem Gefühl der Machtlosigkeit vor allem der wirtschaftliche Niedergang des Landes sein. Die Überlebensökonomie der Bevölkerung ist so kräftezehrend, daß die meisten Leute weder Zeit noch Energie für irgendeine Art politischer Aktivität haben.

Dennoch gibt es Gruppen und Organisationen, die in unterschiedlichen Bereichen arbeiten. "Memorial" etwa ist eine Organisation, die sich neben der Aufarbeitung der sowjetischen Vergangenheit aktuellen Fragen der Menschenrechtsarbeit widmet. So hat die Moskauer Memorialgruppe nach dem ersten Tschetschenienkrieg ein umfangreiches Dossier über die von der Regierung verschleierten Verlustzahlen der Armee herausgegeben. Ähnlich arbeiten in diesem Bereich auch die "Komitees der Soldatenmütter", von denen sich viele allerdings oft recht staatstragend geben. In mehr oder weniger engem Zusammenhang mit solchen Soldatenmüttergruppen finden in einigen Städten Aktivitäten zur Einführung eines zivilen Ersatzdienstes statt, die sich auf das in der Russischen Verfassung garantierte Recht auf Kriegsdienstverweigerung beziehen.

Parlamentarische Parteienpolitik wie in den westlichen bürgerlichen Demokratien gibt es in Rußland kaum. Die in der Duma vertretenen Gruppierungen sind in den meisten Fällen dem recht unähnlich, was hierzulande als Partei bezeichnet würde. Eher handelt es sich um pressure groups für die Machtambitionen einer Führungsfigur; keine der russischen Parteien hat eine nennenswerte Massenbasis – bis auf eine Ausnahme.

Diese Ausnahme ist natürlich die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF), die einen Bestand an Parteiorganisation und –tradition noch aus der KPdSU hinübergerettet hat. Sie ist die einzige Partei in der Russischen Föderation mit tatsächlichen Parteistrukturen; sie hat wohl einige 100.000 Mitglieder. Diese recht imponierende Zahl relativiert sich, wenn man die Größe des Landes in Betracht zieht: Zu Demonstrationen in Moskau hat die KPRF bisher immer gut 10.000 Menschen mobilisieren können – bei einer Einwohnerzahl von, zurückhaltend geschätzt, zehn Millionen sind das DKP-kompatible 0,1%. Einflußreich ist die KPRF vor allem in der Provinz, weniger in den Zentren; ihre Mitgliedschaft ist tendenziell überaltert, ein Konglomerat aus Sowjetnostalgikern, Sozialdemokraten und großrussischen Nationalisten.

Eine genuin sozialdemokratische Partei gibt es in der RF nicht, trotz den seit Jahren andauernden Bemühungen der Friedrich-Ebert-Stiftung, eine solche aus der Taufe zu heben. (Allerdings haben offensichtlich auch alle anderen Ableger westlicher Parteien mit größten Schwierigkeiten zu kämpfen; beispielsweise ist in St. Petersburg von den „Jungen Christdemokraten" nicht mehr zu bemerken als das Namensschild an einer etwas abgelegenen Tür.)

Nicht parteiförmig organisiert ist die Machtbasis der regionalen Führungsfiguren, wie z.B. des ehemaligen Genrals Aleksandr Lebed. Die Gouverneure werden direkt gewählt; ihr Einfluß in den Gouvernements sagt nicht unbedingt etwas aus über ihre Position in den zentralen Machtstrukturen.

Aus der liberalen Strömung wäre zunächst der „Jabloko"-Block von Grigorij Javlinskij zu nennen. Javlinskij ist ein menschenrechtlich orientierter Liberaler; Jabloko ist die einzige Gruppierung, die dem Tschetschenienkrieg seit längerem skeptisch gegenübersteht.

Die strikt wirtschaftsliberale Richtung vertritt der hierzulande als „Reformer" bekanntgewordene Jevgenij Gajdar, in dessen Partei der rechten Sachen („Pravoe delo"), ansonsten eine Partei der Reichen und Marktgewinner, der profilierte Menschenrechtler Sergej Kovalev mitarbeitet. Aus dieser Gruppe waren jüngst einzelne kritischen Stellungnahmen zum Tschetschenienkrieg zu hören.

Die vom ehemaligen Premierminister Jevgenij Primakov und dem Moskauer Bürgermeister Jurij Luzhkov angeführte Bewegung „Vaterland – ganz Rußland" repräsentiert die traditionelle bürgerliche Mitte. Diese Gruppierung ist in der letzten Zeit von den Kräften um den zurückgetretenen Präsidenten Jelzin und Wladimir Putin extrem hart angegangen worden; in Primakov sieht Putin wohl am ehesten einen ernstzunehmenden Rivalen um die Präsidentschaft.

Sehr geschwächt erscheint die Partei „Unser Haus Rußland" um den ehemaligen Premier Tschernomyrdin; aufgebaut einst als Hausmacht für Jelzin und dann von ihm fallengelassen. Die Rolle des Wahlvereins für den Präsidenten, der möglichst Putin heißen soll, spielt die frisch aus der Taufe gehobene Gruppe „Jedinstvo" (Einheit). Deren Vorsitzender ist der Katastrophenschutzminister Sergej Schojgu, eine farblose Figur, die es vielleicht gerade deswegen geschafft hat, die zahllosen Revirements in der Regierung seit sechs Jahren zu überstehen.

Um die Chancen für die Wahl Putins im März zu optimieren, haben sich erst jüngst Jedinstvo und die KPRF auf eine Postenaufteilung in wichtigen Dumapositionen geeinigt, in deren Folge die düpierten liberalen Partien das Parlament protestierend verlassen haben; außerdem sprang dabei auch für den rechtsextremen Politclown Zhirinovskij ein Job heraus.

Anlage:
Interview mit Vadim Damier, Konförderation Revolutionärer Anarcho-Syndikalisten, Moskau

Kalaschnikov: In unseren Medien wird berichtet, daß die militärischen Einsätze der russischen Armee in Tschetschenien mit einem Kampf gegen Terroristen und Banditen begründet werden. Diese seien auch für die Anschläge in russischen Städten verantwortlich. Hältst du diese Begründung für stichhaltig oder was ist deiner Meinung nach der Grund für den Krieg in Tschetschenien?

Vadim Damier: Deutlich muß gesagt werden, daß bislang nicht klar ist, wer eigentlich die Explosionen in den russischen Städten durchgeführt hat. Es gibt bisher keine konkreten Beweise, daß es wirklich Tschetschenen oder irgendwelche islamischen Terrroristen waren. Es gibt stattdessen Hinweise, daß sie wahrscheinlich von den Geheimdiensten ausgeführt wurden. Diese Hinweise finden sich sogar in der russischen Presse. Zumindest ist diese Version nicht auszuschließen. Wenn wir die Ereignisse und die Entwicklung seit dem letzten Herbst in Rußland betrachten, können wir sehen, wem sie zugute kamen: der herrschenden Clique um Jelzin und seiner Familie und diejenigen, die diese Clique unterstützen und es als eine Art schleichenden Staatsstreich benutzen konnten.

Kalaschnikov: Was meinst du mit schleichendem Staatsstreich?

 Vadim Damier: Ab Frühjahr 1999 war eigentlich klar, daß die Clique um Jelzin die nächste Parlaments- und wahrscheinlich auch Präsidentenwahl verlieren wird. Die Opposition in Form anderer Cliquen oder Gouverneurs- oder oligarchischer Gruppen war sehr stark. Die Gruppe um Jelzin war hingegen in der Bevölkerung vollkommen unpopulär. Als Jelzin den heutigen Präsidenten Putin zum Ministerpräsidenten ernannte, sagte er ganz deutlich, daß er die politische Zusammensetzung im Land ändern möchte. Erst war nicht klar, mit welchen Mitteln dies geschehen sollte. Einige Analytiker, die gut informiert sind, schließen nicht aus, daß das alles Teil eines Plans war, um die Macht in den Händen der oligarchischen Gruppe um Jelzin zu behalten.

 Kalaschnikov: Würdest Du auch den Krieg in Tschetschenien darin einordnen? War das tatsächlich der Grund dafür?

Vadim Damier: Das war ein Grund, aber nicht der einzige. Hinzu kommen die imperialistische Interessen der Herrschenden in Rußland, politisch-militärische Interessen der Elite in Tschetschenien selbst und schließlich die Frage des Öls. Schließlich könnte eine Erdöl-Pipeline zwischen Aserbaidschan und Europa auch durch Tschetschenien führen. Hier geht es um die Frage, wer das kontrollieren würde.

Kalaschnikov: Du hattest eben die tschetschenischen Interessen angesprochen. Es ist ja offensichtlich unter Maschadov (Präsident Tschetscheniens) nie gelungen, ein staatliches Gewaltmonopol in der tschetschenischen Republik durchzusetzen. Welche Verantwortung siehst Du bei den bewaffneten Gruppen oder Feldkommandeuren wie Bassajev, die die diesen Krieg auslösenden Kämpfe in Dagestan begonnen haben? Welche Ziele verfolgen sie?

Vadim Damier: Eigentlich lag der Friedenszustand im Interesse der Gruppe um Maschadov. Andere Militärgruppen, wie die von Bassajev und anderer Feldkommandeure haben Interesse am Krieg, weil ihnen der Kriegszustand mehr Macht gibt und die Möglichkeit zu einer eigenen unabhängigen Politik. In Tschetschenien existierte also eine Art Wechselspiel. Da es eine strikte Zensur gibt und nur wenige Leute diese Republik besuchen können, ist es im Moment schwer einzuschätzen. Im Moment sieht es so aus, daß nur die Maschadov unterstützenden Gruppen real an den Kampfhandlungen beteiligt sind. Andere, wie Bassajev, verhalten sich nicht neutral. Sie nehmen nur sporadisch an den Kämpfen teil und warten ansonsten ab.

Kalaschnikov: Das ist doch erstaunlich, da es eigentlich Bassajev war, der mit seiner Aktion in Dagestan die Initalzündung gegeben hat.

 Vadim Damier: Ja, es gibt Gerüchte, daß die gesamte Operation in Dagestan in Übereinstimmung mit Teilen der in Rußland herrschenden Elite selbst stattfand. Es gibt natürlich keine Beweise. Darstellen läßt sich nur, wem die Situation tatsächlich zugute kommt. Der Krieg schürt scharfe, nationalistische Positionen und schafft eine Stimmung der Hysterie in Rußland. Diese wird durch die Herrschenden benutzt. Die Ergebnisse der Parlamentswahl zeigen, daß die Gruppe um Jelzin, die Putin als Günstling von Jelzin unterstützte, unerwartet ein Viertel aller Stimmen erhielt. Das war praktisch eine Kriegswahl.

Kalaschnikov: Der erste Tschetschenienkrieg von 1994-96 war eigentlich sehr unpopulär. Es gab damals eine ziemlich große Zahl von Wehrpflichtigen, die sich dem Wehrdienst entzogen haben. Der aktuelle Krieg ist in der Bevölkerung offensichtlich populär. Wie erklärst Du Dir das?

Vadim Damier: Ich sehe das als Ergebnis der nationalistischen Hysterie. Im Moment existiert zwischen allen prominenten politischen Gruppen und Parteien, die im Parlament vertreten sind, eine Art nationalistischer Konsens. Nur wenige von diesen kritisieren den Krieg, aber nicht als Krieg an sich, sondern mehr die Form der Kampfhandlungen. Aber im Gegensatz zum ersten Tschetschenienkrieg gibt es jetzt keine wirkliche Anti-Kriegsbewegung. Es gibt kleine marginale Gruppen, die gegen diesen Krieg sind. Sie versuchen Protest zu organisieren, wie z.B. Kundgebungen, Verteilung von Flugblättern und Aufklebern in Moskau und anderen Städten. Bei der Mehrheit der Bevölkerung ist der Krieg bislang populär. Es ist unklar, wie lange das andauert. Neuerdings gibt es Fernsehreportagen, in denen offen darüber gesprochen wird, daß die Zahl der Toten höher ist, als offiziell zugegeben. Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, daß sich die Stimmung in der Bevölkerung ändert.

Kalaschnikov: Kannst du etwas zur Stimmung unter den Wehrpflichtigen sagen? Die Situation in der Armee ist ja sowieso sehr hart und für normale Wehrpflichtige kaum zu ertragen. Gibt es da Anzeichen dafür, daß es Unmut gibt oder gehen die auch alle willig in den Krieg?

Vadim Damier: Laut den Informationen aus Tschetschenien läßt sich sagen, daß die russische Armee dort stark demoralisiert ist. Es ist keine Antikriegs-Stimmung. Aber symbolisch steht für die Stimmung ein Vorfall, der vor kurzem stattgefunden hat. Ein russischer General wurde getötet, als er seine Soldaten in die Kampfhandlungen schickte. Die Soldaten wollten eigentlich nicht kämpfen, und sie verließen das Kampffeld. Der General blieb allein, und wurde getötet.

Kalaschnikov: Gibt es bei den Rekrutierungen in den Militärkommissariaten Äußerungen über den Unmut der Wehrpflichtigen? Ist darüber etwas bekannt?

 Vadim Damier: Man kann nicht sagen, daß es in der letzten Zeit neue Tendenzen gibt. Aber es ist praktisch schon eine Tradition, daß ziemlich viele Wehrpflichtige, besonders in den Großstädten, versuchen, die Wehrpflicht zu boykottieren. Sie machen es auf der individuellen Ebene, nicht kollektiv oder organisiert. Sie gehen einfach nicht hin.

Kalaschnikov: Sind in der letzten Zeit Aktionen von Soldatenmüttern bekannt geworden?

Vadim Damier: Über die letzten Aktionen von Soldatenmüttern weiß ich leider wenig. Gestern gab es im Fernsehen auch einen Beitrag einer Vertreterin der Soldatenmütter. Sie nannte vor allem genauere Zahlen der Toten und Verletzten der russischen Soldaten in Tschetschenien, in Widerspruch zu den offiziellen Angaben.

Kalaschnikov: Ist es bei der vorhandenen Stimmung in der Bevölkerung überhaupt möglich, öffentlich gegen den Krieg aufzutreten? Welche Reaktionen gibt es z.B. beim Verteilen von Flugblättern?

 Vadim Damier: Diejenigen, die gegen den Krieg agitieren, bevorzugen im Moment eher die Form von Aufklebern. Sie verteilen nicht offen Flugblätter, sondern bringen Aufkleber im Verkehr, in der Metro oder an der Bushaltestelle an. Das hängt teilweise auch damit zusammen, daß diese kleinen Gruppen relativ wenig finanzielle Mittel haben. Sie können sich z.B. Flugblätter mit einer hohen Auflage nicht leisten, wie es für Moskau notwendig wäre. Die Aktion mit den Aufklebern ist ziemlich interessant, weil es relativ wenig Fälle mit negativen Reaktionen gibt. Ich selbst sah z.B. vor kurzem einen Aufkleber in der Moskauer Metro: „Der Krieg nutzt nur den Politikern". Irgendwer hatte diesen Aufkleber mit Kugelschreiber überschrieben: „Und wer soll dann unsere Frauen und unsere Kinder verteidigen?" Aber diese Schrift wurde von jemand anderem, wahrscheinlich von einfachen Leuten, durchgestrichen.

Kalaschnikov: Welche Gruppen beschäftigen sich mit antimilitaristischen Themen und arbeiten dazu?

Vadim Damier: In Moskau sind es einige anarchistische Gruppen, auch einige Gruppen der radikalen Menschenrechtsschützer, die die Linie der russischen, offiziell Liberalen nicht teilen und die Regierung in dieser Frage nicht unterstützen, sondern mehr eine Menschenrechtsschutz-Tradition in Rußland bewahren möchten. Desweiteren arbeiten einige pazifistische Gruppen. Leider gibt es auch einige Extrem-Liberale westlicher Prägung, die solche irren Aufrufe machen, wie: „NATO, komm und helfe Rußland und Tschetschenien".

Kalaschnikov: Würdest du der Auffassung zustimmen oder sie zumindest für diskutierbar halten, daß der Kriegsbeginn in Tschetschenien auch eine Reaktion auf den NATO-Krieg im Kosovo sein könnte?

Vadim Damier: Teilweise schon. Man sollte das wahrscheinlich im Kontext der gesamten, sich verschlechternden, politischen und internationalen Lage sehen. Es gab in der russischen Presse im November und Dezember, als umfassende Kampfhandlungen in Tschetschenien begannen, z B. das Argument: „Die NATO hat das im Kosovo gemacht, warum können wir das nicht in Tschetschenien machen?"

Kalaschnikov: Der Westen hält sich bisher stark zurück. Verbal wird ein bißchen gedroht, aber tatsächlich tun die Regierungen nicht viel, obwohl sie ja gerade auch in Jugoslawien bewiesen haben, daß sie auch anders können, wenn sie wollen. Wie erklärst Du Dir diese Zurückhaltung?

Vadim Damier: Ich glaube, da gibt es einige Gründe. Einer der wichtigsten ist, daß die westlichen Regierungen Interesse an guten Beziehungen mit dem herrschenden Rußland haben. Ich meine damit nicht nur die westlichen Kredite und die russischen Schulden, sondern auch gewisse ökonomische Interessen beim Export von Erdöl und anderen mineralischen Ressourcen. Es gibt auch ein politisches Interesse. Es kann sein, daß der Westen ein starkes Rußland braucht, nicht im Sinne einer internationalen Supermacht, sondern als regionale Macht, die eine Barriere gegenüber dem islamischen Osten darstellt.

Kalaschnikov: Wie vermitteln die russischen Medien die westlichen Reaktionen auf den Krieg?

Vadim Damier: In den Medien herrscht eine Position für den Krieg vor. Dabei wird die westliche Position als zu kritisch gegenüber Rußland dargestellt. Der Westen sei nicht objektiv. Er erlaube sich z.B. die selben Dinge im Kosovo gegen Jugoslawien. Und es wird gehofft, daß es höchstens zu marginalen Sanktionen kommt.

Kalaschnikov: Gehst Du davon aus, daß sich die Beziehungen zwischen Rußland und dem Westen verschlechtern werden?

Vadim Damier: Die Beziehungen werden sich teilweise verschlechtern, aber nicht sehr stark. Es gibt vielfältige wirtschaftliche Interessen, die für eine Fortsetzung der engsten Kooperation zwischen den Eliten im Westen und Rußland sprechen.

Kalaschnikov: Die Stellung des Militärs ist in der russischen Innenpolitik nach wie vor unangefochten.

Vadim Damier: Ja, man kann sogar sagen, daß sich im Laufe des vorigen Jahres der Einfluß des Militärs in der russischen Politik erhöhte.

Kalaschnikov: Wie hat sich das geäußert?

Vadim Damier: Es begann noch in der Zeit der Kosovo-Krise. Damals gab es Gerüchte, daß die Militäroperation der russischen Armee in Pristina entweder ohne oder vor der Zustimmung von Jelzin selbst stattfand, auf Initiative der höchsten Militärs. Auch als die Kampfhandlungen in Tschetschenien begannen, forderten die Generäle die Fortsetzung der Kampfhandlungen bis zum Sieg, obwohl die Jelzin-Regierung an einem bestimmten Punkt die Offensive der russischen Armee stoppen oder zurückhalten wollte. Es waren die Generäle und Militärs, die die Position der Falken bis zum logischen Ende fortführten. Zu einer ähnlichen Situation kam es Anfang Januar. Es kam zu einer Krise, als die Regierung versuchte, zwei leitende Generäle in Tschetschenien zu entlassen. Am nächsten Tag wurde diese Entscheidung zurückgenommen.

Kalaschnikov: Trotzdem könnte sich der Krieg zu einem Fiasko für die russische Armee auswachsen.

Vadim Damier: Ja, wahrscheinlich

Kalaschnikov: Welche Perspektiven siehst Du für die russische Innenpolitik, wenn der Krieg noch länger dauert? Welche Perspektiven siehst Du für unabhängige oppositionelle Gruppen, sich Gehör zu verschaffen?

Vadim Damier: Es läßt sich nur sagen, daß eine schlechte militärische Situation nicht dazu führen wird, die Wahl von Putin zum Präsidenten zu verhindern. Leider ist er noch zu populär. Nach seinem Sieg kann er wahrscheinlich das machen, was er will. Was er machen wird, ist aber unklar. Daneben gibt es weitere Faktoren. Z.B. die Position der Generäle oder die Notwendigkeit irgendwelcher innenpolitischen Kampagnen, auch auf Kosten von Tschetschenien, aufgrund einer weiteren Verschlechterung der ökonomischen und sozialen Situation in Rußland. Das läßt sich im Moment nicht vorhersagen.

Kalaschnikov: Wir müssen jetzt zum Ende kommen. Ich danke für das Gespräch. Danke nach Moskau.

cax (Abschrift: Florence Prümm. Bearbeitung: Rudi Friedrich)

 

Editoriale Notiz:

From: Rüdiger Bröhling <ruediger.broehling@gmx.net>
Subject: KPD III/2000: Tschetschenien und Waffenexportrichtlinien

Liebe Leute,
"Kalaschnikov", das Radiomagazin für militanten Pazifismus bei "Radio Unerhört Marburg", schickt Euch mal wieder einige Texte zu: Kalschnikov-Pressedienst (KPD) nennt sich das. In unserer Sendung am 26. Januar haben wir u.a. die neuen Richtlinien für Waffenexporte der rot-grünen Bundesregierung kommentiert (siehe Anlage 3). Schwerpunkt dieser letzten Sendung im Januar war der Tschetschenien-Krieg. Dazu hatte uns unser Marburger Rußlandexperte die dortige politische Landschaft im Schweingalopp erklärt (Anlage 1) und ein Interview mit einem Vertreter der "Konförderation Revolutionärer Anarcho-Syndikalisten", eine der wenigen Gruppen, die in Moskau gegen den Krieg arbeiten, geführt (Anlage 2). Vadim Damier tourt übrigens ab Ende März durch die heimische Republik, um über die antimilitaristische Opposition in Rußland zu berichten. Wie immer: Der Nachdruck unter Quellenangabe ist erwünscht, ebenso ein Belegexemplar an die unten angegebene Adresse.
Rüdiger Bröhling
DFG-VK Marburg

DFG-VK Marburg www.lahn.net/dfgvk

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