Gundermann
und das Problem einer DDR-Aufarbeitung zwischen Dämonisierung und Verklärung


von
Anne Seeck

01/2019

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Der neue Film von Andreas Dresen über den Liedermacher und Baggerfahrer Gerhard Gundermann bewegt die Gemüter. In einer Besprechung des Films in analyse und kritik Nr. 641 erregt sich Joachim Hermann nicht etwa über die Stasiverstrickung des 1998 in Hoyerswerda verstorbenen Musikers und Baggerfahrers, sondern zeigt sich verärgert über die Stasihysterie in den Jahren nach 1989. Gundermanns zentrales Thema in den letzten Jahren seien die Verwerfungen der Wendezeit gewesen, so Herrmann. Bei der Stasi sei zudem vor allem Belangloses aus dem Privatleben von Personen hängengeblieben. Gundermann hätte beteuert, niemandem geschadet zu haben. Überhaupt würde das Thema die Linke nur spalten, so der Autor. Lässt er durchblicken, dass es Zeit wird für einen Schlussstrich unter die Aufarbeitung der DDR-Geschichte?

Der Regisseur Andreas Dresen hat 1988 an der Filmhochschule „Nein“ gesagt, als er von der Staatssicherheit angesprochen wurde. Ohne Konsequenzen. Andere, zum Beispiel Jugendliche aus der Subkultur, hatten es oft schwerer, wenn sie erpresst wurden: IM oder Knast. Aber auch die konnten sich offenbaren. Ich denke: Als Linke sind wir es auch heute noch und nicht nur den Stasi-Opfern schuldig, auf unsere Weise DDR-Aufarbeitung zu betreiben. Die ist auch deshalb unerlässlich, weil wir über Alternativen zum Kapitalismus nachdenken müssen. Auch sind die Ursachen des Rechtsrucks nicht nur in den sozialen Verwerfungen der kapitalistischen Entwicklung zu suchen, sondern ebenso in DDR-spezifischen Sozialisierungsbedingungen, wie etwa ein Leben in einem abgeschotteten Land oder die Weitergabe von rassistischen Meinungen in vielen Familien.

Viel Verharmlosung von Stasi-Mitarbeit und Denunziantentum

Der Liedermacher Gerhard Gundermann hat mich musikalisch nie interessiert. Da aber Andreas Dresen ein guter Regisseur ist, sah ich mir den Film an ‒ und wurde enttäuscht. Als Zuschauerin sollte mir wohl die Widersprüchlichkeit der Figur Gundermann vorgeführt werden. Der Film zeigt nicht nur seine IM-Verstrickung auf, sondern auch seinen Oppositionsgeist. „Gundi“ hätte die DDR von links kritisiert, so Joachim Herrmann. Er wird im Film als aufrechter Kommunist dargestellt, der „wirklich“ Sozialismus will. Die Ideale des Kommunismus seien seine persönlichen. Er wird aus der Armee wegen Befehlsverweigerung rausgeschmissen und muss auch die Partei verlassen. Er sagte immer, was er dachte. Dass er als Baggerführer arbeitete und zugleich Künstler war, machte ihn außergewöhnlich. Er wollte nicht Musik wegen des Geldes machen. Damit wirkt er authentisch. Gundermann hat zu DDR-Zeiten den mangelnden Arbeitsschutz im Tagebau angeprangert und fragte sogar einen Funktionär nach langfristigen Konzepten in der Energiepolitik. Anscheinend kam er auch gut mit den Kollegen aus.

Wenn da jedoch nicht seine Stasiverstrickung wäre: Der Liedermacher und Baggerfahrer war ein Inoffizieller Mitarbeiter (IM) des MfS und eifriger Informant. Gundermann begründet seine Stasitätigkeit in Dresens Film so: Er hätte selbst keine Privatsphäre gehabt und diese auch anderen nicht gegönnt. Der Film dreht sich um Gundermanns Ego, sein Selbstbild. Die Stasi schreibt, er hätte einen Hang zum Egozentrismus. Gundermann alias IM Gregori: „Ich bin nicht stolz auf die Stasinummer. Ich hatte ein anderes Bild von mir. Ich bin sehr enttäuscht von mir.“ Mit viel Liebe und in reichen Facetten stellt Dresen die Titelfigur seines Filmes vor.

Die Figuren neben ihm wirken dagegen blass. Besonders seine Kritiker*innen werden klischeehaft dargestellt. Der Mitarbeiter in der Stasibehörde ‒ ein Bürgerrechtler mit Bart und Strickpullover ‒ für den Gundermann aufgrund seiner Täterakte gleich das Feindbild abgibt: „Verrat ist Verrat. Man kann auch Kommunist sein, ohne ein Schwein zu sein. Gehen sie!“ Ebenso eine Journalistin, über die Gundermann sagt, sie sei eine „Schaufensterpuppe“. Sie hat ein schickes Outfit und ein schickes Auto. Gundermanns Frau meint mit Blick auf deren konforme Haltung in der DDR: „Gerade die!“ Die Journalistin will eine Entschuldigung von Gundermann, er aber entschuldigt sich nur vor sich selbst, nicht bei anderen. Ein Puppenspieler, der – wie es heißt - Gundermann früher beneidet hat, wirft ihm zunächst die Stasitätigkeit vor; als Gundermann den Kontakt zu ihm sucht, zollt er ihm jedoch Respekt. Ein besonders großer Unsympath ist ein „Wessi“ in Budapest. Ein Menschenhändler, den Gundermann im Auftrag des MfS überreden soll, in die DDR einzureisen, um ihn dort verhaften zu können. Gundermann trinkt aber zu viel und verteidigt die DDR. Die Stasi schenkt ihm dafür einen Trostpreis, weil er Klassenbewusstsein gezeigt hat.

Ein differenziertes Eigenleben haben alle diese Personen nicht, sie dienen lediglich dazu, den Titelhelden zu charakterisieren. Andere Figuren werfen Fragen auf und hinterlassen Leerstellen im Film. Eine Schlüsselfigur für mich ist die Baggerfahrerin Helga. Sie scheint aufrichtig zu sein, obwohl sie in der Partei ist. Sie wirkt wie eine menschliche Seele. Gundermann offenbart ihr seine Stasitätigkeit. Sie sagt: „Dachte ich mir.“ Später im Bus legt sie ihre Hand auf seine, da er mitgenommen aussieht. Warum sagt Helga das? Konnte sich Gundermann viel erlauben, weil er durch seine Stasitätigkeit geschützt war? Hat er auch über Kollegen im Tagebau berichtet? Wie haben die anderen Arbeitskollegen reagiert? Haben die ihm auch verziehen?

Irritiert hat mich, dass ausgerechnet Axel Prahl, der den Kommissar im amüsanten Münsteraner „Tatort“ spielt, die Rolle des Stasimitarbeiters (Gundermanns Führungsoffizier) ausfüllt. So wirkte auf mich selbst der Stasimitarbeiter sympathisch. Er und ein anderer IM sind die einzigen Personen in dem Film, die bezeugen, dass Gundermann selbst überwacht wurde. Der Führungsoffizier sagt: „Trotzdem warst du einer von uns.“ Die Stasimitarbeit soll von 1976 bis 1984 erfolgt sein. Danach stellt die Stasi die Zusammenarbeit ein und lässt ihn bespitzeln. Über Gundermann wird deshalb eine Täter- und eine Opferakte angelegt. Die Opferakte wird in der Stasibehörde aber nicht gefunden. Ob sie später tatsächlich aufgetaucht ist, bleibt im Film offen.

Auch seine Musikerkollegen wirken wie Statisten. Nachdem er ihnen die IM-Tätigkeit gebeichtet hat, fragt er später kurz und bündig, „Wollt ihr mit mir weiterspielen?“ Sie sagen „Ja“ ohne zu diskutieren. In einem Konzert offenbart er dem Publikum seine Stasitätigkeit. Alle verzeihen ihm, am Schluss folgt frenetischer Beifall des Publikums. Nur ein Musikerkollege fragt ihn: „Hast du Leute in den Knast gebracht?“ Die Frage wird im Film nicht wirklich beantwortet. Die Journalistin schneidet an, dass er mit der Stasi auch über Leute geredet hat, die in den Westen abhauen wollten. Das hätte für diese Inhaftierung wegen „versuchter Republikflucht“ bedeuten können. An mindestens drei OPK‘s(1) war er beteiligt. Wenn Dresen die Akten gelesen hat, müsste er mehr wissen. „Miese Petzberichte“ mit „gewissem Eifer“(2) geschrieben, nennt Dresen die IM-Berichte von Gundermann, die er in den Akten einsehen konnte. Trotzdem ist er ein Fan von Liedermacher Gerhard Gundermann. Dem scheint nicht bewusst gewesen zu sein, welche Konsequenzen seine Denunziationen haben konnten. Nach der Wende sieht sich Gundermann als Verlierer, weil er aufs falsche Pferd gesetzt hatte ‒ den Sozialismus. Er stürzt sich in die Arbeit und stirbt mit 43 an einem Schlaganfall.

Die Botschaft des Films soll wohl sein: „Wir verzeihen ihm. Seine Texte sprechen für sich.“ Und tatsächlich scheint es, als sei die Riege seiner Fans größer geworden als sie jemals zu DDR-Zeiten gewesen war. Was ist das anderes als Ostalgie? Viele Fragen bleiben unbeantwortet.

Kollektive Gedächtnisspaltung?

Der Schriftsteller und Journalist Karsten Krampitz schreibt in einem Essay(3): „Vielleicht ist es an der Zeit, die Aufarbeitung der DDR-Geschichte aufzuarbeiten und vor allem die Geschichte danach.“ Aufarbeitung heiße Aufklärung, nicht Vergeltung, denn diese führe zu einer „kollektiven Gedächtnisspaltung“. Eine nach 1990 einsetzende Dämonisierung der DDR, wie sie beispielsweise der ehemalige Leiter des Stasigefängnisses Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, betrieben habe, hätte das „Ziel der vollständigen Delegitimierung der DDR als Unrechtsstaat (gehabt). Dass damit auch das Leben dort vollständig infrage gestellt wurde, spielte keine Rolle.“

Über diese Normalität aber, jenseits von „politischen Maßnahmen des Regimes und Widerstand“, würde nach 1990 nicht gesprochen und geschrieben.

Krampitz` Appell, sich dem Alltag in der DDR zu zu wenden, ist vollauf zuzustimmen. Allerdings läßt sich beobachten, dass gerade in Bezug auf den Alltag die problematischen Seiten vergessen werden. Zum Beispiel stand einem Recht auf Arbeit auch die Pflicht zur Arbeit mit einem „Asozialengesetz“ gegenüber und dem Recht auf Wohnraum eine Wohnungsnot aufgrund des Verfalls der Altbausubstanz. Das eigentliche Problem seiner Haltung aber scheint mir zu sein, dass sie darauf hinausläuft, die repressive Seite der DDR in der Erinnerung verblassen zu lassen und sich dem „normalen“ Leben „der Menschen“ zu zu wenden, welches nun in einem fast idyllischen Licht gegenüber dem Leben im Westen erscheint. Es sei denn, - so wird in dem Essay eingeschränkt - man verhielte sich ruhig: politisches Wohlverhalten in der DDR also vorausgesetzt. Das ist mir zu viel Anbiederei an die DDR-Normalbürger*innen, von dem es in dem Essay heißt, er sei ein „in äußerer Anpassung und innerer Verweigerung gespaltene(r) Mensch“ gewesen. Krampitz blendet hier die Repession- auch gegenüber Normalbürger*innen- aus. Aus Angst, die Staatssicherheit und ihre Verfolgungspraxen zu dämonisieren, wird sie in einer solchen Lesart lieber verharmlost. Wir finden hier ein Dilemma wieder, in dem die Linke seit hundert Jahren steckt: die Verbrechen in den sich sozialistisch nennenden Gesellschaften aus Angst vor falschen Freunden zu leugnen, klein zu halten oder zu relativieren.

Ich habe den Eindruck, dass dem Gundermannfilm genau diese Absicht zu Grunde lag: Dresen war darauf bedacht, keine neue Dämonisierung der Staatssicherheit und keine moralisierende Verurteilung einer IM-Tätigkeit für die Stasi zu zeigen. Doch indem er die Spitzeltätigkeit von Gundermann zu einem Kavaliersdelikt macht, hat er einer linken Aufarbeitung einen Bärendienst erwiesen.
 

Fußnoten

1Operative Personenkontrolle, Maßnahme zur Überwachung durch das Ministerium für Staatssicherheit

2 Frank Junghänel, „Andreas Dresen über Gundermann: ‚Texte, die ein Lebensgefühl wie ein Brennglas spiegeln‘“, Berliner Zeitung vom 11.8.2018

3Karsten Krampitz, „DDR neu erzählen“, Deutschlandfunk 3.10.18
Weiteres zum Essay von Krampitz im ak 644 “Wir waren schon weiter. Lässt sich die DDR von links aufarbeiten, ohne in die »Ostalgie-Falle« zu tappen? Von Anne Seeck“

Editorischer Hinweis

Wir erhielten den Artikel von der Autorin für diese Ausgabe.