Un-Verteilung am Set
Das riesige „petit objet“ und das Biotop - Improvisation für eine praktische Kritik an Verteilungsgerechtigkeit

von Matze Schmidt

01/2017

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In die Die Idee der Gerechtigkeit geht Amartya Sen in seiner Fußnote zu Karl Marx' an einem am Bedürfnis des Einzelnen orientierten Verteilungsproblem, von eben dem Problem Verteilung aus. Ein unteilbares Konsumobjekt (Produkt), welches nur einmal vorliegt, soll gegenüber drei Bedürftigen nicht aufgeteilt werden, sondern in Besitz, das heißt ein temporäres Eigentum überführt, ver-teilt werden. Das Problem dieser Verteilung wird bei Sen auf bestimmte Art aufgelöst. Ver- und Auf-Teilung sind dabei zu unterscheiden in einmalige bzw. singuläre Vergabe und mehrfache Vergabe. Sen nimmt dabei mehrere Teile einer Gesamtproblematik aus, hat aber dafür zu Prämissen den Mangel am Produkt, das Eigentum an ihm und die sich daraus erst ergebende Verteilung von möglichem Eigentum als Problematik selbst. Denn Verteilung heißt hier wie gesagt singuläre Zuweisung einer Form von von Eigentum. Was Eigentum voraussetzt, bleibt zunächst unbehandelt.

Sen will Verteilung an Verteilung problematisieren und vergißt, jedenfalls an dieser Stelle seiner Ausführungen, Distribution und Produktion, zumal unter Bedingungen kapitalistischer (arbeitsteiliger, mehrwertbasierter) Warenproduktion, in eine nicht einseitige Relation zu setzen. Sein exemplarisches Gedankenspiel ist scheinbar einer Lebenswirklichkeit abgeschaut, die jedoch an den idealtypischen Kindergarten denken lässt. Im von ihm gewählten Setting ist eine Flöte, Kulturgut und Kulturproduktionsmittel, zu vergeben, und zwar im Verhältnis 1:3, das heißt ein Objekt für drei Nutzer, einmal Konsum für dreimal Bedarf, oder „ein Objekt O für drei Nutzer X“.

Im Raum dieses Vergabeverhältnisses existiert zuerst eine Zufallsverteilung der X (als Variablen). Aber nachdem den die ihnen zugewiesenen Begründungen und Argumentationen für oder wider einer jeweiligen Vergabe des Objekts aufgefächert wurde, werden die X in a b c unterscheidbar (wobei die Reihenfolge fürs Erste keine Hierarchie oder Wertung, keine Abfolge oder Rangordnung darstellt). Sen geht dafür philosophische Konzepte von Gesellschaft durch, des Utilitarismus, des Egalitarismus und des Liberalismus, die für die Argumentation von a b und c genommen werden. Für das Verständnis an dieser Stelle reicht es aus zu wissen, dass der Utilitarismus eine Verteilung des Konsumobjekts (der Sache) nach sozial bewerteter, nützlicher Arbeitsleistung meint, Egalitarismus eine bedingungslose Gleichverteilung an alle und Liberalismus eine Verteilung gemessen an individuell bewerteter Arbeitsleistung, gekoppelt mit einem daraus folgenden Eigentum an der Sache.

Am Ende kann für Sen keines dieser drei Prinzipien oder keine dieser als Kodizes verstehbaren Ethiken als letztgültige gelten. Zwar will Sen zeigen, dass die Ethiken nicht über harte Sachen zu entscheiden haben, sondern über weiche Erfahrungen, aber Konsum, ob weich oder hart, ob Ding oder kognitiver Prozess, bleibt Konsumtion. Sen zeigt auf, dass kein Kodex Universalität für sich beanspruchen kann. Die X bleiben offen für das O und a b c sind als Satz, in welcher Reihenfolge und in welcher Prämierung auch immer, immer wieder umstellbar oder auflösbar, darum bleiben a b und c wiederum jeweils Xe. Aber die (Meta-)Aufteilung in Xe dort und ein O hier bleibt eben auch fixiert.

Warum aber nur drei dieser Kodizes? Warum nur ein Objekt des Bedürfnisses?

Mit einer Gegenhypothese, mit (nach Sen) gleichbleibender Verteilung der X aber anderer Verteilung von O, wäre es leicht, Sen nachzuweisen, dass seine Prämissen „falsche“ sind, beziehungsweise im unterversorgten Kindergarten, dem verkleinerten Ort des Kapitalismus angesiedelt sind. Und, dass er die Kategorie des Besitzes (als Eigentum, welches uneingeschränkte Nutzung einschließt) natürlich kennt, aber bloß bestätigt und er die Konsumtionsseite der Distribution zum Grundkonflikt erklärt.

Bestehen Produktion und Distribution der Konsumtion in einem dialektischen Verhältnis – philosophisch etwa nach Marx' Grundrissen, und ökonomisch nach dessen politischer Kapitalkritik, und nicht in einem pluralen Verhältnis von die Plätze wechselnden Setzungen gleichrangiger Xe und Os – bedingen sich notwendig Produktion und Konsumtion so, dass beide inkommensurabel zueinanderstehen. Als wechselseitige Voraussetzungen des jeweils anderen, und dem Bedürfnis als ihrem Dritten. Dieses Dritte ist ihre Grundlage oder „Trieb“, und gerade nicht ein sich immer aufschiebendes und daher fliehendes Begehren. Bedürfnis ist der Ausdruck der nötigen Reproduktion, und Produktion nötige materielle Aktion für die Konsumtion zur Reproduktion.

Begehren wäre die Behauptung, wie sie von Jacques Lacan mit dem Modell eines „Objekt klein a“ (fr. „objet petit a“) aufgestellt wurde, dessen Erlangen des Objekts (hart oder weich), nach Freud, nie ganz erreicht wird. „Wo ein Verbot vorliegt, muß ein Begehren dahinter sein“, schreibt Freud in Totem und Tabu. Das Verbotene zu bekommen, etwa Menschen zu töten, so Freuds Beispiel, ist „im Unbewussten vorhanden“. Damit ist Konsumtion zur (psychischen) Reproduktion mit einer Theorie des Praktischen belegt, dessen Wirkungen immer erst auf Unbewusstem, nicht Erkennbarem beruht. Belegt mit dem totalsten Tabu, dem höchst moralischen Verbot, die eigene Gattung nicht zu gefährden. Höchst moralisch, weil das Töten des anderen Gattungsexemplars als Problem vom alltäglichen der Reproduktion nur dann nicht weit entfernt liegt, wenn Reproduktion kriegerische, das heisst tödliche Dimensionen hätte. Mit anderen Worten steht Begehren begrifflich somit schon an einem todesartigen Horizont, dem Absoluten.

Sowohl Lacan als auch Freud gehen dabei von einer „unbefriedigenden“ und als solcher nie zu hintergehenden „Realität“ aus. Begehren ist endlos und – immer nie endend oder wiederholt – unbefriedigend.

Bedarf aber muss (nicht unter allen Umständen) und kann auch gedeckt werden. Der generell geltende Aufschub eines immer und immer wieder und damit nie ganz zu „stillenden“ Verlangens (Begehren, Bedürfnis) geht aber schon von einem Modell des Vollendbaren, einem (neurotischen) Non plus ultra aus und kann somit Bedarf, als Begriff eines Durchschnitts von Begehren und Bedürfnis nur banalisieren. Begehren beginnt bei Freud immer da, wo banales Bedürfnis beendet wäre, dort wo Lust begänne, jenseits der profanen Reproduktion. Das Verbot als Verteilungstechnik von Begehrensbefriedigung gedacht, so dass X nie O bekommen darf, steht über dem profanen Bedürfnis und folgt aus dem Begehren. Das O wird Lacans Freud zur Totalen und unerreichbar und kann nie gefasst werden.

Aber Voraussetzung des zu verteilenden Bedürfnisses „Begehren“ ist, dass das O schlecht für X ist und das Subjekt X zerstören könnte. Psychoanalyse zeigt sich hier selbst als Erziehungstechnik und meta-kulturelle Instanz der Segregierung von Begehren und Bedürfnis und der Herausnahme eines Jenseits, fernab vom Banalen, welches gemeinhin mit Kultur und Kunst gleichgesetzt wird. Das Konzept Begehren wird als (bürgerliche) Unbefriedigung genommen und überhistorisch gesetzt. „I can't get no satisfaction“ gilt für alle Zeiten.

Ohne Produktion P keine Konsumtion K und umgekehrt. Im hypothetischen (logisch formalen) Gegenkonstrukt zu Sen sind X und O, Bedarf und Befriedigung, nicht per se un-verteilt, wie bei Sen, sondern X hat immer bereits O. Wo Sen von Mangel ausgeht, geht diese Hypothese von einem (realen) kapitalistischen Überfluss von Os aus, oder (utopisch) von einem produzierbaren O auf materialer und immaterieller industrieller Basis nach tatsächlichem Bedarf. Dem X kommen die Os tendenziell „instanzlos“ und ohne Dazwischenkunft zu: XO.

Instanzlos hieße jedoch nicht technikfrei. P (Produktion) und K (Konsumtion) sind koordiniert. Eine Umverteilung des Reichtums von O ist gar nicht nötig, weil, on demand, X mit O (und O mit X) zusammengehen. Verteilung ist dann keine Gerechtigkeitsproblematik sondern eine der Kommunikation von P und K – soweit die „klassisch“ kommunistische Vorstellung.

Für ein paradox erscheinendes, erweitertes Modell ist dieses „XO“ noch hypertrophierbar:

Das O ist dann zudem Konsumtionsmittel und Produktionsmittel in einem. Die automatisierte Arbeitsteilung, die für das On-demand notwendig ist, fällt in diesem O-ist-P-und-K formelhaft weg, sie wurde auf die industrielle Basis hin, als ihrer vorausgesetzten Vorgeschichte, positiv „vergessen“. Ideale Improvisation vergisst auf diese Weise oder thematisiert dieses „Vergessen“ ihres Equipments. Das heißt, unzweckmäßige, ziel-ungerichtete, mit Kant ästhetisch interesseloses Genießen (orig. „Wohlgefallen“), der zwecklose Zweck des Genießens des Genusses, wird jenseits von Gerechtigkeit vollzogen oder durchgeführt (per-formt), weil es keine materielle oder immaterielle Verteilung(sgerechtgkeit) gibt, die nicht schon nicht-gegeben wäre (m.a.W., alles ist gegeben).

Im Bereich des Sonischen auf der „Suche nach Klängen“ (Eddie Prévost), ist diese Suche in der musikalischen Improvisation tautologisch oder selbstreflexiv mit sich gekoppelt. Die ideale Improvisation will die Trennung von X und O im Verteilungsproblem aufheben und ist zugleich eine mögliche Kritik des Verteilungsproblems als sozialem Status Quo. Denn die Klangsuche findet Klänge, indem diese improvisiert hergestellt werden, um diese zu hören und um weitere zu spielen. Produktionsmittel, Produktion und Konsumtion sind in den Momenten und im Moment der Improvisation nicht warenförmig, wenn Warenförmigkeit das „Reale“ (im Vgl. zum Imaginären und Symbolischen nach Lacan) und die Matrix für die geltende industrielle Basis abgeben.

Man könnte sagen, Improvisation spielt eine andere Ökonomie als die von Verteilung durch. Denn Verteilung ist für Improvisation keine oder eine allein negativ anwendbare Kategorie.

Der Film Rendezvous von Claude Lelouch zum Beispiel, der seine Plansequenz, die Kamerafahrt in einem Stück eines z.T. über 200 km/h schnellen Sportwagens durch das morgendliche Paris im Jahr 1976 als perfekte Metapher bezeichnete, hypertrophiert ebenso diesen Kurzschluss. Eine Handlung schließt alle Prämissen aus, und formt wiederum Handlung und Aussage zu einer Einheit, Form und Inhalt sollen so zur Deckung kommen, was der Forderung nach einer in sich geschlossenen ästhetischen Praxis (Kunst) entspricht, die, wie bei Johann Joachim Winckelmann, widerspruchsfrei ihren eigenen Zustand begreift – freilich in Anbetracht äußerer Widersprüche.

Lelouchs Aktion als Film ist auch Ergebnis einer desillusionierten post-revolutionären Linken oder Nach-'68-Generation, deren Bewegungen und Aktivitäten (hier unterschieden von Aktivismus) sich nach der misslungenen politisch-ökonomischen „Gesellschaftstransformation“ eben auch in eine gesellschaftliche Sparte zurückziehen, die ALS Kunst Bedarf/Bedürfnis und Befriedigung der Form nach bis zur Deckung zusammenbringt oder gar diese Problemlage artifiziell (artistisch) auf symbolischer oder imaginärer Ebene, in Film, Musik, Kunst, aufhebt. Mit dem Anspruch jedoch, tatsächlich gesellschaftlich wirksam zu sein. Film, das nur symbolisch-imaginär Nach-Erfahrbare war – ganz wie Kracauer das in seiner frühen Medientheorie zum Film sagt – einst reale Handlung, sollte (ein Imperativ und Forderung!) vielleicht wieder real werden; kann aber nur noch an diesen Impuls revolutionären Träumens erinnern und jenes allein in einem, noch dazu semantisch verschlüsselten Medium einlösen. Diese Verschiebung ist eine aus der Romantik bekannte und treibt die Trennung von Kunst als Dysfunktionale von profanen Tätigkeiten als „alles andere“ (Nicht-Kunst) wiederholt disziplinär voran, stellt aber auch die historische Funktion ästhetischer Praxis, im Vergleich zu allen anderen, ebenso kognitiv-intellektuellen Praktiken, neu zur Disposition.

Übertragen hieße das: Eine symbolisch-imaginäre Handlung wäre Entwurf und Beispiel, ist medial real und sollte sozial real werden. Schön aber ist, bürgerlich fetischisierend, immer nur das, was dieses an sich herstellt, wobei mit dem „an sich schön“ nämlich ist der Gegenstand selbst gemeint.

Nach Sen, der eine Flöte an drei potentielle Spieler zu vergeben hat, wird die Möglichkeit zu spielen verteilt. Diese wird von der Bedingung der Prämierung eines Konzepts von Entscheidung für oder wider die Vergabe des Objekts abhängig gemacht, von einer „besseren“ oder passenden, einer adäquateren oder vernünftigeren Argumentation – utilitaristisch, egalitaristisch oder liberalistisch (auch in Kombinationen). Wo so aus der Zufallsverteilung der Xe ein Ranking von philosophischen a b c (bei Sen) – Subjekt a hat die besseren Argumente dafür, die Flöte zu bekommen, im Vergleich zu b und c – und dann ökonomischen 1 2 3 (gegen Sen) wird – Subjekt a mit den besseren Argumenten wird zur Nummer 1 und erhält die Flöte – und schließlich X Nr. 1 das Objekt bekommt, und (wenn überhaupt) erst nach ihm dann X Nr. 2 usw. zählt das vermittelte Bedürfnis an einer „Knappheit“.

Diese Knappheit ist warenförmig irreal und darum Effekt, weil ihr wirkliches Objekt überflüssig ist, gemeint ist: im Überfluss dank Überproduktion vorhanden ist. Nicht Knappheit gilt als große Determinante, sondern Zugang zu und Aneignung der Objekte des Bedarfs sind warenförmig verstellt und darum erst „knapp“. Die Os sind, nicht unbewusst, sondern real vorhanden. Ihre gerechte, „richtige“, Verteilung aber wird zum Problem, da sie eben nicht verteilt sind und lediglich vorgehalten werden.

Wo 1 2 3 Subjekte am Set aber das Objekt, die Flöte, oder ein anderes Produktionsmittel bereits zur Voraussetzung haben, kann das Verteilungsproblem von Objekten vergessen werden. Es kann dann nur noch um die Verteilung des Spielens gehen, also von etwas, das noch nicht existiert. Und dieses Spielen gilt (kunstbürgerlich) als Konsum und Produktion zugleich.

Unter Nutzung von Sen, und Sen gegen ihn gelesen und operabel gemacht, kann eine Folge von Diagrammen diese „Un-Verteilung“ verdeutlichen helfen. Dieses etwas gestelzt wortspielerische Idiom soll ein Zwischenkonzept andeuten, welches Verteilung aus dem Diskurs moralischer Gerechtigkeit vielleicht zu lösen vermag, ohne das Verteilungsproblem als Problem von Distribution {und damit ist keine rein technische gemeint) generell zu ignorieren. Dabei werden der Bedarf oder das Bedürfnis X und das Objekt des Bedarfs O zuerst Sen folgend, dann aber gegen ihn gesetzt. Vorbild für die Diagramme ist ein Setting an einem Tisch, an dem Spielerinnen in einem kleinen Feldversuch ihre Audioaufnahmen an alle anderen Spieler adressieren und sich eine Zufallsverteilung nachweisen lässt. Das Setting entstammt also musikalischem Experiment. Das Item O ist zuerst einmal gegeben:
 


Nach Sen muss das einmalige O (Produktions-/Konsumtionsmittel) von außen in den Raum einer Zufallsverteilung von mehreren X (Spielern) gegeben und singulär zugewiesen werden (Verteilungs-Gerechtigkeit). Zufallsverteilung und Verteilungs-Gerechtigkeit bedingen einander.
 


Ist O verteilt (nicht ge-teilt), kann daraus eine Reihenfolge der Möglichkeit (zu spielen) abgeleitet werden: erst 1 mit dem O, dann 2 und dann 3, wobei die Spielmöglichkeit letzterer beiden jedoch gegen Null geht, weil es ihnen am einmaligen O ja mangelt. Dies ist also keine Gleichverteilung, und sie ist auch nicht diskret (keiner hat die Flöte z.B. 1,3 mal), sie ist absolut. Soweit Sen.
 


Ist die Möglichkeitsbedingung des vorherigen, absoluten Sets verlassen worden und eine andere, mit einem mehrmals (oder im Jargon der Negation un-einmalig) vorhandenen O, das jedem Spieler X eigen ist, bleibt nur ein virtuell ständiger Wechsel der Ranking-Positionen des Spielens der Spieler, zum Beispiel: erst 1 ganz rechts, dann 2 in der Mitte und dann 3 ganz links oder erst 1 in der Mitte, dann 2 links und dann 3 rechts oder erst 1 links, dann 2 rechts und 3 in der Mitte (wenn überhaupt).

Wenn überhaupt. Denn das Spielen selber ist, wenn man von einer an sie angelegten Statistik oder Stochastik absieht, ästhetisch (zweckloser) Zweck der idealen Improvisation. Darum geschieht ihre Möglichkeits-Verteilung des Spielens quasi auf Verhandlungsbasis (VB) und gerade nicht statistisch oder stochastisch. Und selbst diese Verhandlungsbasis ist VB, denn sogar das Set, also Rahmen wie Zeit und Ort, Instrumente und Medien (müssten) als variabel gelten. Irgendein Ranking spielt keine Rolle mehr. Übrigens auch gegen eine Systemtheorie, die Spiel verwaltend absondert von anderen gesellschaftlichen Systemen und nur analogisierende oder symbolische Transfers (Penetration) auf diese zulässt.

Denn am Set, der Möglichkeitsbedingung wird kein „petit object“ begehrt, dieses wird bedurft UND gemacht. Die Neo-Psychoanalytische Schule nennt das Phantasma, dem aber in der Logik des Begehrens unmöglicher/unerreichbarer Dinge eine Ersatzfunktion zukommt, das libidinöse Begehren zu stillen. In der Improvisation geschieht aber kein funktioneller Ersatz für etwas anderes. Bedarf ist in einem Biotop ohne Verteilung, für eine praktische Kritik an Verteilungsgerechtigkeit, real und kann real „gestillt“ werden – exakt, weil da nichts still- oder festgestellt wird. Weil sie eine Un-Verteilung im laufenden Prozess darstellt (und ontologisch quasi-ist), deren funktionshistorischer – nicht-tautologischer und nicht-selbstreflexiver, nicht bloß mit sich gekoppelter – Zweck und Sinn der sein kann, die Verteilung von Produktions- und Konsumtionsmitteln in der geschützten Raum-Zeit der Improvisation exemplarisch kurzzuschliessen.

Praktisch kritisiert werden kann damit Verteilungsgerechtigkeit in ihrer Konzeption als irrealem Mangel im realen Überfluss wie sie tatsächlich gilt; deren Psychologie die eines irreduziblen und damit immerwährenden, undendlich-riesigen Mangels des Subjekts selbst ist, das gefangen in Systemen, diese permanent-dystopisch durchlaufen muss.

Quellen:

Immanuel Kant. Kritik der Urteilskraft. 1790.

Claude Lelouch. C'était un rendez-vous [übers. Das war ein Rendezvous, kurz oft Rendezvous]. Kurzfilm. 1976.

Edwin Prévost. The First Concert: an Adoptive Appraisal of Meta Music. Harlow: Copula, 2011.

Matze Schmidt. „Improtest am Tisch mit verteilten Spielern“. Experiment. 2016.

Amartya Sen. Die Idee der Gerechtigkeit. München: Beck, 2010.

Editorischer Hinweis

Wir erhielten den Text plus Grafiken vom Autor für diese Ausgabe.
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