Betrieb &  Gewerkschaft
Checkliste

Wie demokratisch organisiert ihr?

von Matt Noyes

01/2020

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onlinezeitung

Dies ist eine Übersetzung einer Checkliste von Labor Notes. Labor Notes hat immer betont, dass es für gewerkschaftliche Macht Demokratie braucht. Und zwar, weil eine Gewerkschaft aktive Mitglieder braucht, um stark zu sein – und weil Leute nicht lange aktiv bleiben, wenn sie nicht ernsthaft mitreden können. 

Aber ‘demokratisch zu sein’ ist leichter gesagt als getan. Wie sieht es in der Praxis aus, wenn man demokratisch organisiert? Wie könnt ihr eure Arbeit so gestalten, dass ihr mehr Leute einbezieht?

Ein Anfang ist mit dieser Checkliste gemacht. Sie wurde für Gewerkschaftsaktive und sogenannte Organizer*innen erstellt. Sie ist nicht vollständig und lädt zum Diskutieren ein– ihr könnt sie erweitern und verändern.  

1. Arbeitet ihr mit anderen zusammen?

Sich organisieren (engl. = organizing) heißt, mit anderen zusammen an Veränderungen zu arbeiten. Individuelle Lösungen sind keine Wege zu Macht und Durchsetzungsfähigkeit. Ein Alleingang oder die Aktion einer kleinen Gruppe ist zum Scheitern verurteilt. Seid geduldig, solidarisch und behaltet die Kosten im Auge. Macht euren KollegInnen klar, dass ihr aufeinander angewiesen seid; und dass in eurer (Gewerkschafts-) Gruppe Platz für sie ist – und zwar nicht nur als Fußsoldaten, sondern als voll- und gleichwertiges Mitglieder und AnführerInnen.

2. Hinterfragt ihr Autoritäten?

Die Menschen sollten selbstständig denken und eigene Urteile fällen. Stellen die Leute den Chef in Frage? Ergreifen sie das Wort auf (Gewerkschafts-) Versammlungen? Fordern sie Rechenschaft ein und stellen harte Fragen? 

Unterstützt andere, wenn sie genau das tun – selbst wenn sie damit euch in Frage stellen. Ermuntert die Leute in eurer Gruppe zu diskutieren, Fragen zu stellen und zu debattieren.

3. Fordert ihr das Management heraus?

Eure Kolleginnen und Kollegen sollten gegenüber den Mächtigen Tacheles reden. Organisiert Aktionen, bei denen Leute sich vor den Chefs behaupten. Nutzt alle verfügbaren Mittel, sie einzubinden und direkten Druck auf das Management auszuüben – wie kollektive Beschwerden, gemeinsam überreichte Überlastungsanzeigen oder Arbeit nach Vorschrift. Bringt den Leuten bei klug dabei zu sein, sodass sie dem Management nicht in die Falle gehen – seid ‘vorbildliche’ Arbeiter, gehorcht zunächst und beschwert euch später –, aber nehmt den Kampf mit dem Management am Arbeitsplatz auf.

4. Gebt ihr Informationen, Wissen und Fertigkeiten weiter?

Gebt Leuten die Informationen, die sie brauchen oder noch besser: bringt ihnen bei, wie sie sich diese selbst aneignen. Wisst ihr wie man die Gehälter der Gewerkschaftsfunktionäre erfährt? Wie man eine Kopie des Tarifvertrages kriegt? Auskünfte über die Rechte von Gewerkschaftsmitgliedern? Wisst ihr, was alles beim Streik möglich ist? Wisst ihr, wie man kollektiv Druck aufbaut bzw. eine kollektive Aktion durchführt? Wie man eine Versammlung plant und gestaltet? Eure Gruppe sollte eine Schule des Organizings sein. Hortet kein Wissen oder Informationen, selbst wenn es Zeit kostet, sie zu verbreiten.  

5. Gelingt es euch, Leute in kollektive Aktionen einzubinden?

Man lernt gemeinsam zu handeln, indem man es tut. Holt die Leute da ab, wo sie stehen, und steigert euch schrittweise – vom Tragen eines Ansteckers, über die Unterschrift unter eine Petition, dem Ausfüllen einer Beschwerde bis hin zu größeren Arbeitskampfmaßnahmen – immer zusammen mit so vielen wie möglich. 

6. Seid ihr kreativ und macht das Organisieren Spaß?

Nutzt Karikaturen, Kostüme, Lieder, ‘Wettbewerb des miesesten Vorgesetzten’– orientiert euch an dem Sinn für Kreativität und Humor eurer KollegInnen. Spott kann eine mächtige Waffe sein, um die Pläne eures Chefs zu durchkreuzen.

7. Geht ihr in euer Gruppe demokratisch vor? 

Ein Protestspruch lautet: „So sieht also Demokratie aus!?“ Nutzt eure Treffen und Aktionen, um euren KollegInnen ein Beispiel zu geben, wie Demokratie funktionieren kann. Ermutigt Leute selber zu denken, Fragen zu stellen und sich gegenseitig zu hinterfragen, aber schlussendlich auch Entscheidungen zu treffen, zu handeln und dran zu bleiben. Die besten AnführerInnen helfen anderen sich zu beteiligen und einzubringen. Sie fühlen sich nicht bedroht, wenn andere sich einbringen. 

8. Integriert ihr potentielle Aktive?

Es gibt verschiedene Stufen des Wissens und des Engagements – von dem engsten Aktivenkern, über die regelmäßigen Aktiven hin zu den sporadischen UnterstützerInnen. Die Kernaktiven sollten einen Teil ihrer Arbeit abgeben, wenn die Gruppe wächst. Bringt die regelmäßig Aktiven dazu, mehr zu lernen und sich mehr einzubringen und sorgt dafür, dass eure sporadischen UnterstützerInnen immer in einer Art Aktion verwickelt sind. Wenn ihr eine Aktion plant: denkt darüber nach, wen ihr alles einbinden wollt und wie ihr in engeren Kontakt kommen könnt. 

9. Baut ihr Verständigung und Zusammenhalt über mögliche Spaltungslinien hinweg auf?

Ungleichheit und Demokratie passen nicht zusammen. Die Chefs werden versuchen euch zu spalten – entlang Herkunft, Geschlecht, Sprache, sexueller Orientierung, Berufsgruppe, und allem, was sie finden können. Die Ziele und Prioritäten eurer Gruppe müssen alle KollegInnen ansprechen. Welche Anliegen teilt ihr? Lasst ihr Leute aus den verschiedenen (Belegschafts-) Gruppen planen, KollegInnen organisieren, anführen und  Aktionen durchführen? Sprecht ihr in Eins-zu-eins-Gesprächen mit Leuten aus jeder (Belegschafts-) Gruppe? 

10. Sprecht ihr von Angesicht zu Angesicht mit euren KollegInnen?

Führt ständig Eins-zu-eins-Gespräche. Wenn ihr direkt miteinander sprecht, dann baut sich eine Beziehung auf und man lernt die Bedenken, Interessen und Fähigkeiten der anderen kennen. Eins-zu-eins-Gespräche bestehen überwiegend darin, Fragen zu stellen und zuzuhören. Baut sie in alles ein, was ihr tut: Gebt einer Person ein Flugblatt und sprecht mit ihr darüber anstatt nur einen Stapel auf einen Tisch zu legen. 

11. Organisiert ihr die Organizer?

Ihr solltet den Eins-zu-eins-Kontakt mit den KollegInnen so organisieren, dass eine Person nicht versucht mit 50 Leuten Eins-zu-eins-Gespräche zu führen. Macht euch eine Liste von den Gewerkschaftsmitgliedern, teilt sie unter euch auf, und gewinnt von dieser Liste Leute dafür, mit einer bestimmten Anzahl von KollegInnen persönliche Gespräche zu führen und davon zu berichten. Pflegt eine Mitglieder-Datenbank mit Telefonnummern, Emailadressen, Anschriften, Berufstiteln, Schicht etc. samt Notizen zu deren Interessen und Stärken. Nutzt euer soziales Netzwerk um die Arbeit zu verteilen – so gewinnt ihr mehr Aktive und verhindert, dass die Kerngruppe ausbrennt.  

12. Denkt ihr strategisch und handelt ihr mit Methode?

Behaltet jedes Element des Organizings im Kopf: brainstormen, analysieren, planen, Aufgaben verteilen, handeln und auswerten. Nehmt euch die Zeit, um euch langfristige, mittelfristige und kurzfristige Ziele zu setzen. Diskutiert die Vorteile und Risiken von geplanten Aktionen. Habt einen Alternativplan in der Hinterhand. Handelt „SMART“: geht sicher, dass jede Aufgabe spezifisch bestimmbar und messbar ist; einer Person zugeteilt, realistisch und zeitlich klar definiert. Wertet eure Aktion aus und setzt euch neue Ziele. 

13. Achtet ihr auf die Rollenverteilung in eurer Gruppe?

Schaut euch eure Gruppe an: Wer entscheidet? Wer handelt? Wer hat die Informationen? Wer stellt Fragen? Wer antwortet? Wer entwickelt die Pläne? Wer übernimmt die interessanten und wer die langweiligen Arbeiten? Wer lernt und wer lehrt? Wer kommt zu den Versammlungen? Wer spricht für die Gruppe? Je mehr Menschen handeln, desto stärker werden sie.  

Editorische Hinweise

Der Beitrag ist eine Übersetzung des Texts von Matt Noyes ausgehend vom Buch A Troublemaker’s Handbook, erschienen auf:  http://www.labornotes.org/2018/11/checklist-are-you-organizing-democratically (Nov 2018).

Quelle: http://www.organisieren-gewinnen.de/index.php?id=89