Berlin, im
Dezember 2019
Der
aufmerksame Zeitungsleser dürfte überrascht
gewesen sein, als er Mitte des Jahres die
Botschaft aus dem arbeitgebernahen Institut
der deutschen Wirtschaft in Köln erhielt,
der Staat sollte ein 450 Mrd. Euro großes
Investitionsprogramm (Deutschlandfonds)
beschließen, um die Digitalisierung und den
Klimawandel zu meistern.(1) Bislang
forderten stets Gewerkschaftler und
alternative Wirtschaftspolitiker große
Investitionsprogramme, scheinbar gegen den
Widerstand der Industrie. Und nun stellte
sich die Industrie an die Spitze der
Bewegung und machte selbst die
Klimakatastrophe zum Thema. Haben linke
Politiker die Unternehmer unterstützt, als
sie zur „Schaffung von Arbeitsplätzen“ hohe
Investitionsprogramme forderten? Dies
scheint zumindest so, wenn die Industrie nun
Gleiches wünscht.
Tatsächlich
profitieren in der schwach gewordenen
Industriekonjunktur die Wirtschaftsvertreter
besonders von staatlichen Nachfrageimpulsen.
Infrastrukturinvestitionen und vor allem die
Digitalisierung verbessern die
Rahmenbedingungen der Wirtschaft, nicht nur
um durch Kostensenkungen den inländischen
Profite zu mehren, sondern auch, um daraus
die Konkurrenzstärke zu gewinnen, die für
weitere Eroberungszüge auf dem Weltmarkt
erforderlich ist.
Nahe liegt,
diese nationale Kraft durch weitere
Kooperationen zu verstärken. Bereits seit
vielen Jahren kooperieren die
Unternehmerverbände in der EU miteinander,
um die Politik der EU-Kommission
entsprechend auszurichten. Ende März 2016
trafen sich BDI-Präsident Ulrich Grillo und
Pierre Gattaz, Präsident des französischen
Unternehmensverbands Mouvement des
Entreprises de France (Medef), mit einer
Delegation von rund 40 Unternehmen in
Berlin.(2) Bereits zu dieser Zeit waren
öffentliche Investitionen zur Antreibung des
Digitalisierungsprozesses in der EU das
Thema.
Der
deutsche BDI, die größte italienische
Arbeitgeberorganisation Confindustria und
das Medef verkündeten Anfang Dezember 2019
ihre Kooperation, um ihre
Wirtschaftsinteressen gegen die
EU-Kommission durchzusetzen. Sie forderten
eine Erhöhung der Investitionen in der EU um
jährlich 250 bis 300 Mrd. Euro, begleitet
von nationalen Förderprogrammen. Damit
Europa eine Führungsrolle in der digitalen
Wirtschaft erreichen könne, müsse man
unabhängig werden von nichteuropäischen
Techniken. Kurz: Europe first!
„Europa ist
der größte Markt, der größte Importeuer und
Exporteuer der Welt, aber politisch ein
Zwerg. Darin steckt eine Herausforderung an
die Politiker“, sagte Vincenzo Boccia
(Confindustria) (3) Kommissionspräsidentin
Ursula von der Leyen strickte daraus
folgende Sätze: "Europa muss auch die
Sprache der Macht lernen". Die sogenannte
"soft power" reiche heute nicht mehr aus,
wenn sich die Europäer in der Welt behaupten
wollten. "Das heißt zum einen, eigene
Muskeln aufbauen, wo wir uns lange auf
andere stützen konnten - zum Beispiel in der
Sicherheitspolitik". Die EU brauche mehr
militärische Fähigkeiten. Zum anderen müsse
sie die vorhandene Kraft stärker nutzen, um
europäische Interessen durchzusetzen.(4) Dem
von den Industrieverbänden geforderten
Investitionsprogramm gab sie den Namen
„Green New Deal for Europe“: „Wir müssen
Klimaschutz und Wachstum versöhnen“, sagte
sie und verschiedene Industriezweige,
darunter die Chemieindustrie, die Mineralöl-
und Metallindustrie stellten sich sofort
hinter die Klimaziele.(5)
Alle
Staatsgewalt geht vom Volke aus, verkünden
die politischen Verfassungen. Die Fakten
sagen was anderes: Tatsächlich verkünden die
Politiker das, was ihre jeweilige Wirtschaft
benötigt. Und die Wirtschaft ist nicht
einfach nur die wirtschaftliche
Lebenstätigkeit der Menschen plus das
Resultat ihrer Tätigkeiten. Sie wird als
fremde Macht empfunden. Die kapitalistische
Verfassung verselbständigt die Wirtschaft
gegenüber den Menschen und spaltet diese in
Klassen, in die Wirtschaftseliten und in die
Lohnabhängigen.
Die Wirtschaftseliten tun das, zu was die
„unsichtbare Hand der Märkte“ (Adam Smith)
sie treibt. Ihr Handlungsfeld ist fest
abgesteckt: Maximierung der Profite
einerseits durch Lohndrückerei, durch
Verschwendung am Leben und der Gesundheit
des Arbeiters, durch die Herabdrückung
seiner Existenzbedingungen und andererseits
durch Wirtschaftswachstum (Akkumulation) und
durch rücksichtslosen Umgang mit den
produktiven Kräften der Natur.
Klimakatastrophen und Armut inmitten des
Reichtums sind notwendige Folgen. Die
Wirtschaftseliten sind privilegierte
Funktionäre des Kapitals, bewusste Träger
einer Kapitalbewegung, bei der alle
Investitionen möglichst viel Profit
erbringen müssen, um dann das Gleiche zu
wiederholen und so fort. Sie können dem
Green New Deal for Europe zustimmen, weil
dieser das Wachstum, d. h. die Spirale der
Akkumulation unterstützt und staatliche
Förderungen verspricht. Die deutsche
Autoindustrie hat wegen der Strukturbrüche
besonderes Interesse daran.
Die
Lohnabhängigen sind, wie Betriebswirte
sagen, „objektbezogene menschliche
Arbeitskräfte“, die eingesetzt und
fremdbestimmt werden, die kombiniert werden
mit den anderen Produktionsfaktoren, mit
Betriebsmitteln und Werkstoffen. Sie werden
durch die tagtägliche Geschäftspraxis auf
„sprechende Werkzeuge“ reduziert. Nicht ihre
eigenen Interessen, sondern das fremde
Geschäftsinteresse ist maßgebend für ihr
tun.
Faktisch geht deshalb die Staatsgewalt vom
Kapital, nicht vom Volke aus - es sei denn,
die „sprechenden Werkzeuge“ finden sich
zusammen, entdecken ihre gemeinschaftliche
Kraft und setzen ihre gemeinsamen Interessen
durch Massenstreiks gegen die Staatsgewalt
durch. In Frankreich versucht man das
gerade.
Fußnoten
1) Frankfurter
Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 14.8.2019
2)
https://bdi.eu/artikel/news/industrieverbaende-wollen-digitalisierung-vorantreiben/
3) FAZ vom 6.12.2019
4)
https://www.tagesschau.de/ausland/von-der-leyen-rede-101.html
5) FAZ vom 12.12.2019
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