Der kritische Begriff der
Nation ist von der Ideologie der Nation zu unterscheiden, die zwei gänzlich
verschiedene Phänomene gleichsetzt, das Gruppen- oder Kollektivbewußtsein
und die Herausbildung einer bestimmten Staatsform, des Nationalstaats.
Menschen hatten in den verschiedenen Formen vorkapitalistischer,
agraischer Produktionsweisen verschiedene Formen von Gemeinschaft ein
Kollektivbewußtsein ausgeprägt, ein Wir-Bewußtesin, das vom sie-Bewußtsein
sich unterscheidet. Die völkisch-nationalistische Ideologie versucht,
die früheren Kategorien mit den späteren zu identifizieren. Renan
hatte bereits die Einsicht, daß "das Vergessen oder gar das Mißverstehen
von Geschichte ein wesentliches Moment bei der Herausbildung einer
Nation" ist.
Der moderne territoriale Staat bestehend aus Staatsbürgern, er ist
allerdings eine neuere Erscheiung, die ins 19. und 20.Jahrhundert gehört.
"Noch neueren Datums ist die Überzeugung, politische Einheit und
nationale Einheit - a priori als ethnische, sprachliche, kulturelle oder
ähnliche Gemeinschaft definiert - müßten zusammenfallen. Dasselbe
gilt für die Vorstellung, die ganze Erde müsse in Staaten aufgeteilt
werden, die einer solchen Beschreibung genügen. Im Unterschied zum
Begriff des 'Nationalstaats', der in der Amerikanischen und der Französischen
Revolution entstand und vom bürgerlichen Liberalismus aufgegriffen
wurde, war der ethnisch und sprachlich begründete Begriff einer Nation
und einer auf Nationen beruhenden Weltordnung ein Kind des späten
19.Jahrhunderts."(E.J.Hobsbawm, Nation und Nationalismus. Mythos
und Realität seit 1780, S.8)
Wenn wir wissen wollen, was eine Nation ist, können wir nicht wie wir
einen Vogel von einer Maus unterscheiden, die eine Nation von einer
anderen unterscheiden, indem wir objektive Merkmale angeben, mit dem wir
sie unterscheiden können. Auch die Definition durch das
"Gemeinschaftsgefühl" ist problematisch. Aber gehen wir auf
die diversen problematischen Definitionsversuche ein.
Hertz hat drei Typen von Nationsbegriff herausgearbeitet, die verwendet
werden:
"Man ist dabei stets auf eine der drei folgenden Antworten
gekommen: 1. Die Nation ist das Staatsvolk, also die Gesamtheit der
Staatsbürger ohne Rücksicht auf Sprache und Abstammung, innerhalb der
Staatsgrenzen...2. Die Nation ist eine Gemeinschaft, die an objektiven
Merkmalen, vor allem an Sprache, Kultur und Charakter feststellbar ist,
ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen. 3. Die Nation beruht lediglich im
subjektiven Merkmal des Zusammengehörigkeits- willens oder
Gemeinschaftsgefühls"(Hertz, Wesen und Werden der Nation (Jb. f
Soz. III 1.EB, Karlsruhe 1927, S. 23)
Die drei Definitionen können auch miteinander kombiniert sein. Als ein
Beispiel zitiere ich aus einem von eher rechtsaußen orientierten
Autoren verfaßten Handbuch des Staatsrechts:
"In der Tat setzt die staatliche Einheit als Zweck-, Organisations-
und Verfassungseinheit voraus die nationale Einheit des Volkes. Diese
ist nicht 'natürlich' vorhanden, aber sie läßt sich auch nicht durch
staatliche Maßnahmen beliebig erzeugen und ändern. Sie ist bedingt und
geprägt durch Gegebenheiten, die sich der staatlichen Verfügung ganz
oder teilweise entziehen: etwa die geographische und die geopolitische
Lage, die geschichtliche Herkunft und Erfahrung, die kulturelle
Besonderheit, die 'volks'wirtschaftlichen Bedürfnisse, die natürlichen
und die politischen Notwendigkeiten. Die nationale Einheit kann an
ethnische, sprachliche, religiöse Gemeinsamkeiten anknüpfen. Doch
keines dieser Merkmale erweist sich stets und überall als notwendig;
und manches, das in der Epoche der geschlossenen Staatlichkeit noch
unentbehrlich erschien, ist heute, angesichts der Öffnung des Staates
nach innen und außen, angesichts der gesellschaftlichen Pluralisierung,
hinfällig oder fragwürdig geworden. Die objektiven Momente der
nationalen Gemeinsamkeit sind nur bedeutsam, soweit sie im allgemeinen
Bewußtsein politisch wirksam und anerkannt werden. Die nationale
Einheit hat eine subjektive Basis: den Willen der beteiligten Menschen
zu staatlicher Gemeinsamkeit." (Handbuch des Staatsrechts Bd. I,
Isensee/Kirchhof, S. 634)
Diese Argumentation ist eine schon in der Defensive befindliche, wie sie
bei Autoren der sog. "Konservativen Revolution" oder des
"Neuen Nationalismus" sich findet. Sie ist soweit vorsichtig,
wie sie intendiert, im Staatsdienst zu bleiben und sich formell verbeugt
vor der demokratischen Verfassung, um sie um so besser auszuhöhlen zu können.
Jene Argumentation ist nahe an der Mischung von subjektivistischen und
objektivistischen Auffassung des völkischen Autors Oswald Spengler:
"Volk ist ein Verband von Männern, der sich als Ganzes fühlt.
Erlischt das Gefühl, so kann der Name und jede einzelne Familie
fortbestehen - da Volk hat zu bestehen aufgehört."(Untergang des
Abendlands 1922, S 747)
Der Volksbegriff ist hier noch subjektivistisch gefaßt, aber diesen
verknüpft er dann mit einem objektivistischen der Kultur(en) als
"etwas ganz Ursprüngliches und aus den tiefsten Gründen des
Seelentums Aufsteigendes". Völker im Banne der Kultur "sind
in ihrer inneren Form, ihrer ganzen Erscheinung nach nicht Urheber,
sondern Werke dieser Kultur" (760f)
Eine Ähnliche Verknüpfung findet man auch bei Freyer, bei dem das Volk
als "Dektret des Absoluten", sich allerdings erst - wie das
Hegelsche Absolute - zu realisieren hätte.
In Isensees Bestimmungsversuch wird schon deutlich auf welch dünner
Basis objektivistische Definitionen stehen. "Doch keines dieser
Merkmale erweist sich stets und überall als notwendig." Eine
korrekte Definition müßte allerdings notwendige und hinreichende
Bedingungen angeben, von einer bestimmten Nation zu reden. Einmal so und
mal so, stellt nur ein Begriffswirrwarr dar. Daß es keine natürlichen
Bedingungen sein können, unterscheidet eine solche immerhin von einer
ostentativ faschistischen oder rassistischen Definition.
Allerdings bleibt diese Definition trotzdem einem völkischen
Nationalismus verhaftet, wie er auf dem Wege zum Nationalsozialismus im
Umkreis des "Neuen Nationalismus" vertreten wurde. Der
Ausdruck "Geopolitik", der nach dem 1. Weltkrieg von Rassisten
wie Haushofer auf die sog. "Grenztragik des deutschen Volkes"
bezogen war, wird von Isensee ins Spiel gebracht und evoziert (ruft
hervor) schon wieder die Assoziation eines "Volkes ohne Raum",
einer völkisch-nationalen Territorialerweiterung, um nicht zu sagen,
einen dritten Weltkrieg gen Osten. Sie fügt sich in die
Mittellage-Rhetorik ein, die seit der Diskussion um Außeneinsätze der
Bundeswehr wieder grassiert. Und in dem folgen Zitat schimmert in der
Redeweise vom "Ausländer" im Singular das Diskriminierende
durch, das man aus der Rhetorik des Dritten Reiches in der Rede vom
"dem Juden" her kennt:
"Das Staatsrecht definiert das Volk im Rechtssinne durch die
Staatsangehörigkeit. Der Staatangehörige ist dauerhaft und prinzipiell
unauflösbar durch ein personenrechtliches Band mit der Gefahren- und
Schicksalsgemeinschaft (da riecht man ja nahezu die Mischung von Urin
und Pulvergestank des Schützengraben, das das Einheitserlebnis
vermittelt/ MB) verbunden und dadurch in der demokratischen Verfassung
auch legitimiert, in Wahlen und Abstimmungen das Schicksal des Volkes
mitzuentscheiden, in das er unentrinnbar verstrickt ist; er könnte sich
auch den Folgen der politischen Entscheidungen, an denen er mitwirkt
nicht entziehen. Eben diese Voraussetzungen sind beim Ausländer nicht
gegeben, der seine staatsrechtliche Beziehung durch Aufenthaltnahme begründet
und von sich aus jederzeit beenden kann. Der demos der demokratischen
Verfassung ist der Verband der Staatsangehörigen, nicht die
flukturierende, offene Gesellschaft der Gebietszugehörigen."(634f)
Das erinnert alles verdächtig an Hitlers Mein Kampf Bd.2, 3.Kapitel
Staatsangehöriger und Staatsbürger, nur die Termini sind vertauscht.
"Denn der Staat muß einen scharfen Unterschied zwischen denen
machen, die als Volksgenossen Ursache und Träger seines Daseins und
seiner Größe sind, und solchen, die nur als 'verdienende' Elemente
innerhalb eines Staates ihren Aufenthalt nehmen. Die Verleihung der Staatsbürgerurkunde
ist zu verbinden mit einer weihevollen Vereidigung auf die
Volksgemeinschaft und auf den Staat."(Hitler, Mein Kampf, S.491)
Man sieht, wie die Vereidigung auf die "Volksgemeinschaft"
immer noch funktioniert auch bei rechten Staatsrechtlern heute noch, die
wohl noch unbehelligt im Staatsdienst sich befinden. (Vgl. auch meine
"Argumente gegen rechts 22")
Ein vernünftiger, deskriptiver Begriff von Nation muß alle Nationen,
die existieren, umfassen können und er muß auf Mehrdeutigkeiten
verzichten.
"Wie wir überdies noch sehen werden, sind die Kriterien, die
diesen Zweck erfüllen sollen - Sprache, ethnische Zugehörigkeit usw.-,
ihrerseits so verschwommen, wandelbar und mehrdeutig und als
Anhaltspunkte zur Orientierung ebenso nutzlos wie Wolkenformationen zur
Orientierung von Reisenden im Vergleich zu Wegzeichen."(Hobsbawn S.
16)
Aber gerade schwammige Begriffe machen sie für Indoktrinations- und
Propagandazwecke brauchbar. So kann man beim tamilischen Nationalismus,
der für ein Gebiet von 1/3 der Insel Sri Lanka, Autonomie verlangt,
finden, daß er sich auf ein Merkmal der Nation beruft, der auf Sprache
gründet, sie soll eine genauso lange Tradition haben wie die
singhalesische.
"Verschleiert wird die Tatsache, daß die territoriale Ansiedlung
aus zwei geographisch voneinander getrennten Gebieten besteht, die von
tamilsprechenden Gruppen unterschiedlicher Herkunft bewohnt werden
(alteingessenen und in jüngster Zeit von aus Indien eingewanderten
Arbeitern); daß das Gebiet einer ununterbrochenen Besiedlung durch
Tamilen in manchen Zonen außerdem bis zu einem Drittel von Singhalesen
und bis zu 41 Prozent von tamilsprechenden Gruppen bewohnt wird, die
sich keineswegs als Tamilen im nationalen Sinne verstehen, sondern weit
eher als Muslime ("Mohammedaner") verstehen. (...) Wie wir
bereits gesehen haben, verschleiert die 'eigene Spachgruppe' die
unbezweifelte Tatsache, daß eingeborene Tamilien, eingewanderte Inder
und Mohammedaner in keinen anderen als einem philologischen Sinne und,
wie wir sehen werden, wahrscheinlich nicht einmal in diesem eine
homogene Bevölkerung darstellen. Was die 'eigene historische
Vergangenheit' angeht, so ist diese Wendung fast mit Sicherheit ein
Anachronismus; sie umgeht das eigentliche Problem oder ist bis zur
Sinnlosigkeit unbestimmt. Natürlich läßt sich dagegen einwenden, daß
offensichtlich zu propagandistischen Zwecken verfaßte Erklärungen
nicht so kritisch untersucht werden sollten, als wären sie ein Beitrag
zu den Sozialwissenschaften, aber es geht darum, daß sich fast jede
Klassifizierung einer Gemeinschaft als eine 'Nation' aufgrund solch
angeblich objektiver Kriterien ähnliche Einwände gefallen lassen muß,
sofern sich die Behauptungg, es handle sich um eine 'Nation', nicht mit
anderen Gründen belegen läßt.
Aber mit welchen anderen Gründen? Die Alternative zu einer objektiven
ist eine subjektive Definition, ob kollektiv (etwa nach Renans
Ausspruch: 'eine Nation ist ein tägliches Plebizit') oder individuelle
nach dem Vorbild der Austromarxisten, für die sich 'Nationalität' mit
Personen verbinden konnte, wo immer und mit wem sie immmer diese lebten,
sofern sie diese nur für sich selbst in Anspruch nahmen. Beides sind
unverhüllte Versuche, den Zwängen eines Objektivismus a priori zu
entgehen, indem beide Male, wenn auch mit unterschiedlichen Mitteln,
versucht wird, die Definition einer 'Nation' auch solchen Territorien
anzupassen, auf denen Personen gemeinsam leben, die sich in ihrer
Sprache oder in anderen 'objektiven' Kriterien unterscheiden, wie dies
etwa in Frankreich oder in der Donaumonarchie der Fall war. Beide setzen
sich dem Einwand aus, daß die Definition einer Nation durch das Bewußtsein
ihrer Mitglieder, ihr anzugehören, tautologisch ist und lediglich
aposteriori angeben kann, was eine Nation ausmacht. Außerdem kann sie
den Unbedachten zu den Extremen eines Voluntarismus verleiten, der
behauptet, alles, wessen es zu einer Nation, zu deren Schöpfung oder
Neuschöpfung, bedürfe, sei der Wille, eine zu sein: Wenn genügend
Einwohner der Insel Sylt eine Sylter Nation sein wollten, dann gäbe es
sie auch."(Hobsbawm, S.17f)
Tautologische Bestimmungsgründe sind solche, die das voraussetzen, was
erst hergeleitetet werden soll. Auch Aposteriori-Bestimmungen (von
posteri nachfolgend, soll heißen durch Erfahrung gewonnen) setzen das
schon voraus, was hergeleitet werden soll. Wenn objektive und subjektive
Definitionen in die Irre führen, so liegt es nahe, nicht mit dem
Sachverhalt, der Wirklichkeit, wofür der Begriff 'Nation' steht,
sondern mit seinem Begriff zu beginnen, dem 'Nationalismus'.
Gellner bestimmt den Nationalismus als "politisches Prinzip, das
besagt, politische und nationale Einheiten sollen deckungsgleich
sein"(Ernest Gellner, Nationalsimus und Moderne S.8) Hier steckt
allerdings das Wort national schon in der Bestimmung drin, aber es wird
sich zeigen, daß das nicht tautologisch ist, denn "Nation"
ist hier ein Erwartungsbegriff, das unbestimmte Ziel einer politischen
Einheit. Und es wird in der Bestimmung nicht inhaltlich in Anspruch
genommen. Der Prozeß der Vereinheitlichung, letzlich bei gleichgültigem
Inhalt, ist das Entscheidende, nicht der Inhalt, der kontingent (zufällig)
ist, allerdings stets gewisse Anhaltspunkte in der speziellen Geschichte
der Region haben muß. Sofern kann der Nationalismus auch nicht sich auf
Beliebiges berufen. Er beruft sich daher auf alte und gängige Mythen
oder erfindet neue, die motivierend wirken.
Nationalismus ist also dasjenige, was Nationen hervorbringt und nicht
umgekehrt Nationen, die Nationalismus hervorbringen. "Der Mensch
macht die Nation; Nationen sind die Artefakte menschlicher Überzeugungen,
Loyalitäten und Solidaritätsbeziehungen"(Gellner, S. 16) Der
Nationalismus verwandelt also irgendetwas Bestehendes in Nationen, sei
es bestehende Kulturen, irgendwelche Gemeinwesen oder was auch immer.
Dabei erfindet der Nationalismus Gellner zufolge Kulturen und vernichtet
andere.
Das gilt auch z.B. die Nationalsprachen, die aus der Abwertung und
Vernichtung bestehendere Spachen resultieren. Bevor die Nationalsprachen
von oben verschrieben wurden, herrschte nämlich überall ein Komplex
von Regionalsprachen, von lokalen Varianten und "Dialekten",
neben der Bildungsprache des Lateins, Griechisch oder was auch immer.
Vor der Einführung der allgemeinen Schulpflicht gab es außer Bildungs-
und Amtsprachen nicht das vereinheitlichende Moment. Am Hofe Friedrichs
II. wurde französisch geprochen und der alte Fritz konnte kein
"richtiges Deutsch", wie es dann später propagiert wurde.
"Nationalsprachen haben deshalb fast immer etwas von einem
Kunstprodukt und sind gelegentlich, wie das moderne Hebräisch, so gut
wie erfunden. Sie sind das Gegenteil dessen, wofür die nationalistische
Mythologie sie ausgibt, nämlich die archaischen Fundamente einer
Nationalkultur und der Nährboden des nationalen Denkens und Fühlens.
Sie stellen gewöhnlich Versuche dar, aus einer Vielfalt von
gesprochenen Idiomen (die später zu Dialekten verkommen werden) ein
einheitliches Idiom zu machen, wobei das Problem hauptsächlich darin
besteht, welcher Dialekt als Grundlage für die normierte und
vereinheitlichende Sprache gewählt werden soll."(Hobsbawm S. 67f)
Der Nationalismus will eine politische Einheit, einen Staat schaffen,
nach einem bestimmten Einheitsprinzip. Eine Menge von Individuen soll
nach einem Kriterium der Gleichheit zusammengefaßt werden. Gleichheit
setzt die Zuspitzung von Verschiedenheit zum Gegensatz voraus. Die Art
und Weise der Identitätsstiftung und die Methoden ihrer praktischen
Herstellung, die bis zur Vernichtung von Millionen von Menschen gehen
kann, unterscheidet die einzelnen Nationalismen.
Der konstitutionelle Nationalismus entspricht einfach der 1.
Defintion von Hertz und geht nach der Staatsangehörigkeit im Sinne
eines jus soli. Dies bedeutet, daß die Staatsangehörigkeit vom
Geburtsort abhängt. Ein Kind geboren in den USA hat die Staatsangehörigkeit
der USA, wird es in Deutschland geboren, ist es staatenlos, obwohl die
Eltern Amerikaner sind. Umgekehrt hat ein Kind bundesdeutscher Eltern,
das in USA geboren wird, eine doppelte Staatsangehörigkeit, nach dem
jus soli der USA und nach dem jus sanguinis auch die der BRD. Ohne Frage
ist gegenüber dem jus sangunis das jus soli ein historischer
Fortschritt. Und um das Debakel der Entstehung von Staatenlosigkeit zu
verhindern, müßte das jus soli weltweit gelten oder die Möglichkeit
doppelter Staatsbürgerschaften eingeführt werden.
Denn innerhalb der bürgerlich kapitalistischen Welt kann man sich nicht
entscheiden keine Staatsangehörigkeit, also Nationalität zu haben, die
Ausrottung von Millionen von Juden, die keinen Schutz hatten, durch die
Deutschen ist der Beweis und legitimiert - als Besonderheit der
Geschichte von Nationalstaaten - das "Gründungsverbrechen"
des Staates Israel. Nur der Staat Israel konnte die Juden in aller Welt
vor weiterer Verfolgung bislang schützen; daß seit der Gründung des
Staates Isreal kaum noch Pogrome stattgefunden haben, ist der Beweis. So
kann ein Falsches (der Staat) ein Wahres, die Integrität einer
verfolgten Minderheit, begründen und sich legitimieren. Die Staaten,
die erst Recht begründen, gründen selber in der Gewalt als
Geburtshelfer der Geschichte, darüber muß man sich immer im Klaren
bleiben.
Der Nationalismus des jus sanguini geht über die zivile Staatsangehörigkeitsregelung
schon hinaus und ist dem aggressiveren Spielarten des Nationalismus
bereits verwandt. Das ist besonders in Deutschland bedauerlich, daß
daran bislang nichts geändert wurde.
So können wir einen Sprachnationalismus (wie oben beschrieben der der
Singhalesen oder der der Türken, die bis zum Völkermord gegen Kurden,
Armenier, Aramäer ging), von einem Religionsnationalismus (Gründung
Pakistans oder Iran), von einem ethnischen oder völkischen
Nationalismus (Deutschland, Finnland, Estland, Lettland, Litauen)
unterscheiden.
Die Länder, die durch "konstitutionellen Nationalismus"
bestimmt sind, könnte man als "Geschichtsnationen"
bezeichnen. Durch eine Reihe von geschichtlichen Zufällen und
Entwicklungen hat sich ein Staat gebildet, der eine durchaus heterogene
Bevölkerung beinhaltet. So gab es in Belgien flämische, wallisische
und deutschprachige Gruppen, in der Schweiz deutsche, französische,
italienische und rätoromische Bevölkerungsteile. Ebenso heterogen sind
die süd- und nordamerikanischen Einwanderungsländer. Kanada kennt auch
(Frankokanadien) durch De Gaulle geförderten Sprachnationalismus, der
bislang aber nicht zur Nationenbildung geführt hat, aber kurz vor
Wahlen stets ins Gespräch gebracht wird.
In Wirklichkeit realisieren sich jene reinen Typen des Nationalismus
allerdings nicht. In den realen Nationalstaaten, wie radikal auch immer
"Homogenität" durchzusetzen versucht wurde, überlappen sich
sprachliche, "kulturelle", "ethnische" und religiöse
Komponenten. Der nationalistische Wahn ist nicht in der Lage sich
vollends zu realisieren, wie grenzenlos er auch zu wüten vermochte. Wie
der jüdische Denker Leibowitz sagte, wurde der Begriff der Nation aber
in Deutschland am radikalsten zuende gedacht und praktiziert.
Gemeinsam ist allen Bestrebungen der Versuch einer Selbsterschaffung der
Nation durch Abgrenzung bis hin zur Homogenisierung. Je weniger das
Identitätskriterium bloß formell ist, je inhaltlicher es wird, desto
aggressiver ist die Praxis. Die durch das Grundgesetz der BRD
festgelegte Diskriminierung der Ausländer unterscheidet sich vom
Radikalfaschismus der Nationalsozialisten, jene legt "nur"
verminderte Rechte für Nichtstaatsangehörige fest, während diese
gleich alles den Homogenitätskriterien nicht Entsprechende ausmerzen
will. In Auschwitz kommt der Gedanke der Nation zur Kenntlichkeit, zu
seiner ultima ratio. Das allgemeine Prinzip, das darin waltet, ist
allerdings die Ursache. Worauf die Nation hinausläuft hat Ernest Renan
zum Ausdruck gebracht, auf das Opfer des Individuums: "Eine Nation
ist also eine große Solidargemeinschaft, getragen von dem Gefühl der
Opfer, die man gebracht hat, und der Opfer, die man noch zu bringen
gewillt ist."(Was ist eine Nation) Und im Tode findet real wie
symbolisch die Nation auch ihr Prinzip.
"Es gibt keine fesselnderen Symbole für die moderne Kultur des
Nationalismus als die Ehrenmäler und Gräber der Unbekannten Soldaten.
Die öffentlichen Referenzen, die diesen Denkmälern gerade deshalb
erwiesen werden, weil sie entweder leer sind oder niemand weiß,
wer darin bestattet ist, haben kein Vorläufer in früheren Zeiten.
(...) Doch so entleert von bestimmbaren menschlichen Überresten oder
unsterblichen Seelen diese Gräber auch sind, so übervoll sind sie von
gespenstischen nationalen Vorstellungen."(B.Anderson, Die
Erfindung der Nation S.18)
Die Epoche der Nationalisierung, die mit der französischen und
amerikanischen Revolution begann, war auch die des Beginns der
industriekapitalistischen Klassengesellschaft, die der nationalistischen
Ideologie entgegenkam. Die Bestrebungen der Modernisierung benötigten
größere Einheiten der Organisation des Gemeinwesens.
Nicht jede beliebige Vorstellung, jeder Wahn, kann auch Realität
werden, sie muß auch für den Stoffwechselprozeß des Menschen mit der
Natur, dem materiellen Produktionsprozeß eine Funktion haben.
Denn von Symbolen, von Fahneneiden, Runen und Absingen der Nationalhymne
kann man nicht leben. So hat sich die Entwicklung des Kapitalismus vom
16. bis 18. Jahrhundert auf dem Boden von Territorialstaaten vollzogen.
Zum Teil wurde der absolutistische Patrimonialstaat in den bürgerlichen
Staat transformiert, zum Teil wurde eine Vielzahl von Fürstentümer
(Kleinstaaterei) verwandelt. Die Weltwirtschaft des 19.Jahrhundert war
in einem anderen Sinne kosmopolitisch als heute, sie war inter-national;
heute überspringen die Führungsunternehmen jegliche nationale Grenzen
über den Export von produktiven Kapital und das Geldkapital ist in
Lichtgeschwindigkeit von einem Ort zum anderen transferiert. Der
Wirtschaftsliberalismus des 19.Jh. war anti- national, gegen den
Merkantilismus (als proto-nationalistischer Doktrin) gerichtet und
schwor auf die Erleichterung des internationalen Wirtschaftsverkehrs.
Allerdings konkurrieren auf dem Weltmarkt meist noch nationale
Unternehmen, die in Staaten ansässig waren, die noch Währungs- und
Geldsouveränität besaßen, das Weltgeld als Gold machte es möglich
bis der Goldfaden riß (Vgl. Polany, The Great Transformation). Der
Begriff der Souveränität gehörte zu der Epoche, die mit der Legitimität
von Gottes Gnaden aufräumte, allerdings war sie nie so rein wie in den
Definitionen der Staatsrechtler verwirklicht. Bodin gestand den Ständen
so viel zu, daß man von Souveränität eigentlich nicht sprechen dürfte.
Und die moderne Souveränität ist durch Einbeziehung der Staatsgewalt
in den gesellschaftlichen Funktionszusammenhang gebrochen. Der
Staatshaushalt ist auf das wirtschaftliche System angewiesen, d.h. ist
das politische Verhältnis des Kapitals. Als Instanz, die im Notfall über
den Ausnahmezustand entscheidet, ist die Souveränität als politisches
Verhältnis allerdings arg geschrumpft, wenngleich das Gewaltmonopol,
wenn es in der Krise seine Rechtsstaatlichkeit abstreift, zu einigen
Blutopfern fähig ist.
Der Nationalismus des 19.Jh. hatte das Schwellenprinzip zur Grundlage
und erklärte sich gegen die Kleinstaaterei, gegen das, was man heute
Balkanisierung nennen könnte. Die Friedensverträge nach den 1.
Weltkrieg brachten dann auch nur 26 Staaten in West-Europa hervor. Was
passiert, wenn das Schwellenprinzip aufgeben wird sieht man an den 42
regionalistischen Bewegungen, die Blaschkes "Handbuch der westeuropäischen
Regionalbewegungen" auflistet.
Der Aufbau von Nationen wurde zwangsläufig als Expansionsprozeß
betrachtet, Seperatismen waren Ausnahmen und galten als Anomalien.
Allerdings ist das mit der Expansion nicht so gemeint, daß die Nation
nicht partikulär wäre. Kein Nationalist denkt sich die Nation als alle
Menschen umfassend.
"Wenn wir unserer Doktrin in einer einzigen Formel zusammenfassen müßten,
dann würden wir vielleicht sagen, daß das Nationalitätenprinzip im
allgemeinen legitim ist, wenn es dazu dient, verstreute Bevölkerungsgruppen
in einem festen Verband zu vereinen und illegitim, wenn es darauf
abzielt, einen Staat zu zerstückeln" heißt es im Stichwort
Nationalites aus Lalors Cyclopedia of Political Science (zitiert nach
Hobsbawm S. 45).
Dies erklärt auch ein wenig, daß die Nachzügler in der
Nationenbildung, aufgrund der Weltmarktkonkurrenz, um so aggressivere
Anstrengungen unternahmen, eine wettbewerbsfähige größte Einheit im
Sinne einer "Volks"wirtschaft zu schaffen und den "Griff
zur Weltmacht"(F.Fischer) versuchten. Dies führte gradeweges in
zwei von Deutschland verursachte Weltkriege. Gänzlich zum Tode
verurteilt ist der neuerdings sich entwickelende aus dem Westen
importierte Seperatismus der "zweiten" und "dritten"
Welt, die das Erbe von Kolonialismus und Stalinismus darstellen.
Die Einsicht Hegels, nach der Abstraktionen in der Wirklichkeit geltend
zu machen, bedeutet, Wirklichkeit zu zerstören, bestätigt sich nicht
bloß schlagend, sondern wesentlich lautstärker.
"Läßt man nun die Bestimmungen von einem Gegenstand weg, so heißt
man dies abstrahieren. Es bleibt ein weniger bestimmter
Gegenstand oder ein abstraktes Objekt übrig. Nehme ich aber in
der Vorstellung nur eine einzelne solche Bestimmung heraus, so ist auch
dies eine abstrakte Vorstellung."(Hegel, Theorie Werkausgabe Bd.4
S.208)
Um eine solche Vorstellung handelt es sich bei der Nation, das
Nationenstiften ist ein Abstraktionsprozeß, der sich in der
Wirklichkeit zu realisieren sucht, eine Realabstraktion. "Das Wesen
einer Nation ist, daß alle einzelnen vieles gemeinsam und daß sie alle
vieles vergessen haben"(Renan) So kommt auch B.Anderson zu
Definition der Nation als "vorgestellter
Gemeinschaft"(imagined community), vorgestellt, weil ein einzelnes
oder einige Merkmal(e) verwendet werden, die der Gemeinschaft gleichgültig
sind. Anderson betont die Fiktivität der Gemeinschaft, der andere
Aspekt von Vorstellen, der in der deutschen Übersetzung mitschwingt,
trifft auch noch etwas an der Sache selbst.
"Vorgestellt ist sie deswegen, weil die Mitglieder selbst
der kleinsten Nation die meisten anderen nicht kennen, ihnen begegnen
oder auch nur von ihnen hören werden, aber im Kopf eines jeden die
Vorstellung ihrer Gemeinschaft existiert"(Anderson, S.15)
Als Gemeinschaft gedacht ist die Nation, sofern sie abstrahiert von
realer Ungleichheit und Ausbeutung:
"Es war die Brüderlichkeit, die in den letzten zwei Jahrhunderten
möglich gemacht hat, daß Millionen von Menschen für so begrenzte
Vorstellungen weniger getötet haben als vielmehr bereitwillig gestorben
sind."(a.A.O S.17)
Diese Brüderlichkeit gründet also nicht in einer realen Gemeinschaft
oder Freundschaft, sondern ist eine abstrakte von Menschen, die sich
nicht kennen und nur die Produkte nationalistischer Indokrination im
Kopf haben. Sie entspringt einer antagonistischen Gesellschaft, einer
der Konkurrenz, des Ellenbogens, an der alle leiden. Aber das Gegengift
dagegen: der Nationalismus, der oft genug von unten kam
(Befreiungsnationalismus), ist selber ein noch tödlicheres Gift als
wogegen die subjektive Motivation sich richtet. Es ist klar, daß das
Gefühl und Bedürfnis, das mittels nationaler Mythenbildung und
Symbolik, erzeugt wird, niemals befriedigt werden kann, weil ja gerade
der produktive Grund des Unmuts in der falschen Reflexion als
Nationalismus durch ihn vergessen gemacht wird, ist auch eines der
Ursachen, daß die Aggressivität sich immer mehr steigert, je mehr sich
der Nationalismus als Illusion entlarvt.
Es ist der Irrsinn des Nationalismus, daß er sich sobald er in Bedrängnis
gerät, sich steigert. Daher ist es auch eine Vergeblichkeit Diskurse
mit Nationalisten über Sinn und Unsinn ihres Tuns zu führen. Man
erzeugt in ihnen nur das Gefühl, worum willen sie sich dieser Wahnidee
anheimgeben. Nur existentielle Erschütterungen vermögen etwas zu
bewirken, so wenn ihnen die - selbst die negative - Anerkennung entzogen
wird und sie rechts liegen gelassen werden.
Der Produktion von Nationalbewußtsein, der nationalistischen
Indoktrination - gleich welcher demokratischen oder undemokratischer Art
- gilt es sich zu verweigern und es ist überall wo sie auftritt zu
entlarven. Da kann gewissermaßen die "kritische
Paranoia"(S.Dali) gar nicht stark genug sein.
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