Der Dreißigjährige Krieg
Leseauszug aus: Geschichte des Mittelalters

von E.A. Kosminski

01/2018

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1. Der Beginn des Krieges

Der deutsche Kaiser hatte mit den Fürsten in Augsburg (1555) Frieden geschlos­sen; aber dessenungeachtet ging der Kampf zwischen ihnen weiter. Die Fürsten strebten nach völliger Unabhängigkeit, während der Kaiser, der stärker als jeder einzelne Fürst war, sie seiner Herrschaft unterordnen wollte. Jedesmal jedoch, wenn er derartige Versuche unternahm, schlössen die einzelnen Fürsten Bünd­nisse miteinander und leisteten ihm Widerstand. Deutschland blieb also weiterhin zersplittert.

Im 16. Jahrhundert setzte in Deutschland ein wirtschaftlicher Verfall ein. Nach den großen Entdeckungen verlagerten sich die Haupthandelswege nach dem Atlantischen Ozean. Der italienische Handel verkümmerte, die Alpenpässe ver­loren ihre Bedeutung. Auch Südwestdeutschland ging dem wirtschaftlichen Nie­dergang entgegen. Holländische, englische und französische Kaufleute und Ge­werbetreibende verdrängten überall die verarmten deutschen Kaufleute. Be­rühmte süddeutsche Handelsfirmen wie die Fugger gingen zugrunde. Der Unter­gang der Fugger wurde noch durch den schlechten Stand der spanischen Staats­kasse beschleunigt. Sie hatten nämlich König Philipp II. große Summen geliehen; er aber weigerte sich, diese Schulden zu bezahlen. Dies war ein schwerer Schlag für die Fugger.
Während dieser Zeit bereitete sich in Norddeutschland der Niedergang der großen „Hanse" vor. Mächtige Staaten wie England und Holland verdrängten den Han­del der Hanse. Im Jahre 1669 trat der Kongreß der Hansestädte zum letzten Male zusammen. Diese große Handelsmacht des Mittelalters hörte auf zu bestehen. Der Niedergang des Handels lockerte die Verbindungen zwischen den einzelnen Teilen Deutschlands. Jedes Fürstentum bestand für sich allein, ohne die anderen zu benötigen.

Die Kaiser hatten erkannt, daß der Protestantismus die Macht der Fürsten stärkte, indem er sie durch die ehemaligen Kirchengüter bereicherte und ihnen die Macht über die Kirche in die Hand gab. Deshalb sahen sie ihre Stütze im Katholizismus. Der Erbbesitz der Kaiser des Hauses Habsburg, Österreich, wurde der Mittel­punkt der Tätigkeit des Jesuitenordens. Österreich war der größte und mächtigste deutsche Staat. Schon im 16. Jahrhundert wuchs seine Macht dadurch, daß ihm Böhmen und ein Teil Ungarns angegliedert wurden. Im Jahre 1526 hatten die Türken in der Schlacht bei Mohacs in Südungarn das ungarische Heer geschlagen. Ungarn fiel auseinarider. Ein Teil davon wurde von den Türken besetzt, ein Teil an Österreich angeschlossen. Böhmen unterstellte sich den Habsburgern, um bei ihnen Schutz vor den Türken zu finden.

Die Kaiser verfolgten in ihren Ländern den Protestantismus und die hussitische „Ketzerei" und suchten die Macht des Katholizismus mit allen Mitteln zu stärken.

In den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts fielen die deutschen Fürsten endgültig in zwei Lager auseinander. Die protestantischen Fürsten schlössen sich in der „Union" zusammen. Als Antwort hierauf vereinigten sich die katholischen Herr­scher in einer „Liga".

Im Jahre 1618 brach ein innerdeutscher Krieg aus, der sich bis zum Jahre 1648 hinzog und in der Geschichte den Namen „Dreißigjähriger Krieg" erhalten hat. Dieser Krieg wurde ausgetragen zwischen den protestantischen Fürsten auf der einen Seite und dem Kaiser und der Liga auf der anderen Seite. Im Laufe der Zeit wurden die meisten europäischen Mächte in die Auseinandersetzungen hineinge­zogen, und es wurde daraus der erste große gesamteuropäische Krieg. Zu Anfang mischte sich Dänemark, dann Frankreich und Schweden in die inneren Streitigkeiten der deutschen Fürsten ein; sie alle gemeinsam verwüsteten Deutsch­land.


2. Der Verlauf des Krieges

Den Anfang des Krieges bildeten Aufstände in Böhmen. Durch religiöse Verfol­gungen in Erregung versetzte tschechische Adlige, meistens Hussiten, erhoben sich gegen den Kaiser und warfen mehrere Mitglieder der Regierung aus den Fenstern der Prager Burg. Es kam zwischen den Tschechen und dem Kaiser zum Krieg. Die tschechische Bauernschaft jedoch, die unter den Unterdrückungen durch den Adel zu leiden hatte, unterstützte die Adligen nicht. Kaiser Ferdinand II. sandte ein starkes Heer gegen die Tschechen, die am Weißen Berg, nicht weit von Prag, im Jahre 1620 geschlagen wurden. Man hielt ein strenges Strafgericht über sie ab, so daß in einigen Gebieten Böhmens nicht mehr als ein Drittel der früheren sehe Adel wurde zum Teil gleichfalls aus­gerottet, zum Teil für immer aus Böhmen vertrieben. Seine Güter beschlagnahmte man und vergab sie als Belohnung an Anhänger Ferdinands II. So schuf man in Böhmen Riesengüter, auf denen die Bauern im Frondienst arbeiteten. Die letzten Reste der freien Bauern gerieten in Leibeigenschaft, ihre Herren waren meistens Deutsche.
Böhmen wurde österreichische Provinz, in der die Jesuiten die bestimmende Macht waren. Sie gingen gegen die tsche­chische Kultur vor und verbrannten alle Bücher, die in tschechischer Sprache ge­druckt waren, ohne sich für ihren Inhalt überhaupt zu interessieren. Der Sieg des Kaisers erregte in England, Holland und Frankreich große Beunruhigung. Da diese Staaten eine Stärkung seiner Macht und eine Einigung Deutschlands fürchteten, schlössen sie mit dem dänischen König Christian IV., der seine Besitzungen auf Kosten mehrerer Ostseegebiete Deutschlands vergrö­ßern wollte, einen Vertrag. Nachdem Dänemark mit finanzieller Hilfe seiner Bun­desgenossen ein großes Heer zusammengebracht hatte, begann es im Jahre 1625 den Krieg.

Die Lage des Kaisers verschlechterte sich sehr. In diesem kritischen Augenblick machte Wallenstein, ein reicher Grundbesitzer, der durch den Aufkauf von Gü­tern, die man dem tschechischen Adel durch Beschlagnahme weggenommen hatte, sehr reich geworden war, dem Kaiser den Vorschlag, ein Heer von 15 000 Fußsol­daten und 6000 Reitern aufzustellen. Dieses Angebot griff Ferdinand freudig auf und ernannte Wallenstein zum Oberbefehlshaber des zukünftigen Heeres. In kurzer Zeit brachte dieser ein Heer von 50000 Mann zusammen. / An Söldnern war kein Mangel. Landlos gewordene Bauern und arbeitslose Handwerker wurden Söldner. Ihnen schlössen sich im Kriege die Bewohner zerstörte Städte und Dörfer an, denn ihnen blieb nichts anderes übrig, als andere auszu­plündern.

Im Jahre 1626 schlugen Wallensteins Truppen die Dänen und ihre deutschen protestantischen Bundesgenossen. Der dänische König war gezwungen, Frieden zu schließen (1629). Er verpflichtete sich, sich nicht weiter in die Angelegenheiten Deutschlands einzumischen.
Wallenstein wurde mit dem Herzogtum Mecklenburg belehnt und wurde selbst ein deutscher Fürst. Er erhielt den Titel „General des Baltischen und Ozeanischen i Meeres" und begann mit dem Bau einer Flotte. Zu seinen weitgehenden Plänen gehörte die Wiederaufrichtung der Hanse, um den gesamten Ostseehandel in deutsche Hände zu bekommen und die Holländer wie die Engländer zu verdrän­gen. In dieser Zeit unterstützte Wallenstein die Bestrebungen des Kaisers zur Er­langung einer unumschränkten Herrschaft, indem er erklärte: „Ich will, daß d .Besitzungen sei wie der König in Frank­reich." Dies aber wollten weder die pro­testantischen noch die katholischen Für­sten. Sie bestanden darauf, daß der Kai­ser Wallenstein den Abschied gab. In jener Zeit erließ der Kaiser das „Re­stitutionsedikt" (1629). Nach diesem Er­laß sollten den protestantischen Fürsten alle kirchlichen Besitzungen, die sie seit 1552 erhalten hatten, wieder abgenom­men werden. Die norddeutschen Fürsten, deren Interessen dadurch am stärksten betroffen wurden, griffen zu den Waffen. Die größte Hilfe erwies den protestanti­schen Fürsten Kardinal Richelieu, da für Frankreich ein starkes Deutschland ge­fährlich war. Das katholische Frankreich half also den Protestanten im Kampf ge­gen die Katholiken. Und Frankreich zog zum Kampf gegen den Kaiser noch eine starke Macht heran: Schweden. Eine Million Livres jährlich hatte Frankreich dem Schwedenkönig Gustav Adolf als Sub-sidien versprochen.

Im 17. Jahrhundert begann Schweden in Nordeuropa eine große Rolle zu spielen. Es hatte sich damals zu einer einheitlich geschlossenen und starken Adelsmonar­chie entwickelt. Trotz des Aufschwunges des Eisenerzbergbaus und des eisenver­arbeitenden Gewerbes war Schweden weiterhin ein armes Land geblieben. Sein rauhes Klima und sein dürftiger Boden, der zähe Arbeit erforderte, brachten dem Feudaladel nur geringe Einkünfte. Aber neue Einnahmequellen wurden für diesen Adel und seine Regierung erschlossen. Auf der Ostsee entwickelte sich ein lebhafter Handel mit Getreide, das aus Polen, Brandenburg und Preußen nach England und Holland verschifft wurde. Die Schweden besetzten Estland, nahmen Rußland das Gebiet des Ladogasees und die Newamündung und den Polen Livland weg. Finnland hatten die Schweden schon im 12. Jahrhundert erobert. Auf diese Weise befand sich der größte Teil der Ostsee in ihren Händen. Jetzt wollten sie auch noch ihre Südküste in Besitz nehmen, damit die gesamte Ostsee ih ihre Hand bekommen und die Handelszölle insgesamt für sich ein­ziehen. Die Besetzung der Ostseeküste durch Wallenstein störte diese Pläne Schwedens.

Der junge Schwedenkönig Gustav Adolf, ein begabter Heerführer, landete im Sommer 1630 mit einem kleinen, aber gut organisierten und bewaffneten Heer in Pommern. Dieses schwedische Heer war diszipliniert und bestand nicht aus Söldnern, sondern aus Bauern, die auf Grund der Militärpflicht einberufen worden waren. Gustav Adolf hatte die Taktik des Infanteriekampfes vervollkommnet. Seine Soldaten gaben drei Schüsse in derselben Zeit ab, in der die Gegner einen abgaben. Sehr geschickt verstand er auch seine leichte, bewegliche Artillerie ein­zusetzen. Die Hauptkampfkraft seiner militärischen Macht bildeten die unge­stümen Attacken seiner Reiterei. Bei Leipzig (Breitenfeld) schlugen die Schweden das kaiserliche Heer Tillys (1631). Im Frühling des darauffolgenden Jahres er­rang Gustav Adolf einen neuen Sieg am Lech. Er zog durch Bayern und nahm München. Die Hauptstadt des Reiches, Wien, war bedroht.

In diesem Augenblick höchster Gefahr wandte sich der Kaiser noch einmal um Hilfe an Wallenstein. Dieses Mal verlangte Wallenstein für sich das Recht der Verfügungsgewalt über alle Länder, die er eroberte, und außerdem eine große Be­lohnung. Im geheimen rechnete er sogar darauf, die böhmische Königskrone zu erhalten. Er stellte ein großes Heer auf und stieß mit der Armee Gustav Adolfs im Jahre 1632 bei Lützen zusammen. In dieser Schlacht fiel Gustav Adolf. Wallenstein, der sich auf dem Gipfel seines Ruhmes fühlte, ging jetzt an die Ver­wirklichung seiner ehrgeizigen Pläne. Er trat in geheime Verhandlungen mit den Schweden ein und rechnete auf ihre Unterstützung. Seine Generale und andere Offiziere jedoch, die ja vom Krieg lebten, wünschten überhaupt keine Beendigung der Kriegsunternehmungen, und so entstand in ihrem Kreise eine Verschwörung gegen Wallenstein. Im Jahre 1634 wurde er zur großen Freude des Kaisers, der den maßlos ehrgeizigen Abenteurer zu fürchten begann, ermordet. Die schwedischen Truppen machten keine Anstalten, wieder aus Deutschland ab­zuziehen, nachdem sie es ebenso wie Wallensteins Banden ausgeraubt hatten. Richelieu aber benutzte diese Gelegenheit dazu, die Macht der Habsburger end­gültig zu untergraben. Er sandte französische Truppen nach Deutschland, die das Land furchtbar verwüsteten. Viele Städte und Dörfer wurden bis auf den Grund niedergebrannt. In manchen Gegenden Deutschlands blieben nur elende Reste der Bevölkerung übrig.

3. Der Ausgang des Krieges

Trotz der schrecklichen Zerstörungen, die in ganz Deutschland nicht nur durch Schweden und Franzosen, sondern ebenso auch durch die deutschen Söldnerban­den angerichtet worden waren, wußten sich die deutschen Fürsten und der übrige Adel für alle Verluste schnell schadlos zu halten. Da die Adligen die Offiziersstellen in den Söldnerheeren innehatten, erhielten sie den Löwenanteil an der Beute, die bei den Plünderungen gemacht wurde. In Nordostdeutschland ergriffen sie, die schwere Lage des verwüsteten Gebietes ausnutzend, vom Bauernland Besitz und zwangen die Bauern, ihnen noch mehr Frondienste zu leisten. Der Krieg wurde mit dem Westfälischen Frieden beendet (1648). Frankreich er­hielt einen Teil des Elsaß, Schweden einen Teil Pommerns mit der Odermündung sowie die Mündungen der Elbe und der Weser. Auf diese Weise gelangten die Aus­gänge der wichtigsten Handelswege Deutschlands zum Meere hin in die Hände der Schweden. Die wichtigste Folge des Krieges aber war, daß den deutschen Fürsten ihre volle Unabhängigkeit zuerkannt wurde. Sie erhielten das Recht, selbständig Bündnisse und Verträge mit auswärtigen Staaten abzuschließen. Deutschland zer­fiel in 296 kleine Staaten, ohne die Besitzungen der sogenannten „Reichsritter" mitzuzählen, die in Wirklichkeit ebenfalls unabhängig waren (über eintausend). Der Westfälische Frieden bedeutete also den vollen Sieg der Fürsten über den Kaiser. Sie wurden allmählich unumschränkte Alleinherrscher. Den großen europäischen Staaten nacheifernd umgab sich jeder der Fürsten mit einem kostspieligen Hof, hielt sich ein eigenes Heer, schränkte die alten Freiheiten der Städte ein und beutete seine Untertanen schonungslos aus.

Quelle: E.A. Kosminski, Geschichte des Mittelalters, Leipzig 1951, S.250-257