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unsere zeit - Zeitung der DKP vom 21.1.2000

100 Jahre Deutscher Fußball-Bund

von Ulf Ulfsen

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Demnächst wird man in Leipzig den hundertsten Jahrestag der Gründung des Deutschen Fußballbundes feiern, und angesichts der vollen Kassen dieses Verbandes dürfte man sich wohl nicht mit ein paar Käsestangen auf den Buffettischen begnügen. Es wird schon im Voraus unendlich viel geschrieben und gelobhudelt und gefeiert und gepriesen werden, ganz zu schweigen von den Sonntagsreden, die man in Leipzig halten wird.

Nein, die UZ stellt sich nicht auf die andere Straßenseite und pfeift, sondern gratuliert aufrichtig, auch mit einigen in solchen Situationen üblichen Redewendungen, möchte aber nicht verhehlen, dass ihre Glückwünsche vor allem denen gelten, die seit hundert Jahren mit begeisterten Fußballsteppkes durch die deutschen Lande kutschieren - früher in Plan- und Kutschwagen, später mit Bussen oder eigenem PKW -, ihnen gute Ratschläge geben, bevor das Spiel beginnt und sie notfalls tröstet, wenn die Partie vorüber und gar verloren gegangen war. Von Sylt bis Bodensee, von Mosel bis Neiße zählt diese riesige Schar nach Hunderttausenden und ihnen gilt nachträglich, gegenwärtig und im Voraus tausendfacher Dank, weil sie nie auch nur die Spur einer Chance haben werden, auf einem Rathausbalkon mit einem Pokal in der Hand gefeiert zu werden.

Zu ihnen gesellt sich die Armee von Schiedsrichtern. Männer, die ziemlich sicher sein dürfen, dass man ihnen zuschreit, schleunigst ans Telefon zu kommen, sie mit vollen Lungen auspfeift oder ihnen sogar Prügel androht. Das wirft die Frage auf, was einen erwachsenen Mann bewegen kann, am Wochenende seine Familie zurückzulassen und sich in solch ungastliche Atmosphäre zu begeben? Man sollte bei der Antwort bekennen: Es kann nur eine enorme Sympathie für den Fußball sein, denn wenn der Übungsleiter einer Kindermannschaft oder ein Schiedsrichter, der in der Kreisklasse pfeift, am Abend wieder einmal aus dem Fernseher erfährt, wieviel Millionen beim Fußball verdient werden, müsste er angesichts seiner eigenen "Entschädigung" in einer Gesellschaft, in der ständig versichert wird, alles müsse sich rechnen, am nächsten Morgen seinen Schiedsrichterdress in den nächsten Container werfen und seiner Frau eröffnen, dass er von nun an die Sonnabende anders verbringen werde.

Und dieser DFB muss wissen, dass er ohne all diese Ehrenamtlichen, die neuerdings noch Schwierigkeiten bekommen, ihre lächerlichen Entschädigungen zu versteuern, morgen seine Büros schließen könnte. Zwar würde das Millionengeschäft der Stars noch eine Weile florieren und sicher auch die Gehälter für die DFB-Zentrale einbringen, aber auf die Dauer wäre es der Betrieb eines insolventen Unternehmens! Eines Unternehmens, das mit dem Sport im ursprünglichen Sinne nichts zu tun hat.

Natürlich fragt niemand von den hohen Herren deutsche Kommunisten nach ihrer Meinung, aber das kann wiederum Kommunisten nicht davon abhalten, ihre Meinung zu sagen. Man könnte ihnen vorwerfen, dass sie gar nicht dabei waren, als der DFB gegründet wurde, aber das wäre ein billiger Vorwurf, denn 1900 mühten sich die Sozialdemokraten um die Anfänge des Arbeitersports. Turnen war gefragt und Fußball galt - zugegebenermaßen - als "bürgerlich". Das ändert nichts daran, daß in jenen Gründerjahren die Arbeiter sowohl die Mehrheit der auf den Plätzen dem Ball Nachjagenden stellte, als auch die Mehrheit auf den Tribünen.

Zur Sache selbst: in Leipzig war am 28. Januar 1900 der DFB aus der Taufe gehoben worden, wenngleich nicht übersehen werden kann, dass schon im November 1890 in Berlin ein Bund Deutscher Fußballspieler gegründet worden war. Dort war auch 1891 die "1. Deutsche Fußballmeisterschaft" ausgetragen worden, die Germania 88 gewann.

Um der lieben Ordnung wegen sei noch erwähnt, dass 1900 die Deutsche Sportbehörde für Athletik (DSBfA) - bis dahin nur Dachorganisation der Leichtathletik - den 1. Allgemeinen Fußballtag zusammenrief. Die erste Zusammenkunft im September 1899 endete ergebnislos, aber beharrlich wie Leipziger zu sein pflegen, versuchten sie es dann im Januar 1900 noch einmal - mit Erfolg. Zwar wurden die Satzungen erst später beschlossen, auch eine Kommission für die Spielregeln erst nachträglich gebildet und dann wählte man auch endlich den Vorsitzenden, Prof. Dr. Hueppe aus Prag. Das mag manchen verwundern, illustriert aber jene Zeit. Natürlich war der DFB vom Tag seiner Gründung an strikt unpolitisch - die Politik schleppten bekanntlich erst die Kommunisten auf den Rasen -, aber man gab sich doch unpolitisch "alldeutsch" und gestattete zum Beispiel auch in Österreich spielenden Vereinen, Mitglied des DFB zu werden. Man gab sich "deutsch-national", eigentlich immer...

Zurück zum Jubiläum. Der DFB war als Dachorganisation für die Entwicklung des Fußballsports von Bedeutung. 1904 wurden an die 10 000nbsp;Mitglieder registriert und schon zehn Jahre später waren es rund 2200nbsp;Vereine mit nahezu 20nbsp;000nbsp;Mitgliedern. Zu dieser Entwicklung hatte die Deutsche Meisterschaft entscheidend beigetragen. Die erste wurde bekanntlich 1903 ausgetragen und der Sieger bekam einen Pokal, den die führenden Männer der deutschen Olympiamannschaft von den Spielen 1900 mitgebracht hatten. Die hatten als Anhängsel der Weltausstellung stattgefunden und als die schloss, wurden die Restposten als Schnäppchen verkauft. Die Siegesgöttin "Victoria" war ein solches Sonderangebot und wurde fortan den Meistern überreicht. Das ging so, bis die DDR - Dresden war der letzte gesamtdeutsche Meister gewesen - erschien, sich den Pokal nicht stehlen lassen wollte und ihn ins Museum stellte. Gewonnen hatte 1903 den Pokal und damit den Titel der VfB Leipzig gegen den DFC Prag mit 7:2 (1:1). Allerdings hatte es vor diesem Finale einigen Stunk gegeben. In der Zwischenrunde hatten sich Prag und Karlsruhe nicht über den Spielort einigen können. Die Prager lehnten München ab, also wurde Leipzig bestimmt, da erhielten die Karlsruher ein Telegramm aus Prag: "Meisterschaftsspiel verlegt. DFB". Wie sich herausstellte, war es eine Fälschung. Die Karlsruher fuhren also nicht nach Leipzig und der DFC Prag wurde zum Sieger erklärt. In einem "Wiedergutmachungsspiel" siegte der VfB Leipzig gegen die Karlsruher mit 7:3 Toren. Der Titel hatte also keine Schrammen.

1904 ging man neuem Ärger aus dem Wege, indem man das Finale kurzerhand strich. 1905 gewann der Berliner Thor- und Fußballklubs Union 92 das Endspiel gegen Karlsruhe mit 2:0 Toren, 1906 wurde wieder der VfB Leipzig gegen den 1. FC Pforzheim durch einen 2:1-Sieg Meister, 1907 triumphierte der Freiburger FC gegen Viktoria 89 Berlin mit 3:1, während 1908 die Berliner gegen die Stuttgarter Kickers mit 3:0 den Titel eroberten. Im Jahre 1909 verlor Viktoria 89 Berlin das Finale gegen Phönix Karlsruhe mit 2:4. 1910 errang der Karlsruher FV gegen die erstmals ins Endspiel vorgedrungene Mannschaft von Holstein Kiel knapp einen 1:0-Sieg nach Verlängerung.

Damit war das erste Jahrzehnt vorüber, der DFB zählte 109nbsp;677nbsp;Mitglieder und 4nbsp;642nbsp;Mannschaften bestritten 28nbsp;382nbsp;Spiele. Die Zuschauerzahlen wuchsen ebenfalls. 1912 wurde beim Endspiel in Berlin auf dem neuen Viktoriaplatz die Rekordkulisse von 8nbsp;000 Zuschauern registriert.

Als 1904 die FIFA gegründet wurde, konnte man auch Länderspiele austragen, doch vergingen noch vier Jahre, ehe man 1908 in Basel den ersten Vergleich gegen die Schweiz austrug und 3:5 verlor.

Schluss mit Zahlen. Man wird während der Feiertage sicher damit zugeschüttet. Man muss aber wohl auch noch erwähnen, was in den Jubelreden sicher nicht zitiert wird. Zum Beispiel das folgende Zitat aus dem Fußball-Jahrbuch von 1913, als man schon für den Krieg rüstete und sozialdemokratische Proteste "gebührend" zurückwies: "Waffenklirrend schreitet die Zeit einher, zerschlägt mit stählerner Faust, was morsch und alt geworden und düngt das Land zu neuer Saat mit Blut und Bein. Kriegsfanfaren grüßen den Fortschritt, der das Weltenrad vorwärts zwingt. Und doch rufen die Toren auch in unserem Lande: Krieg dem Kriege! Es wäre gefährlich, wenn ihr Werben im Volke Erfolg finden würde. Verzichten wir jemals auf den ehernen Schiedsspruch der Waffen, dann gehen wir folgerichtig zugrunde. Freuen wir uns, wenn in deutschem Lande wieder eine stärkere Kampfeslust aufkommt, und heißen wir den größten Propheten dieser neuen Zeit, den Sport, willkommen."

Starker Tobak, wird man zugeben müssen. Am 6. August 1914 erschien das Nachrichtenblatt des Westdeutschen Spielverbandes in Dortmund mit einem Leitartikel, der die bemerkenswerte Passage enthielt: "Der Kaiser hat alle Wehrfähigen zum Schutze des Vaterlandes unter die Waffen gerufen, in die erste Reihe gehören unsere Verbandsmitglieder, die in jahrelanger Übung ihre Körper geschmeidig gehalten haben, ihre Sinne für den Ernstfall geschärft haben!" Und der Norddeutsche Fußballverband erließ einen flammenden Aufruf: "Ran an den Feind! Durch den Sport wurdet Ihr für den Krieg erzogen, darum ran an den Feind, auf ihn und nicht gezittert!"

Mit der gleichen Begeisterung wurden die Faschisten von der Leitung des DFB begrüßt. Der damalige Vorsitzende, Kriminalpolizeirat Felix Linnemann, hatte nach dem 30. Januar 1933 im Eiltempo den Verband "angepaßt". Insgesamt nur 28 Minuten brauchte der außerordentliche Bundestag des DFB, am 9. Juli 1933, um den zum Mitglied des "Reichssportführerringes des deutschen Sports" avancierten Linnemann zu beauftragen, "alle personellen und sachlichen Maßnahmen zur Eingliederung des Fußballsports" in die Wege zu leiten.

Guido von Mengden, bis dahin Chef des Verbandsorgans "Fußball und Leichtathletik", wurde schon im Sommer 1933 von den Nazis zum Pressewart des DFB befördert und - nachdem er seine Eignung hinreichend bewiesen hatte - am 1. April 1935 zum Pressereferenten des Reichssportführers von Tschammer und Osten befördert.

Ein einziges Zitat vom 4. Oktober 1933 belegt dessen Haltung hinreichend: "Wer wertet die deutschen Dichter nach Tucholsky und Toller, die deutschen Ärzte nach Magnus Hirschfeld... ja wer wagt es ernsthaft, unser ganzes Volk nach seinem Gesindel und Lumpenpack oder auch nur nach seinen missgeleiteten Söhnen einzuschätzen? Wer das wagt, dem fliegt heute, gottlob, wieder eine Faust zwischen die Zähne."

Viele spürten diese Fäuste, und wenn von der Geschichte des deutschen Fußballs schlechthin die Rede ist, dürfen die Arbeitersportler nicht vergessen werden, die in ihren Fußballmannschaften internationale Sportfreundschaften pflegten - erwähnt werden muss hier der Kampf gegen die Blockade des sowjetischen Sports - und einen heldenhaften Kampf gegen den Faschismus führten, den viele mit ihrem Leben bezahlten.

Ob man in Leipzig dazu kommen wird, auch in dieser Hinsicht Geschichte "aufzuarbeiten"?

Themen sind in großer Zahl vorhanden. Ist es nicht zum Beispiel bemerkenswert, dass der ehemalige Pressechef des faschistischen Reichssportführers, von Mengden, 1951 zum Geschäftsführer der Deutschen Olympischen Gesellschaft der BRD gewählt werden konnte und niemand Anstoß daran nahm? Zehn Jahre später glaubte man sogar die Zeit für gekommen, ihn zum Generalsekretär des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland zu befördern, nachdem er bereits 1954 Hauptgeschäftsführer des Deutschen Sportbundes geworden war. Damit war der Mann, der im DFB groß geworden ist, nach einer steilen Karriere im Faschismus, zum mächtigsten Mann im bundesdeutschen Sport geworden.

Und die Zeitschrift des Westdeutschen Fußballverbandes rühmte Mengden zu seinem 65. Geburtstag - das war 1961 - als den Mann, dem zu danken sei, "dass der Sport bei uns zum Allgemeingut und zu einem Kulturfaktor geworden ist."

So präsentiert sich das Jubiläum des DFB auch als ein höchst zwiespältiges Kapitel Geschichte des deutschen Sports. Hoffentlich sagt das auch jemand

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