Auflösung der Fideikommisse"
Eine der grossen Heldentaten, die die Regierung der Republik Preussen vollbracht hat, ist die „Auflösung der Fideikommisse".

von "Friedrich" (Die Internationale 1/1921)

01/2021

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Was ein Fideikommiss ist.

Der Eigentümer eines Gutes bestimmt — meist gemeinsam mit anderen Familienmitgliedern („Familieftschluss") —, dass das Gut für immer Eigentum der Familie bleiben soll. Dabei wird eine bestimmte Erbfolge fest­gesetzt, oft fällt es an den jüngsten, oft auch an den ältesten Erben des Mannesstammes (Agnaten). Eine solche Regelung wird dann ins Grund­buch eingetragen und erhält gesetzliche Kraft. Weder der heutige Besitzer noch nach seinem Tode sein Sohn, noch überhaupt jemand kann ein solches Gut verschenken oder verkaufen. Auch die grösste Schuldenlast kann nicht bewirken, dass der Besitzer das Gut los wird. Einer Zwangsver­steigerung unterliegt es nicht mehr; im Falle vollkommener Verschuldung kann höchstens Zwangsverwaltung eintreten. Fideikommiss ist also gebundenes, kein freies Eigentum. Eine solche unerschütterliche Bindung von Qrund und Boden, eine solche Isolierung dieser Ländereien vom Markte widerspricht der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, hat doch der Kapitalismus alle übrigen Schranken des freien Wettbewerbs und des freien Handels gesprengt.

Geschichtliches.

In der Tat ist das Fideikommiss viel älter als der ganze moderne Kapitalismus. Es war jahrhundertelang vorher schon üblich, dass die adligen Familien ihre Besitzungen zum grossen Teil als „Erbgut" inne hatten, ein solches Gut gehörte der ganzen Familie und vererbte sich im Mannesstamme weiter. Das Fideikommiss ist nichts als eine Verjüngung dieser Einrichtung. Die Handelsfreiheit und Ausbeutegier der industriellen Bourgeoisie betrachtete diese feudale Schutzmauer als störende Schranken ihrer Macht. In diesem Kampf gegen die Feudal-Aristokratie, gegen die politische, wirtschaftliche und soziale Bevorzugung des Adels hatte sie also auch die Fideikommisse zu zerstören. Die französische Revolution 1789 beseitigte sie denn auch im ersten Ansturm. Anders in Deutschland. Mehr als ein halbes Jahrhundert später, im Jahre 1848, sollte sie zwar durch die „Grundrechte des deutschen Volkes", die die Frankfurter Nationalversammlung aufstellte, verschwinden, und auch in Preussen wurde kurze Zeit hindurch die Errichtung neuer Fideikommisse gemäss der preussischen Verfassung von 1850 verboten. Aber bald war wieder alles beim alten, ja noch während des Weltkrieges wurde die Einrichtung der Fideikommisse gesetzlich erweitert. Die Zerstörung dieser Einrichtung ist nach alledem eine Arbeit, die zu den geschichtlichen Aufgaben der Bourgeoisie gehört hätte. Dass ein Anlauf zu dieser Arbeit 130 Jahre später als in Frankreich gemacht wird, zeugt von der bisherigen Stärke des deutschen Junkertums.

Bedeutung der Fideikommisse in Preussen.

Das preussische Junkertum kämpfte um die Erhaltung und Erweiterung der Fideikommisse, weil dieser Posten von grösster Wichtigkeit für seine Existenz war. Jahr um Jahr wuchs der Fideikommissbesitz in Preussen um etwa 100 000 Morgen. 1915 waren etwa 10 000 000 Morgen (2 486 192 ha) im Fideikommiss gebunden, d. h. mehr als 7,1 Prozent des gesamten preussischen Staatsgebietes oder 8,2 Prozent der landwirtschaftlich be­nutzten Fläche Preussens. Etwa 46 Prozent dieser Besitzungen bestanden in Waldungen, so dass 14 Prozent der gesamten preussischen Waldfläche im Fideikommiss waren. Naturgemäss bestanden in den verschiedenen Provinzen ungleiche Verhältnisse, am geringsten waren Fideikommisse im Westen und im Süden Preussens verbreitet. In verschiedenen Kreisen Pommerns und Schlesiens waren jedoch etwa 20 Prozent des gesamten Grund und Bodens im Fideikommiss gebunden, im Kreise Oppeln z. B. die Hälfte allen Waldes, Insgesamt zählte man 1912 in Preussen 37 Kreise, in denen mehr als 20 Prozent, zum Teil bis 53 Prozent der ganzen Kreisfläche fideikommissarisch gebunden waren. In ganz Preussen besassen im Fideikommiss:

 

25 Mitglieder der regierenden Häuser  227.941 ha

37 Standesherren 291.511 ha

29 Angehörige sonstiger fürstlicher Häuser 276.799 ha

269 Grafen 825.621 ha

664 sonstige Adlige 773.948 ha

136 Bürgerliche 53.406 ha

Der Grundsteuerreinertrag allein der Fideikommisse betrug in Preussen zu Beginn des Krieges etwa 30 000 000 Mk., also etwa 7 Prozent des ge­samten Grundsteuerreinertrages in Preussen. Es waren somit Unmengen Landes, die das Junkertum unter den Bann der Fideikommisse gebracht hatte, ein fester Schutzwall, hinter dem es Misswirtschaft, Verschuldung, Unglück nicht zu fürchten brauchte; das Fideikommiss war ein Passier­schein gegen alle Nöte des Lebens, mochte man sich anstellen, wie man wollte. Es kommt nun aber noch hinzu, dass es nicht nur Fideikommiss-Bildung des Grund und Bodens gibt, sondern dass auch noch andere Arten von Stammgütern ähnlichen Schutz gewähren, wenn auch nicht so weit­gehend und ohne derartigen gesetzlichen Schutz. Eine Statistik darüber gibt es nicht.

Die Interessen des Proletariats.

Wenn die Regierung der Braun, Heine, Lüdemann, Severing In Preussen die Fideikommisse auflösen wollte, so lässt sich also zusammen­fassend sagen:

1. dass dies an sich weniger eine proletarische, als vielmehr eine bürgerliche Aufgabe war;

2. dass es eine besonders starke Position des Junkertums zu zer­brechen galt.

Wenn der Kampf gegen die Fideikommisse nicht ein spezifisch proletarischer genannt wird, so bedeutet das natürlich nicht, dass das Proletariat an der Ausfechtung dieses Kampfes kein Interesse habe. Ganz im Gegenteil. Die industrielle Bourgeoisie hat den Feudaladel zum Neben­buhler, das Proletariat aber hat alle beide zu überwinden. Das Bürgertum wird jedoch aus dem Kampf gegen den Feudaladel etwas ganz anderes machen als das Proletariat. Das Bürgertum wird ihn kapitalistisch aus­werten. Es wird sich ein neues Ausbeutungsobjekt, eine neue Marktware schaffen. Das Proletariat wird, wenn es kommunistisch arbeiten will, durch die Enteignung und Vergesellschaftung aller landwirtschaftlicher Grossbetriebe auch die ganze Fideikommissfrage mit einem Schlage lösen. Der einzige Fideikommissinhaber nämlich, der unter proletarischer Herrschaft noch übrig bleiben wird, ist die kommunistische Gesellschaft selber, deren Eigentum niemand je mehr antasten wird.
 

Es ist also zu untersuchen:

1. ob es gelungen ist, radikal mit den Fideikommissen aufzuräumen,

2. ob man dabei dem kapitalistischen oder dem proletarischen Interesse gedient hat.

Statt Taten: „Tunlichste Rücksichtnahme".

Wollte die deutsche Revolution vom November 1918 mit den Fidei­kommissen aufräumen, so hätte sie das ohne den geringsten Schaden für die Volkswirtschaft unverzüglich tun können. Die notwendigen Taten ge­schahen aber nicht, die Sache sollte ganz alfmählich in der Gesetzgebungsmaschine durchgearbeitet werden. Endlich, am 10. März 1919, hiess es in einer Verordnung: „Die Fideikommisse sind aufzulösen", und wenn dies bis zum 1. April 1921 (!) nicht geschehen sei, solle „Zwangsauflösung" erfolgen. Immerhin: auch das wäre, wenn es durchgeführt worden wäre, ein Schlag gegen das Junkertum gewesen. Aber da das Junkertum auch nach 1918 stark geblieben ist, und da die Bourgeoisie dem gemeinsamen Feind gegenüber, dem Proletariat, im Junkertum ihren Freund sah, so war die Reaktion stärker als alle Bestrebungen der Rechts-Sozialisten, die Fideikommisse gemäss der Verordnung aufzulösen. Das allmähliche Wiedererstarken der Reaktion spiegelt sich in den folgenden Gesetzen und Verordnungen in voller Deutlichkeit wieder. Im Gesetz vom 23. Juni 1920 hiess es, dass Hausvermögen erst bis zum 1. April 1923 aufgelöst werden sollen. Für Fideikommisse sollte die „Regelung" (nicht etwa „Durchführung"!) der Auflösung bis zum 1. April 1921 erfolgen, unter Umständen jedoch auch erst bis zum 1. April 1922 (Verordnung vom 22. September 1920 § 4). Andernfalls sollte statt einer solchen „freiwilligen Auflösung" die „Zwangsauflösung" eintreten. Vollkommen über den Haufen geworfen wurden die ursprünglichen Bestimmungen durch die „Verordnung über die Zwangsauflösung-der Familiengüter" vom 19. November 1920. Dort heisst es in § 1:

,Das Fideikommissvermögen geht beim Wegfalle des am 1. April 1921 vorhandenen Besitzers auf den zunächst folgeberechtigten Abkömmling des Besitzers über und wird in dessen Hand freies Vermögen."

Das heisst: Eine Auflösung findet vorläufig überhaupt nicht statt, erst dann, wenn der am 1. April 1921 vorhandene Besitzer gestorben ist, also je nach dem, in 10 oder 25 oder noch mehr Jahren. Eine Zwangsauflösung tritt nur dann ein, wenn die „Regelung" nicht bis zum 1. April 1921, event. auch 1922 nicht erfolgt ist.

Der Wortlaut des Gesetzes gibt also trotz der Nennung der Termine auch nicht die geringste Gewähr dafür, dass in absehbarer Zeit überhaupt irgend etwas „aufgelöst" wird. Die Rechnung des Junkertums ist voll­kommen klar. Es hofft, die Regierungs- und Verordnungsmaschinerie bald in die Hand zu bekommen, und dann wurde natürlich die „Auflösung der Fideikommisse" totes Aktenmaterial der preussischen Gesetzsammlung sein. Die Braun, Severing, Lüdemann, Heine haben so der Reaktion in die Hände gearbeitet. Sie haben es bewusst getan. Sie hielten es für richtig, „tunlichste Rücksichtnahme" auf „Hausgesetze, Observanzen, Familienverträge, Gesetze, Staatsverträge und Rezesse" ausdrücklich an­zuordnen. (Verordnung vom 19. November 1920 § 37.) Im übrigen ent­halten die zahllosen Paragraphen genaue Angaben über die „Stammgütej der Ritterschaft des Herzogtums Bremen", über die „Stammgüter der Calenberg-Göttingen-Grubenhagschen Ritterschaft", befassen sich mit den kleinlichsten Angelegenheiten der schwergetroffenen Familien, insbesondere mit dem Beschwerderecht gegen die Entscheidungen der richterlichen Be­hörden, um den Observanzen der Hohen Häuser nicht unangenehm zu erscheinen. So zeugt das Gesetz trotz der äusseren Fassade davon, dass der Gesetzgeber eine wirkliche Auflösung der Fideikommisse überhaupt nicht gewollt hat.

Man hat die Gelegenheit, volkswirtschaftlichen Nutzen aus der an­gedeuteten „Auflösung" der Fideikommisse zu schlagen, versäumt, und so sind all diese Gesetze und Verordnungen nicht nur Dokumente einer absoluten wirtschaftlichen Unfähigkeit, sondern zugleich ein glänzendes Reifezeugnis der Braun, Severing, Lüdemann und Heine zu vollendeten Lakeien der Herzöge, Grafen, Ritter und Barone.

Das Proletariat wird den ehrwürdigen Observanzen und Firlefanzen weder Rücksicht, noch überhaupt irgendwelche Beachtung schenken. Es wird allen Grossgrundbesitz enteignen und dann die vergesellschafteten Betriebe so abgrenzen und so bewirtschaften, wie der Wirtschaftsbedarf es verlangt.

Quelle: Die Internationale, Heft 1/1921, Hrg. v. Zentrale der Kommunistischen Partei Deutschlands, Berlin 1921,  S. 27-30

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Zur Geschichte der "Auflösung" der Fideikommisse bis heute, siehe in dieser Ausgabe den Bericht des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages aus dem Jahre 2015.