Die
„konservative Revolution“ ist derzeit in
Frankreich zum absoluten politischen Modegriff
avanciert. Am Tag, nachdem François Fillon am
27. November 16 die Vorwahl um die konservative
Präsidentschaftskandidatur gewann, titelte die
linksliberale Pariser Abendzeitung Le
Monde quer über ihre Seite Eins:
„La révolution conservatrice“. Die
gleichfalls sozialdemokratisch-linksliberal
ausgerichtete Tageszeitung Libération
stellte in ihren Spalten ebenfalls
une révolution conservatrice à la française
in Aussicht.
Auch der rechte Ideologie Patrick Buisson,
welcher in den letzten Jahre zeitweilig ein
französisches Gegenstück zu Steve Bannon in den
USA darstellte, begrüßte seinerseits den Erfolg
Fillons als „ein historisches Moment“, das nun
für eine „konservative Revolution“ genutzt
werden könne und müsse. Buisson war vor nunmehr
zehn Jahre als das böse Genie in Erscheinung
getreten, das den 2007 gewählten Präsidenten
Nicolas Sarkozy beriet und ihm unter anderem
die Einrichtung eines Ministeriums für
„Einwanderung und nationale Identität“ - es
bestand vier Jahre lang und wurde 2011 wieder
abgeschafft – eingegeben hatte. |
Didier ERIBON
D'une révolution conservatrice / et de ses
effets sur la gauche française
Editions Léo Scheer, 2007
156 Seiten, 16 Seiten
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Doch
Buisson zeigte sich später von Sarkozy enttäuscht:
Der Mann war in seinen Augen ein falscher Fuffziger
und Karrierist ohne ideologisches Format, der nach
seinem Wahlsieg nicht wirklich die Umsetzung fester
Überzeugungen angestrebt habe. Nun fühlt er sich
bei Fillon, der Sarkozy im zurückliegenden Jahr im
Vorwahlkampf aus ähnlichen Motiven kritisierte,
besser aufgehoben.
Den
Begriff „konservative Revolution“ benutzen die
meisten Beobachter dabei nicht in dem Sinne, den
der rechte Autor und Ideologe Armin Mohler zur
Zusammenfassung verschiedener präfaschistischer und
pränazistischer Strömungen in der Weimarer Republik
benutzt hat, sondern mit Bezug auf die frühere
britische Premierministerin Margaret Thatcher.
Letztere, vor allem aufgrund ihres
Marktradikalismus, hat bekanntlich auch Fillon zu
seinem erklärten Vorbild erkoren. Allerdings
dürften jedenfalls bei Buisson, der im Laufe seiner
Karriere unter anderem Chefredakteur der
rechtsextremen Wochenzeitung Minute
war, beide Konzepte von „konservativer Revolution“
dabei durchaus ineinander fließen. Buisson
jedenfalls geht es nicht nur um
Wirtschaftsliberalismus,wenn er die politische
Rechte verstärkt ideologisch aufrüsten will.
Aber
bereits vor nunmehr zehn Jahren verlieh ein
französischer Autor einem seiner Bücher den Titel
„Über eine konservative Revolution“,
begleitet von der Unterüberschrift: „...und
ihre Auswirkungen auf die französische Linke“.
Es handelt sich um den Philosophen Didier Eribon,
dessen – in Frankreich bereits 2009 publiziertes –
Buch „Rückkehr nach Reims“ in Deutschland im Laufe
des vergangenen Jahres 2016 vielfach zum
Diskussionsgegenstand wurde. Schon vor seinem in
Deutschland viel beachteten Werk Retour à
Reims behandelte Eribon also „eine
konservative Revolution“.
Anders,
als der Titel des Buches es zunächst vermuten
lässt, ist dessen Hauptschauplatz allerdings nicht
die politische Rechte, sondern die französische
Sozialdemokratie. Diese liefert das Terrain für die
ideologischen Auseinandersetzungen und
Vorherrschaftskämpfe, an deren Ende eine
konservativ-reaktionäre Hegemonie steht. Begleitet
wird dieses Ringen um politische und ideologische
Vorherrschaft jedoch von Denkverschiebungen im
intellektuellen Spektrum, die in eigenen Kapiteln
vertiefend behandelt werden.
Ausgangspunkt für Eribons entsprechende
Überlegungen sind die vertanen Chancen, die sich
für ihn mit den vorausgegangenen so genannten
Linksregierungen verbinden. Dabei geht es um die
frühen Jahre der Präsidentschaft François
Mitterrands ab 1981 sowie die fünfjährige
Regierungsperiode des Premierministers Lionel
Jospin zwischen 1997 und 2002. Die Regierungsbilanz
des ebenso stramm autoritären wie fantasielos
wirtschaftsliberalen Premiers Manuel Valls – von
April 2014 bis in diesem Dezember - und dessen
intellektuelle Dürftigkeit konnte Eribon, als er
schrieb, noch gar nicht voraussehen: Verglichen mit
der geistigen Erbärmlichkeit Valls', wirkt auch
noch ein Jospin im Nachhinein geradezu wie eine
Geistesgröße. (Eribon selbst nimmt dabei den Gestus
des entsetzten Ratgebers ein, dem es dabei darum
geht bzw. Welcher immer noch glaubt, die
französische Sozialdemokratie vielleicht irgendwie
wieder auf den richtigen Weg zurückbringen zu
können – ohne ihre Kandidaten noch zu wählen, wie
er jedenfalls anhand der vergangenen
Präsidentschaftskandidatur Lionel Jospins bekennt.)
Eribon
erinnert jedoch an längst vergessene Zeiten, in
denen echte Intellektuelle wie Michel Foucault noch
Hoffnungen auf Regierungshandeln richteten und
dessen Protagonisten sogar eine Zusammenarbeit
anboten, die in aller Unabhängigkeit möglich sein
sollte. In einem Interview Foucaults, das Ende Mai
1981 – kurz nach der Wahl Mitterrands in den
Elysée-Palast – in der vormals linksradikalen und
nun sozialdemokratisch gewendeten Tageszeitung
Libération erschien, begrüßte dieser die
allerersten Schritte der neuen Regierung. Durch die
Abschaffung der Todesstrafe und die damals gerade
anlaufende „Legalisierung“ des Aufenthalts von rund
130.000 „illegalen Ausländern“, so lautete
Foucaults vorläufige Einschätzung, sei bewiesen
worden, dass man sich an wahrhaftige progressive
Reformen auch gegen Mehrheitsmeinungen in der
Gesellschaft heran traue. Würde nur ein Minister
zum Telefonhörer greifen, um mit Menschen wie
Foucault „über das Gefängnis oder über
Psychiatrien“ (Michel Foucault im Interview
mit Catherine Baker, Eribon St. 146) zu
diskutieren, um die dort herrschenden Zustände zu
verändern – eine Zusammenarbeit wäre dann möglich,
aber nicht im Sinne eines Partei- oder
Staatsintellektuellen, sondern in den Augen
Foucaults unter Überwindung traditioneller
Schranken zwischen „Regierten“ und „Regierenden“.
Ein
solcher Anruf erfolgte nie, und die bestehenden
Hierarchien verfestigten sich alsbald, anstatt sich
aufzulösen. Als Katalysator beim früh erfolgenden
Bruch zwischen anfänglich hoffnungsfrohen
Intellektuellen – Eribon zitiert Foucault, Pierre
Bourdieu und Félix Guattari - und der
Linksregierung von 1981 wurde die Debatte über das
Kriegsrecht in Polen, wo die UdSSR unter Leonid
Breschnew eine Streikbewegung zu unterdrücken
trachtete. Foucault und Bourdieu ergriffen Partei
für die polnische Opposition, während die in einer
Koalition mit der französischen KP stehenden
französischen Regierungssozialisten laute Kritik an
der sowjetischen Regierung unter Verweisen auf
„Realpolitik“ und die „Stabilität in Europa“
abbügelten. Foucault suchte kurz vor seinem Tod
(1984) die Schuld am Desaster vorwiegend bei der
französischen KP, welche die mit ihr regierende
Sozialdemokratie negativ beeinflusse; in Wahrheit
war die pro-sowjetische Partei jedoch deren
letztendlich völlig einflussloser Juniorpartner.
Bourdieu
und andere wurden in diesem Zeitraum vorübergehend
zum Bündnispartner der eher neoliberalen Strömung
in der Sozialdemokratie unter Michel Rocard, die
die Koalition mit der KP kritisierte. Doch, stellt
Eribon fest, angesichts der späteren
Regierungsbilanz dieser Strömung – Rocard wurde
1988 Premierminister – hätten diese Intellektuellen
dadurch weiteren Verheerungen den Weg bereitet. War
die Kritik am Realsozialismus und
„Traditiosnmarxismus“ aus dieser Ecke doch nur der
Vorwand zur weitergehenden Anpassung an
Kapitalimperative. Bourdieu, der 2002 verstarb und
ebenso wie Foucault eng mit Eribon befreundet war,
versuchte in den neunziger Jahren, zum
Ansprechpartner für außerstaatliche soziale
Bewegungen zu werden.
Der mal
schleichend, mal ruckartig vollzogene Rechtsrutsch
der französischen Sozialdemokratie wurde durch
intellektuelle Prozesse begleitet. Es ist bekannt,
wie in den späten 1970er Jahre vormals linke oder
linksradikale Intellektuelle – die zuvor oft die
lautesten Schreier bei autoritären maoistischen
Gruppen waren – in Namen des „Antitotalitarismus“
medienwirksam ihren radikalen Bruch mit dem
Marxismus vollzogen. Figuren wie Bernard-Henri Lévy
oder Alain Finkielkraut diente die reichlich späte
Entdeckung der Schrecken des Stalinismus und der
sowjetischen Lager dazu, nunmehr besonders
lautstark des Hohelied des bürgerlichen
Liberalismus zu schmettern.
Didier
Eribon stellt jedoch als doppelten intellektuellen
Prozess heraus, was in der gewöhnlichen Darstellung
als einfacher Vorgang – die Abkehr vom Marxismus im
Namens neu-alter liberaler Werte, von Demokratie
und Menschenrechten – erscheint. Tatsächlich wird
Eribon zufolge in der ersten Phase der Marxismus,
im selben Atemzug wie auch der Strukturalismus,
verworfen: Jeglicher Versuch, das gesellschaftliche
Ganze darzustellen und etwaige Gesetzesmäßigkeit
desselben herauszufinden, wird demnach im Namen
eines individualistisch klingenden Diskurses
zurückgewiesen.
Jeglicher
Versuch zur kritischen Analyse eines als Gesamtheit
begriffenen Gesellschaftssystem erschien demnach
als, laut dem durch Eribon zitierten Philosophen
und Historiker Marcel Gauchet, als
„elaborierter Antihumanismus“. Dieser
sollte demnach zugunsten einer
„Subjektivphilosophie“ aufgegeben werden,
die jedoch Eribon zufolge im Konkreten lediglich
darauf hinauslief, Gesellschaftswissenschaft in
Form von immergleichen Besinnungsaufsätzen über
Immanuel Kant oder Alexis de Tocqueville zu
betreiben.
Doch in
einer zweiten Phase gerät bei vielen der
beteiligten Intellektuellen auch dieser scheinbare
individualistische Blickwinkel in die Kritik;
Eribon nennt etwa Gauchet, aber auch François
Dosse oder den Historiker und Autor François
Furet. Der zuletzt genannte
Geschichtswissenschaftler betreibt eine Abrechnung
mit der Französischen Revolution, von ihm
dargestellt als terroristischer Einschnitt, der
lediglich den Fortschritt in Gestalt einer – ohne
ihn ganz von allein kommenden – Reform der
Monarchie von innen heraus verhindert habe, und
arbeitet in Deutschland mit dem Historikerkollegen
und Geschichtsrevisionisten Ernst Nolte zusammen.
Das
Umschwenken wird eingeleitet durch die
Feststellung, dass mit dem durch manche
Intellektuelle ausgerufenen Tod des Marxismus
soziale Konflikte eben doch nicht aus der Welt
gekommen seien. Marcel Gauchet dazu: „Der
große Fehler zu Anfang der 1990er Jahre bestand
darin, aus dem Bankrott des Kommunismus mechanisch
auf das Verschwinden des Antikapitalismus zu
schließen.“ Dies sei nicht eingetreten, was
er sehr bedauert. Neben den Resten der alten
Arbeiterbewegung, die für kollektive Forderungen
etwa zu Löhnen und Arbeitsbedingungen kämpfen,
geraten nun auch neue soziale Bewegungen in den
Blickwinkel. Diese erheben Forderungen, die oft
eher individuelle Rechte zum Kerngegenstand haben,
etwa für die Freiheit der Lebensgestaltung, zur
Gleichberechtigung von Homosexuellen oder für
Rechte von Migranten. Aus
Sicht der Vorzitierten werden sie nun verstärkt als
eine Bedrohung für ein großes Ganzes wahrgenommen,
dem man sich nun wieder verpflichtet fühlt – in
Gestalt eines das Gemeinwohl oder l'intérêt général
vertretenden, als sittlich wahrgenommenen,
bürgerlichen Staates. Ihm gegenüber spricht etwa
Gauchet von einer Überforderung durch eine Flut von
Ansprüchen, so dass eine „Aushöhlung der
Substanz unserer Republik“ stattfinde und
der Niedergang drohe.
Manche
Autoren aus dieser Richtung wie François Dosse
rehabilitieren vor diesem Hintergrund den
„Personalismus“, eine in den 1930er Jahren
entwickelte und christlich grundierte Denkschule um
Emmanuel Mounier und die Zeitschrift L'Esprit.
Diese stellte in ihrer Rhetorik stark auf
„das Subjekt“ und seine „Würde“
ab, vermochte sich dieses Subjekt jedoch
ausschließlich als in „Gemeinschaften“
und „Kultur“ eingewurzelt
vorzustellen. Ihre Argumentation klingt oft
individualistisch, doch hatte diese Strömung zu
Anfang des Vichy-Regimes erheblichen Einfluss unter
dessen Anhängern, etwa an dessen Eliteschmiede
unter dem Namen L'école d'Uriage in
den französischen Alpen. Im weiteren Kriegsverlauf
vollzogen die Protagonisten, ebenso wie die
Mehrheit an der Kaderschule von Uriage, dann
allerdings einen Schwenk in Richtung Résistance. In
den späten 1990er Jahren kam es im politischen Raum
vorübergehend zu einem Versuch, den „Personalismus“
als weltanschauliche Orientierungsgrundlage wieder
in die Diskussion zu bringen, und zwar im Umfeld
von Charles Millon, der damals für Bündnisse
zwischen Konservativen und Front National warb.
Millon war übrigens seit etwa fünfzehn Jahren in
der Versenkung verschwunden, tauchte jedoch vor
kurzem von dort wieder auf, in der Umgebung
François Fillon. Am Abend von dessen Vorwahl-Sieg
am 27. November 16 zählte Millon zu den geladenen
Gästen.
Dies
konnte Eribon nicht vorahnen, als er 2007 – kurz
vor Beginn der Sarkozy-Ära – sein Büchlein über die
damals drohende, doch politisch unter Sarkozy
vorläufig eher stecken gebliebene „konservative
Revolution“ verfasste. Doch mit Marcel Gauchet,
einem der von ihm dutzendfach zitierten und
untersuchten Protagonisten, traf Eribon in seinen
Beobachtungen den Nagel auch aus heutiger Sicht auf
den Kopf. Gauchet, auch wenn er einen breiten
Öffentlichkeit eher unbekannt ist, spielt in den
intellektuellen Debatten heute eine wichtige Rolle.
Zwar nahm
er 2002 an der Gründung der Sarkozy-Partei UMP –
inzwischen Les Républicains – teil, glitt später
jedoch politisch zur Sozialdemokratie zurück, wo er
besonders Manuel Valls und seinem Umfeld nahe
steht. Jüngst legte er das öffentliche Bekenntnis
ab: „Ich bin Sozialdemokrat“, doch
zugleich ging 2014 ein Boykottaufruf gegen seinen
Auftritt bei einer Geschichtskonferenz im Oktober
jenes Jahres in Blois um – begründet mit seinen oft
autoritären Ansichten. Im Frühjahr 2016 war Gauchet
die Schlüsselfigur bei dem Versuch, unter dem Namen
Printemps républicain
(„Republikanischer Frühling“) eine Bewegung zu
initiieren, die sich rund um die Verteidigung des
autoritären Staatslaizismus als Schlüsselidee
zusammenschließen und dabei faktisch Valls
zuarbeiten sollte. Die Internetzeitung Mediapart
bezeichnete den Gründungsaufruf als
„Ordnungsruf des jakobinischen Großbürgertums“.
Bislang fanden sich außer einigen drittklassigen
sozialdemokratischen Politikern jedoch kaum
Prominente zur Unterstützung.
Editorischer Hinweis
Wir
erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.
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