Ausgewählte Beiträge aus klassenlinken Zusammenhängen

Die politischen Lehren aus der Pandemie und der Kampf für den Sozialismus 2021
E
in Beitrag auf der World Socialist Web Site

von Joseph Kishore, David North

01/2021

trend
onlinezeitung

1. Zu Beginn des neuen Jahres breitet sich die Covid-19-Pandemie weiter über den Globus aus. Es handelt sich um eine Weltkrise von enormer historischer Bedeutung. Die Pandemie ist ein „Trigger-Event“: Sie bringt die Widersprüche des globalen Kapitalismus in stark verdichteter Form zum Ausdruck und setzt lange unterdrückte Kräfte frei, die zur Umwandlung der Gesellschaft führen.

2. Die Pandemie ist keine rein medizinische Krise. Im Laufe des letzten Jahres trat der zutiefst reaktionäre Charakter des Weltkapitalismus zutage. Das Profitstreben ohne Rücksicht auf soziale Kosten, die Gier der Oligarchen nach obszönem privatem Reichtum und ihre menschenverachtende Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben und Wohlergehen der Weltbevölkerung haben zu einer globalen sozialen Katastrophe geführt.

3. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) hat die Pandemie mehrfach mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs verglichen. Die Ereignisse von 1914 und die Folgen, die sich aus dem Krieg ergaben, setzten einen Prozess der politischen Umwälzung in Gang, der den gesamten Erdball erfasste. Die Arbeiterklasse und die verarmten Massen wurden politisch radikalisiert. Weltreiche, die zu Beginn des Jahres 1914 allmächtig und unbesiegbar erschienen waren – Russland, Österreich-Ungarn und Preußen – wurden innerhalb weniger Jahre von den Kräften der sozialen Revolution gestürzt. In Asien, Afrika, dem Nahen Osten und Lateinamerika entstand eine antiimperialistische Bewegung gegen die Kolonialherrschaft, der sich Hunderte Millionen anschlossen.

4. Die Tragödie des vergangenen Jahres, die im neuen Jahr fortdauert, führt zu einem tiefgreifenden Wandel im Bewusstsein der internationalen Arbeiterklasse und Jugend. Das Jahr 2020 – gekennzeichnet durch massenhaftes vorzeitiges Sterben, wirtschaftliche Verwerfungen und die offensichtliche Krise und den Zusammenbruch der traditionellen politischen Strukturen, ob pseudodemokratisch oder offen autoritär – wird sich als ebenso kritischer Wendepunkt in der Geschichte des 21. Jahrhunderts erweisen, wie einst 1914 in der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Der Widerspruch zwischen den Interessen der Reichen und den Bedürfnissen der Massengesellschaft ist so eklatant, dass er unweigerlich sozialen Protest und kompromisslosen politischen Widerstand hervorrufen wird.

5. Zu Beginn des letzten Jahres sagte das Internationale Komitee in seiner Neujahrserklärung voraus, dass die 2020er Jahre ein Jahrzehnt der sozialen Revolution sein würden. Diese Voraussage beruhte auf einer Analyse des fortgeschrittenen Stadiums der globalen geopolitischen und sozioökonomischen Krise. Die Ereignisse des Jahres 2020 haben diese Analyse nicht nur bestätigt, sondern ihr auch eine gesteigerte Dringlichkeit verliehen.

6. Die Auswirkungen der Pandemie ebben nicht ab, sondern verstärken sich. Bereits vor der Entdeckung einer neuen, ansteckenderen Mutation hatte sich die Ausbreitung des Coronavirus in der Weltbevölkerung beschleunigt. Die weltweite Zahl der Todesopfer erreichte noch vor dem Jahreswechsel fast zwei Millionen. In Asien sind 305.000 Todesfälle zu beklagen. In Afrika beträgt die offizielle Zahl der Todesopfer 63.000. In Europa sind 552.000 Menschen gestorben. Auf dem amerikanischen Kontinent gab es 848.000 Todesfälle.

7. Die Gesamtzahl der Toten in den einzelnen Ländern ist erschütternd. In Brasilien sind fast 200.000 Menschen gestorben. Im Vereinigten Königreich beläuft sich die Zahl der Todesopfer auf über 71.000. In Italien sind es 72.000. In Frankreich haben 63.000 Menschen ihr Leben verloren. In Spanien sind 50.000 Menschen gestorben. In Deutschland liegt die Zahl der Todesopfer bei 30.000.

8. Am katastrophalsten ist die Lage in den Vereinigten Staaten, wo die Pandemie außer Kontrolle ist. Insgesamt starben im Jahr 2020 rund 340.000 Menschen an Covid-19. Im Monat Dezember erlagen etwa 70.000 Amerikaner dem Virus, die tägliche Zahl der Todesfälle stieg bis auf 3.500. Mittlerweile wird prognostiziert, dass im Januar etwa 115.000 weitere Amerikaner sterben werden. Die Medien bemühen sich, von diesem Alptraum abzulenken, indem sie die Entwicklung von Impfstoffen herausstellen. Doch die Realität sieht anders aus. Die jährliche Sterberate in Amerika ist höher als in den schlimmsten Kriegen.

9. Der Medienhype um die Freigabe der Impfstoffe von Pfizer und Moderna verblasst angesichts des vorhersehbaren Chaos, das ihre Einführung begleitet. Nur 3 Millionen der 20 Millionen Dosen, die bis Ende Dezember verabreicht werden sollten, wurden tatsächlich verimpft. Aber selbst, wenn diese Desorganisation und Inkompetenz in den kommenden Monaten irgendwie überwunden werden sollte – was angesichts des katastrophalen Zustands der profitorientierten amerikanischen Gesundheitsindustrie höchst unwahrscheinlich ist –, wird die beschleunigte Sterblichkeitsrate kaum abgebremst werden. „Selbst mit einem Impfstoff“, warnte das Institute for Health Metrics and Evaluation im Dezember, „könnte die Zahl der Todesopfer bis zum 1. April 770.000 erreichen, wenn die Staaten nicht handeln, um die aktuellen Verbreitungswellen unter Kontrolle zu bringen.“ Aber weder die Bundesstaaten noch die Bundesregierung werden die Maßnahmen ergreifen, die erforderlich wären, um die anhaltende, katastrophale Ausbreitung des Virus und den Verlust von Menschenleben zu begrenzen, geschweige denn zu verhindern.

10. Der designierte Präsident Joe Biden hat einen „sehr dunklen Winter“ vorausgesagt. Aber die einzige Maßnahme, die er angesichts der beispiellosen sozialen Katastrophe für seine ersten 100 Tage im Amt angekündigt hat, ist ein Aufruf an alle Amerikaner, einen Gesichtsschutz zu tragen. Im gegenwärtigen Stadium der Pandemie läuft Bidens Politik auf den Versuch hinaus, einen Hurrikan mit Schmetterlingsnetzen einzudämmen. In Bidens erbärmlichem Vorschlag spiegelt sich die Verachtung der kapitalistischen Oligarchie für das menschliche Leben.

11. Die herrschende Klasse weigert sich, die Maßnahmen zu ergreifen, die notwendig wären, um die Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen: die Schließung aller nicht lebensnotwendigen Betriebe, die Schließung der Schulen und finanzielle Nothilfen für die Bevölkerung, bis die Krise überwunden ist. Die Ausrede, weitere Maßnahmen zur Rettung von Menschenleben seien nicht möglich, wird dadurch widerlegt, dass es China gelungen ist, durch ein rigoroses Programm von Tests, Kontaktverfolgung und selektiven Lockdowns die Ausbreitung des Virus innerhalb kurzer Zeit einzudämmen und die Gesamtzahl der Todesfälle auf weniger als 5.000 zu begrenzen.

12. Die Tatsache, dass die Pandemie in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern Westeuropas und vor allem in den USA – Heimat der reichsten Kapitalistenklasse und Zentrum des Weltimperialismus – am schlimmsten wütet, zeugt von der historischen Überholtheit eines sozioökonomischen Systems, das auf dem Nationalstaat, dem Privateigentum an den Produktionsmitteln und dem Streben nach Profit durch die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft beruht. Von Anbeginn der Pandemie lehnten die herrschenden Klassen selbst die unerlässlichsten lebensrettenden Maßnahmen ab, wenn diese mit der Anhäufung von privatem Reichtum oder den geopolitischen Interessen ihrer Nationalstaaten kollidierten.

13. Eine global koordinierte und wissenschaftlich fundierte Reaktion auf die Pandemie scheiterte sofort an Erwägungen in Bezug auf die nationale Sicherheit, interimperialistische Konflikte und globale Machtverhältnisse sowie am Streben transnationaler Konzerne (die nach wie vor an die bestehenden Nationalstaaten gebunden sind) nach Wettbewerbsvorteilen. Die Pandemie hat die kapitalistischen Nationalstaaten nicht veranlasst, im Angesicht einer gemeinsamen Bedrohung zusammenzuhalten, sondern hat die Gegensätze zwischen ihnen verschärft. In der Strategic Survey of 2020, einer Publikation des International Institute for Strategic Studies (IISS), wird konstatiert, dass „sich die Spannungen selbst dann vertieften, als sich das Virus fast in allen Ländern ausbreitete“. Weiter heißt es:

Mitte 2020 hatten die Beziehungen zwischen den USA, Europa und China im Vergleich mehrerer Jahrzehnte praktisch einen Tiefpunkt erreicht. Die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen waren von fortdauerndem Misstrauen geprägt. Die chinesisch-indischen Spannungen entluden sich in Grenzkonflikten mit Todesfolgen. Die Institutionen, Gesetze und Normen der Zusammenarbeit erlitten mehrfach Rückschläge. Die USA kündigten ihre Mitgliedschaft in mehreren Organisationen, u. a. der Weltgesundheitsorganisation, auf oder zogen ihre Unterschrift unter internationale Übereinkommen zurück. Das Vereinigte Königreich verließ die Europäische Union. China änderte den Sonderstatus von Hongkong.

14. Die Weltlage wird in der Strategic Survey äußerst pessimistisch bewertet:

Wir treten in das Zeitalter der so genannten „Tolerance Warfare“ ein, vom IISS definiert als „ständige Versuche, die Toleranz etablierter Staaten gegenüber verschiedenen Formen der Intervention zu testen“. Manchmal wird diese Art der Kriegsführung offen betrieben und regelrecht „erklärt“. Oft wird sie aber auch durch ausländische Netzwerke oder private Partner ausgeführt, vor allem in Einsatzgebieten in der Nachbarschaft der Staaten, die diese Strategie anwenden. Als bevorzugtes Werkzeug von Akteuren, die den Status quo verändern wollen, ist Tolerance Warfare schwer zu bekämpfen, weil diese Vorgehensweise – außerhalb des geltenden Rechts – Konflikte herbeiführt, die unterhalb der Schwelle eines herkömmlichen Kriegs, jedoch oberhalb der akzeptablen Stabilitätsgrenzen liegen.

Die Covid-19-Pandemie hat dabei kaum ein strategisches Innehalten zugelassen. Nationale Widerstandsfähigkeit und Autarkie werden als zentrale Ziele gepriesen. Die Reputation kehrt als wichtiges Element nationaler Stärke zurück.

15. In dieser äußerst angespannten Situation warnt das IISS: „Wenige Fehler genügen, um Anarchie ausbrechen zu lassen.“

Die Merkmale der Kriegsführung, die Form der Konflikte, die Strategien, die Akteure und die Waffen verändern sich ständig. Die Art, wie Staaten, Unternehmen und transnationale Akteure ihre Macht digital und wirtschaftlich geltend machen, unterliegt einem schnellen Wandel. Regionale Ordnungen mutieren. Das Zusammenspiel von Normen, Richtlinien, Standards, Vorschriften und Gesetzen, die die Weltgemeinschaft bestimmen, ist im Fluss. Die Weltgemeinschaft ist weiterhin nicht ausreichend geordnet und wird fast zu einem „regierungsfreien Raum“.

16. Die vom IISS beschriebenen „Tolerance Wars“ können sich leicht zu Kriegen auswachsen, bei denen ein nuklearer Schlagabtausch droht. Das unaufhörliche Wettern der USA gegen Russland und China, verbunden mit zunehmend provokativen Militärmanövern, birgt eine fatale politische Logik. Verstärkt wird diese Gefahr durch das Bedürfnis der herrschenden Klasse, den inneren sozialen Druck nach außen zu lenken, d. h. weg vom inneren Klassenkonflikt und hin zu Krieg.

17. Bei der unerbittlichen Verfolgung ihrer globalen geopolitischen Interessen lehnen die kapitalistischen Eliten jede Antwort auf die Pandemie ab, die den Profitinteressen der Unternehmen und der Anhäufung von privatem Reichtum widerspricht. Der schwindelerregende Höhenflug der Aktienkurse an der Wall Street von März bis Dezember 2020 und der Anstieg der Todesopfer verliefen parallel und komplementär zueinander. Die Politik, die die kapitalistische Bereicherung ermöglichte, machte zugleich den Massentod unvermeidlich. Bereits im Januar 2020 entschieden die herrschenden Klassen der USA und Europas, den Interessen der Finanzmärkte Vorrang vor der Rettung von Menschenleben einzuräumen. Wie Donald Trump später in einem Interview mit dem Journalisten Bob Woodward zugab, wurde die Gefahr, die von der Pandemie ausging, vor der Öffentlichkeit verheimlicht, während hinter den Kulissen Pläne ausgearbeitet wurden, unter dem Deckmantel des CARES-Gesetzes eine milliardenschwere Rettungsaktion für die Wall Street und die Großkonzerne zu organisieren.

18. Seit Anfang 2020 ist das Vermögen der reichsten 500 Personen der Welt um rund 1,8 Billionen auf insgesamt 7,6 Billionen Dollar gewachsen. Fünf dieser Pandemie-Profiteure besitzen nun jeweils mehr als 100 Milliarden Dollar, darunter Amazon-CEO Jeff Bezos (190 Milliarden) und Tesla-CEO Elon Musk (170 Milliarden). Die beiden Letzteren haben ihr Vermögen im Jahr 2020 um zusammen 217 Milliarden Dollar erhöht.

19. Die schwindelerregende Vermehrung des Reichtums der herrschenden Schicht beruht ausschließlich darauf, dass die Federal Reserve die Finanzmärkte unbegrenzt mit digital erzeugtem Geld versorgt – mit „fiktivem Kapital“, das nichts mit der Produktion von realen Werten zu tun hat. Dies hat eine Orgie der Spekulation ausgelöst, die den Preis von spekulativen Anlagen – und das Vermögen ihrer Besitzer – in stratosphärische Höhen getrieben hat. Der Preis der Kryptowährung Bitcoin – Geld, das außerhalb des Cyberspace keine physische Existenz hat – stieg im Jahr 2020 um 360 Prozent, von 7.194 auf 34.000 Dollar. Zwischen den Weihnachtsfeiertagen und Neujahr hat sich ihr Marktpreis fast verdoppelt. Solche Geschenke erhalten die Reichen „mit freundlicher Empfehlung der US-Notenbank ... dieser sprudelnden Quelle kostenlosen Geldes, das alle Kurse steigen lässt“, wie Edward Luce in einer Kolumne am Neujahrswochenende ironisch kommentierte.

20. Die Kosten der Politik der Federal Reserve werden auf die Arbeiterklasse abgewälzt. Die Anhäufung hoher staatlicher Defizite und Schuldverschreibungen von Unternehmen, die zur Finanzierung der Rettungsaktion notwendig sind, erfordert aufseiten der Wirtschaft einen kontinuierlichen Einnahmenfluss und eine hohe Profitabilität. Ohne diesen Zufluss kann die Spekulationsblase und der davon abhängige Reichtum nicht aufrechterhalten werden. Dieser ökonomische Zwang bedeutet, dass die Ausbeutung der Arbeitskraft der Arbeiterklasse ohne Unterbrechung weitergehen muss. So wie die Soldaten im Ersten Weltkrieg in den Schützengräben gehalten und in Maschinengewehrfeuer und Giftgas gejagt werden mussten, so müssen die Arbeiter heute trotz der unkontrollierten Ausbreitung des Virus in die Fabriken und Betriebe getrieben werden. Und damit die Eltern an ihren Arbeitsplätzen erscheinen können, müssen die Schulen offengehalten werden, obwohl Kinder wichtige Überträger des Coronavirus auf Erwachsene sind.

21. Diese Beweggründe liegen dem kriminellen Programm der „Herdenimmunität“ zugrunde, mit dem die unkontrollierte Ausbreitung des Virus hingenommen oder sogar befürwortet wird. Irgendwann, so die Befürworter dieser Politik, wird ein so großer Teil der Bevölkerung mit dem Virus infiziert sein, dass eine „Herdenimmunität“ entsteht.

22. Diese Politik wurde von Schweden gleich anfangs unter großem Getöse umgesetzt und dann – nach den Rettungsmaßnahmen Ende März 2020 – auf das übrige Europa und die Vereinigten Staaten übertragen. Diese soziale Eiseskälte wurde mit der Behauptung gerechtfertigt, dass Lockdowns und Schulschließungen zur Eindämmung des Virus untragbare finanzielle Kosten verursachen würden. Thomas Friedman von der New York Times hat in einer Kolumne, in der er das schwedische Beispiel lobt, die Parole geprägt: „Das Heilmittel darf nicht schlimmer sein als die Krankheit.“ Dieser zynische Spruch besagt, dass die Rettung von Menschenleben nicht auf Kosten von Unternehmensgewinnen und Aktienkursen gehen darf.

23. Das politische Pendant zum wirtschaftlichen Handeln der herrschenden Klasse ist die immer offenere Förderung faschistischer Bewegungen, die Demontage traditioneller Institutionen der bürgerlichen Demokratie und das Bestreben zur Errichtung autoritärer Regierungsformen. Donald Trump, der mit seiner Verschwörung die Verfassung abschaffen und eine Präsidialdiktatur errichten will, ist kein isolierter Psychopath, der aus persönlichen Gründen Hitler nacheifert. Ein großer Teil der Republikanischen Partei, darunter Kongressabgeordnete, erkennt die Wahlergebnisse 2020 ebenfalls nicht an und zeigt damit, in welchem Ausmaß einflussreiche Teile der herrschenden Klasse bereit sind, mit der Verfassung zu brechen und die Errichtung eines autoritären Regimes zu unterstützen.

24. Mit seinen ständigen Hetztiraden gegen die „radikale Linke“ und den Sozialismus, kombiniert mit der Förderung faschistischer Banden, appelliert Trump an die Ängste der Oligarchie, dass die Entstehung einer Massenbewegung gegen soziale Ungleichheit nicht nur möglich, sondern unvermeidlich ist und unmittelbar bevorsteht. Trumps Rhetorik und Verhalten entspricht einer politischen Strategie, die der bekannte linke Historiker Arno J. Mayer als Vorbereitung einer präventiven Konterrevolution bezeichnete:

In einer Atmosphäre von Misstrauen, Unsicherheit und drohender Gewalt versuchen konterrevolutionäre Führer, die angeschlagenen und traumatisierten Eliten davon zu überzeugen, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis Revolutionäre die Lage wieder für ihre Zwecke ausnutzen würden. Doch sie bemühen sich nicht um eine Abkühlung der überhitzten Atmosphäre, sondern heizen sie nach Kräften weiter an. Auf diese Weise versuchen sie ihre Behauptung zu untermauern, dass die Revolution unmittelbar bevorstehe, während sie gleichzeitig Konfrontationen suchen oder gar herbeiführen, um ihre Fähigkeit unter Beweis zu stellen, echte oder angebliche Revolutionäre niederzuschlagen. (Dynamics of Counterrevolution in Europe, 1870-1956: An Analytic Framework, New York: Harper & Row, 1971, S. 86)

25. Vor dem Hintergrund dieser historischen Analyse erschließt sich das politische Kalkül hinter Trumps Angriffen auf die Proteste gegen Polizeigewalt im vergangenen Jahr und hinter seiner skrupellosen Anstiftung zur staatlichen Tötung des mutmaßlichen Antifa-Anhängers Michael Reinoehl am 3. September 2020.

26. Die Vorgehensweise der Trump-Regierung bestätigt die Warnungen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale. Das IKVI hatte die politische Bedeutung von Trumps Machtantritt analysiert, indem es die gesellschaftlichen Grundlagen der kapitalistischen Herrschaft in den USA einer marxistischen Analyse unterzog. In einer Neujahrserklärung, die vor fast genau vier Jahren, am 3. Januar 2017, nur zwei Wochen vor Trumps Amtseinführung veröffentlicht wurde, warnte die World Socialist Web Site:

Die Wahl von Donald Trump hat die Realität der oligarchischen Herrschaft in den Vereinigten Staaten in ihrer ganzen ekelerregenden Nacktheit offengelegt. Trump ist beileibe nicht als eine Art Bestie in eine Gesellschaft eingedrungen, die bis zum Wahltag zwar mit Fehlern behaftet, aber im Grunde anständig war. Trump – eine Kreuzung aus allen kriminellen und verkommenen Machenschaften der Immobilien-, Finanz-, Glücksspiel- und Unterhaltungsbranche – ist das wahre Gesicht der amerikanischen herrschenden Klasse.

Die bevorstehende Regierung Trump ist ihren Zielen und ihrer Zusammensetzung nach als Aufstand der Oligarchie zu werten. Nicht selten stemmt sich eine zum Untergang verurteilte Gesellschaftsklasse dem Gang der Geschichte entgegen, indem sie versucht, sich die Macht und die Privilegien zurückzuholen, die ihr vermeintlich seit langem streitig gemacht wurden. Sie möchte den Zustand wiederherstellen, der (und sei es nur in ihrer Einbildung) herrschte, bevor gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen an den Grundlagen ihrer Herrschaft zu nagen begannen.

27. Die Amtseinführung von Joseph Biden als Präsident am 20. Januar – vorausgesetzt, dass Trumps Versuche, einen Staatsstreich zu inszenieren, scheitern – wird den Zusammenbruch der amerikanischen Demokratie in keiner Weise aufhalten, geschweige denn umkehren. Die Triebkraft für die Entstehung einer autoritären Herrschaft liegt nicht in einzelnen Persönlichkeiten, sondern 1) in den sozioökonomischen Widersprüchen des amerikanischen Kapitalismus, die ihren übelsten Ausdruck in extremer sozialer Ungleichheit finden, und 2) im inhärenten und unkontrollierbaren Drang des amerikanischen Imperialismus, die Erosion seiner geopolitischen Position umzukehren und seine globale Hegemonie wiederherzustellen und dafür jeden noch so entsetzlichen Preis zu zahlen.

28. Keines der wesentlichen Elemente der kapitalistischen Herrschaft in Amerika – die immer tiefere soziale Ungleichheit und die hemmungslose Durchsetzung der Interessen der USA als stärkster imperialistischer Macht weltweit – lässt sich mit Demokratie vereinbaren. Nur mit polizeistaatlichen Maßnahmen kann die Ungleichheit gegen den wachsenden Protest im Inland verteidigt und der zunehmende Klassenkampf niedergehalten werden. Um die globale Vorherrschaft aufrecht zu erhalten, müssen ständig unbegrenzte wirtschaftliche Ressourcen in die Vorbereitung und Führung von Kriegen fließen. Dies sind die Imperative, die die Politik der Regierung Biden bestimmen werden, sowohl innerhalb der Vereinigten Staaten als auch international.

29. Aber die gesellschaftliche Notwendigkeit manifestiert sich nicht nur in der Politik der herrschenden Klasse. Sie bringt auch immense Veränderungen im Massenbewusstsein mit sich. Die Tragödie des Jahres 2020, die sich bis ins Jahr 2021 fortsetzt, hat das Vertrauen der Arbeiterklasse in die kapitalistische Ordnung tiefgreifend und unwiderruflich untergraben. Die grundlegende Lehre aus der Pandemie lautet, dass die Interessen der Arbeiterklasse nur im Kampf gegen das kapitalistische System verteidigt werden können. Nicht nur der Widerstand gegen die Politik der Herdenimmunität wird zunehmen, sondern auch die Forderung nach einer Veränderung der bestehenden Gesellschaftsstrukturen. Die Anfänge einer vorrevolutionären Situation werden unverkennbar in einer Linksverschiebung des Massenbewusstseins und einer Verschärfung des Klassenkampfs zutage treten.

30. Der Arbeiterklasse ist nicht entgangen, dass der exponentielle Anstieg der Sterblichkeitsrate mit einem exponentiellen Anstieg der Aktienkurse an der Wall Street und anderen großen Börsen einhergegangen ist. Während Tausende um Luft ringen und in überfüllten Intensivstationen einen einsamen Tod erleiden, ohne den Trost einer letzten Umarmung und zärtlicher Worte ihrer Lieben, suhlt sich die Klasse der Pandemie-Profiteure auf Kosten der Gesellschaft in ihrer Bereicherung. Parallel zur obszönen Anhäufung von privatem Reichtum wächst die soziale Empörung.

31. Die soziale Empörung wird sich im Klassenkampf Bahn brechen. Die Sozialistischen Gleichheitsparteien, die dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale angeschlossen sind, haben diese Entwicklung nach Kräften vorweggenommen und gefördert, indem sie sich für die Bildung unabhängiger Aktionskomitees einsetzten. Diese Komitees stehen außerhalb der Kontrolle der offiziellen Gewerkschaften, die als bloße Anhängsel der Unternehmen jeden Widerstand der Arbeiter gegen kapitalistische Ausbeutung zu ersticken versuchen.

32. Die Arbeiterklasse wird in den Strudel des revolutionären Kampfs hineingezogen. So wie der Reichtum und die Privilegien der europäischen Aristokraten und der nordamerikanischen Sklavenhalter Forderungen nach dem Umsturz der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse hervorriefen, auf denen der Reichtum und die Macht der alten herrschenden Klassen beruhten, so wird auch die moderne globalisierte Welt die Konzentration des gesellschaftlichen Reichtums in den Händen einer kleinen kapitalistischen Elite nicht endlos tolerieren. Die Forderung nach der Enteignung der Oligarchen und nach der sozialistischen Reorganisation der Weltwirtschaft im Interesse der Menschheit erwächst mit Notwendigkeit aus der aktuellen Krise. Die Erkenntnis der objektiven Logik dieses gesellschaftlichen Prozesses ist die eigentliche Grundlage der politischen Perspektive und Praxis der trotzkistischen Weltbewegung.

33. Der Aufbau einer sozialistischen Bewegung in der Arbeiterklasse ist seinem Wesen nach ein internationaler Kampf. Die Pandemie hat auf ganz unmittelbare Weise offenbart, dass jedes größere Problem, mit dem die Menschheit konfrontiert ist, ein globales Problem ist und eine globale Lösung erfordert. Dieselbe Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben, dieselbe Inkompetenz und Desorganisation, dieselbe rücksichtslose Unterordnung sozialer Bedürfnisse unter privaten Reichtum und geopolitische Interessen kennzeichnen die Reaktion der herrschenden Klasse auf jedes Problem, sei es der Klimawandel, die Gefahr eines Weltkriegs oder die Massenarmut.

34. Um die internationale Arbeiterklasse zu einem gemeinsamen Kampf gegen den Kapitalismus zusammenzuschließen, gilt es allen Spaltungen entgegenzutreten, die vom Nationalismus der extremen Rechten oder der Identitätspolitik der Pseudolinken in ihre Reihen getragen werden. Im vergangenen Jahr haben die Demokratische Partei und die New York Times unaufhörlich versucht, Menschen verschiedener Hautfarben gegeneinander aufzuhetzen, und so getan, als ob die Vereinigten Staaten grundlegend zwischen dem „weißen Amerika“ und dem „schwarzen Amerika“ gespalten seien, und nicht zwischen der Arbeiterklasse und der Kapitalistenklasse. Dies ist die reaktionäre Politik der oberen Mittelschicht. Ihr Ziel ist nicht soziale Gleichheit, sondern eine für sie günstigere Verteilung von Reichtum und Privilegien innerhalb der oberen 10 Prozent der Bevölkerung.

35. Die Förderung des Rassegedankens in der Politik ist eine der Methoden, mit denen die herrschende Klasse versucht, die soziale Opposition im Rahmen der Demokratischen Partei zu halten. Das ist die zentrale politische Lehre aus den Massenprotesten gegen Polizeimorde, die sich im Frühjahr 2020 in den gesamten USA und international ausbreiteten. Die Demokraten und ihre Hilfsorganisationen innerhalb der Pseudolinken leiteten die Wut über die ausufernde Polizeigewalt, der Arbeiter und Jugendliche aller Hautfarben ausgesetzt sind, in die Kanäle des Widerstands gegen „weiße Privilegien“. Zu diesem Zweck legte die New York Times mit ihrem 1619-Projekt eine rassistische Geschichtsfälschung auf. Verstärkt wurde dies durch den reaktionären Ruf, die Statuen von Führern der beiden bürgerlich-demokratischen Revolutionen in den Vereinigten Staaten niederzureißen, d. h. der Amerikanischen Revolution und des Amerikanischen Bürgerkriegs.

36. Senator Bernie Sanders, der von den Democratic Socialists of America und anderen pseudolinken Organisationen unterstützt wird, spielte erneut eine reaktionäre und doppelzüngige Rolle, indem er die Opposition gegen den Kapitalismus auf die Mühlen der Demokratischen Partei lenkte. Wie schon bei den Wahlen 2016 behauptete Sanders auch im Wahlkampf 2020, er führe eine „politische Revolution“ an, um dann den rechten Kandidaten des Establishments der Demokratischen Partei zu unterstützen. Die Behauptungen von Sanders und anderen, dass eine Biden-Regierung „Raum“ für soziale Reformen schaffen würde, wurden bereits im Vorfeld von Bidens Amtsantritt widerlegt. Biden hat ein rechtes Kabinett zusammengestellt, unaufhörlich zur „Einheit“ aufgerufen und versprochen, mit seinen „republikanischen Kollegen“ zusammenzuarbeiten – denselben Leuten, die Trump in seinem Versuch unterstützt haben, die Wahl zu stehlen und entgegen der Verfassung eine Präsidialdiktatur zu errichten.

37. Die Verteidigung demokratischer Rechte und der Kampf gegen den Faschismus, in den Vereinigten Staaten und international, sind untrennbar mit der unabhängigen Mobilisierung der Arbeiterklasse zum Kampf für den Sozialismus verbunden. Eine zentrale Lehre des Jahres 2020 besteht darin, dass in dem Maße, in dem kein wirklich progressiver Ausweg aus der Krise des Kapitalismus gefunden wird, alle Schrecken des 20. Jahrhunderts in noch blutigeren und brutaleren Formen wiederkehren werden.

38. Im vergangenen Jahr hat die Führung der trotzkistischen Bewegung, das Internationale Komitee der Vierten Internationale, in der Praxis die Stärke ihrer historischen Grundlagen und die Kraft der marxistischen Methode bewiesen. Von den frühesten Stadien der Pandemie an warnte das IKVI vor der globalen Gefahr, deckte die Verschwörungen der herrschenden Eliten auf und entwickelte ein Programm und eine Perspektive für die Arbeiterklasse, um das tödliche Virus zu stoppen. Es gibt keine einzige Publikation in der Welt, die sich bei der Berichterstattung über die Pandemie mit der World Socialist Web Site messen kann.

39. Am 28. Februar, als weltweit weniger als 3.000 Todesfälle zu beklagen waren und in den USA noch kein Todesopfer registriert war, veröffentlichte das IKVI einen dringenden Aufruf zu globalen Notfallmaßnahmen gegen die Pandemie. Während die herrschende Klasse die Gefahr herunterspielte und Gegenmaßnahmen hinauszögerte, rief das IKVI zum Einsatz aller wissenschaftlichen, technischen und sozialen Ressourcen der Welt auf, um die tödliche Bedrohung zu bekämpfen. Am 17. März, als die Zahl der Todesopfer in den USA gerade die 100 überschritten hatte, veröffentlichte das Nationalkomitee der Socialist Equality Party in den Vereinigten Staaten ein Aktionsprogramm für die Arbeiterklasse. Darin forderte sie sofortige Schließung von Schulen und nicht lebensnotwendigen Betrieben bei vollem Einkommensausgleich für die betroffenen Arbeiter. Dies sind nur zwei der zahllosen Erklärungen und Artikel, in denen kontinuierlich eine sozialistische, programmatische und politische Alternative zur Politik des Massensterbens und der sozialen Verwüstung vertreten wurde, wie sie die herrschende Klasse betrieb.

40. So wie einst der Erste Weltkrieg die Weitsicht der Bolschewistischen Partei bewies, zeugt die jetzige Krise von der historischen Statur der heutigen trotzkistischen Bewegung. Es besteht kein Zweifel, dass Hunderttausende von Menschenleben gerettet worden wären, wenn die vom IKVI vertretene Politik umgesetzt worden wäre.

41. Die Dauer einer vorrevolutionären Situation – die Dauer des Übergangs zu einem direkten Kampf um die Macht – lässt sich nicht vorhersagen. Getrennt von der Teilnahme an den Kämpfen der Arbeiterklasse ist jede Spekulation über das Tempo der Ereignisse völlig abstrakt und metaphysisch. Die Herausforderung, die sich der sozialistischen Bewegung im Zusammenhang mit der objektiven Krise des Kapitalismus und der Zunahme des Klassenkampfs stellt, besteht darin, das Klassenbewusstsein der Arbeiter anzuheben und ihrer Bewegung eine sozialistische Richtung zu geben.

42. Diese Aufgabe erschöpft sich nicht darin, den Arbeitern von außen Ratschläge zu erteilen. Der Erfolg des Kampfs für den Sozialismus hängt davon ab, dass die Sozialistischen Gleichheitsparteien in allen Teilen der Arbeiterklasse eine starke Präsenz aufbauen – in den Fabriken, Schulen und Betrieben. Die International Youth and Students for Social Equality werden bei der Verstärkung unserer Partei in der Arbeiterklasse eine entscheidende Rolle spielen.

43. Die gesellschaftlichen und politischen Voraussetzungen sind reif für den Aufbau einer mächtigen internationalen Bewegung der Arbeiterklasse. Wir rufen die Leser der World Socialist Web Site auf, im Kampf für den Sozialismus aktiv zu werden, der Sozialistischen Gleichheitspartei beizutreten und die Vierte Internationale als Weltpartei der sozialistischen Revolution aufzubauen.

Quelle: https://www.wsws.org/de/articles/2021/01/05/pers-j05.html  5.1.2021