Spanien: In der politischen Sackgasse

von Dave Stockton

01/2016

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Die spanischen Wahlen zum Nationalparlament und einem Großteil des Senats vom 20.12.2015 mündeten in eine politische Sackgasse. Die Partido Popular (PP), Regierungspartei unter Ministerpräsident Mariano Rajoy, gewann zwar die meisten Sitze, doch es war ein wertloser Sieg. Mit nur 28 Prozent Stimmenanzahl und 122 Sitzen im 350-köpfigen Abgeordnetenkongress, ist Rajoy ein gutes Stück von einer Mehrheit entfernt. Er hat sogar nur geringe Chancen, eine Koalitionsregierung zu bilden, da die populistische Mitte-Rechts-Partei Ciudadanos nur 40 Sitze errang.

Zugleich sieht es nicht wahrscheinlich aus, dass die vom Vorsitzenden der Spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE), Pedro Sánchez, favorisierte „große Koalition des Fortschritts“, die eine „linke Politik“ einschlägt, Gestalt annimmt.

Kurzum, Spanien hat ein entscheidungsunfähiges Parlament. Erstmals innerhalb der Ära nach Francos Tod schaffte es das „Zwei-Parteien“-System nicht, eine Regierung auf die Beine zu stellen. Wenn die ausweglose Lage weiter anhält, sind Neuwahlen nahezu garantiert. Trotzdem verkörpert das Wahlergebnis eine Ablehnung der Sparpolitik und einen Linksschwenk der WählerInnenschaft, vergleichbar dem in Portugal von November.

Traditionelle Linke in der Krise

Nichtsdestotrotz ernteten die überkommenen Parteien der spanischen ArbeiterInnenbewegung ernsthafte Rückschläge. Die PSOE erzielte ihr schlechtestes Resultat aller Zeiten: 22% und 90 Sitze. Die Vereinigte Linke (IU), an der sich auch die Kommunistische Partei beteiligt, verlor 9 von 11 Sesseln.

Wie bei der PSOE, die nach 2008 ein ungeheures Austeritätspaket schnürte, rühren die IU-Verluste wenigstens teilweise aus deren Wahlopportunismus inmitten der kapitalistischen Krise her. Sie nahm an Regierungen in Andalusien und Asturien teil, die Sparmaßnahmen verordneten, und unterstützte sogar eine PP-Regierung in der Extremadura.

Die rückläufigen Wahlerfolge der linken wie rechten reformistischen Parteien wären belanglos, wäre Podemos eine klar radikale ArbeiterInnenpartei, ein sozialistisches Aktionsprogramm vorzustellen fähig; doch das ist sie nicht. Sie ist vielmehr eine kleinbürgerlich-radikale populistische Partei, die sich selbst als weder rechts noch links bezeichnet, sich auf den Sozialismus zu beziehen oder mit der ArbeiterInnenbewegung und den Gewerkschaften zu identifizieren weigert.
2015 stieß ihr Führer, Pablo Iglesias (Turrión), die Partei nach rechts, appellierte an konservative WählerInnen durch Hofieren der Polizei, Armee und Kirche. Er verkündete die Aufnahme ehemaliger Richter, Polizeibediensteten auf ihre Kandidatenliste, und sogar eines pensionierten Generalstabschefs der Streitkräfte, von dem er sagte:

„Es ist eine Ehre für uns, dass sich Julio Rodriguez angeschlossen hat, ein Bürger in Uniform und ein Demokrat, der den höchsten vergebenen Rang beim Militär bekleidet hat und Beredtheit, Ehrenhaftigkeit und Hingabe eines Lebens im Dienste anderer beisteuert.“

Doch Podemos profitierte auch vom Bündnis, das sie letzten Mai bei den Kommunalwahlen eingegangen war, am spektakulärsten in Barcelona, wo Ada Colau, eine Aktivistin der Bewegung gegen Wohnungsräumungen (PAH) und Vorsitzende der Wahlplattform Barcelona en Comú, das BürgermeisterInnenamt eroberte.

Das katalanische Dilemma

Obwohl Podemos selbst die katalanische Unabhängigkeit nicht unterstützt, hat sie korrekt zu einem Volksentscheid darüber in Katalonien aufgerufen. Dies ist eine hohe Hürde vor der Bildung einer Linksregierung mit der PSOE. Diese steht hinter dem abschlägigen Bescheid des spanischen Zentralstaats an das Abtrennungsrecht der KatalanInnen, sollte sich eine Mehrheit dafür entscheiden. Ihr Pressesprecher, Antonio Hernando, erklärte neulich, die PSOE „…steht unerschütterlich zur Einheit und Integrität Spaniens, zur Verteidigung der Verfassung und unserer Ablehnung aller Handlungen, die zur Nichtübereinstimmung mit Gesetz oder Verfassung führen könnten.“

Welche Art Regierung?

Angesichts der aktuellen Kräfteverhältnisse im Land erscheint es schwierig bis unmöglich, eine stabile Regierung zu bilden, sei es eine rechte oder linke. Selbst ein erneute Wahl würde das Problem nicht von selbst lösen. Für die Linke und ArbeiterInnenklasse bedeutet eine Veränderung der Kräfteverhältnisse Rückkehr auf die Straßen, zur direkten Massenaktion, ArbeiterInnenmobilisierung – nicht für vage, utopische Parolen der vergangenen 4 Jahre, sondern klare Forderungen:

  • Schluss mit Arbeits- und Obdachlosigkeit, den Einschnitten ins Sozial- und Bildungssystem! Lasst die Reichen für die Reparatur der Schäden zahlen, die ihr System angerichtet hat!
  • Für das Recht der KatalanInnen auf Volksabstimmung und Abtrennung vom spanischen Staat, wenn sie das wünschen!
  • Für eine ArbeiterInnenregierung, die sich auf Delegiertenräte in Gemeinden und im Gesamtstaat stützt und ihre Verteidigung gegen Armee, Polizei und Nationalgarde (Guardia Civil) organisiert!

Zur Durchsetzung dieser Ziele müssen ArbeiterInnenschaft und Jugend, die in den letzten 5 Jahren Radikalismus bewiesen und kühne Kämpfe gezeigt haben, eine machtvolle revolutionäre ArbeiterInnenpartei aufbauen.

Ihre Mitglieder werden sich aus der einfachen Mitgliedschaft in Podemos, PSOE und der IU wie auch unter frisch an den Auseinandersetzungen beteiligten jungen Leuten rekrutieren. Sie müssen sich örtlich und landesweit vernetzen und die Gründung einer neuen Partei auf eindeutig revolutionärem Programm vorbereiten.

Die bevorstehende Wirtschaftskrise wird einmal mehr die Machtfrage auf den Plan rufen – nicht nur im Maßstab von Wahlen, sondern von wirklicher Klassenherrschaft. Diese Frage wird auch in anderen europäischen Ländern aufgeworfen werden, und die neue Partei wird von Anfang an internationalistisch sein müssen, die Rechte der Geflüchteten verteidigen und sich die Vereinten Sozialistischen Staaten Europas zum Ziel setzen müssen.

Editorischer Hinweis
Wir erhielten den Bericht von ARBEITERMACHT-INFOMAIL, Nummer 860, 23. Januar 2016,  www.arbeitermacht.de