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libertad! & machwerk

Solidarität mit Genosse Erich?

Zum politisch-historischen Hintergrund der Kriminalisierung von Funktionär/innen der DDR

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Dieser Diskussionsbeitrag ist die gekürzte Fassung eines Textes der Gruppe basis, der für ein Libertad!-Seminar zur Vorbereitung der Berliner Konferenz geschrieben wurde.
Wir veröffentlichen ihn an dieser Stelle auch aus aktuellem Anlaß: der BGH bestätigte am 8.11.1999 die Urteile gegen die ehemaligen Mitglieder des SED-Politbüros Egon Krenz, Günter Schabowski und Günther Kleiber zu sechseinhalb bzw. drei Jahren Haft
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Wiedervereinigung und linke Wahrnehmungen:
Die sogenannte Wende in der DDR, aus deren Dynamik heraus die Wiedervereinigung auf die Tagesordnung gesetzt wurde, und zwar von der herrschenden Klasse der BRD genauso wie mit Zustimmung und unter nationalistischer Begeisterung von sehr großen Teilen der Bevölkerung hüben wie drüben, war Teil des gesamten Um- bzw. Zusammenbruchs der realsozialistischen Staaten in Osteuropa. Die DDR verlor unter der Hegemonie der BRD und unter dem Applaus ihrer eigenen Bevölkerung ihre selbständige Existenz. Wiedervereinigung bedeutete, das soziale, politische und ökonomische System der DDR zu zerschlagen, um es als Teil der BRD neu ein- und zuzurichten. Nur insoweit stimmt der Begriff: Annexion. Sie war eine schockartige, sozial auch ungeheuer brutale Konfrontation der DDR-Bevölkerung mit dem kapitalistischen System. Denn alles mußte schnell passieren: Tatsachen schaffen, um die Entwicklung unumkehrbar zu machen und eventuell anderen gesellschaftlichen Entwicklungen von vorneherein den Weg abzuschneiden. Die historische Chance, auf einem erweiterten Territorium wieder Weltmacht zu werden, wollte die deutsche Bourgeoisie um keinen Preis verpassen.

Die Verfahren gegen ehemalige Funktionsträger/innen der DDR haben hierin ihre objektive Bedeutung: Als antikommunistische Abrechnung, in denen sich die BRD als demokratischer Rechtsstaat legitimiert, im Gegensatz zur ehemaligen DDR, die pauschal als „Unrechtsstaat“ (Bundestagsbeschluß!) diffamiert wird. Das ist insoweit nichts neues, weil die BRD diese Linie von ihrer Gründung an vertrat, und bis in die 70er Jahre (Ostverträge!) der DDR sogar jedes Existenzrecht absprach. Was in der BRD im Verhältnis zur faschistischen Vergangenheit nie gelaufen ist, ihre gründliche Aufarbeitung in der Gesellschaft, wurde im Zusammenhang der Prozesse gegen Funktionäre der DDR um so vehementer für das sog. „Auschwitz der Seelen“ gefordert. Nun ja, Klassenjustiz ist immer auch Ideologie-Produktion. Kein Wunder, wenn dieser ganze Verfahrenskomplex auch für eine Neuschreibung der Geschichte genutzt, und die Gleichsetzung von rechts und links als offizielle Ideologie noch einmal so richtig festgeklopft wurde. Und mehr noch, die gerichtliche und natürlich medienwirksame Diskreditierung der DDR ist auch ein Signal an diejenigen im Osten, die zunehmend in Opposition zu den sozialen Auswirkungen der Wiedervereinigung stehen: Von wegen DDR-Nostalgie - die Kosten der Freiheit werden gezahlt.

Sicher ist es richtig und notwendig, daß sich die Linke nicht nur der Tatsache stellt, daß Deutschland eine wiedererstarkte Weltmacht ist, sondern auch dem qualitativen gesellschaftlichen Umbruch, den die Wiedervereinigung bedeutet. Dazu ist sie allerdings seit Jahren nicht wirklich in der Lage. Falsch wird es jedoch, wenn das politische Verhältnis nur noch aus der objektiven Bedeutung der Verfahren abgeleitet wird - Stichwort: Siegerjustiz - und davon ausgehend Widersprüche zum DDR-System eingeebnet werden und die DDR nachträglich als das bessere System quasi reingewaschen wird.

In den vergangenen Kampfphasen gab es zur DDR recht unterschiedliche Positionen, in der Regel ideologisiert und entsprechend den eigenen politischen Orientierungen. Das reichte also vom „sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat“ (DKP) bis hin zur Bewertung, die DDR sei „sozialimperialistisch“ (K-Gruppen). Für den antiimperialistischen Widerstand, wobei es da sicherlich auch Unterschiede gab, war die DDR kein imperialistischer Staat, weil sie im Kontext der globalen Ausbeutung weder Profiteur noch Akteur war. Sie war, wie alle Staaten des Warschauer Vertrages, für die Befreiungsbewegungen materieller Bezugspunkt, ein Verhältnis, das allerdings von der DDR fast immer taktisch bestimmt war. Einerseits unterstützte die DDR finanziell und mit Waffen die sogenannten „jungen Nationalstaaten“ wie Nicaragua, Angola, Mosambique, andererseits lieferte sie über die KoKo, zwecks Devisenbeschaffung, an den Iran und den Irak Waffen für mehrere hundert Millionen Dollar während des Krieges der beiden Staaten gegeneinander.

Die Wahrnehmung der realsozialistischen Staaten beschränkte sich darauf, jenseits von ihrem sozialen und politischen Inhalt, ein gewichtiger Faktor im internationalen Kräfteverhältnis zu sein. Über gesellschaftliche Strukturen, soziale Prozesse und Auseinandersetzungen innerhalb der DDR oder anderen Ländern des Ostblocks machte sich kaum jemand Gedanken. Das hatte keine wirkliche Bedeutung für den eigenen Kampf und seine Entwicklung. Jedenfalls sah niemand aus der revolutionären Linken in der Sowjetunion oder in der DDR einen sozialistischen Staat, dessen Politik innergesellschaftlich wie international auf Befreiung und Emanzipation zielte. Revolutionäre Politik war subjektiv mit den antiimperialistischen Befreiungskämpfen im Süden verbunden, und es war gerade Vietnam, das auch in den Metropolen die Chance für eine Politik des Bruchs eröffnete. Nicht nur im Verhältnis zum herrschenden System, sondern auch mit einer verbürgerlichten und korrumpierten Politik der traditionellen Linken.

Vom Ende zum Anfang:
Ein wesentlicher Schlüssel zum Verständnis dessen, was die DDR-Gesellschaft war, liegt in ihrem Zusammenbruch. Die nationalistische Euphorie, die zur Wiedervereinigung führte, genauso wie der damit zusammenhängende und sich offen in Pogromen entladende Rassismus, sind ein unmittelbarer Ausdruck davon, daß in der jahrelangen Stagnation und Entpolitisierung der DDR-Gesellschaft der Boden bereitet war für eine reaktionäre Entwicklung, die im Kippen der weltweiten Kräfteverhältnisse voll durchschlagen konnte. Wo war es geblieben, das internationalistische, antifaschistische Bewußtsein? Die Spruchbänder und Parolen waren nie Ausdruck von Entwicklungen innerhalb der DDR-Gesellschaft, sondern nur das von Oben drüber geklebte Etikett einer Gesellschaft, die sich in ihrer Hauptorientierung schon längst den lockenden Konsumangeboten des Westens zugewandt hatte. Was sich im Aufbegehren gegen das Regime ausdrückte, um schließlich im vereinigten Deutschland zu enden, war - von einer kleinen Minderheit mal abgesehen - keineswegs der Wunsch nach einem besseren Sozialismus. Auch wenn vieles von Außen inszeniert war, im Vordergrund standen die Bananen, die schnellen Autos - ein kleinbürgerliches Lebensideal, an dem die Führung der SED mit ihrer Politik keineswegs unbeteiligt war. Die Frage ist, warum kam es so, wie es fast zwangsläufig kommen mußte?

Die Gründung der DDR war ein Produkt des kalten Krieges. Eine Reaktion auf die US-Politik in den drei Westzonen, aus denen dann die BRD als Frontstaat und antikommunistisches Bollwerk in der Umsetzung der us-imperialistischen Strategie in Westeuropa entstand. Mit dem Marshall-Plan, der nicht nur der Ankurbelung der westeuropäischen Wirtschaft diente, indem er amerikanischem Kapital die Tür öffnete, wurden so auch die Grundlagen geschaffen für die Durchsetzung der US-Politik in Westeuropa und eines auf die Interessen der USA zugeschnittenen bürgerlich-kapitalistischen Systems in Westdeutschland.
Das bedeutete, entgegen der Vereinbarungen der Potsdamer Konferenz, Restauration des Monopolkapitals, Remilitarisierung und damit zusammenhängend die Rekonstruktion der alten Herrschaftseliten aus Wirtschaft und Staat, die direkt für imperialistischen Krieg und NS-Vernichtungspolitik verantwortlich waren. Mit der Gründung der NATO und der BRD 1949 kam jetzt der Antagonismus zwischen der Sowjetunion und dem mittlerweile von den USA dominierten Westen, der zunehmend deutlicher nach der militärischen Zerschlagung des deutschen Faschismus zu Tage trat, voll zum Tragen.

Stabilität statt Emanzipation
Kurz vor der Potsdamer Konferenz zündeten die USA ihre erste Atombombe, und wenige Tage nach der Konferenz erfolgte dann ihr Abwurf auf Hiroshima und Nagasaki. Für den Krieg gegen Japan hatten diese Abwürfe kaum noch eine militärische Bedeutung; als Signal an die Sowjetunion waren sie aber eindeutig: der Kalte Krieg hatte begonnen. Für das Nachkriegs-Europa konnte das nur heißen: Roll back - gegen die Tatsache der Oktoberrevolution und die objektive Reife der Gesellschaften zur Umwälzung. Schon damals stand die Formel von der „One World“ für die globale Durchsetzung us-imperialistischer Interessen. Im Gegensatz dazu war die sowjetische Außenpolitik defensiv. Als Stalin 1943 die Kommunistische Internationale (KI) als Zugeständnis an die Alliierten auflöste, war der Endpunkt einer Entwicklung erreicht, die 1919 unter ganz anderen Vorzeichen begann: Von ihrem Grundgedanken her sollte die KI die weltweite Verbindung und Koordinierung der KP's, und somit den weltrevolutionären Prozeß voranbringen. Doch im Laufe der Jahre mutierte sie immer mehr zu einem Instrument der sowjetischen Außenpolitik. Weniger die revolutionäre Entwicklung in den verschiedenen Ländern stand im Vordergrund - und so auch nicht sie zu fördern und zu stärken, sondern vor allem die Verhinderung von reaktionären Regimen, deren Politik gegen die Sowjetunion gerichtet war. Auf der internationalen Ebene war die Sowjetunion an Stabilität interessiert, nicht an der Revolutionierung gesellschaftlicher Verhältnisse.
Was die Pläne und Absichten für das vollkommen militärisch besetzte Deutschland anbelangt, orientierte sich die Sowjetunion an den Kriegszielen der Anti-Hitler-Koalition, wie sie auf der Konferenz von Jalta formuliert, und später dann im Potsdamer Abkommen festgehalten wurden: Darin waren u.a. strukturelle Maßnahmen vorgesehen, die für die Zukunft aggressive Handlungen eines deutschen Staates gegen andere Länder unmöglich machen sollten, also Vernichtung der Rüstungsindustrie und Zerschlagung/Entflechtung der Monopole, Auflösung der gesamten Streitkräfte und paramilitärischen Organisationen, sowie die Zerschlagung aller NS-Organisationen. Weiterhin gab es eine Übereinkunft über die von Deutschland zu leistenden Reparationen. Für die Sowjetunion, die die Hauptlast des Krieges zu tragen hatte, stand berechtigterweise ihr Sicherheitsbedürfnis und eine Wiedergutmachung wenigstens eines Bruchteils der materiellen Schäden im Vordergrund.

Die Besetzung Deutschlands durch die alliierten Streitkräfte bedeutete in den ersten Nachkriegsjahren, daß die (von außen) besiegte Bourgeoisie weder über Armee, Polizei noch andere bewaffnete Formationen verfügte. Ihr Machtapparat in Staat und Wirtschaft war zerschlagen. Diese objektiv günstigen Bedingungen fanden in der gesellschaftlichen Entwicklung jedoch keine Entsprechung. Abgesehen von den politischen Gefangenen, die aus den Konzentrationslagern befreit wurden und von denen, die aus dem Exil zurückkehrten, fühlte sich die übergroße Mehrheit der Deutschen, auch des Proletariats, subjektiv als Besiegte. Der Nazi-Faschismus hatte im Bewußtsein deutliche Spuren hinterlassen. Um es klar zu sagen, in dieser Situation gab es bestenfalls eine diffuse Stimmung für einen Neuanfang, aber keinen gesellschaftlichen Aufbruch und so auch keine Organisierung für eine sozialistische Entwicklung, in der bewußt mit dem alten System und seiner verbrecherischen Politik gebrochen worden wäre.

Mit der Sowjetunion Hand in Hand
In einer gesellschaftlich doch ziemlich desolaten und chaotischen Situation orientierte die KPD vor allem auf eine Demokratisierung Deutschlands. Wörtlich heißt es in ihrem Aufruf zum Aufbau eines antifaschistisch-demokratischen Deutschlands vom 11. Juni 1945 u.a.: „Wir sind der Auffassung, daß der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre, denn dieser Weg entspricht nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland. Wir sind vielmehr der Auffassung, daß die entscheidenden Interessen des deutschen Volkes in der gegenwärtigen Lage für Deutschland einen anderen Weg vorschreiben, und zwar den Weg der Aufrichtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes, einer parlamentarisch-demokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk...“ Die dann aufgeführten Forderungen entsprechen exakt den völkerrechtlichen Vereinbarungen der Potsdamer Konferenz. Ausdrücklich forderte die KPD auch eine „völlig ungehinderte Entfaltung des freien Handels und der privaten Unternehmerinitiative auf der Grundlage des Privateigentums“. Inhaltlich, aber auch in dem, wie die KPD sich die zur Durchsetzung dieser Ziele notwendige Organisierung vorstellte, handelte es sich um eine Neuauflage der Volksfront-Politik. Auch wenn dieser Aufruf einer realistischen Lageeinschätzung entsprach, die in ihm artikulierten Vorstellungen waren aufs engste mit den außenpolitischen Vorstellungen der Sowjetunion abgestimmt. Mehr noch: Eine eigenständige revolutionäre Politik der KPD bzw. später dann der SED gab es die ersten Jahre nicht, alle ihre politischen Entscheidungen waren mit der Politik der Sowjetunion regelrecht verzahnt. Das gilt auch für die Gründung und Entwicklung der DDR, die bis Mitte der 50er Jahre von der sowjetischen Militäradministration in Deutschland bestimmt wurde.

DDR = Sozialismus?
Schon mit Gründung der DDR wurde eine Entwicklung in Gang gesetzt, die zu den ursprünglichen Plänen der Sowjetunion gegenläufig war, denn ihre Außenpolitik zielte jahrelang auf ein vereintes, aber neutrales Deutschland und somit auch auf die Absicherung der dringend benötigten Reparationen. Mitte der 50er Jahre folgte ein zweiter Sprung, wieder in Reaktion auf die Entwicklung in Westdeutschland (Nato-Integration, Gründung der Bundeswehr und Wiederbewaffnung). Ab jetzt wurde nicht nur die „Zwei-Staaten-Lösung“ favorisiert, sondern auch der beschleunigte Aufbau einer „sozialistischen Gesellschaft deutscher Nation“, so der Titel in der zweiten Verfassung der DDR von 1968. Für die DDR war konstituierend, daß sich der von der Partei vorangetriebene Aufbau der sozialistischen Gesellschaft nicht aus der Kraft und der Kreativität einer revolutionären Erhebung speiste. Von Anfang an war die Bevölkerung darin Objekt der politischen, ökonomischen und sozialen Vorstellungen des SED-Staates. Nicht nur ökonomisch war der Aufbau der DDR eine Roßkur. Es war auf allen Ebenen ein enorm schwieriger Weg, gegen die Trägheit einer Gesellschaft, deren Bevölkerung in ihrer Mehrheit bis zum militärischen Zusammenbruch die NS-Politik mitgetragen hatte. Politisch bewegte sich das System in einem von Oben dirigierten Krisenmanagement, gegen den äußeren Druck der NATO-Staaten und die inneren, konfliktreich aufgeladenen gesellschaftlichen Widersprüche. Daraus erklären sich auch solche Deformierungen wie die Berliner Mauer oder das weitverzweigte Stasi-Spitzelnetz. Allerdings sind die Gründe dafür zuerst einmal in der Organisierung von Staat und Gesellschaft zu suchen, und nicht, wie es für die SED üblich war, in der imperialistischen Einkreisung, aus der sie alle ihre Maßnahmen rechtfertigte.

Waren die ersten Jahre von einer Vielzahl einschneidender und gesellschaftlich wichtiger sozialer Veränderungen und Maßnahmen bestimmt: Boden- und Schulreform, Enteignung von Kriegsverbrechern und Naziaktivisten, Verstaatlichung der Banken, Versicherungen, Bergwerken und des Großhandels, betrachtete jetzt die SED, ausgehend von ihrem 2.Parteitag (1952), den Aufbau der Grundlagen des Sozialismus als die Hauptaufgabe der DDR. Auf Grund enorm schwieriger ökonomischer Ausgangsbedingungen (allein zwischen 80 und 50 Prozent Kapazitätsverlust wegen der Reparationen), hieß das für sie vor allem Rekonstruktion der Schwerindustrie und Aufbau einer landwirtschaftlichen Großproduktion (LPGs). Was zählte war die Entwicklung der Produktivkräfte, daran orientierte sich die Politik. „Planmäßige Entwicklung der Volkswirtschaft“ und „Steigerung der Arbeitsproduktivität“ waren die Schlüsselbegriffe für den sozialistischen Aufbau, der sich methodisch ziemlich eng an die Sowjetunion der 30er Jahre anlehnte. Verstaatlichung und genossenschaftlich organisierte Produktionsgemeinschaften, zentrale Planung und Leitung unter Kontrolle der SED, das charaktarisierte wesentlich die DDR-Wirtschaft. In seiner Grundausrichtung wurde dieses System bis zum Schluß nicht geändert. Korrekturen gab es immer mal wieder als Anpassung an Wirtschaftskrisen, ohne daß es dabei zu grundsätzlichen strukturellen Veränderungen gekommen wäre. Gab es auf der einen Seite zwar kein Privateigentum an Produktionsmitteln mehr, funktionierte dennoch das ganze System nicht ohne kapitalistische Methoden: Lohnarbeit, Umsatz und Gewinn als Leistungskriterien für Betriebe; ab Mitte der 60er Jahre dann Koppelung der Löhne an den Gewinn und Einführung von Marktmechanismen zur Regulierung der Produktion.

Mit diesem ökonomischen Prozeß war auf der politischen Ebene untrennbar eine zunehmende Verschmelzung der Partei mit dem Staatsapparat verbunden. Entsprechend dem politischen Selbstverständnis der SED, die in der Staatsmacht das Hauptinstrument zur Durchsetzung und Errichtung des Sozialismus sah, wurden alle wesentlichen politischen Entscheidungen von der Partei gefällt und über den Staatsapparat um- und durchgesetzt. Das förderte nicht nur Bürokratie und Funktionärswesen, Parteimitglied zu werden wurde tendenziell zu einer Sache, die der Karriere dienlich ist. Das öffnete nicht nur dem Opportunismus die Tore, es geht grundlegend an die Substanz und zerstört revolutionäre Politik und Initiative von innen heraus.

In der Produktion wie im Staat, die Entscheidungsstruktur lief von oben nach unten. Es wurde angeordnet. In der Produktion gab es keine kollektiven Planungs- und Leitungsstrukturen und in der Gesellschaft keine Strukturen proletarischer Macht - von wegen: „Alle Macht den Räten“ - , also auch keine selbstorganisierten Orte der Kritik, der Diskussion und der Veränderungen außerhalb der Partei. Und innerhalb der Partei wurde jede kritische Stimme als Links- bzw. Rechtsabweichung, vor allem in den 50er Jahren und unter Anwendung übelster Methoden, rausgesäubert. Die Konsequenz war nicht nur eine Enteignung der Massen von den ökonomischen und politischen Entscheidungsprozessen, sondern über Jahre betrachtet Entpolitisierung und Stagnation des gesellschaftlichen Lebens in der DDR. Das Sozialismusverständnis der DDR-Führung reduzierte sich weitgehend auf eine gesamtwirtschaftliche Steigerung der Arbeitsproduktivität zur Erreichung von gesellschaftlichem Wohlstand. Ergänzend dazu gab es eine sehr weitgehende Fixierung sozialer Grundrechte. Der Traum war immer, die BRD in Lebensstandard und Konsum ein- und zu überholen. Das war der Gradmesser für die Entwicklung des Sozialismus. Hingegen waren Selbstbestimmung und emanzipatorische Prozesse und der Aufbau von gesellschaftlichen Strukturen, die das ermöglichen, Fehlanzeige. Darin liegt der Grund, warum die BRD die DDR fast ohne größere Reibungen und Widerstände einkassieren konnte - und weniger in der ökonomischen Krise oder der insbesondere militärisch forcierten imperialistischen Politik, die tatsächlich auf die Zerstörung der realsozialistischen Staaten hin angelegt war.

Solidarität mit „Funktionsträgern“?
Zur Bewältigung der großen Zahl von Ermittlungsverfahren wurde extra die „Zentrale Ermittlungsstelle, Regierungs- und Vereinigungskriminalität (ZERV)“ geschaffen. 1991 aus der Arbeitsgruppe „Regierungskriminalität“ unter Leitung des leitenden Oberstaatsanwaltes beim Kammergericht Berlin hervorgegangen, wurde die gesamte Stelle bis 1994 auf 60 Mitarbeiter/innen, die in der Regel aus dem Westen kamen, erweitert. In vier großen Bereichen kam es zu Anklagen und Verurteilungen: Verfahren im Zusammenhang mit den Todesschüssen an der DDR-Grenze/Berliner Mauer; Verfahren gegen die Stasi; Verfahren gegen Schalck-Golodkowski als Verantwortlichen der KoKo - Kommerzielle Koordinierung, die ein internationales Netz von Firmen war, um der DDR Devisen zu beschaffen; Verfahren gegen ehemalige Richter und Richterinnen der DDR wegen Rechtsbeugung - einmal im Zusammenhang mit den „Waldheimer Prozessen“ gegen NS-Täter, und dann noch im Zusammenhang mit der politischen Justiz in der DDR, also gegen (vermeintliche) Gegner der sozialistischen Gesellschaft.

Daß es juristisch überhaupt zu diesen Prozessen kommen konnte, hängt damit zusammen, daß im Einheitsvertrag ausgehandelt wurde, daß für die BRD-Justiz nur dann eine Strafverfolgung möglich ist, wenn das, worum es geht, nach DDR-Recht strafbar war und auch nach heutigem BRD-Recht strafbar ist. Was in den Prozessen angeklagt wurde sind also nicht einfach zusammengeschusterte Konstruktionen bar jeder Wirklichkeit, sondern handfeste Tatsachen an denen die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen sozialistischer Ideologie und gesellschaftlicher Realität der DDR deutlich wird. Egal ob es um Schauprozesse, die Machenschaften der Stasi oder die Toten an der Mauer geht, die Frage nach der Solidarität mit den Männern und Frauen, die stellvertretend für ein ganzes Gesellschaftssystem abgeurteilt wurden und werden, stellt sich nicht unabhängig davon.

Das macht es auch so schwierig, eine politische Nähe und Solidarität im Verhältnis zu einer Politik zu entwickeln, die schon sehr lange vor der Wiedervereinigung als revolutionäre und emanzipatorische zu existieren aufgehört hat. Sicher, es ist zum Kotzen, wenn die BRD in ihrem Siegesrausch quasi zum zweiten Mal Leute vor Gericht zerrt, die schon während der Nazizeit bedingungslos verfolgt und in die faschistischen Knäste und Konzentrationslager eingesperrt wurden.
Andererseits: Die oft vorherrschende politische Hilfs- und Orientierungslosigkeit vieler Angeklagter, wie auch der oft genug praktizierte Seitenwechsel, sind Ausdruck davon, daß hier ein verbrauchtes und abgehalftertes System auf der Anklagebank sitzt. Gründung und Aufbau der DDR waren letztendlich das Werk einer bestimmten Generation von Kommunistinnen und Kommunisten, und ihr Versuch reichte zeitlich kaum über sie hinaus.

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