Die Methode der politischen Ökonomie
3. Abschnitt der Einleitung der "Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie"

von Karl Marx

01/2018

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Wenn wir ein gegebnes Land politisch-ökonomisch betrachten, so beginnen wir mit seiner Bevölkerung, ihrer Verteilung in Klassen, Stadt, Land, See, den verschiednen Produktionszweigen, Aus- und Einfuhr, jährlicher Produktion und Konsumtion, Waren­preisen etc.

Es scheint das Richtige zu sein mit dem Realen und Konkre­ten, der wirklichen Voraussetzung zu beginnen, also z. B. in der Ökonomie mit der Bevölkerung, die die Grundlage und das Sub­jekt des ganzen gesellschaftlichen Produktionsakts ist. Indes zeigt sich dies bei näherer Betrachtung [als] falsch. Die Bevölkerung ist eine Abstraktion, wenn ich z. B. die Klassen, aus denen sie besteht, weglasse. Diese Klassen sind wieder ein leeres Wort, wenn ich die Elemente nicht kenne, auf denen sie beruhn. Z. B. Lohnarbeit, Kapital etc. Diese unterstellen Austausch, Teilung der Arbeit, Preise etc. Kapital z. B. ohne Lohnarbeit ist nichts, ohne Wert, Geld, Preis etc. Finge ich also mit der Bevölkerung an, so wäre das eine chaotische Vorstellung des Ganzen und durch nähere Bestimmung würde ich analytisch immer mehr auf ein­fachere Begriffe kommen; von dem vorgestellten Konkreten auf immer dünnere Abstrakta, bis ich bei den einfachsten Bestim­mungen angelangt wäre. Von da wäre nun die Reise wieder rückwärts anzutreten, bis ich endlich wieder bei der Bevölkerung anlangte, diesmal aber nicht als bei einer chaotischen Vorstellung eines Ganzen, sondern als einer reichen Totalität von vielen Bestimmungen und Beziehungen. Der erste Weg ist der, den die Ökonomie in ihrer Entstehung geschichtlich genommen hat. Die Ökonomen des 17. Jahrhunderts z. B. fangen immer mit dem lebendigen Ganzen, der Bevölkerung, der Nation, Staat, mehren Staaten etc. an; sie enden aber immer damit, daß sie durch Analyse einige bestimmende abstrakte, allgemeine Beziehungen, wie Teilung der Arbeit, Geld, Wert etc. herausfinden. Sobald diese einzelnen Momente mehr oder weniger fixiert und abstrahiert waren, begannen die ökonomischen Systeme, die von dem Ein­fachen, wie Arbeit, Teilung der Arbeit, Bedürfnis, Tauschwert aufstiegen bis zum Staat, Austausch der Nationen, und Weltmarkt. Das letztre ist offenbar die wissenschaftlich richtige Methode. Das Konkrete ist konkret, weil es die Zusammenfassung vieler Bestimmungen ist, also Einheit des Mannigfaltigen. Im Denken erscheint es daher als Prozeß der Zusammenfassung, als Resultat, nicht als Ausgangspunkt, obgleich es der wirkliche Ausgangspunkt und daher auch der Ausgangspunkt der Anschauung und Vorstellung ist. Im ersten Weg wurde die volle Vorstellung zu abstrakter Bestimmung verflüchtigt; im zweiten führen die abstrakten Bestimmungen zur Reproduktion des Konkreten im Weg des Denkens. Hegel geriet daher auf die Illusion das Reale als Resultat des sich in sich zusammenfassenden, in sich vertiefenden, und aus sich selbst sich bewegenden Denkens zu fassen, während die Methode vom Abstrakten zum Konkreten aufzusteigen, nur die Art für das Denken ist, sich das Konkrete anzueignen, es als ein geistig Konkretes zu reproduzieren. Keineswegs aber der Enlstehungsprozeß des Konkreten selbst. Zum Beispiel die ein­fachste ökonomische Kategorie, sage z. B. Tauschwert, unterstellt Bevölkerung, Bevölkerung produzierend in bestimmten Verhält­nissen; auch gewisse Sorte von Familien- oder Gemeinde- oder Staatswesen etc. Er kann nie existieren außer als abstrakte, ein­seitige Beziehung eines schon gegebnen konkreten, lebendigen Ganzen. Als Kategorie führt dagegen der Tauschwert ein ante-diluvianisches Dasein. Für das Bewußtsein daher — und das philo­sophische Bewußtsein ist so bestimmt —, dem das begreifende Denken der wirkliche Mensch und daher die begriffne Welt als solche erst das Wirkliche ist, — erscheint daher die Bewegung der Kategorien als der wirkliche Produktionsakt — der leider nur einen Anstoß von außen erhält —, dessen Resultat die Welt ist; und dies ist — dies ist aber wieder eine Tautologie — soweit richtig, als die konkrete Totalität als Gedankentotalität, als ein Gedankenkonkretum, in fact ein Produkt des Denkens, des Be­greif ens ist; keineswegs aber des außer oder über der Anschauung und Vorstellung denkenden und sich selbst gebärenden Begriffs, sondern der Verarbeitung von Anschauung und Vorstellung in Begriffe. Das Ganze, wie es im Kopfe als Gedankenganzes erscheint, ist ein Produkt des denkenden Kopfes, der sich die Welt in der ihm einzig möglichen Weise aneignet, einer Weise, die verschieden ist von der künstlerischen, religiösen, praktisch-geisti­gen Aneignung dieser Welt. Das reale Subjekt bleibt nach wie vor außerhalb des Kopfes in seiner Selbständigkeit bestehn; solange sich der Kopf nämlich nur spekulativ verhält, nur theoretisch. Auch bei der theoretischen Methode daher muß das Subjekt, die Gesellschaft, als Voraussetzung stets der Vorstellung vorschweben.

Aber haben diese einfachen Kategorien nicht auch eine unab­hängige historische oder natürliche Existenz vor den konkretem? Qa depend. Zum Beispiel Hegel fängt die Rechtsphilosophie richtig mit dem Besitz an, als der einfachsten rechtlichen Be­ziehung des Subjekts. Es existiert aber kein Besitz vor der Familie oder Herrschafts- und Knechtsverhältnissen, die viel konkretre Verhältnisse sind. Dagegen wäre es richtig zu sagen, daß Familien, Stammesganze existieren, die nur noch besitzen, nicht Eigentum haben. Die einfachere Kategorie erscheint also als Verhältnis einfacher Familien- oder Stammgenossen­schaften im Verhältnis zum Eigentum. In der höhern Gesellschaft erscheint sie als das einfachere Verhältnis einer entwickelten Organisation. Das konkrete Substrat, dessen Beziehung der Besitz ist, ist aber immer vorausgesetzt. Man kann sich einen einzelnen Wilden besitzend vorstellen. Dann ist aber der Besitz kein Rechts­verhältnis. Es ist unrichtig, daß der Besitz sich historisch zur Familie entwickelt. Er unterstellt vielmehr immer diese „konkre­tere Rechtskategorie". Indes bliebe dann immer soviel, daß die einfachen Kategorien Ausdrücke von Verhältnissen sind, in denen das unentwickeltere Konkrete sich realisiert haben mag, ohne noch die vielseitigre Beziehung oder Verhältnis, das in der konkretem Kategorie geistig ausgedrückt ist, gesetzt zu haben; während das entwickeltere Konkrete dieselbe Kategorie als ein untergeordnetes Verhältnis beibehält. Geld kann existieren und hat historisch existiert, ehe Kapital existierte, ehe Banken existierten, ehe Lohnarbeit existierte etc. Nach dieser Seite hin kann also gesagt werden, daß die einfachre Kategorie herrschende Verhältnisse eines unentwickeltem Ganzen oder untergeordnete Verhältnisse eines entwickeitern Ganzen ausdrücken kann, die historisch schon Existenz hatten, eh das Ganze sich nach der Seite entwickelte, die in einer konkretem Kategorie ausgedrückt ist. Insofern ent­spräche der Gang des abstrakten Denkens, das vom Einfachsten zum Kombinierten aufsteigt, dem wirk|lichen historischen Prozeß.

Andrerseits kann gesagt werden, daß es sehr entwickelte, aber doch historisch unreifere Gesellschaftsformen gibt, in denen die höchsten Formen der Ökonomie, z. B. Kooperation, entwickelte Teilung der Arbeit etc. stattfinden, ohne daß irgendein Geld existiert, z. B. Peru. Auch bei den slawischen Gemeinwesen tritt das Geld, und der es bedingende Austausch, nicht oder wenig innerhalb der einzelnen Gemeinwesen hervor, sondern an ihrer Grenze, im Verkehr mit andren, wie es denn überhaupt falsch ist den Austausch mitten in das Gemeinwesen zu setzen, als das ursprünglich konstituierende Element. Er tritt vielmehr im Anfang eher in der Beziehung der verschiednen Gemeinwesen aufeinander, als für die Mitglieder innerhalb eines und desselben hervor. Ferner: Obgleich das Geld sehr früh und allseitig eine Rolle spielt, so ist es im Altertum doch als herrschendes Element nur einseitig bestimmten Nationen, Handelsnationen, zugewiesen. Und selbst im gebildetsten Altertum, bei Griechen und Römern, erscheint seine völlige Entwicklung, die in der modernen bürgerlichen Gesellschaft vorausgesetzt ist, nur in der Periode ihrer Auflösung. Also diese ganz einfache Kategorie erscheint in ihrer Intensivität nicht historisch als in den entwickeltsten Zuständen der Gesellschaft. Keineswegs alle ökonomischen Verhältnisse durch-wadend. Zum Beispiel im römischen Reich, in seiner größten Entwicklung, blieb Naturalsteuer und Naturallieferung Grund­lage. Das Geldwesen eigentlich nur vollständig dort entwickelt in der Armee. Es ergriff auch nie das Ganze der Arbeit. So, obgleich die einfachre Kategorie historisch existiert haben mag vor der konkretem, kann sie in ihrer völligen intensiven und extensiven Entwicklung grade einer kombinierten Gesellschaftsform ange­hören, während die konkretere in einer weniger entwickelten Gesellschaftsform völliger entwickelt war.

Arbeit scheint eine ganz einfache Kategorie. Auch die Vor­stellung derselben in dieser Allgemeinheit — als Arbeit überhaupt — ist uralt. Dennoch, ökonomisch in dieser Einfachheit gefaßt, ist „Arbeit" eine ebenso moderne Kategorie, wie die Verhältnisse, die diese einfache Abstraktion erzeugen. Das Monetarsystem z. B. setzt den Reichtum noch ganz objektiv, als Sache außer sich im Geld. Gegenüber diesem Standpunkt war es ein großer Fort­schritt, wenn das Manufaktur- oder kommerzielle System aus dem Gegenstand in die subjektive Tätigkeit — die kommerzielle und Manufakturarbeit — die Quelle des Reichtums setzt, aber immer noch bloß diese Tätigkeit selbst in der Begrenztheit als Geld­machend auffaßt. Diesem System gegenüber das physiokratische, das eine bestimmte Form der Arbeit — die Agrikultur — als die Reichtumschaffende setzt, und das Objekt selbst nicht mehr in der Verkleidung des Geldes, sondern als Produkt überhaupt, als allgemeines Resultat der Arbeit. Dieses Produkt noch der Be­grenztheit der Tätigkeit gemäß als immer noch Naturbestimmtes Produkt — Agrikulturprodukt, Erdprodukt par excellence.

Es war ein ungeheurer Fortschritt von Adam Smith jede Bestimmtheit der reichtumzeugenden Tätigkeit fortzuwerfen — Arbeit schlechthin, weder Manufaktur-, noch kommerzielle, noch Agrikulturarbeit, aber sowohl die eine wie die andre. Mit der abstrakten Allgemeinheit der reichtumschaffenden Tätigkeit nun auch die Allgemeinheit des als Reichtum bestimmten Gegen­standes, Produkt überhaupt oder wieder Arbeit überhaupt, aber als vergangne, vergegenständlichte Arbeit. Wie schwer und groß dieser Übergang war, geht daraus hervor, wie Adam Smith selbst noch von Zeit zu Zeit wieder in das physiokratische System < zurückfällt. Nun könnte es scheinen, als ob damit nur der ab­strakte Ausdruck für die einfachste und urälteste Beziehung gefunden, worin die Menschen — sei es in welcher Gesellschafts­form immer — als produzierend auftreten. Das ist nach einer Seite hin richtig. Nach der andren nicht. Die Gleichgültigkeit gegen eine bestimmte Art der Arbeit setzt eine sehr entwickelte Totalität wirklicher Arbeitsarten voraus, von denen keine mehr die alles beherrschende ist. So entstehn die allgemeinsten Ab­straktionen überhaupt nur bei der reichsten konkreten Entwick­lung, wo Eines vielen Gemeinsam erscheint, allen gemein. Dann hört es auf, nur in besondrer Form gedacht werden zu können. Andrerseits ist diese Abstraktion der Arbeit überhaupt nicht nur das geistige Resultat einer konkreten Totalität von Arbeiten. Die Gleichgültigkeit gegen die bestimmte Arbeit entspricht einer Gesellschaftsform, worin die Individuen mit Leichtigkeit aus einer Arbeit in die andre Übergehn und die bestimmte Art der Arbeit ihnen zufällig, daher gleichgültig ist. Die Arbeit ist hier nicht nur in der Kategorie, sondern in der Wirklichkeit als Mittel zum Schaffen des Reichtums überhaupt geworden, und hat aufgehört als Bestimmung; mit den Individuen in einer Besonderheit ver­wachsen zu sein. Ein solcher Zustand ist am entwickeltsten in der modernsten Daseinsform der bürgerlichen Gesellschaften — den Vereinigten Staaten. Hier also wird die Abstraktion der Kategorie „Arbeit", „Arbeit überhaupt", Arbeit sans phrase, der Ausgangspunkt der modernen Ökonomie, erst praktisch wahr. Die einfachste Abstraktion also, welche die moderne Ökonomie an die Spitze stellt, und die eine uralte und für alle Gesellschaftsformen gültige Beziehung ausdrückt, erscheint doch nur in dieser Abstraktion praktisch wahr als Kategorie der modernsten Gesellschaft. Man könnte sagen, was in den Vereinigten Staaten als historisches Produkt, erscheine bei den Russen z. B. — diese Gleichgültigkeit gegen die bestimmte Arbeit — als Naturwüchsige Anlage. Allein einmal verteufelter Unterschied, ob Barbaren Anlage haben zu allem verwandt zu werden, oder ob Zivilisierte sich selbst zu allem verwenden. Und dann entspricht praktisch bei den Russen dieser Gleichgültigkeit gegen die Bestimmtheit der Arbeit das traditionelle Festgerittensein in eine ganz bestimmte Arbeit, woraus sie nur durch Einflüsse von außen herausgeschleudert weiden.

Dies Beispiel der Arbeit zeigt schlagend, wie selbst die abstraktesten Kategorien, trotz ihrer Gültigkeit — eben wegen ihrer Abstraktion — für alle Epochen, doch in der Bestimmtheit dieser Abstraktion selbst ebensosehr das Produkt historischer Verhältnisse sind und ihre Vollgültigkeit nur für und innerhalb dieser Verhältnisse besitzen.

Die bürgerliche Gesellschaft ist die entwickeltste und mannig­faltigste historische Organisation der Produktion. Die Kategorien, die ihre Verhältnisse ausdrücken, das Verständnis ihrer Gliederung, gewähren daher zugleich Einsicht in die Gliederung und die Produktionsverhältnisse aller der untergegangnen Gesellschafts­formen, mit deren Trümmern und Elementen sie sich aufgebaut, von denen teils noch unüberwundne Reste sich in ihr fortschleppen, bloße Andeutungen sich zu ausgebildeten Bedeutungen entwickelt haben etc. In der Anatomie des Menschen ist ein Schlüssel zur Anatomie des Affen. Die Andeutungen auf Höhres in den untergeordneten Tierarten können dagegen nur verstanden werden, wenn das Höhere selbst schon bekannt ist. Die bürgerliche Ökonomie liefert so den Schlüssel zur antiken etc. Keineswegs aber in der Art der Ökonomen, die alle historischen Unterschiede verwischen und in allen Gesellschaftsformen die bürgerlichen sehen. Man kann Tribut, Zehnten etc. verstehn, wenn man die Grundrente kennt. Man muß sie aber nicht identifizieren. Da ferner die bürgerliche Gesellschaft selbst nur eine gegensätzliche Form der Entwicklung, so werden Verhältnisse frührer Formen oft nur ganz verkümmert in ihr anzutreffen sein, oder gar travestiert. Zum Beispiel Gemeindeeigentum. Wenn daher wahr ist, daß die Kategorien der bürgerlichen Ökonomie eine Wahrheit für alle andren Gesellschaftsformen besitzen, so ist das nur cum grano salis zu nehmen. Sie können dieselben entwickelt, ver­kümmert, karikiert etc. enthalten, immer in wesentlichem Unter­schied. Die sogenannte historische Entwicklung beruht überhaupt darauf, daß die letzte Form die vergangnen als Stufen zu sich selbst betrachtet, und, da sie selten, und nur unter ganz bestimmten Bedingungen fähig ist, sich selbst zu kritisieren — es ist hier natürlich nicht von solchen historischen Perioden die Rede, die sich selbst als Verfallzeit vorkommen —, sie immer einseitig auf­faßt. Die christliche Religion war erst fähig zum objektiven Verständnis der frühern Mythologien zu verhelfen, sobald ihre Selbstkritik zu einem gewissen Grad, sozusagen fertig war. So kam bürgerliche Ökonomie erst zum Verständnis der feudalen, antiken, Orientalen, sobald die Selbstkritik der bürger­lichen Gesellschaft begonnen. Soweit die bürgerliche Ökonomie nicht mythologisierend sich rein identifiziert mit der vergangnen, glich ihre Kritik der frühem, namentlich der feudalen, mit der sie noch direkt zu kämpfen hatte, der Kritik, die das Christentum am Heidentum, oder auch der Protestantismus am Katholizismus ausübte.

Wie überhaupt bei jeder historischen, sozialen Wissenschaft, « ist bei dem Gang der ökonomischen Kategorien immer festzu­halten, daß, wie in der Wirklichkeit, so im Kopf, das Subjekt, hier die moderne bürgerliche Gesellschaft, gegeben ist, und daß die Kategorien daher Daseinsformen, Existenzbestimmungen, oft nur einzelne Seiten dieser bestimmten Gesellschaft, dieses Subjekts ausdrücken, und daß sie daher auch wissenschaft­lich keineswegs da erst anfängt, wo nun von ihr als solcher die Rede ist. Dies ist festzuhalten, weil es gleich über die Ein­teilung Entscheidendes zur Hand gibt. Zum Beispiel nichts scheint naturgemäßer als mit der Grundrente zu beginnen, dem Grund­eigentum, da es an die Erde, die Quelle aller Produktion und allen Daseins, gebunden ist, und an die erste Produktionsform aller einigermaßen befestigten Gesellschaften — die Agrikultur. Aber nichts wäre falscher. In allen Gesellschaftsformen ist es eine bestimmte Produktion, die allen übrigen, und deren Verhältnisse daher auch allen übrigen, Rang und Einfluß anweist. Es ist eine allgemeine Beleuchtung, worein alle übrigen Farben getaucht sind und [welche] sie in ihrer Besonderheit modifiziert. Es ist ein besondrer Äther, der das spezifische Gewicht alles in ihm hervor­stechenden Daseins bestimmt. Zum Beispiel bei Hirtenvölkern (bloße Jäger- und Fischervölker liegen außer dem Punkt, wo die wirkliche Entwicklung beginnt). Bei ihnen kommt gewisse Form des Ackerbaus vor, sporadische. Das Grundeigentum ist dadurch bestimmt. Es ist gemeinsames und hält diese Form mehr oder minder bei, je nachdem diese Völker mehr oder minder noch an ihrer Tradition festhalten, z. B. das Gemeindeeigentum der Slawen. Bei Völkern von festsitzendem Ackerbau — dies Fest­setzen schon große Stufe —, wo dieser vorherrscht wie bei den Antiken und Feudalen, hat selbst die Industrie und ihre Organi­sation und die Formen des Eigentums, die ihr entsprechen, mehr oder minder Grundeigentümlichen Charakter; ist [sie] entweder ganz von ihm abhängig wie bei den altem Römern oder, wie im Mittelalter, ahmt [sie] die Organisation des Landes in der Stadt und ihren Verhältnissen nach. Das Kapital selbst im Mittelalter — soweit es nicht reines Geldkapital ist — als traditionelles Hand­werkszeug etc. hat diesen grundeigentümlichen Charakter. In der bürgerlichen Gesellschaft ist es umgekehrt. Die Agrikultur wird mehr und mehr ein bloßer Industriezweig und ist ganz vom Kapital beherrscht. Ebenso die Grundrente. In allen Formen, worin das Grundeigentum herrscht, die Naturbeziehung noch vor­herrschend. In denen, wo das Kapital herrscht, das gesellschaft­lich, historisch geschaffne Element. Die Grundrente kann nicht verstanden werden ohne das Kapital. Das Kapital aber wohl ohne die Grundrente. Das Kapital ist die alles beherrschende ökonomische Macht der bürgerlichen Gesellschaft. Es muß Aus­gangspunkt, wie Endpunkt bilden und vor dem Grundeigentum entwickelt werden. Nachdem beide besonders betrachtet sind, muß ihre Wechselbeziehung betrachtet werden.

Es wäre also untubar und falsch, die ökonomischen Kategorien in der Folge aufeinanderfolgen zu lassen, in der sie historisch die bestimmenden waren. Vielmehr ist ihre Reihenfolge bestimmt durch die Beziehung, die sie in der modernen bürgerlichen Gesellschaft aufeinander haben, und die genau das umgekehrte von dem ist, was als ihre naturgemäße erscheint oder der Reihe der historischen Entwicklung entspricht. Es handelt sich nicht um das Verhältnis, das die ökonomischen Verhältnisse in der Aufeinanderfolge verschiedener Gesellschaftsformen historisch einnehmen. Noch weniger um ihre Reihenfolge „in der Idee" (Proudhon), (einer verschwimmelten Vorstellung der histo­rischen Bewegung). Sondern um ihre Gliederung innerhalb der modernen bürgerlichen Gesellschaft.

Die Reinheit (abstrakte Bestimmtheit), in der die Handels­völker — Phönizier, Karthaginienser — in der alten Welt er­scheinen, ist eben durch das Vorherrschen der Agrikulturvölker selbst gegeben. Das Kapital als Handels- oder Geldkapital er­scheint eben in dieser Abstraktion, wo das Kapital noch nicht das beherrschende Element der Gesellschaften ist. Lombarden, Juden nehmen dieselbe Stellung gegenüber den agrikulturtrei-benden mittelaltrigen Gesellschaften ein.

Als weitres Beispiel der verschiednen Stellung, die dieselben Kategorien in verschiednen Gesellschaftsstufen einnehmen: Eine der letzten Formen der bürgerlichen Gesellschaft: joint-stock-companies. Erscheinen aber auch im Beginn derselben in den großen privilegierten und mit Monopol versehnen Handels­kompanien.

Der Begriff des Nationalreichtums selbst schleicht sich bei den Ökonomen des 17. Jahrhunderts so ein — eine Vorstellung, die noch zum Teil bei denen des 18. fortgeht —, daß bloß für den Staat der Reichtum geschaffen wird, seine Macht aber im Ver­hältnis zu diesem Reichtum steht. Es war dies noch unbewußt heuchlerische Form, worin sich der Reichtum selbst und die Pro­duktion desselben als Zweck der modernen Staaten ankündigt und sie nur noch als Mittel zur Produktion des Reichtums betrachtet.

Die Einteilung offenbar so zu machen, daß 1) die allgemein abstrakten Bestimmungen, die daher mehr oder minder allen Gesellschaftsformen zukommen, aber im oben auseinandergesetz­ten Sinn. 2) Die Kategorien, die die innre Gliederung der bürger­lichen Gesellschaft ausmachen und worauf die fundamentalen Klassen beruhn. Kapital, Lohnarbeit, Grundeigentum. Ihre Beziehung zueinander. Stadt und Land. Die drei großen gesell­schaftlichen Klassen. Austausch zwischen denselben. Zirkulation. Kreditwesen (private). 3) Zusammenfassung der bürgerlichen Gesellschaft in der Form des Staats. In Beziehung zu sich selbst betrachtet. Die „unproduktiven" Klassen. Steuern. Staatsschuld. Öffentlicher Kredit. Die Bevölkerung. Die Kolonien. Auswande­rung. 4) Internationales Verhältnis der Produktion. Internationale Teilung der Arbeit. Internationaler Austausch. Aus- und Einfuhr. Wechselkurs. 5) Der Weltmarkt und die Krisen.

Editorische Hinweise

Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1953, 1. Auflage, S. 21.-29

"Das vorliegende Werk erschien 1939 und 1941 im Verlag für fremdsprachige Literatur, Moskau, in zwei Teilen. Der Hauptband umfaßte die Seiten I-XVI und 1-764 der vorliegenden Ausgabe, der Anhangsband (der auch im Vorwort des Marx-Engels-Lenin-Instituts Moskau auf S. XIV bis XVI erwähnt wird) die Seiten 765 -1102.
Die vorliegende Ausgabe ist von dem hier folgenden Blatt an ein fotomechanischer Nachdruck der Moskauer Ausgabe von 1939 und 1941; jedoch wurden die am Schluß des Anhangsbandes aufgeführten Entzifferungs- und Druckfehler im Text des Werkes selbst berichtigt. Die beiden Teile der Moskauer Ausgabe wurden zu einem Band zusammengefaßt; verzichtet wurde auf eine Wiedergabe der Bild- und Faksimilebeigaben. / Der Verlag"

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