Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Das sozialdemokratische und linksliberale Lager zu Beginn eines Superwahljahrs
 

01/2017

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Im Allgemeinen sollte man mit Prognosen vorsichtig sein, denn oft tritt etwas Anderes als, als erwartet wurde. Im Hinblick auf das bevorstehende Jahr häufen sich die Vorhersagen und Erwartungen mit Bezug auf Frankreich, da 2017 dort einige entscheidende Weichenstellungen bereit hält.

Nach der Präsidentschaftswahl am 23. April und 05. Mai des Jahres wird dann im Juni 17 auch die nächste französische Nationalversammlung gewählt. Nachdem sich – wider Erwarten – sowohl die Brexit-Befürworter in Großbritannien bei der Abstimmung im Juni 2016 als auch Donald Trump bei der US-Präsidentschaftswahl im November durchsetzen konnten, richten sich viele Augen spannungsvoll auf Frankreich. Sollte dort die rechtsextreme Politikerin Marine Le Pen sich durchsetzen können, was die EU nach der britischen Entscheidung einer neuen, schweren Belastungsprobe aussetzen würde? Immerhin hat eine von ihrer Partei, dem Front National (FN) regierte Kommune, die südfranzösische Stadt Beaucaire, soeben Ende Dezember den symbolträchtigen Straßennamen rue du Brexit // vgl. http://www.bfmtv.com//. einweihen lassen. Dies fand Beachtung bis auf die britischen Inseln. // Vgl. http://www.courrierinternational.com/ // Andere Rechtsextreme beziehen sich geräuschvoll auf Trump, so richtete die neofaschistische Internetpublikation Boulevard Voltaire eine eigene, tägliche Newsletter zu allen Vorgängen rund um das neue Idol Trump ein.

In Wirklichkeit ist es eher unwahrscheinlich, dass Marine Le Pen wirklich als nächste Präsidentin in den Elysée-Palast wird einziehen können. Würde dies doch voraussetzen, dass sie ohne bedeutende politische Bündnispartner eine absolute Mehrheit von über fünfzig Prozent der Stimmen erreicht. Dass sie dies wirklich schafft, ist wenig plausibel. Doch lehren beileibe nicht nur James Bond-Filme, dass man „niemals nie“ // Vgl. https://www.youtube.com/ // sagen soll, jedenfalls nicht vorschnell.

Noch vor wenigen Wochen sah es sehr danach aus, als werde das im Vorfeld der Wahlen aufstrebende konservative Lager bei seinem Aufstieg sowohl den FN als als auch das – infolge seiner Regierungsjahre stark diskreditierte - sozialdemokratische Lager abhängen und weit hinter sich lassen. Marine Le Pen ging in den Umfragen leicht zurück. Durch die Vorwahlen, bei denen am 27. November 16 der Präsidentschaftskandidat der bürgerlichen Rechtsopposition nominiert wurde, war die konservative Basis in hohem Maße mobilisiert wurden; rund 4,3 Millionen Französinnen und Franzosen beteiligten sich, und der designierte Kandidat François Fillon schnellte in den Umfragen nach oben. Doch dies war nur von kurzer Dauer. Schon am 18. Dezember 16 erklärten bei einer Umfrage für die Sonntagszeitung JDD nur noch 28 Prozent der befragten Französinnen und Franzosen, sie „wünschten“ einen Wahlerfolg Fillons. // Vgl. http://www.lejdd.fr // Voraus ging die Diskussion um Fillons weitreichende Pläne zur Privatisierung oder Zerschlagung der gesetzlichen Krankenversicherung, die manche von dessen Beratern zur taktischen Verzweiflung trieb. // Vgl. http://www.francetvinfo.fr/ //

Allerdings profitiert beileibe nicht nur Le Pen von den Turbulenzen, in welche Fillon aufgrund seiner marktradikalen und antisozialen Bestrebungen nun geraten ist. In der rechten Mitte profitiert etwa François Hollandes parteiloser – bzw. vor kurzem als Parteigründer auftretender – früherer Wirtschaftsminister Emmanuel Macron von den Rückschlägen Fillons, welche sich in jüngerer Zeit häufen // vgl. http://www.challenges.fr//. Deswegen sei an dieser Stelle einmal das Blick auf das sozialdemokratische und linksliberale Lager gerichtet, das bislang eher vernachlässigt wurde, was seine eventuellen Wahlchancen für 2017 betrifft, schien seine Niederlage doch von vornherein festzustehen.

Rückzug Hollandes

Am 1. Dezember 16 hatte das amtierende französische Staatspräsident François Hollande in den Abendnachrichten verkündet, er werde nicht für seine Wiederwahl kandidieren. Mehrere Medien hatten noch wenige Tage zuvor seine Kandidaturerklärung angekündigt // vgl. http://www.leparisien.fr///, die angeblich dicht bevor stand. // Vgl. http://www.atlantico.fr/// Tatsächlich hatte der Mann, der von 1997 bis 2008 Parteichef des französischen Parti Socialiste (PS) war und bei einer élection primaire – einer Vorwahl nach dem Muster der US-amerikanischen primaries – im Oktober 2011 zum Präsidentschaftskandidaten gekürt worden war // vgl. https://fr.wikipedia.org/wiki/// , bis zuletzt gezögert, ob er nicht doch wieder antreten solle.

Seine Entscheidung erschien jedoch rational. Denn eine Bewerbung seinerseits kündigte sich als ein pures Desaster an. Nur noch sieben Prozent Stimmabsichten verzeichnete er // vgl. http://www.lesechos.fr // am Vormittag, bevor er seinen Entschluss bekannt gab. Auch in den Reihen des innersten Führungszirkels der französischen Sozialdemokratie hatte er zum Schluss enorm an Unterstützung eingebüßt. Ursächlich dafür war in diesem Falle nicht seine rein kapitalfreundliche Politik, sondern der Autoritätsverlust, den Hollande auch in den Augen vieler Berater und naher Verbündeter selbst verursacht hatte, als er zwei Journalisten der linksliberalen Pariser Abendzeitung Le Monde insgesamt sechzig Mal an seinem Amtssitz empfing und ihnen gegenüber frei aus dem Nähkästchen plauderte. Das Ergebnis erschien am 12. Oktober d.J. in Buchform unter dem Titel Un président ne devrait pas dire ça („Das sollte ein Präsident nicht sagen“). // Vgl. http://www.ebook-gratuit.co // Der Amtsinhaber im Elysée-Palast lässt sich darin u.a. freimütig darüber aus, wie er das Töten von „Terroristen“ etwa durch Drohnenangriffe anordnete, was normalerweise ein Staatsgeheimnis bleibt. Diese Episode trug Hollande nicht nur Strafanzeigen wegen außergesetzlicher Tötungen ein, sondern auch wachsende Zweifel in seiner Umgebung an seiner Amtsfähigkeit.

Die Hauptfrage, die sich aus diesem angekündigten Rückzug Hollandes ergibt – welcher zugleich ein Eingeständnis des totalen Scheiterns seiner vorgeblichen sozialen „Aussöhnungspolitik“ darstellt –, ist die nach der nunmehr einzuschlagenden Strategie seiner Partei. Zwei gewichtige Optionen für die französische Sozialdemokratie liegen dabei auf dem Tisch. Die angeschlagene Partei verfügt laut Le Monde nur noch über 80.000 Mitglieder; während andere Quellen gar von nur 42.300 Mitgliedern ohne Beitragsrückstand sprechen, vgl. http://www.rtl.fr/ . Zum Vergleich: Beim Parteitag in Reims im Herbst 2008 wurden ihrer noch 232.500 verzeichnet, vgl. http://www.leparisien.fr/u und später http://www.huffingtonpost.fr .

Die französische Sozialdemokratie wird nun am 22. und 29. Januar dieses Jahres über ihre Präsidentschaftskandidatur abstimmen.

Die eine Option besteht darin, die bisher eingeschlagenen Kurs der erklärten Totalkapitulation vor den Imperativen des nationalen und internationalen Kapitals fortzusetzen und noch zu verschärfen. An dieser Orientierung besteht kein Zweifel, spätestens seit dem 06. November 2012 – auf den Tag genau ein halbes Jahr nach der Wahl Hollandes -, als der vormalige Bahnchef Louis Gallois einen Untersuchungsbericht vorlegte, dessen Thema die Forderung nach einem „Schock zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der französischen Wirtschaft“ (choc de compétitivité) bildete. Der damalige Regierungschef unter Hollande, Jean-Marc Ayrault, der jetzige Außenminister, machte sich die Schlussfolgerungen Gallois’ explizit zu eigen und übernahm sie weitgehend kritiklos. Und setzte mehrere davon, etwa eine Erhöhung der Mehrwertsteuer für die Allgemeinheit zwecks Finanzierung von Abgabenreduktionen für die Unternehmen, auch alsbald um. // Vgl. http://archiv.labournet.de/internationales/fr/pack.html //

Dafür, dass ein solcher Kurs fortgeführt wird, steht insbesondere Manuel Valls: Hollandes bis vor kurzem amtierender Premierminister seit April 2014, zuvor Innenminister. Als Rechtsaußen unter den insgesamt sechs Bewerber/inne/n bei der Vorwahl vor fünf Jahren erhielt er seinerzeit nur gut fünf Prozent der Stimmen. Dennoch erhob Hollande ihn bereits kurz darauf zu seinem damaligen Wahlkampfleiter. Zu den Hauptforderungen Valls’ in seiner damaligen Vorwahlkampagne zählte eine Namensänderung, die das Adjektiv „sozialistisch“ im Namen des PS streichen und durch eine nichtssagende Vokabel wie „demokratisch“ ersetzen sollte.

Valls: der Einpeitscher

Sofern Manuel Valls überhaupt als Sozialdemokrat einzustufen ist, dann als einer vom Schlage eines Gustav Noske. Er selbst kürte den Regierungschef zur Zeit des Ersten Weltkriegs, Georges Clemenceau, zu seinem erklärten historischen Vorbild, während Sozialdemokrat/inn/en in Frankreich sonst in Sonntagsreden auf den Urvater Jean Jaurès schwören – den Valls flugs zum naiven „Idealisten“ erklärte. Clemenceau ließ mindestens zwei mal, 1906 als Innen- und 1909 dann als Premierminister, auf streikende Arbeiter schießen. Solches konnte Manuel Valls zwar in seinen bisherigen Ämtern nicht anordnen, doch sein Umgang mit den Protesten gegen das von ihm maßgeblich entworfene und durchgeprügelte „Arbeitsgesetz“ – es ist seit dem 08.08.2016 in Kraft, vgl. https://www.legifrance.gouv.fr/ – spricht in jedem Falle Bände. Als fast frischgebackener Premierminister machte Valls unterdessen im Hochsommer 2014 seinen Einstand beim Arbeitgeberverband MEDEF mit dem berühmt gewordenen Satz: J’aime l’entreprise, seiner Liebeserklärung an die so genannten Unternehmer. // Vgl. http://www.francetvinfo.fr/ und http://www.lejdd.fr/0 , oder im Video: http://www.lexpress.fr/ //

Anders als 2011 hat Valls dieses Mal bei der Vorwahl realistische Chancen. Denn einerseits versammelt sich nunmehr der rechte Parteiflügel großenteils hinter ihm – vor fünf Jahren unterstütze er mehrheitlich noch Hollande gegen Valls, dessen proklamierte Absichten taktisch zu weit gingen -, sofern er nicht zum Ex-Wirtschaftsminister Hollandes, Macron, überläuft. Und zum Anderen hat die vormalige Parteibasis mittlerweile in weiten Teilen mit den Füßen abgestimmt und dem PS den Rücken gekehrt. Die Beteiligung an der „offenen Vorwahl“ wird wohl nicht erneut die drei Millionen, die beim letzten Mal verzeichnet wurde, erreichen.

m sich als etwas weniger „sperrig“ fürs sozialdemokratische Fußvolk zu präsentieren, machte Valls in den letzten Wochen einige verbale Zugeständnisse. So stellte der Bewerber in Aussicht, falls er die Ur- und danach die Präsidentschaftswahl gewinne, werde er den Artikel 49-3 der französischen Verfassung teilweise abschaffen; konkret: Er werde ihn nur noch zur Verabschiedung von Haushaltsgesetzen bestehen lassen. Die autoritäre Verfahrensregelung des Artikels 49-3 erlaubt es einer französischen Regierung, die Parlamentsdebatte zu einem Gesetzentwurf auszusetzen und ihn am Parlament vorbei verabschieden zu lassen. Von diesem Mechanismus kann sie für einen Gesetzentwurf pro Jahr Gebrauch machen, ihn dann allerdings bei jeder Lesung zu diesem Text einsetzen. Es war gerade Manuel Valls, der diese Möglichkeit exzessiv ausgeschöpft hat: Er machte vom Artikel 49-3 insgesamt sechs mal Gebrauch und benutzte ihn, um die sozialpolitisch besonders umstrittenen Gesetzestexte „Loi Macron“ (2015) // vgl. http://www.lemonde.fr/// und „Arbeitsgesetz“ (2016) // vgl. http://www.lemonde.fr/ // ohne parlamentarische Aussprache durchzudrücken. Dass ausgerechnet Valls nun die Abschaffung dieses antidemokratischen Verfassungsartikels in Aussicht stellt // vgl. http://www.lefigaro.fr//, darf man zwar getrost als Wahlpropaganda für Dumme bezeichnen. Aber vielleicht geht die Rechnung auf, die darauf hinauslaufen soll, ihm ein weniger hartes Image zu verpassen.

Macron: Sonneseite der Globalisierung

Auf menschlich etwas angenehmere Weise, verglichen mit dem oft autoritär auftretenden Einpeitscher Valls, vertritt Emmanuel Macron eine im Kern ähnliche Wirtschafts- und Sozialpolitik. Er kandidiert ohne jegliche strukturierte Partei im Rücken an, aber mit viel Unterstützung durch die wirtschaftlichen Führungseliten. // Vgl. http://www.lexpress.fr/// Aber auch durch die Regenbogenpresse // vgl. http://www.gala.fr/ //, welche auch immer wieder sein Eheleben mit der zwanzig Jahre älteren Brigitte Macron // vgl. http://www.closermag.fr // zum Thema der Klatschspalten und Fotostorys erhebt – obwohl konservativ-reaktionäre Kräfte dies zum Anlass nehmen, um zu munkeln, die Ehe solle nur eine angebliche kaschierte Homosexualität verschleiern.

Der erst 38jährige ehemalige Investmentbänker Emmanuel Macron, der schon vor Jahren Millionär wurde, wird als idealer Schwiegersohn durch die Medienlandschaft gereicht. Er hat zwar im Kern ähnlich wirtschaftsliberale Vorstellungen wie etwa François Fillon und kommt direkt aus dem Großbürgertum, hat jedoch genügend strategische Intelligenz, die Notwendigkeit eines Werbens um einen Teil der bisherigen Hollande-Wählerschaft zu erkennen. Seit etwa zwei Monaten gibt er überraschend sozialdemokratisch klingende Töne von sich, lobt etwa die – ohnehin nur noch theoretisch existierende – 35-Stunden-Woche, nachdem er sie noch 2014 in den Orkus der Geschichte wünschte // vgl. http://tempsreel.nouvelobs.com//, und schmiert sogar den zuvor als Ballast dargestellten Staatsangestellten // vgl. http://www.lci.fr/ und http://www.bfmtv.com/ // nunmehr Honig um den Mund. // Vgl. http://www.lemonde.fr //

Kurz vor der Weihnachtspause ergab eine Umfrage plötzlich, 55 Prozent hielten Macron angeblich für einen „besseren Präsidenten als François Fillon“. // Vgl. http://www.bfmtv.com // Dergestalt scheint sich ein Teil des Wahlvolkes um das Versprechen einer weitgehend partei- und „ideologiefreien“ künftigen Präsidentschaft zu scharen. Emmanuel Macrons weitgehend nur aus Mausklick-Anhängern im Internet bestehende Miniaturpartei En marche! (ungefähr : „In Bewegung“) wird dabei als neue Alternative zu „Politikverdrossenheit“ und FN-Wahl gehandelt. Ihr Profil besteht darin, die so genannten Sonnenseiten der Globalisierung aufzuzeigen und wirtschaftsliberale Vorstellungen mit dem Versprechen gesellschaftlicher Liberalität und Toleranz zu verbinden. Dabei ist Macron weniger reaktionär und moralinsauer als Fillon und sein Umfeld. Er ist offener für Diversity und weniger stark auf einen intolerant-autoritären und (vor allem gegenüber Muslimen) ausgrenzenden Staatslaizismus // vgl. http://www.lefigaro.fr // eingeschworen wie der rechtssozialdemokratische mögliche Präsidentschaftskandidat Manuel Valls. // Vgl. http://www.leparisien.fr // Und natürlich weniger rassistisch als Le Pen.

Montebourg: Ein „Linker“... vom Typus Helmut Schmidt

Die gegenläufige Option in Sachen Wirtschafts- und Sozialpolitik verkörpert derzeit, mit den stärksten Aussichten auf Erfolg, der vormalige Industrieminister Arnaud Montebourg. Er trat 2014 aufgrund kaum überbrückbarer Differenzen mit Valls zurück. Allerdings hatte sich Montebourg zuvor, im April 2014, noch mit Valls verbündet und geholfen, ihn ins Amt des Premierministers zu hieven. // Vgl. http://www.lemonde.fr // Beide Herren hatten sich, zusammen mit dem damaligen Bildungsminister Benoît Hamon als dem etwas linkeren, doch als vergleichsweise uncharismatisch geltenden Dritten, gegen den vormaligen Premier Jean-Marc Ayrault verbündet.

Montebourg steht für die Forderung nach etwas stärkerer staatlicher Regulierung des kapitalistischen Ökonomiebetriebs. Verbal versucht Montebourg sich, ähnlich wie bereits vor der sozialdemokratischen „Vorwahl“ 2011, zum Vorreiter einer „Ent-Globalisierung“ oder „Rücknahme der Globalisierung“ aufzuschwingen. // Vgl. dazu http://www.challenges.fr/ sowie https://www.welt.de/

Montebourgs Anliegen stärkerer Staatseingriffe – die jedoch letztlich alle dazu dienen sollen, das Markenzeichen Made in France gegenüber konkurrierender Industrieproduktion zu stärken // vgl. http://www.lexpress.fr/ //, wie er es in seiner Amtszeit als Industrieminister 2012-2014 mit eher geringerem Gesamterfolg versuchte - genügt heute in breiten Kreisen bereits, um als „links“ eingestuft zu werden. Dabei ist Montebourg in Wirklichkeit jedoch ungefähr so „links“, wie der westdeutsche Kanzler Helmut Schmidt es in den 1970er Jahren einmal war.

Wie er tritt Montebourg besonders dafür ein, dass die Schornsteine ordentlich rauchen und vor allem die Atomkraftwerke laufen (er zählt zu den nachgerade fanatischen Befürwortern ihres Weiterbetriebs und gar des AKW-Neubaus, wie auch der durch die Nuklear-Lobby favorisierten verschwenderischen Elektroheizungen: http://www.bastamag.net ), was jedoch schon mit der Erwartung verbunden wird, dass dafür am Monatsende für die tüchtig rackernden Beschäftigten auch etwas abfällt. Zwar trat Montebourg in seiner Amtszeit als Minister auch explizit gegen eine substanzielle Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns (SMIC) ein, im Namen der Interessen der französischen Industrielobby. // Vgl. http://www.liberation.fr/// Heute kaschiert er dies jedoch geschickt, indem er proklamiert, er trete für stärkere Mindestlohn-Anhebungen an, aber bitte schön nicht im französischen, sondern gleich im europäischen Rahmen. (Wenn, ja wenn man sich in der EU denn darauf einigen könnte...)

Hamon: Der dritte Mann?

Ex-Bildungsminister Benoît Hamon blinkt im Vergleich dazu etwa stärker links. // Vgl. http://www.20minutes.fr // Er gilt als am stärksten offen für Bündnisse mit den französischen Grünen // vgl. http://www.lemonde.fr///, denkt laut über einen Ausstieg aus dem seit November 2015 und bis mindestens im Juli dieses Jahres geltenden Ausnahmezustand nach // vgl. http://www.lemonde.fr// und übt sich in ökologischer Kritik // vgl. http://www.lemonde.fr // am Einsatz von schädlichen Pestizidstoffen. // Vgl. https://www.facebook.com/// Dies verleiht ihm ein fortschrittlicheres Profil als der Mehrheit der übrigen Bewerberinnen und Bewerber. Auch Hamon gehörte allerdings der Regierung unter François Hollande zwei Jahre lang an, so dass er sich fragen lassen muss, wie er es strategisch anstellen will, um aus dem extrem ungünstigen Kräfteverhältnis mit den Entscheidungsträgern des Kapitels herauskommen will. Dazu hat man bislang kein schlüssiges Konzept von ihm vernommen.

Ursprünglich hatte Hamon als Kandidat mit eher schwachen Aussichten auf Erfolg gegolten, doch infolge eines guten Auftritts bei einer TV-Debatte am 08. Dezember 16 // vgl. http://www.francetvinfo.fr // konnte er in den Umfragen plötzlich doch noch deutlich zulegen. // Vgl. http://tempsreel.nouvelobs.com // Heute wird er als voraussichtlicher „dritter Mann“ bei der sozialdemokratischen Urwahl gehandelt, dessen Stimmenpotenzial also eventuell den Ausschlag geben dürfte.

Im Augenblick sieht die Lage nun wie folgt aus: Infolge seines Fernsehauftritts vom 08. Januar 17 haben sich die Umfragewerte für Valls jedoch verschlechtert. Insbesondere seine Verrenkungen bezüglich seines angeblichen Wunschs, den o.g. autoritären Artikel 49-3 der Verfassung abzuschaffen – welchen er als erster Regierungschef gezielt gegen das eigene politische Lager einsetzte, um dessen Abgeordnete etwa beim „Arbeitsgesetz“ mundtot zu machen – konnten eine deutliche Mehrheit nicht überzeugen // vgl. http://www.challenges.fr // und gaben zu Satire Anlass // vgl. http://nordpresse.be//. Das Rennen wird dadurch umso offener.

Unterdessen scheint ein wachsender Teil der Sozialdemokratie hin zu Ex-Wirtschaftsminister Macron zu tendieren, bis hin zum aus dem Rennen geworfenen Noch-Präsidenten Hollande selbst // vgl. http://www.lefigaro.fr/elections/presidentielles/2017/01/06/35003-20170106ARTFIG00255-hollande-et-la-tentation-macron.php //. Und damit zu einem parteifreien Kandidaten, der jedoch durch die Leitmedien faktisch unterstützt wird – vgl. zu Kritik daran https://www.change.org/p/petition-au-csa-pour-un-arret-des-publireportages-macron - und für den dickes Lob vom „Boss der Boss“ kommt, also vom Unternehmerverbandschef Pierre Gattaz. // Vgl. http://bellaciao.org/fr/spip.php?article152909 // Noch in jüngerer Vergangenheit wäre ein solch offene Unterstützung durch das organisierte Kapital politisch tödlich gewesen, doch das „Phänomen Macron“ eröffnet vielleicht interessante neue Konstellationen; inklusive der Möglichkeit eines rapiden Auseinanderfallens der französischen Sozialdemokratie, jedenfalls in ihrer bisherigen Form.

Mélenchon: französisches Gegenstück zu Oskar Lafontaine

Außerhalb der Sozialdemokratie, und zumindest offiziell erheblich weiter links, tritt deren früheres Mitglied Jean-Muc Mélenchon an. Letzterer war bereits zur Präsidentschaftswahl 2012 angetreten und erhielt damals 11,1 % der abgegebenen Stimmen. Er hatte 2009 eine eigene, kleine Partei unter dem Namen Parti de gauche (Partei der Linken, Linkspartei) gegründet, die in einem Wahlbündnis mit den Überresten der einst einflussreichen Französischen kommunistischen Partei (PCF) steht. Die Allianz wird jedoch von starken Konflikten durchzogen, da die PCF-Führung immer noch auf mögliche Bündnisse mit der Sozialdemokratie schielt – und im Falle einer Kandidatur Montebourgs eventuell diesen unterstützen könnte.

Mélenchon vermengt in seinem Diskurs, ungefähr vergleichbar mit dem zeitweiligen Auftreten Oskar Lafontaines in Deutschland, klassenkämpferische Appelle mit ökologischen Anklängen –im Unterschied zur, mit ihm verbündeten, Französischen KP und zu Montebourg ist er immerhin für den Abschied von der Atomkraft -, einem penetranten Linksnationalismus und persönlichen bonapartistischen Allüren.

Bei seiner letzten Präsidentschaftskandidatur 2012 betonte Mélenchon, im Gegensatz zu Lafontaine mit seiner langjährigen Anti-Asyl-Hetze // vgl. http://www.spiegel.de/ // , aber auch den Antirassismus. Diesen unterstrich er besonders in seiner „Rede von Marseille“ im Frühjahr jenes Jahres // vgl. http://www.dailymotion.com und http://www.leparisien.fr // , in welcher er stark die positiven Seiten der interkulturellen „Vermischung“ hervorhob. // Vgl. http://www.lexpress.fr // Allerdings hat Mélenchon vor einigen Monaten gegenüber seiner Umgebung erklärt, just diese Rede habe ihn damals „am Ende Stimmen gekostet“, und er betrachte es im Nachhinein als Fehler. Stattdessen agitierte Mélenchon im Sommer 2016 gegen „Entsendearbeiter“ aus der EU // vgl. http://lelab.europe1.fr //, welche er bezichtigte, französischen Arbeitskräften die Butter vom Brot zu klauen. // Vgl. http://www.lemonde.fr// Und dies in einem Tonfall, der chauvinistische Elemente beinhaltete und eben nicht nur das Unternehmerkalkül, da sauf Lohndumping beruht, kritisierte – wie auch aus anderen Teilen der Linken kritisch hervorgehoben wurde. // Vgl. https://npa2009.org/ //

Vor fünf Jahren hatte Mélenchon sich selbst auch gerne als politische Geheimwaffe gegen Marine Le Pen ausgegeben und sie direkt zum persönlichen Duell aufgefordert. // Vgl. http://www.lemonde.fr // Zu diesem Zweck begab er sich in ihren Wahlkreis in Hénin-Beaumont in Nordostfrankreich, wo es ihm jedoch an örtliche Erfahrung mangelte, während Le Pen bereits seit einem Dutzend Jahren vor Ort aktiv war. Deswegen schnitt Mélenchon dort auch nur als Dritter ab und vollzog eine Bauchlandung // vgl. http://www.lemonde.fr//, während Marine Le Pen nur knapp die absolute Mehrheit verfehlte. In diesem Jahr versucht Mélenchon sich weniger stark als „Anti-Le Pen“ zu profilieren, und kehrt zugleich stärker die linksnationalistische Note seiner Kampagne im Namen von La France insoumise (des „nicht unterworfenen Frankreich“ ; vgl. https://fr.wikipedia.org/) hervor. Ob er damit stärkeren Erfolg haben wird, bleibt abzuwarten

Editorischer Hinweis

Ausführliche Fassung eines Artikels, von dem eine gekürzte Version am 09. Januar 17 im Internetmagazin ,Telepolis’ erschienen ist.