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Der Putsch?
Bundeswehreinsatz im Innern

von Hans-Detlev von Kirchbach

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Im Osten dämmte die Bundeswehr die Flut - nicht die »rote«, dazu gab ihr die Geschichte glücklicherweise nie Gelegenheit, sondern die braune Schlammflut der unbändigen Oder. Einen gewissen Hans-Peter von Kirchbach spülte die Flutkatastrophe als Generalinspekteur an die Spitze der Bundeswehr - als »Sold« für den bisher erfolgreichsten »Inlandseinsatz« der Bundeswehr.

So sähe die Abteilung für Publicrelation der Hardthöhe das »Unternehmen Sicherheit« auch im Inneren gern häufiger wirken: »Unsere Jungs« bezwingen die wild gewordene Natur, retten Mütter und Maiden, und der »Held vom Oderbruch« erhält wohlverdienten Lohn.

In der Tat: Der Bundeswehreinsatz im Not- und Katastrophenfall, die Bundeswehr als Großverband von Feuerwehrleuten, Dammbauern und Rettungsschwimmern stößt in der Öffentlichkeit auf breite Akzeptanz. Dabei darf die Bundeswehr bislang freilich keine hoheitlichen Funktionen ausüben, sondern nur als »Hilfstruppe« der zivilen Institutionen tätig werden.

Doch hat gerade der »Held vom Oderbruch« im Mai 1999 vor der sogenannten Zukunftskommission der Bundeswehr einige Denkspiele vorgeführt, mit denen er ein ganz anderes Szenario für den militärischen Inneneinsatz beschrieb. Der deutsche Soldat, aus der Schlammschlacht an der Oder als strahlender Sieger hervorgegangen und seit den Bomben auf Jugoslawien endlich wieder richtig kriegstauglich, soll nun den Kampf gegen das Böse auf breiter Front aufnehmen. Künftig müsse die Bundeswehr auch Überwachungs- und Einsatzaufgaben im Inneren wahrnehmen können, zitierte Bild fast ein Vierteljahr nach dem Vorgang unter Berufung auf mitteilungsbedürftige Insider den Generalinspekteur. Auf Nachfragen habe er präzisiert, Spezialkräfte der Bundeswehr sollten gegen »Organisierte Kriminalität« und »Terrorismus« eingesetzt werden. Die zwei Standard-Feindbilder der herrschenden Law-and-order-Propaganda, die gerade durch ihre definitorische Unschärfe zur mythologischen Beschwörung geradezu monströser Bedrohung taugen und dem erschreckten Publikum vorgehalten werden, um eine Massenbewegung in die schützenden Arme des starken Sicherheitsstaates auszulösen, fungieren auch hier wieder als Türöffner für einen weiteren Durchmarsch autoritärer Staatskonzeption, für Demokratiedemontage und Grundrechtsabbau.

Doch der oberste General dementierte heftig: Aus dem Zusammenhang gerissen, falsch interpretiert seien seine Äußerungen dargestellt worden. Ein Sprecher der Hardthöhe bestätigte am 23. August '99 allerdings der WELT, dass »in Ausnahmefällen« sehr wohl an eine Beteiligung von »Bundeswehrspezialisten« bei »Antiterror-Einsätzen« gedacht sei. Wie auch immer: Das Fanal hatte gewirkt, der Versuchsballon hatte seine Schuldigkeit getan. Seit im August das politische Sommerloch mit der womöglich gezielten Enthüllung des »vertraulichen« General-Auftrittes vor der »Zukunftskommission« aufgefüllt wurde, ist die längst gewünschte Neuauflage der »Diskussion« über »neue Aufgaben der Bundeswehr«, diesmal im Einsatz gegen den »inneren Feind«, in vollem Gang. Und wieder wenden sich die »Vordenker« der nächsten autoritären Eskalation ganz antiautoritär gegen angebliche »Denkverbote«, so der innenpolitische Hardliner der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Paul Breuer.

Kirchbach hat die zweite Runde einer Debatte eingeläutet, die Wolfgang Schäuble Weihnachten 1993 von neuem angestoßen hatte.

Die Notstandsgesetze aus den 60-er Jahren schienen schon vergessen, als die damalige Nummer Zwei der Union, in einem Brief an seine Fraktion zu Weihnachten '93 die alte Option des Militäreinsatzes nach Innen als leuchtende Verheißung »Innerer Sicherheit« wieder aus der »Mottenkiste des Obrigkeitsstaates« holte, wie Jürgen Gottschlich damals mutig spottete (siehe »CILIP - Bürgerrechte und Polizei«, Nr. 48, 2/1994, und nicht länger GEHEIM, 3/1994). Schäubles Weihnachtsgeschenk an christkonservative Sehnsüchte nach einem militärisch aufgeräumten Ordnungsstaat, verpackt in Bedrohungsszenarien wie - natürlich - »IT« (Internationaler Terrorismus) und »O.K.« (Organisierte Kriminalität), angereichert durch die besonders scharf zu bekämpfende »AF« (»Asylantenflut«), verfehlte nicht ihre Wirkung auf die innenpolitische Debatte. Lehnten zwar - damals - die meisten Stimmen außerhalb der Union einen direkten repressiven Bundeswehreinsatz nach innen ab, so krochen sie doch gleichwohl der Taktik und Logik Schäubles auf den Leim und schlugen »alternative« Konzepte einer »Stärkung der Inneren Sicherheit« vor, ganz im Sinne ordnungskonservativer Zielsetzungen. Allen voran die Sozialdemokraten, die mit dem Ruf nach mehr Polizei und mehr Bundesgrenzschutz Schäubles Marschbefehl für die Armee zu übertönen suchten und damit den Ausbau des Sicherheitsstaates ganz in konservativem Sinne vorantrieben.

Dabei hatten in den sechziger Jahren andere Sozialdemokraten gewarnt, ein militärischer Einsatz im Innern, wie die Pläne einer »Notstandsverfassung« ihn vorsahen, sei als Waffe gegen unliebsame Demonstrationen, gegen soziale Bewegungen und Arbeitskämpfe einsetzbar. Am Ende werde auf streikende Arbeiter geschossen. Genau dies hatte übrigens ein führender Kapitalvertreter, der für seine herzhaft reaktionären Sprüche weithin berühmte Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Fritz Berg, auch offen gefordert. So mussten die Notstandsplanungen zwangsläufig böse Erinnerungen wecken, etwa an das brutale Vorgehen von Freicorps und Reichswehr in der Weimarer Republik gegen die die Politik der Arbeiterparteien. Doch waren es gerade Sozialdemokraten wie Ebert und Noske gewesen, die dafür die Verantwortung trugen, bis hin zur gewaltsamen Absetzung der gewählten Linksregierungen in Sachsen und Thüringen 1923 durch die Reichswehr.

45 Jahre später waren es wieder Sozialdemokraten, die als Juniorpartner der Kiesinger-Brandt-Regierung eine Neuauflage des Noske-Schreckens durch ihre Zustimmung zu den Notstandsgesetzen zumindest denkbar machten. Seither können nach Art. 87a Abs. 4 des Grundgesetzes Streitkräfte zum »Schutze ziviler Objekte« - wie etwa Banken, Industriebetriebe, Kraftwerke - und zur »Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer« herangezogen werden. Eine dehnbare Formel, die theoretisch sehr wohl abdeckt, was Kritiker seinerzeit befürchteten, bislang zwar in der bundesrepublikanischen Praxis noch nicht eingetreten ist, aber doch anderwärts begrüßt und gerechtfertigt - wie beispielsweise 1973 in Chile: der Ge- und Missbrauch des Militärs zu innenpolitischer Repression.

Üben und planen aber wird man schon mal müssen. Immer wieder wurden Sandkastenspiele und Manöverszenarien ruchbar, in denen geübt wurde, mit militärischem Eingreifen die »innere Ordnung wiederherzustellen«.

Solche Übungen wurden gegenüber der Öffentlichkeit jedoch geheim gehalten oder zumindest so verschleiert, dass ihr eigentlicher Zweck nicht mehr offen zu Tage lag.

Beispiel: Als »Verteidigungs«-Minister der sozialliberalen Koalition untersagte Helmut Schmidt dem Befehlshaber im Wehrbereich V, Generalmajor Kurt Gerber, das Manöver »Schwarzwälder Kirsch«, mit dem »Partisanenbekämpfung« geübt werden sollte, ungeschminkt so zu beschreiben. Die Manöver-»Lage« wurde öffentlichkeitsverträglich »umschrieben«, die »Partisanen« mutierten zu »eingesickerten, aber uniformierten Feindtruppen«, freilich nur als Legende. An den militärischen Charakteristika der Übung änderte das nichts; »Counterinsurgency« heißt der »Fachausdruck« für die hier durchgespielte »Aufstandsbekämpfung«.

In der internen Fachpresse sind die Formulierungen bisweilen deutlicher. So idealisierte die Zeitschrift »Wehrausbildung« im Stil der »Landser«-Propaganda die fiktive Situation der »Bundeswehr beim Häuserkampf« (1980).

Im offiziösen Magazin »Truppenpraxis« äußerte Oberstleutnant Friedrich-Wilhelm Hopp, auch wenn vom »verdeckten Kampf« bisher nur »geflüstert« werde, sei es unabdingbar, sich darauf vorzubereiten.

Dabei ging es nicht um »feindliche Militärkräfte«, sondern gegen »bestimmte subversive politische Strömungen«. Und die, so Oberstleutnant Hopp, seien hochgefährlich, denn der »revolutionäre Krieg« sei »das gängigste Konzept ideologischer Weltverbesserer«.

Der »revolutionäre Krieg« und damit die »Feindlage« beginnt für Hopp nicht erst, wenn die »blauen Bohnen« fliegen, sondern schon, wenn die »roten Fahnen« wehen.

Soldaten protestieren gegen Putschpläne »Wir werden gezwungen, für sogenannte ,innere Krisenfälle' zu üben. Wir müssen die Niederschlagung von Streiks und den Einsatz gegen Demonstrationen proben. Die Notstandsgesetze haben der Bundeswehr grünes Licht dafür gegeben. Was in Griechenland passiert ist, haben wir nicht vergessen. Wir weigern uns, den Steigbügelhalter für eine Militärdiktatur zu spielen .« Memorandum »Soldat 70«, 1970.

Wieviele Manöver-Übungen seit Gründung der Bundeswehr Streiksituationen, Großdemonstrationen oder Betriebsbesetzungen »durchgespielt« haben, um sie mit allen nur denkbaren Optionen militärischer Gewalt hypothetisch, aber mit dem Ziel sofortiger praktischer Durchführbarkeit zu »bekämpfen« und »niederzuschlagen«, lässt sich nur vermuten. Nur weniges sickerte durch. So etwa die Übung »Römerkastell« im Mai 1973. Deren »Lageorientierung« für das Raketenbataillon 22 ging u.a. davon aus, dass in den Kasseler Henschel-Werken »organisierte Arbeitergruppen« die Arbeit niedergelegt hätten und ihre Kollegen an der Fortführung der Arbeit hinderten. Dagegen sei zur Unterstützung von Polizei und Werkschutz mit Kampftruppen vorzugehen.

Der »Feind« wurde von Soldaten im »Blaumann« markiert - ein rechtes Feindbild ganz nach dem Herzen eines Offiziers wie Oberstleutnant Werner von Scheven, G 1 der 2. Jägerdivision, der auf kritische Pressefragen erklärte, die Division stehe hinter der Übung. Jedenfalls standen seine Vorgesetzten stets hinter diesem Scheven, der 20 Jahre höher auf der Karriereleiter als Generalleutnant, Kommandierender General und Befehlshaber vom Territorialkommando Ost den Bürgermeister von Rheinsberg brieflich aufforderte, die Tucholsky-Ausstellung in Rheinsberg abzuräumen, »die Agitation des SED-Staates gegen die Bundesrepublik Deutschland und die Bundeswehr.« (vgl. Die Weltbühne 42/13. Oktober 1992)

Auch mancher militärische Planer dachte sich bizarre Schlachtgemälde zur »Rettung des Vaterlandes« aus.

1980 entwarf Oberstleutnant Paul-Heinrich Ebsen vom »Amt für Studien und Übungen der Bundeswehr« das Szenario einer Krisensituation, in der »Systemveränderer« eine Massenbasis gewinnen oder gar zur Regierungsmacht gelangen könnten. Linke »Systemveränderer« waren damit, versteht sich, gemeint; gegen »rechte« Systemveränderung hatten die uniformierten Putschplaner weniger einzuwenden - man nimmt schließlich nicht die Bewegung wahr, an der man teilhat.

Ebsens Szenario demnach: »Linke« kommen, und sei es durch Wahlen und parlamentarische Mehrheiten, wie z.B. in Chile 1970 bis 1973, an die Macht. Dies wäre für den putschplanenden Oberstleutnant, der sich auf die Theorien des britischen »Bürgerkriegs-Spezialisten« Brigadegeneral Frank Kitson stützte, »Umsturz von innen«, gegen den die Armee auf den Plan treten müsste - Wahlen hin, Mehrheit her: »Aufgabe der Soldaten sollte es sein, sich auf solche Entwicklungen einzustellen und Verfahren zu ihrer Abwehr rechtzeitig zu entwickeln.« - Das seinerzeit sehr aktuelle »Modell Chile«, aber auch »Türkei« lässt grüßen, und die Beziehungen gewisser Bundeswehrkreise zum chilenischen Militärregime ebenso wie zur türkischen Putscharmee waren denn auch besonders herzlich. (vgl. den Beitrag zum Putsch in Chile in diesem Heft S. 18ff.)

Nach Logik der »Putschobristen« vom Schlage der Ebsen sind Streiks und Demonstrationen staatsfeindliche, von »außen«, von gegnerischen Diensten und Agenten inszenierte, subtile Spielformen der Kriegsführung. Als Kern von Verderben und Zersetzung betrachtete er die - 1979/80 längst schon sanft entschlafene - APO, die aber in seiner Phantasie weiter »wühlte«.

Bundeswehr- General: Blaue Bohnen gegen rotes Gesindel?
19. 9. 1968: Die Rheinische Post zitiert den Generalinspekteur des Heeres, General Josef Moll (62) mit einer Drohung gegen APO-Studenten, die »Demonstrationen« vor Bundeswehr-Kasernen angekündigt hatten: »Den Kavalieren vom SDS kann ich nur den guten Rat geben: Bleibt ja von den Kasernen weg! Das könnte euch schlecht bekommen.«

Gewerkschaften, Anti-Atom-Bewegung, Ostermarschierer - für Ebsen alles nur Erscheinungsformen von »Agitprop« und linker Umsturzstrategie.

Der Herr Oberst hielt drauf: »Mit dieser Massenbasis, im legalen Gewand ,Volkspartei' genannt, lässt sich ein demokratisch erscheinender Machtwechsel anstreben . Ein aktiver, energischer und im Volk repräsentierter Staat wird in der Lage sein, solche Bestrebungen solange zu unterdrücken, wie er politische Handlungsfreiheit hat.«

»Ersticken« selbst noch legaler »Systemveränderung«, »Säubern« der »besetzten Zonen« von den »militanten Elementen ideologisierter Massen« - das alles stammt wohlgemerkt nicht aus der Feder eines wilhelminischen Obristen, sondern eines Experten des »Amtes für Studien und Übungen der Bundeswehr«, abgedeckt durch den Art.20 des GG, der »Counterinsurgency« als verfassungsmäßigen »Widerstand« codifiziert - auch im Rahmen der Notstandsverfassung. Ernüchternd.

Putschpapiere aus Offizierskreisen und Denkfabriken der Bundeswehr, diktatorische Phantasien als Grundszenarien von Wehrübungen und Stabsmanövern - allein dies erweist ausreichend, dass Militär, dass auch die Bundeswehr, ein beständiger Risikofaktor selbst noch für die biederste bürgerliche Demokratie - und die Bundesrepublik Deutschland ist alles andere als eine biedere Demokratie - ist, darin den Geheimdiensten ähnlich.

Immerhin handelt es sich bei den Expertisen des Obristen Ebsen nicht um Kasinohalluzinationen einzelner von Allmachtsphantasien besessener Offiziere, sondern um offizielle Papiere einer Institution, durch welche die Regierung ihre militärischen Konzepte entwickeln lässt.

So erscheint dann auch der »Oderbruch - Einsatz« schon in einem anderen Licht. Denn bei allen Verdiensten in punkto Nothilfe war dieser Noteinsatz nebenbei eine willkommene Notstandsübung - eine Probe aufs Exempel für Infrastruktur und Logistik der Bundeswehr, auswertbar und anwendbar auch für ganz anders definierte »Notlagen«. Dass die Bundeswehr nicht nur gegen aufständische Wassermassen, sondern auch gegen aufständische Menschenmassen in kürzester Zeit Mann, Maschine und Material überall im Lande aufbieten und einsetzen könnte, rein technisch gesehen jedenfalls, hat sie am Oderbruch unter »Kampfbedingungen« erprobt und bewiesen. Die rechtliche Basis liefert, wenn es denn einmal »sein muss«, ebenfalls die Notstandsverfassung.

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