trend spezial: Berichte aus Kosova redigiert von Max Brym

Die Schweizer „WOZ“, oder wer ist nationalistisch in Kosova ?

von Max Brym

01/2016

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Die Schweizer „ Wochenzeitung WOZ“ gilt als seriöses linkes und informatives Organ in der Schweiz. Aber die WOZ hat bezüglich der Einschätzung der politischen Kräfte in Kosova, wie viele andere linke Organe ein fundamentales Problem. Grundsätzlich verzichtet auch die WOZ aus der Schweiz auf solide Recherchen und publiziert Artikel denen jegliche genaue Kenntnis der Lage fehlt. Auch die WOZ
verwechselt links und rechts in Kosova .

Am 10. Dezember erschien in der genannten Zeitung ein Artikel von Dirk Auer aus Belgrad, unter dem seltsamen Titel- „ Mit Tränengas und Nationalismus gegen die Selbstbestimmung-“. In der Einleitung schreibt der Autor: „Eine nationalistische Oppositionsbewegung mischt derzeit die kosovarische Politik auf: Sie kritisiert die politische Elite, möchte aber vor allem die Autonomie der serbischen Minderheit verhindern.“ Schon in der Einleitung wird dem Leser des Artikels gesagt, dass die „Bewegung für Selbstbestimmung“ ( VV) nationalistische sei. Selbstverständlich wird damit der Eindruck erweckt als ob es sich um eine rechte Protestbewegung handeln würde. Im Lauf des Artikels gesteht der Autor der „Bewegung für Selbstbestimmung“ eine teilweise linke Vergangenheit zu. Die Quintessenz des Artikels ist allerdings, dass Vetevendosje ( VV) jeglicher progressive Charakter abgesprochen wird. Zwar findet in dem Artikel auch der Regierungsterror vom 28. November dieses Jahres Erwähnung, aber zu einer Verurteilung des Terrors der kosovarischen Regierung kann sich der Autor einer linken Zeitung nicht durchringen. Der Autor des Artikels präsentiert einen Kronzeugen für den angeblichen Nationalismus von VV in der Gestalt von Rron Gjinovci. Rron Gjinovci wird wie folgt zitiert:“ «Doch inzwischen setzt Vetevendosje eigentlich nur noch auf Nationalismus». Der Autor versucht den Eindruck zu erwecken, als ob VV etwas gegen Serben hätte und damit nicht als progressive Kraft gelten könne. Dirk Auer verurteilt die Kampagne zum Boykott „Serbischer Waren in Kosova „ ohne auf die Hintergründe der Kampagne hinzuweisen. Jährlich subventioniert der serbische Staat Exporte nach Kosova mit 500 Millionen Euro. Dadurch wird der kosovarische Bauer stranguliert. Ein Saft aus Serbien ist in Kosova wesentlich günstiger als in Nis oder Belgrad. Wie kann ein Autor welcher in Belgrad lebt, solche Fakten einfach ignorieren ? Offensichtlich spekuliert Auer mit der Unkenntnis der Situation in Kosova, durch die linke deutsche Leserschaft. Das ist demagogisch.

Die politischen und methodischen Fehler von Dirk Auer

Die marxistische Theorie geht von der Unterscheidung zwischen dem Nationalismus einer unterdrückten Nation und dem Nationalismus einer unterdrückenden Nation aus. Marx gestand dem Nationalismus der Iren in seiner Zeit - einen gewissen progressiven Charakter zu- weil sich dieser Nationalismus gegen den herrschenden Chauvinismus Englands zur Wehr setzte. Insbesondere für Lenin war diese Unterscheidung ( Nationalismus ist nicht gleich Nationalismus) im Rahmen der russischen Revolution von besonderer Wichtigkeit. Lenin betonte immer wieder, dass es ohne das Recht auf Selbstbestimmung für die vom russischen Zarismus unterdrückten Völker, keinen Internationalismus und keine Revolution geben könne. Der Nationalismus der algerischen Befreiungskämpfer gegen den französischen Kolonialismus hatte progressiven Charakter. Der Nationalismus der französischen Bourgeoisie hingegen war reaktionär und chauvinistisch. Die marxistische Herangehensweise an die nationale Frage ist dem Autor aus Belgrad offensichtlich völlig fremd. Für ihn ist Nationalismus immer gleich Nationalismus und daher immer schlecht. Es stellt sich die Frage wie ein Linker in Belgrad es auf die Reihe bekommt -nicht im serbischen Chauvinismus- das Hauptproblem zu sehen. Serbien betrachtet Kosova als „unveräußerlichen Bestandteil Serbiens“ Der Autor des Artikels geht davon aus, dass die Opposition in Kosova etwas gegen Minderheitenrechte für die im Kosova lebenden Serben hätte. Einen Beleg dafür hat der Autor nicht. Er verschweigt der geneigten Leserschaft, wie insbesondere Albin Kurti, immer wieder darauf verweist mit „den in Kosova lebenden Serben sprechen zu wollen“. Die Gespräche die sich Kurti und VV vorstellen, sollen Gespräche von unteren sein und nicht Gespräche welche unter EU Moderation in Brüssel stattfinden. Das Abkommen welches am 25. August in Brüssel zwischen der kosovarischen und der serbischen Regierung abgeschlossen wurde, teilt das Land allerdings nationalistisch auf ethnischer Basis. Immer wieder verweist die Opposition auf das negative Beispiel Bosnien, welches sich in Kosova nicht wiederholen dürfte. Das Abkommen von Brüssel implementiert allerdings bosnische Verhältnisse in Kosova. Der Mittlerweile unter Hausarrest stehende VV Parlamentsabgeordnete Faton Topalli erklärte zur Problematik des Abkommens in der Schweizer Zeitschrift Pro -Integra: „Die Verfassung kennt das Land und die Gemeinden als Einheit – jedoch keine Gemeindeverbände. Diese dritte Einheit würde zu einer Föderalisierung des Kosovos führen. Zweitens versucht Serbien mit diesem Abkommen, Einfluss auf un­ser Land zu nehmen und ihm die Funk­tionsfähigkeit zu nehmen. Und drittens irrt die EU, wenn sie behauptet, es gehe um die Inte­gration der koso­varischen Serben, denn es passiert genau das Gegen­teil: Sie werden se­pariert. Auch, weil der Gemeindeverband dann eine eigene Legislative und Exeku­tive besässe.

Wir von der Vetevëndosje sind ge­gen eine solche serbische Republik im Ko­sovo. Sicher sind wir an der Integration der Serben interessiert. Mit der jetzigen Verfassung haben sie die gleichen Rechte wie die albanische Bevölkerung, und das soll auch so bleiben. Ein Problem ist je­doch, dass Serbien in den serbischen Ge­meinden im Kosovo Parallelstrukturen geschaffen hat: Dort gibt es eine serbische Polizei, eine serbische Armee, finanziel­le Unterstützung durch Serbien – de fac­to gehört der Norden nicht zum Kosovo.“ Durch das Abkommen würde auf 23 % des Gebietes von Kosova faktisch eine unabhängige serbische Parallelstruktur finanziert und instruiert vom serbischen Staat festgeschrieben. Die ethnische Teilung Kosovos würde damit endgültig vollzogen. Dieser Teilungsplan der nebenbei gesagt mit der Bevölkerungszusammensetzung nichts zu tun hat, setzt auf Separation und ist in der Tat nationalistisch. Gegen ein zweites Bosnien auf dem Balkan zu kämpfen wie es die Bewegung für Selbstbestimmung tut ist hingegen internationalistisch. Die „Bewegung für Selbstbestimmung“ fordert zum Beispiel in Mitrovica , die Wiederherstellung der einstigen multiethnischen Arbeiterstadt. Nur in einem geeinten Kosova ist es möglich, dass serbische und albanische Arbeiter und Arbeiterinnen sich gemeinsam gegen den neoliberalen Privatisierungsprozess zusammenschließen. Dagegen stehen die nationalistischen ethnischen Teilungspläne Serbiens, aber auch die scheinbare Kapitulation der kosovarischen Regierung bestehend aus PDK und LDK. Die zuletzt genannten Parteien bezeichnen sich selbst als Parteien der rechten Mitte. Die LDK ist die Bruderpartei der CDU/CSU in Deutschland. Die kosovarischen Regierungsparteien sind nicht nur rechts sondern vom Wesen her Parteien der Kompradorenbourgeoisie. Im Kosovo benötigen die neoliberalen Mafia Parteien den permanenten nationalen Konflikt, um von ihrer Korruption und ihrer Bereicherung abzulenken. Durch die Teilung des Landes wird der nationale Konflikt verewigt und damit den politischen Mafia Banden geholfen. VV hingegen will den nationalen Konflikt beenden und hat ein ausgesprochen progressives Sozialprogramm, gegen den neoliberalen Privatisierungsprozess und gegen die Massenarmut in Kosova. Die letzten Punkte versucht Dirk Dauer in die Vergangenheit von VV zu legen. Dies ist aber nicht der Fall, bei jedem Arbeiterprotest, bei jedem Streik, finden die Arbeiter und Arbeiterinnen Kosova s VV an ihrer Seite. Ein linker Autor sollte bevor er Artikel schreibt sich über die Lage im Land kundig machen. Diese journalistische Grundregel ignorierte Dirk Auer. Er fantasiert etwas über Nationalismus zusammen, übersieht dabei jedoch den wirklichen Nationalismus und Chauvinismus. Er ignoriert dass der Balkan alles andere benötigt als ein neues Bosnien. Es nützt auch nichts sich bei bestimmten pseudolinken Leuten im Café Dit E Nat ( Café Tag und Nacht) in Prishtina zu informieren. Meist erhält man dort Infos von Leuten, die keinerlei Substanz enthalten . Die kosovarische Regierung setzt nämlich nicht nur auf Terror gegen Arbeiter, Bauern, Studenten und Oppositionelle, sondern sie hält sich nebenbei einige pseudolinke Analytiker, die bevorzugt in diesem Kaffee verkehren. Es bleibt zu hoffen, dass Sie seriöse linke Wochenzeitung aus der Schweiz letztendlich solche Artikel zu Kosova, als daneben gegangene Ausnahmen behandelt.



Quelle: https://www.woz.ch/1550/kosovo/mit-tranengas-und-nationalismus-gegen-die-selbstbestimmung