Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Konservative Revolution“ und Eribon

01/2017

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Die „konservative Revolution“ ist derzeit in Frankreich zum absoluten politischen Modegriff avanciert. Am Tag, nachdem François Fillon am 27. November 16 die Vorwahl um die konservative Präsidentschaftskandidatur gewann, titelte die linksliberale Pariser Abendzeitung Le Monde quer über ihre Seite Eins: „La révolution conservatrice“. Die gleichfalls sozialdemokratisch-linksliberal ausgerichtete Tageszeitung Libération stellte in ihren Spalten ebenfalls une révolution conservatrice à la française in Aussicht.

Auch der rechte Ideologie Patrick Buisson, welcher in den letzten Jahre zeitweilig ein französisches Gegenstück zu Steve Bannon in den USA darstellte, begrüßte seinerseits den Erfolg Fillons als „ein historisches Moment“, das nun für eine „konservative Revolution“ genutzt werden könne und müsse. Buisson war vor nunmehr zehn Jahre als das böse Genie in Erscheinung getreten, das den 2007 gewählten Präsidenten Nicolas Sarkozy beriet und ihm unter anderem die Einrichtung eines Ministeriums für „Einwanderung und nationale Identität“ - es bestand vier Jahre lang und wurde 2011 wieder abgeschafft – eingegeben hatte.


Didier ERIBON
D'une révolution conservatrice / et de ses effets sur la gauche fran
çaise Editions Léo Scheer, 2007
156 Seiten, 16 Seiten

Doch Buisson zeigte sich später von Sarkozy enttäuscht: Der Mann war in seinen Augen ein falscher Fuffziger und Karrierist ohne ideologisches Format, der nach seinem Wahlsieg nicht wirklich die Umsetzung fester Überzeugungen angestrebt habe. Nun fühlt er sich bei Fillon, der Sarkozy im zurückliegenden Jahr im Vorwahlkampf aus ähnlichen Motiven kritisierte, besser aufgehoben.

Den Begriff „konservative Revolution“ benutzen die meisten Beobachter dabei nicht in dem Sinne, den der rechte Autor und Ideologe Armin Mohler zur Zusammenfassung verschiedener präfaschistischer und pränazistischer Strömungen in der Weimarer Republik benutzt hat, sondern mit Bezug auf die frühere britische Premierministerin Margaret Thatcher. Letztere, vor allem aufgrund ihres Marktradikalismus, hat bekanntlich auch Fillon zu seinem erklärten Vorbild erkoren. Allerdings dürften jedenfalls bei Buisson, der im Laufe seiner Karriere unter anderem Chefredakteur der rechtsextremen Wochenzeitung Minute war, beide Konzepte von „konservativer Revolution“ dabei durchaus ineinander fließen. Buisson jedenfalls geht es nicht nur um Wirtschaftsliberalismus,wenn er die politische Rechte verstärkt ideologisch aufrüsten will.

Aber bereits vor nunmehr zehn Jahren verlieh ein französischer Autor einem seiner Bücher den Titel „Über eine konservative Revolution, begleitet von der Unterüberschrift: „...und ihre Auswirkungen auf die französische Linke. Es handelt sich um den Philosophen Didier Eribon, dessen – in Frankreich bereits 2009 publiziertes – Buch „Rückkehr nach Reims“ in Deutschland im Laufe des vergangenen Jahres 2016 vielfach zum Diskussionsgegenstand wurde. Schon vor seinem in Deutschland viel beachteten Werk Retour à Reims behandelte Eribon also „eine konservative Revolution“.

Anders, als der Titel des Buches es zunächst vermuten lässt, ist dessen Hauptschauplatz allerdings nicht die politische Rechte, sondern die französische Sozialdemokratie. Diese liefert das Terrain für die ideologischen Auseinandersetzungen und Vorherrschaftskämpfe, an deren Ende eine konservativ-reaktionäre Hegemonie steht. Begleitet wird dieses Ringen um politische und ideologische Vorherrschaft jedoch von Denkverschiebungen im intellektuellen Spektrum, die in eigenen Kapiteln vertiefend behandelt werden.

Ausgangspunkt für Eribons entsprechende Überlegungen sind die vertanen Chancen, die sich für ihn mit den vorausgegangenen so genannten Linksregierungen verbinden. Dabei geht es um die frühen Jahre der Präsidentschaft François Mitterrands ab 1981 sowie die fünfjährige Regierungsperiode des Premierministers Lionel Jospin zwischen 1997 und 2002. Die Regierungsbilanz des ebenso stramm autoritären wie fantasielos wirtschaftsliberalen Premiers Manuel Valls – von April 2014 bis in diesem Dezember - und dessen intellektuelle Dürftigkeit konnte Eribon, als er schrieb, noch gar nicht voraussehen: Verglichen mit der geistigen Erbärmlichkeit Valls', wirkt auch noch ein Jospin im Nachhinein geradezu wie eine Geistesgröße. (Eribon selbst nimmt dabei den Gestus des entsetzten Ratgebers ein, dem es dabei darum geht bzw. Welcher immer noch glaubt, die französische Sozialdemokratie vielleicht irgendwie wieder auf den richtigen Weg zurückbringen zu können – ohne ihre Kandidaten noch zu wählen, wie er jedenfalls anhand der vergangenen Präsidentschaftskandidatur Lionel Jospins bekennt.)

Eribon erinnert jedoch an längst vergessene Zeiten, in denen echte Intellektuelle wie Michel Foucault noch Hoffnungen auf Regierungshandeln richteten und dessen Protagonisten sogar eine Zusammenarbeit anboten, die in aller Unabhängigkeit möglich sein sollte. In einem Interview Foucaults, das Ende Mai 1981 – kurz nach der Wahl Mitterrands in den Elysée-Palast – in der vormals linksradikalen und nun sozialdemokratisch gewendeten Tageszeitung Libération erschien, begrüßte dieser die allerersten Schritte der neuen Regierung. Durch die Abschaffung der Todesstrafe und die damals gerade anlaufende „Legalisierung“ des Aufenthalts von rund 130.000 „illegalen Ausländern“, so lautete Foucaults vorläufige Einschätzung, sei bewiesen worden, dass man sich an wahrhaftige progressive Reformen auch gegen Mehrheitsmeinungen in der Gesellschaft heran traue. Würde nur ein Minister zum Telefonhörer greifen, um mit Menschen wie Foucault „über das Gefängnis oder über Psychiatrien“ (Michel Foucault im Interview mit Catherine Baker, Eribon St. 146) zu diskutieren, um die dort herrschenden Zustände zu verändern – eine Zusammenarbeit wäre dann möglich, aber nicht im Sinne eines Partei- oder Staatsintellektuellen, sondern in den Augen Foucaults unter Überwindung traditioneller Schranken zwischen „Regierten“ und „Regierenden“.

Ein solcher Anruf erfolgte nie, und die bestehenden Hierarchien verfestigten sich alsbald, anstatt sich aufzulösen. Als Katalysator beim früh erfolgenden Bruch zwischen anfänglich hoffnungsfrohen Intellektuellen – Eribon zitiert Foucault, Pierre Bourdieu und Félix Guattari - und der Linksregierung von 1981 wurde die Debatte über das Kriegsrecht in Polen, wo die UdSSR unter Leonid Breschnew eine Streikbewegung zu unterdrücken trachtete. Foucault und Bourdieu ergriffen Partei für die polnische Opposition, während die in einer Koalition mit der französischen KP stehenden französischen Regierungssozialisten laute Kritik an der sowjetischen Regierung unter Verweisen auf „Realpolitik“ und die „Stabilität in Europa“ abbügelten. Foucault suchte kurz vor seinem Tod (1984) die Schuld am Desaster vorwiegend bei der französischen KP, welche die mit ihr regierende Sozialdemokratie negativ beeinflusse; in Wahrheit war die pro-sowjetische Partei jedoch deren letztendlich völlig einflussloser Juniorpartner.

Bourdieu und andere wurden in diesem Zeitraum vorübergehend zum Bündnispartner der eher neoliberalen Strömung in der Sozialdemokratie unter Michel Rocard, die die Koalition mit der KP kritisierte. Doch, stellt Eribon fest, angesichts der späteren Regierungsbilanz dieser Strömung – Rocard wurde 1988 Premierminister – hätten diese Intellektuellen dadurch weiteren Verheerungen den Weg bereitet. War die Kritik am Realsozialismus und „Traditiosnmarxismus“ aus dieser Ecke doch nur der Vorwand zur weitergehenden Anpassung an Kapitalimperative. Bourdieu, der 2002 verstarb und ebenso wie Foucault eng mit Eribon befreundet war, versuchte in den neunziger Jahren, zum Ansprechpartner für außerstaatliche soziale Bewegungen zu werden.

Der mal schleichend, mal ruckartig vollzogene Rechtsrutsch der französischen Sozialdemokratie wurde durch intellektuelle Prozesse begleitet. Es ist bekannt, wie in den späten 1970er Jahre vormals linke oder linksradikale Intellektuelle – die zuvor oft die lautesten Schreier bei autoritären maoistischen Gruppen waren – in Namen des „Antitotalitarismus“ medienwirksam ihren radikalen Bruch mit dem Marxismus vollzogen. Figuren wie Bernard-Henri Lévy oder Alain Finkielkraut diente die reichlich späte Entdeckung der Schrecken des Stalinismus und der sowjetischen Lager dazu, nunmehr besonders lautstark des Hohelied des bürgerlichen Liberalismus zu schmettern.

Didier Eribon stellt jedoch als doppelten intellektuellen Prozess heraus, was in der gewöhnlichen Darstellung als einfacher Vorgang – die Abkehr vom Marxismus im Namens neu-alter liberaler Werte, von Demokratie und Menschenrechten – erscheint. Tatsächlich wird Eribon zufolge in der ersten Phase der Marxismus, im selben Atemzug wie auch der Strukturalismus, verworfen: Jeglicher Versuch, das gesellschaftliche Ganze darzustellen und etwaige Gesetzesmäßigkeit desselben herauszufinden, wird demnach im Namen eines individualistisch klingenden Diskurses zurückgewiesen.

Jeglicher Versuch zur kritischen Analyse eines als Gesamtheit begriffenen Gesellschaftssystem erschien demnach als, laut dem durch Eribon zitierten Philosophen und Historiker Marcel Gauchet, als „elaborierter Antihumanismus“. Dieser sollte demnach zugunsten einer „Subjektivphilosophie“ aufgegeben werden, die jedoch Eribon zufolge im Konkreten lediglich darauf hinauslief, Gesellschaftswissenschaft in Form von immergleichen Besinnungsaufsätzen über Immanuel Kant oder Alexis de Tocqueville zu betreiben.

Doch in einer zweiten Phase gerät bei vielen der beteiligten Intellektuellen auch dieser scheinbare individualistische Blickwinkel in die Kritik; Eribon nennt etwa Gauchet, aber auch François Dosse oder den Historiker und Autor François Furet. Der zuletzt genannte Geschichtswissenschaftler betreibt eine Abrechnung mit der Französischen Revolution, von ihm dargestellt als terroristischer Einschnitt, der lediglich den Fortschritt in Gestalt einer – ohne ihn ganz von allein kommenden – Reform der Monarchie von innen heraus verhindert habe, und arbeitet in Deutschland mit dem Historikerkollegen und Geschichtsrevisionisten Ernst Nolte zusammen.

Das Umschwenken wird eingeleitet durch die Feststellung, dass mit dem durch manche Intellektuelle ausgerufenen Tod des Marxismus soziale Konflikte eben doch nicht aus der Welt gekommen seien. Marcel Gauchet dazu: „Der große Fehler zu Anfang der 1990er Jahre bestand darin, aus dem Bankrott des Kommunismus mechanisch auf das Verschwinden des Antikapitalismus zu schließen.“ Dies sei nicht eingetreten, was er sehr bedauert. Neben den Resten der alten Arbeiterbewegung, die für kollektive Forderungen etwa zu Löhnen und Arbeitsbedingungen kämpfen, geraten nun auch neue soziale Bewegungen in den Blickwinkel. Diese erheben Forderungen, die oft eher individuelle Rechte zum Kerngegenstand haben, etwa für die Freiheit der Lebensgestaltung, zur Gleichberechtigung von Homosexuellen oder für Rechte von Migranten. Aus Sicht der Vorzitierten werden sie nun verstärkt als eine Bedrohung für ein großes Ganzes wahrgenommen, dem man sich nun wieder verpflichtet fühlt – in Gestalt eines das Gemeinwohl oder l'intérêt général vertretenden, als sittlich wahrgenommenen, bürgerlichen Staates. Ihm gegenüber spricht etwa Gauchet von einer Überforderung durch eine Flut von Ansprüchen, so dass eine „Aushöhlung der Substanz unserer Republik“ stattfinde und der Niedergang drohe.

Manche Autoren aus dieser Richtung wie François Dosse rehabilitieren vor diesem Hintergrund den „Personalismus“, eine in den 1930er Jahren entwickelte und christlich grundierte Denkschule um Emmanuel Mounier und die Zeitschrift L'Esprit. Diese stellte in ihrer Rhetorik stark auf „das Subjekt“ und seine „Würde“ ab, vermochte sich dieses Subjekt jedoch ausschließlich als in „Gemeinschaften“ und „Kultur“ eingewurzelt vorzustellen. Ihre Argumentation klingt oft individualistisch, doch hatte diese Strömung zu Anfang des Vichy-Regimes erheblichen Einfluss unter dessen Anhängern, etwa an dessen Eliteschmiede unter dem Namen L'école d'Uriage in den französischen Alpen. Im weiteren Kriegsverlauf vollzogen die Protagonisten, ebenso wie die Mehrheit an der Kaderschule von Uriage, dann allerdings einen Schwenk in Richtung Résistance. In den späten 1990er Jahren kam es im politischen Raum vorübergehend zu einem Versuch, den „Personalismus“ als weltanschauliche Orientierungsgrundlage wieder in die Diskussion zu bringen, und zwar im Umfeld von Charles Millon, der damals für Bündnisse zwischen Konservativen und Front National warb. Millon war übrigens seit etwa fünfzehn Jahren in der Versenkung verschwunden, tauchte jedoch vor kurzem von dort wieder auf, in der Umgebung François Fillon. Am Abend von dessen Vorwahl-Sieg am 27. November 16 zählte Millon zu den geladenen Gästen.

Dies konnte Eribon nicht vorahnen, als er 2007 – kurz vor Beginn der Sarkozy-Ära – sein Büchlein über die damals drohende, doch politisch unter Sarkozy vorläufig eher stecken gebliebene „konservative Revolution“ verfasste. Doch mit Marcel Gauchet, einem der von ihm dutzendfach zitierten und untersuchten Protagonisten, traf Eribon in seinen Beobachtungen den Nagel auch aus heutiger Sicht auf den Kopf. Gauchet, auch wenn er einen breiten Öffentlichkeit eher unbekannt ist, spielt in den intellektuellen Debatten heute eine wichtige Rolle.

Zwar nahm er 2002 an der Gründung der Sarkozy-Partei UMP – inzwischen Les Républicains – teil, glitt später jedoch politisch zur Sozialdemokratie zurück, wo er besonders Manuel Valls und seinem Umfeld nahe steht. Jüngst legte er das öffentliche Bekenntnis ab: „Ich bin Sozialdemokrat“, doch zugleich ging 2014 ein Boykottaufruf gegen seinen Auftritt bei einer Geschichtskonferenz im Oktober jenes Jahres in Blois um – begründet mit seinen oft autoritären Ansichten. Im Frühjahr 2016 war Gauchet die Schlüsselfigur bei dem Versuch, unter dem Namen Printemps républicain („Republikanischer Frühling“) eine Bewegung zu initiieren, die sich rund um die Verteidigung des autoritären Staatslaizismus als Schlüsselidee zusammenschließen und dabei faktisch Valls zuarbeiten sollte. Die Internetzeitung Mediapart bezeichnete den Gründungsaufruf als „Ordnungsruf des jakobinischen Großbürgertums“. Bislang fanden sich außer einigen drittklassigen sozialdemokratischen Politikern jedoch kaum Prominente zur Unterstützung.

Editorischer Hinweis

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.