Die deutsche Wirtschaft nach dem Dreißigjährigen Krieg

Autorenkollektiv der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

 

01/2018

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Schwerwiegender als die direkten Auswirkungen waren die langfristigen Folgen des Krie­ges. Mit Ausnahme der Leinwand aus Sachsen und Schlesien gab es kaum Produkte, die in ausreichender Menge und Güte vorhanden waren, um auf dem Weltmarkt absatzfähig zu sein. Deutlich zeigt das Beispiel des Bergbaus, wie der Krieg den schon vorher Erzeugten im Mansfeldischen während des 16. Jahrhunderts etwa 2000 Bergleute 10 bis 15 000 Dezitonnen Kupfer im Jahr, so waren erkennbaren Niedergang entscheidend verstärkte.
1668 nur noch einige Dutzend übrig geblieben, die 150 bis 200 Dezitonnen förderten. Die An­lage tieferer, leistungsfähigerer Schächte erfor­derte bedeutende Kapitalmengen, die es in dem zerstörten Land kaum gab. Außerdem man­gelte es überall an ausgebildeten, persönlich freien Arbeitskräften.

Die Zahl der frühkapitalistischen Unter­nehmungen, der Manufakturen und auch der Verlage, ging ebenfalls aus den genannten Grün­den noch weiter zurück. Das Zunfthandwerk mit seinen mannigfachen, den technischen Fortschritt behindernden Bestimmungen herrschte vor. Die gewerbliche Produktion wurde auch durch die Hemmnisse behindert, auf die der Handel traf. Die ausländischen Mächte kon­trollierten jetzt die Mündungen der großen Ströme. Die Städte an diesen Flüssen stellten die Eingangstore dar, durch die holländische und englische Kaufleute ihre besseren und bil­ligeren Waren nach Deutschland brachten. Gegen ihre überlegene Konkurrenz kamen die deutschen Kaufleute schwer auf. Im Handel konnten sich deshalb größere Vermögen nur langsam bilden. Das Bürgertum der deutschen Städte war somit nach dem Dreißigjährigen Kriege wirtschaftlich sehr geschwächt und blieb in seiner Entwicklung wesentlich zurück. Vor allem die frühkapitalistischen Unternehmungen konnten sich zunächst kaum entfalten.

Große Güter in Ostelbien

Neben Handwerk und Handel litt auch die Landwirtschaft unter den Kriegsfolgen. Höfe mußten aufgebaut, Felder von Unkraut und vordringendem Wald befreit werden. Dabei behinderten der Mangel an Geräten und Werk­zeugen, an Zugvieh und vor allem die großen Menschenverluste den Wiederaufbau. Westlich der Elbe blieben im wesentlichen die bisheri­gen Formen der feudalen Abhängigkeit und Unterdrückung bestehen. Das war die feudale Grundherrschaft. In ihr überwogen die Natu-ral- und Geldabgaben, die die Feudalherren möglichst zu erhöhen suchten. Dennoch ver­schlechterte sich in diesen Gebieten die Lage der Bauern, obwohl sie schwer genug blieb, nicht entscheidend.

Östlich der Elbe, in „Ostelbien",dagegen voll­zogen sich in der Landwirtschaft tiefgreifende Wandlungen. Sie wurden durch den steigenden Getreidebedarf der städtereichen Länder West­europas veranlaßt. Immer mehr Schiffe kamen von dort in die Hafenstädte der Ostseeküste, um das dringend benötigte Brotgetreide zu holen. Sein Anbau warf hohe Gewinne ab. Die Feudalherren Ostelbiens suchten daher mit allen Mitteln, ihre Besitzungen zu großen Gü­tern zu erweitern, um möglichst viel Getreide zu produzieren. Sie eigneten sich den Boden an, der infolge der Kriegsverwüstungen und des Bevölkerungsrückgangs brach lag. Damit entstanden Landkomplexe, die nicht mehr auf­gesplittert, sondern weitgehend geschlossen waren. Diese Güter wurden vom Herrenhof aus direkt bewirtschaftet. Um die notwendigen Arbeitskräfte zu beschaffen, forderten die Guts­besitzer von den Bauern wieder mehr Fron­dienste - an vier, fünf oder gar sechs Tagen in der Woche. Sie waren als Hand- und Spanndienste zu leisten. Diese ungemessenen Fron­dienste ließen den Bauern oft kaum noch Zeit, ihr eigenes Land zu bebauen.

Die zweite Leibeigenschaft und die Gutsherrschaft

Viele Bauern verließen ihre Höfe, um sich den spürbar steigenden Belastungen zu ent­ziehen. Die Gutsbesitzer suchten die Abwan­derung zu verhindern. Sie wollten nicht die billigen Arbeitskräfte verlieren. Zunächst ver­weigerten sie den Bauern solange den Weg­gang, bis ein Ersatzmann gefunden war. Dann verboten sie den Abzug überhaupt. Außerdem zwangen sie die Bauern, ihre Kinder einige Jahre lang als Gesinde, als Knechte oder Mägde, auf dem Gutshof arbeiten zu lassen. Sie bekamen dafür fast keinen Lohn und unter­standen der direkten Gewalt des Gutsherren. Dieser Gesindezwangsdienst und die Abzugs­verbote hatten zur Folge, daß sich in Ost­elbien die zweite Leibeigenschaft, die in ande­ren Teilen Deutschlands seit dem 15. Jahrhun­dert entstanden war, in besonders krassem Maße ausbildete.

Durch die zweite Leibeigenschaft, für die in Brandenburg die Bezeichnung Erbuntertänig­keit üblich war, wurden die Bauern erneut von ihrem Feudalherren persönlich abhängig. Er konnte sie schließlich sogar, mit oder ohne ihren Hof, kaufen und verkaufen. Sie durften ihr Land auch nicht mehr wie vordem gegen einen mäßig hohen Zins erblich besitzen, son­dern mußten ihren Herren alle paar Jahre um die Erneuerung des Besitzvertrages bitten. Bei dieser Gelegenheit steigerte dieser seine For­derungen. Den Bauern war es nicht möglich, sich in den Städten eine Arbeit zu suchen. Die ostelbischen Adligen, die auf ihren aus­gedehnten Gütern mit leibeigenen Bauern, Ge­sinde und auch schon Tagelöhnern Getreide für die Ausfuhr produzierten, wurden bald Junker4 genannt. Sie vertrieben vor allem im 18. Jahr­hundert immer mehr Bauern, deren Boden sie dem Gutsland einverleibten, um die Getreide­produktion noch mehr zu erweitern. Dieser rücksichtslose Raub des Bauernlandes durch die Junker wird als Bauernlegen bezeichnet. Zehntausende verloren in Ostelbien durch die­sen Vorgang ihre Höfe. Auf dem Boden Meck­lenburgs, der dem Adel gehörte, ging die Zahl der Bauernstellen zwischen 1660 und 1755 von 12 000 auf 4900 zurück; 1794 waren es gar nur noch 2490.
Die ehemaligen Bauern behielten nur kleine Häuschen mit winzigen Landstücken, die ihnen noch nicht einmal den notwendigsten Lebens­bedarf sicherten. Die landarmen und die land­losen Dorfbewohner nannte man nunmehr Kätner, Häusler, Büdner oder Gärtner. Sie waren nahezu vollständig der Produktionsmit­tel beraubt und darauf angewiesen, für einen Hungerlohn auf den junkerlichen Gütern zu arbeiten. Durch die Leibeigenschaft blieben sie an die Gutsherren gebunden.

Die feudale Ausbeutung und Unterdrückung nahm überall in Ostelbien ein nicht mehr zu überbietendes Ausmaß an. Die Leibeigenen im Bereich der Güter waren ihrem Junker bei­nahe schütz- und rechtlos ausgeliefert. Zusam­menfassend sprechen wir von der Gutsherr­schaft. Gegen die Willkürmaßnahmen, gegen neue Erhöhungen der Dienste und Abgaben gab es kaum eine Möglichkeit der Gegenwehr. Der Gutsherr verfügte über die Polizeigewalt im Dorf und hielt auch Gericht. Zwar hören wir oft davon, daß die Bauern Frondienste verweigerten, sie betont nachlässig ausführten oder Abgaben nicht lieferten. Sie ließen also nicht alles widerspruchslos über sich ergehen.

Aber die Gutsherren hielten ein bewaffnetes Gefolge und beschäftigten Gutsverwalter und Aufseher, die schon bei den geringsten Ver­gehen harte Strafen verhängten. Stockschläge, Peitschenhiebe und Haftstrafen waren an der Tagesordnung. Auch mit Hilfe der Kirche wurden die Bauern zu striktem Gehorsam an­gehalten, war doch der Dorfpfarrer ebenfalls völlig vom Gutsherren abhängig. Der ostelbische Adel steigerte seine wirt­schaftliche Macht durch die maßlose Ausbeu­tung der leibeigenen Bauern. In den anderen Teilen Deutschlands konnte der Feudaladel, wenngleich innerhalb der alten Formen, seine Klassenherrschaft ebenfalls festigen. Dem steht die wirtschaftliche Schwächung des Städtebürgertums gegenüber.

Quelle: Geschichte 7, hrg.v. Autorenkollektiv der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Berlin 1968, S. 88-91