Bericht aus Frankreich
Reigen an repressiven Gesetzen, Verordnungen, Verfügungen

von Bernard Schmid

01/2021

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Und immer wenn Du glaubst, schlimmer geht’s nicht mehr, kommt auch schon Monsieur Lallement daher. Bei Didier Lallement handelt es sich um den seit März 2019 amtierenden Pariser Polizeipräfekten – damals frisch eingesetzt, um dem im Umgang mit den „Gelbwest“protesten als zu lax erscheinenden Amtsvorgänger Michel Delpuech einen Scharfmacher zum Nachfolger zu geben.// Vgl. Gelbwesten-Chronik vom 19. März 2019 und vom 6. Mai 2019)

Dass dessen Namen oft spöttisch „Lallemand“ (von L’Allemand, also „Der Deutsche“) geschrieben und nicht selten auch mit Nazi-Anspielungen verknüpft wird, hat sich mittlerweile in mehr oder minder breiten Kreisen eingebürgert; auch wenn der NS-Vergleich selbstverständlich falsch ist, zählt er doch zu den in der politischen Auseinandersetzung üblichen Überspitzungen. Nationalsozialist ist Lallement sicherlich keiner (das wäre eine groteske ideologische Fehlinterpretation), ein Law and order-verliebter Schreibtischdenker ohne Skrupel sowie Verfechter der „Staatsraison“ als (Quasi-)Selbstzweck jedoch ist er zweifellos.

Lallement kommt allerdings ursprünglich aus der französischen Sozialdemokratie, und innerhalb derselben aus dem CERES, also einer einstmals oberflächlich marxistisch klingenden, hauptsächlich jedoch (links)nationalistischen und etatistischen Unterströmung des Parti Socialiste/PS. Anführer dieser Richtung war lange Jahre Jean-Pierre Chevènement, den viele in den 1980ern noch hauptsächlich für einen irgendwie linken Opponenten gegen den Wirtschaftsliberalismus hielten – welcher jedoch u.a. 1990 als „Verteidigungs“minister (er exekutierte die französische Militärintervention in Gabun im Mai 90, trat jedoch im Januar 91 aus Kritik an der Unterstützung für die US-Intervention im Iraq als „nicht französischen Interessen dienlich“ zurück) und vor allem von 1997 bis 2000 als Innenminister bewies, was er vermochte. Dass er also loyal zur Bourgeoisie und zum französischen Imperialismus stehend, die bewaffneten Organe von deren Staatsapparat anzuführen wusste. Der damalige Schüler des nunmehrigen Polit-Rentners Chevènement, also besagter Lallement, fing 1984 seine öffentliche Karriere damit an, dass er seinen Verein bei einer internationalen Veranstaltung in Manuaga, also im damals sandinistisch geführten, post-revolutionären Nicaragua vertrat (vgl. https://www.leprogres.fr/ ) – das war Bestandteil der linken Lackierung. 1991 verließ Lallement dann allerdings den Parti Socialiste. Und konzentrierte sich fürderhin eher auf seine Karriere als Beamter im Staatsapparat, welche ihn in den gehobenen Dienst (also in die höheren Ränge) führen würde.

Soeben erst hatte Ende November 20 wochenlang ein Polizeiskandal weite Teile der Öffentlichkeit aufgewühlt, auch bürgerliche Medien wie der Privatfernsehender BFM TV sprachen nun oft, unverhüllt und ohne Anführungszeichen von Polizeigewalt. Der Antillais (Karibikfranzose) Michel Zecler, Leiter eines Musikstudios, war am 21. November 20, ohne einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, von seinem davor geparkten Auto zur Studiotür gelaufen. Polizisten setzten ihm daraufhin nach. Weil Michel Zecler sich im Studioinneren befand und sich nicht gewillt zeigte, auf Aufforderung hinein herauszukommen, ließen vier rachsüchtige Polizeibeamte daraufhin ihrer Wut und ihrem Hass freien Lauf. Zunächst schleuderten sie eine Tränengasgranate in den geschlossenen Raum, die im Inneren explodierte. Als sie Zeclers im Eingangsbereich habhaft werden konnten, misshandelten sie ihn minutenlang, während er bereits am Boden lag. Daraufhin erstatteten sie wegen „Gewalt gegen Beamte“ und „Widerstands gegen die Staatsgewalt“ Strafanzeige gegen den Mann, der Knochenbrüche erlitten hatte. Doch bald darauf gingen Videoaufnahmen von der Szene in Umlauf. Die Pariser Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen wegen Urkundenfälschung (faux en écriture publique) ein, aufgrund offenkundiger Falschaussagen in der von vereidigten Beamten formulierten Anzeige. Zwei der insgesamt vier, nunmehr Vorwürfen ausgesetzten Polizisten (unter ihnen ein Einsatzleiter) wanderten in Untersuchungshaft, gegen einen dritten wurde eine Strafverfahren eingeleitet. Doch dann kam Lallement und gewährte ihnen amtliche Prozesskostenübernahme für ihr anlaufendes Verfahren. // Vgl. https://www.liberation.fr/ // Dies ist ihm juristisch dann möglich, wenn ein „Amtsfehler“ (oder eine amtliche Rechtfertigung) und nicht ein „persönliches Fehlverhalten“ seitens der betreffenden Polizisten vorliegt. Was nun Kritiker/innen wiederum als Eingeständnis dafür werten, dass es sich bei Polizeigewalt eher um die Politik oder Strategie (von Teilen) eines Staatsapparats denn um eine individuelle Verhaltensproblematik handele. // Vgl. https://www.liberation.fr/debats/ //

Doch Lallement bleibt zu manch unerwarteten Wendungen fähig. Ja zu einer vielbeachteten Provokation: In seiner Karte mit den Neujahrswünschen für 2021, die an seine zahlreichen Untergebenen ging, zitierte er… Leo Trotzki. // Vgl. https://www.huffingtonpost.fr// Allerdings natürlich nicht den Revolutionär, sondern eher den Mann, der im Sommer 1918 die Rote Armee aufbaute und die Herstellung der „notwendigen Ordnung“ lobte. Verständlich im damaligen Chaos, also in einer Situation, in welcher Russland – kurz nach dem Ende des maroden Zaren-Reichs – soeben erst von 1914 bis 17 in einen Weltkrieg mit Millionen Toten, welcher zum Teil auf seinem eigenen Boden ausgetragen wurde, verwickelt war und nunmehr durch die „Weißen“ in einen brutalen Bürgerkrieg gestürzt wurde. Nur war es sicherlich damals schon ein Trugschluss, aus der Not eine Tugend zu formen. Lallement abstrahiert selbstverständlich vollständig von diesem Kontext, vor allem aber von den politischen (revolutionären) Intentionen, die die Regierung der Bolschwiki antrieb - wie immer man diese auch (in einer innerlinken Debatte) im Rückblick 100 Jahre später bewerten mag, aus dem Luxus einer vergleichsweise komfortablen Position heraus. Lallement geht es darum, dieses Streben nach Ordnung durch seinen demagogischen Kniff als universell notwendig, als sozusagen auch von ideologischen Gegner/inne/n anerkannte Allgemeinerfordernis hinzustellen. Dieses Manöver rief erhebliche Aufmerksamkeit in der öffentlichen Meinung hervor – auch wenn ein baff wirkender Polizeigewerkschafter in den letzten Dezembertagen beim Privatfernsehsender BFM TV // vgl. https://www.bfmtv.com/ // dazu nur anzumerken wusste, dies sei „eine unnötige Provokation“, der hohe Polizeifunktionär Lallement hätte doch viel lieber, viel besser „Napoléon Bonaparte zitieren“ können…

Ansonsten gilt: Dass Lallements Handlungen und Sprüche derzeit die Aufmerksamkeit breiter Kreise auf sich ziehen und dass auch systemfreundliche Leitmedien wie der erwähnte Fernsehsender im Augenblick mit Kritik nicht sparen, liegt auch am gesetzgeberischen Geschehen, das bei Medienschaffenden und Redaktionen selbst Befürchtungen erregt.

Doch hinter Lallement steht dabei ein anderer illustrer Herr, dessen Handlungen und Sprüchen die Medien derzeit halb fasziniert, halb argwöhnisch folgen.

Umstrittener Innenminister

Gérald Darmanin, seines Zeichens Innenminister unter Emmanuel Macron – aufgrund zu viel kritischer Schlagzeilen scheint er allerdings derzeit bei ihm ihn Ungnade gefallen zu sei, vielleicht auch wegen Spekulationen auf eine eventuelle Kandidatur-Konkurrenz im Hinblick auf die Präsidentschaftswahl 2022 -, ist ein Mann mit Sinn für die staatstragenden Prinzipien der Republik. Meistens jedenfalls. Zwar hapert es mit seinem Verständnis für einen Grundsatz wie den der Nichteinmischung in laufende Justizverfahren – nachdem zu Anfang der zweiten Dezemberwoche die Staatsanwaltschaft vier Jahre Haft, davon zwei ohne Bewährung, gegen Ex-Präsident Nicolas Sarkozy wegen aktiver Korruption forderte, warf sein früherer konservativer Parteifreund Darmanin sich umgehend für ihn in die Bresche. Sarkozy sei „ein ehrlicher Mann“ // vgl. https://www.leparisien.fr/ // und als solcher bekannt, plädierte Darmanin vor laufenden Mikrophonen. // Vgl. https://www.francetvinfo.fr/ // Und griff dadurch dem Richterspruch, der nun nach der Strafforderung der Anklagevertretung und nach den Plädoyers der Verteidigung erwartet wird (das Urteil wurde zur Beratung ausgesetzt), explizit vor.

Geht es um tatsächliche oder (in ihrer Mehrzahl) vermeintliche Staatsfeinde, wird Darmanin hingegen umgehend zum Mann der „tragenden Werte der Republik“. Im Juli und im September des abgelaufenen Jahres 2020 kritisierte er die „Verwilderung (ensauvagement) eines Teils der Gesellschaft“ und benutzte dabei die Abwandlung eines Begriffs, sauvages (Wilde), welcher bis dahin kolonialrassistischen Diskursen vorbehalten blieb. Und Mitte August 20 sprach er bei einem Einsatz in der ostfranzösischen Stadt Saint-Dizier infolge von Gewalttaten, in die Mitglieder der tschetschenischen Community verwickelt waren, dass „die Polizei und die legitimen Sicherheitskräfte das Gesetz machen (font la loi)“ und ihnen der Waffenbesitz vorbehalten bleiben müsse. Dass in einer Demokratie eben nicht die Polizei „das Gesetz macht“, wurde ihm von zahllosen kritischen Stimmen entgegen gehalten, dies führte jedoch nicht wirklich zu einem Sinneswandel bei ihm.

Drei Dekrete

Anfang Dezember 20 nun posaunte er in einem Interview hinaus, der Staat habe ein berechtigtes Interesse daran, „die politischen Meinungen und Aktivitäten“ derer zu kennen, „die Parallelgesellschaften (oder) die Revolution predigen“. In diesen Worten reagierte er auf die wachsende Kritik an drei Regierungsdekreten vom 04. Dezember des Jahres – die Dekrete Nummer 2020-1510, 1511 und 1512 -, die es den Polizeidiensten erlauben, Informationen über politische Haltungen, „gewerkschaftliche, weltanschauliche oder religiöse Zugehörigkeit“ von Personen, „die geeignet sind, die öffentliche Sicherheit zu stören“, abzuspeichern. Dies wird es ab sofort erlauben, in Polizeidateien Nachrichten über Gesinnung und nicht allein über vorgeblich oder tatsächlich strafrechtlich relevantes Verhalten abzuspeichern. Die dadurch ausgelöste Welle an Kritik prallte bislang an Darmanin und der hinter ihm stehenden Regierung unter Premierminister Jean Castex und Staatspräsident Emmanuel Macrons weitgehend ab. Unter Macrons Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy musste 2008 ein vergleichbares Projekt in Gestalt der damals geplanten Datei EDWIGE noch zurückgezogen bzw. erheblich entschärft werden.

Die drei Dekrete sind nur Bestandteil einer repressiven Generaloffensive, die daneben auch mehrere Gesetzestexte umfasst. Dazu zählt auch eine Maßnahme, die im Artikel 20 des soeben in Verabschiedung befindlichen Gesetzes zu Hochschule und Forschung, abgekürzt LPR, enthalten ist bzw. war – dazu vgl. unten Ausführlicheres.

Wanderkessel

Eine Demonstration als eine Art Wanderkessel, mit fast 150 Festnahmen, ohne dass es zu ernsthaften Sachschäden gekommen wäre: Am Samstag, den 12.12.2020 demonstrierte die französische Staatsmacht ihre Härte, Entschlossenheit und ihre nunmehr klar zu Tage tretende autoritäre Tendenz.

An diesem Tag wurde in Paris und weiteren französischen Städten sowohl gegen das geplante künftige Polizeigesetz respektive „Gesetz zur umfassenden Sicherheit“ oder Loi de sécurité globale – vgl. dazu ausführlich bereits: Freiheit stirbt mit Sicherheit? - als auch gegen den am 09. Dezember 20 vorgelegten Entwurf für das so genannte „Anti-Separatismus-Gesetz“ (offiziell inzwischen in „Gesetz zur Bestärkung republikanischer Grundsätze“ umbenannt) demonstriert. Letzteres richtet sich, möchte man es kurz auf einen Punkt bringen, gegen bestimmte, als gefährlich dargestellte islamische Einflüsse. Zum Thema Polizeigesetz wurde bereits zum fünften Mal in Folge demonstriert, nach dem 17. November, 21. November, 28. November – dem Tag der bislang massivsten Mobilisierung, mit landesweit bis zu einer halben Million Menschen - , dem 05. Dezember und nun eben am 12.12.2020.

In Paris, wo im Vorfeld durch martialische Ankündigungen betreffend das Durchgreifen der Polizei und – so behauptete jedenfalls die Regierung – befürchtete Ausschreitungen massiv Angst geschürt worden waren, sprang ein Teil der Veranstalter/innen wie die altehrwürdige Liga für Menschenrechte, LDH, deswegen im Vorfeld ab. Die LDH, aber auch die Mehrzahl der etablierten Gewerkschaften oder der linkssozialdemokratische Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon – seine Bewerbung für die Wahl 2022 ist bereits erklärt – riefen dazu auf, nicht in Paris, wohl aber in den Regionalhauptstädten auf die Straße zu gehen. Die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) hatte daraufhin die Anmeldung übernommen, die keine der größeren Strukturen vornehmen mochte.

Auf 5.000 Demonstrierende laut Zahlen des Innenministeriums in Paris - und frankreichweit laut Ministerium gut 26.000 - kamen, wiederum nach dessen Angaben, allein in der Hauptstadt 3.000 eingesetzte Polizisten, Polizistinnen und Gendarmen. Die Veranstalter/innen sprachen bezüglich Paris von 10.000 Teilnehmenden.

142 bestätigte Festnahmen wurden am Abend vermeldet (und insgesamt 164 frankreichweit), obwohl der vielfach angekündigte „schwarze Block“ gar nicht wirklich in Aktion getreten war – anders als am Samstag zuvor (05. Dezember 20), an welchem es tatsächlich zu Sachbeschädigungen kam. Zu den Festgenommenen zählen laut ersten Erkenntnissen auch Personen, die lediglich den Protestzug ohne Genehmigung zu verlassen versuchten und darüber mit eingesetzten Polizisten in Streit gerieten. Zu ihnen zählt Ahamada Siby vom Kollektiv der Sans papiers (um ihren Aufenthaltsstatus kämpfende migrantischen Arbeiter) in Montreuil bei Paris, der noch am Sonntag in Polizeigewahrsam blieb. Er hatte sich zuvor laut Zeugenaussagen sogar geweigert, von manchen Umstehenden aufgegriffene, verbal aggressive Slogans gegen die Polizei mit anzustimmen, und lediglich um aufgrund einer zu einem früheren Zeitpunkt erlittenen Knieverletzung mehrfach um Verlassen der Demonstration ersucht.

LDH-Anwalt Ariel Alimi sprach in Twittermeldungen davon, in Polizeigewahrsam genommenen Personen sei rechtswidrig die freie Anwaltswahl verweigert und ausschließlich ein Pflichtverteidiger „gewährt“ worden. Die französische Staatsmacht setzt also ganz offenkundig auf autoritäres Durchregieren. Zu ihm zählt, jedenfalls laut Auffassung der Teilnehmerinnen und Unterstützer des Protests, neben dem umstrittenen „Sicherheitsgesetz“ auch der jetzt vorgelegte Entwurf zum Umgang mit dem Islam.

Letzterer stärkt vor allem die administrativen Befugnisse des Staates gegenüber den associations, also Bürgerinitiativen und Sozial-, Kultur- und Freizeitvereinigungen; Letztere müssen sich demnach künftig gegenüber den Behörden vertraglich, und unter Kontrolle, auf die „Einhaltung republikanischer Werte“ verpflichten. Die Frage wird lauten, was man darunter fassen kann. Zählt man dazu ausschließlich Grundprinzipien wie den Schutz der Menschenwürde, könnte man daran zunächst keinen Anstoß nehmen. Die Befürchtung lautet jedoch, dass Regierung und Behörden auch andere, viel weitergehende Vorstellungen mit darunter packen, die darauf hinauslaufen würden, zivilgesesellschaftliche Strukturen auf Staatstreue einzuschwören. Zum Vergleich: Im französischen Arbeitsrecht sind Gewerkschaften seit dem Tarifgesetz vom 20. August 2008 nunmehr ihrerseits zum „Respekt republikanischer Werte“ verpflichtet. Prompt kam es vor Arbeitsgerichten zu Versuchen etwa von Arbeitgeberseiten, linke Basisgewerkschaften wie SUD, die eine Art von Selbstverwaltungssozialismus (keineswegs stalinistischer Bauart) anstrebe, oder die kleinere anarcho-syndikalistische CNT mit dem Vorwurf mangelnder Republiktreue zu disqualifizieren und dadurch vom Verhandlungstisch zu verbannen. Bislang drangen solche Versuche auf juristischer Ebene nicht durch. Nichts garantiert jedoch, dass nicht eine weitaus autoritärere Auffassung vom Respekt republikanischer Werte die Oberhand gewinnt und ihrerseits zum Ausgrenzungsinstrument wird.

Einen Präzedenzfall bildet das im November 20 durch Innenminister Gérald Darmanin verfügte Verbot der vor allem juristisch aktiven, und vor den Gerichten gegen tatsächliche oder vermeintliche Diskriminierung von Muslimen vorgehenden Gruppierung CCIF (Kollektiv gegen Islamophobie in Frankreich). Die Begründung dafür lieferte Darmanin die Tatsache, dass der islamistische Agitator Brahim Chnina sich eigenen Angaben an das CCIF gewandt hatte, um gegen Unterrichtsinhalte des Lehrers Samuel Paty zu polemisieren – Paty wurde am 16. Oktober durch einen jungen Tschetschenen mit jihadistischer Ideologie ermordet. Der Mörder wiederum hatte im Internet Videofilme von Chnina angesehen. Das CCIF hatte damit jedoch weder aus der Nähe noch aus der Ferne irgend etwas zu tun. Eine Rechtsberatungsgruppe wegen solcher durch die Regierung behaupteter, indirekter Kontaktschuld zu verbieten, schafft einen äußerst gefährlichen Präzedenzfall, vollkommen egal, wie man in der Vergangenheit zu den vom CCIF signalisierten Vorfällen und zu seiner Definition von antimuslimischer Diskriminierung stehen mochte.

Juristische Rückschläge

Zur repressiven Generaloffensive, die daneben auch mehrere Gesetzestexte umfasst, zählt auch eine Maßnahme, die im Artikel 20 des soeben in Verabschiedung befindlichen Gesetzes zu Hochschule und Forschung, abgekürzt LPR, enthalten ist bzw. war und dort in allerletzter Minute, nämlich im Vermittlungsausschuss zwischen den beiden Parlamentskammern nach der Debatte in Nationalversammlung und Senat, am 09. November 20 auf Initiative des Hochschulministeriums hin eingefügt würde. Er sieht eine Möglichkeit der Kriminalisierung studentischer Besetzungen in Universitätsgebäuden mit einer Strafandrohung von bis zu drei Jahren Haft vor. Die zuständige Ministerin Frédérique Vidal beeilte sich zwar zu versichern, es gehe ausschließlich um das Eindringen universitätsfremder Personen in Hochschulräume, da die Formulierung des Artikels sich auf Individuen „ohne Aufenthaltsrecht auf dem Universitätsgelände“ bezieht. Es genügt jedoch völlig, dass die Hausordnung etwa protestierenden Angestellten oder Studierenden im Falle eines Verlassens ihrer Unterrichtsräume den Aufenthalt untersagt, und schon können sie unter die Strafbestimmung fallen. Proteste von Lehrenden und Studierenden fanden seit November 20 statt, verhallten jedoch bislang.

Allerdings: Das französische Verfassungsgericht kassierte kurz vor der Weihnachtspause, am 21. Dezember 20, diese Bestimmung. // Vgl. https://www.liberation.fr/// Es beanstandete deutlich die von Parlaments- und Regierungspolitiker/inne/n gewählte gesetzgeberische Methode, die darauf beruhte, diese strafrechtliche Bestimmung nachträglich in einen Ausgangstext aufzunehmen, welcher keinen Bezugspunkt zum Strafrecht aufwies.

Ungefähr zur selben Zeit beanstandete der Conseil d’Etat (wörtlich „Staatsrat“), also das höchste Verwaltungsgericht in Frankreich – ungefähr mit dem deutschen BVerwG in Leipzig vergleichbar, jedoch mit weiter gefassten Befugnissen im Vergleich zu jenem – am 22.12.2020 eine bisherige Praxis des Pariser Polizeipräfekten Lallement. Untersagte ihm mit sofortiger Wirkung, weiterhin ohne gesetzliche Grundlage Drohnen bei Demonstrationen zur Überwachung und zum Filmen einzusetzen (Anm.: wie dies beispielsweise am 09. April 2016 im Zusammenhang mit Protesten gegen die Arbeitsrechts„reform“ beobachtet wurde). // Vgl. https://www.lemonde.fr/l // Auch dies stellt eine juristische Niederlage des Exekutivapparats dar bzw. bestätigt, dass dieser bislang in Teilen illegal handelte. Allerdings muss dazu sogleich eine einschränkende Anmerkung folgen: Die gesetzliche Basis für eine solche Drohnenüberwachung dürfte just auf dem Weg sein. Denn Artikel 22 des „unterwegs“ befindlichen Gesetzentwurfs zur umfassenden Sicherheit“ hat just dieselbe zum Gegenstand, wird also künftig – jedenfalls bei Inkrafttreten in der geplanten Form – dem Drohneneinsatz eine gesetzliche Grundlage verleihen.

Editorischer Hinweis

Wir erhielten den Beitrag vom Autor für diese Ausgabe.