Die Kölner Ereignisse Stellungnahmen & Kommentare aus dem linken Spektrum

Die Übergriffe in Köln und der Ruf nach dem starken Staat

Von Dietmar Henning und Peter Schwarz

01/2016

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In der Silvesternacht 2015/2016 haben in den Bahnhöfen von Köln, Hamburg, Stuttgart und anderen Städten viele hunderte betrunkene und enthemmte Männer Jagd gemacht auf Frauen. Haben sie brutal begrapscht und angemacht bis hin zu Vergewaltigungen. Die Polizei hat nirgendwo entschieden eingegriffen. Allein in Köln liegen mittlerweile (10.1.2016) rund 400 Anzeigen von Frauen vor. Die Medien berichteten zwar sehr zögerlich, doch fehlte in keinem Bericht der Hinweis, dass es sich bei den Horden um „nordafrikanisch oder arabisch aussehende Männer“ gehandelt habe. Der „Spiegel“ meint, die Vorfälle hätten das Zeug dazu, eine Wende in der deutschen Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik auszulösen. Für Merkels Zuwanderungspolitik seien sie der GAU, der größte anzunehmende Unfall.

Tatsache ist, dass der CDU-Bundesvorstand, dem wiederum Merkel vorsitzt, eine gute Woche nach den Vorfällen seine „Mainzer Erklärung“ abgab, worin unter dem Stichwort „Zur Sicherheit“ der Polizeistaat weiter ausgebaut und die „Willkommenskultur“ vollends abgebaut wird. Die Schleierfahndung, d.h. verdachtsunabhängige Personenkontrollen sollen in allen Bundesländern ausgedehnt werden. Auf und im Umfeld von Bahnhöfen und in öffentlichen Verkehrsmitteln werden Videokameras eingesetzt. Wer sich gegenüber polizeilichen Einsatzkräften „grob ungebührlich und respektlos“ verhält, muss mit schärferen Ordnungsstrafen rechnen. Asylberechtigte und Flüchtlinge sollen von Asylberechtigung und Flüchtlingseigenschaft ausgeschlossen sein, wenn sie eine Straftat begangen haben, auch wenn die Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die per Vorratsdatenspeicherung gesammelten Informationen sollen künftig auch von Verfassungsschutzbehörden genutzt werden. Die Sicherheitsbehörden des Bundes werden um 4000 Stellen verstärkt, ihre Ausrüstung wird erheblich verbessert. Kanzlerin Merkel verkündete während der Tagung wiederholt, dass die Zuwanderung von Flüchtlingen in kurzer Frist erheblich zu reduzieren sei. Vizekanzler Gabriel und Justizminister Maas von der SPD haben der neuen Richtung öffentlich zugestimmt.

Die politische Instrumentalisierung der Silvester-Schandtaten ist also in vollem Gange. Nach den Vorgaben aus Berlin und München geht die Fahrt stramm nach rechts. Ganz im Sinne von Donald Trump, dem Immobilienmilliardär und republikanischen US-Präsidentschaftskandidaten, der sagte, Deutschland erlebe jetzt „massive Angriffe auf seine Bevölkerung, ausgeführt von Einwanderern, die ins Land gelassen wurden“. Trump hatte vor einigen Wochen dazu aufgerufen, Muslimen prinzipiell die Einreise in die USA zu verwehren. In diese Richtung zielen auch die Rechten hierzulande: Das Land abschotten, die vorhandenen Flüchtlinge so schnell wie möglich loswerden.

Eine humane, solidarische Flüchtlings- und Einwanderungspolitik verlangt dagegen gerade nach Köln die Beachtung folgender Gebote:

Diskriminierung und sexuelle Bedrängung von Frauen muss strikt bekämpft werden – gleich von welchen Gruppen sie ausgeht. Ob von Ausländern oder Deutschen. 

Die Bedrängung der Frauen in Köln geschah offenbar in der Regel in Form gemeinschaftlich begangener sexueller Belästigung durch Gruppen von Männern. Dieses Phänomen ist in arabischen Ländern schon länger unter dem Begriff „taharrush gamea“ bekannt. Es ist eine verheerende Enthemmung und Entgleisung von Männern, die in ihren Gesellschaften längst nicht mehr in Respekt und wirtschaftlichem Erfolg und der daraus entspringenden Möglichkeit einer Familiengründung leben können. Sie sind entwurzelt, auch vom Islam, der bekanntlich Sex außerhalb der Ehe verbietet. Umso mehr versuchen diese Männer, im öffentlichen Raum, der traditionell als den Männern gehörig aufgefasst wird, den Machismo zu demonstrieren.   

Das ist eine soziologische Erklärung, keinesfalls eine moralische Relativierung. Diese Anschläge auf Leib und Leben und Würde von Frauen müssen mit aller Entschiedenheit bekämpft werden, auch mit Polizei und Gerichten. Doch braucht es dazu keine neuen Strafgesetze, wir brauchen vielmehr eine Staatsgewalt, die im Rahmen der Gesetzlichkeit kompetent vorgeht. Die Kölner Vorfälle fanden statt, weil sich die Polizei als unfähig erwies, die Lage rechtzeitig zu prognostizieren, ihre Kräfte entsprechend einzuteilen und dann vor Ort zielstrebig einzusetzen. Die Gesetze waren alle vorhanden, die polizeilichen Mittel und Direktiven nicht. 

Von besonderer Widerwärtigkeit ist die Hernahme der Kölner Vorfälle durch rechtsextreme Demagogen, die sich bislang stets als große Verächter der Frauenbewegung hervorgetan haben, nun sich aber als Verteidiger der Frauenrechte in die Brust werfen. Jürgen Elsässer, Pegida-Sympathisant und Herausgeber des „Querfront“-Magazins Compact, schreibt zu „Köln“: „Aus Multikulti wird Bürgerkrieg… Der Einmarsch von weit über einer Million Neusiedlern im vergangenen Jahr – großteils Männer im Hormonüberschussalter – hat die ohnedies angespannte Lage eskalieren lassen. Als erstes trifft es die Schwächsten: die Frauen. Was sich .. abgespielt hat, war der Einsatz von sexueller Gewalt zur Demütigung des weiblichen Teils der einheimischen Bevölkerung“. Bislang hat sich der Herr immer den Frauenrechtlerinnen entgegen geworfen. Zum Beispiel so: „Warum die Feministinnen, obwohl in der krassen Minderheit, trotzdem immer weiter marschieren, ist schnell erklärt: Sie genießen die Unterstützung des Großkapitals. Die Zerschlagung der Familie und die Entwertung der Väter bringt die Frauen in die Fabrik – als deren Konkurrentinnen drücken sie das Lohnniveau.“ Dietmar Koschmieder, der in der Jungen Welt die Elsässer-Zitate zusammengetragen hat, fasst dessen Leitbild zusammen: „Frauen gehören in den Ehestand, an den Herd, an die Seite des Ehemanns.“ 

Es sind aber nicht nur rechte Demagogen, die das Sex-Thema verlogen aufblasen. Unsere eigene Kultur ist weithin frauenfeindlich, frauenschänderisch. Bis 1997 war Vergewaltigung in der Ehe kein Straftatbestand. In einer aktuellen repräsentativen Studie des Familienministeriums geben 58 % der Befragten an, nach ihrem 16. Lebensjahr sexuell belästigt worden zu sein. Die Hauptgefahr droht im eigenen Zuhause – von Eltern, Verwandten, Nachbarn. In der Empörung über die „islamischen Horden“ versichert man sich der Moral, die man selber nicht hat.


Gewalt hat vor allem eine Ursache: Soziales Elend, das Versagen von Glück. Integration kann nur gelingen durch Bildung für alle, Arbeit für alle, Einkommen für alle, Solidarität untereinander. 
 

Die Morde an den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Charlie Hebdo und die an den sich vergnügenden Pariserinnen und Parisern im November 2015 wurden ausgeführt von Kindern von Einwanderern aus Afrika und Nahost. Sie waren Einwanderer der zweiten Generation.Eingewandert und doch völlig ausgeschlossen vom materiellen und kulturellen Leben der Gesellschaft. Gefangen in Banlieues, in Vorstädten, eigenen Vierteln, „Parallelgesellschaften“, in denen der Mangel, der Frust, die Drogen, Kriminalität als Überlebensgeschäft zu Hause sind. Natürliche Zuchträume nicht nur der Klein-Kriminalität, sondern auch des Terror-Nachwuchses. Ähnlich ist die Lage in den Ländern Afrikas und des Nahen Osten, wo der „Islamismus“ sich als Bewegung gegen die bestehenden Machtverhältnisse aufschwingt.

Dies ist keine Parteinahme für den Islamismus sondern im Gegenteil dafür, die offenbar desaströsen Machtverhältnisse zu ändern. In Deutschland werden wir, wenn die Diffamierung und Verelendung der Flüchtlinge weiter anhält, bald Millionen Menschen unter uns haben, die am Rande des Existenzminimums oder darunter hausen und ständig wachsenden Feindseligkeiten ausgesetzt sind. Heute leben fünf Millionen Muslims in Deutschland, denen man zusehends ihre Qualität als normale, mit den Menschenrechten ausgestattete Staatsbürger bestreitet. Wenn diesen Entwicklungen nicht Einhalt geboten wird, dann wird die deutsche Gesellschaft, die wir kennen, und erst recht die, die wir anstreben, nicht mehr existieren beziehungsweise nie zustande kommen. In der Flüchtlingsfrage wird sich auch die Frage von Demokratie und unserer allgemeinen Zukunft entscheiden.

Wenn wir also keine millionenfachen Paria-Gesellschaften wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass alle Flüchtlinge Bildung erhalten; dass alle Arbeit bekommen; dass alle ein Einkommen erzielen, das gut zum Leben reicht; dass alle an unseren Sozialsystemen teilhaben können; dass wir, die Flüchtlinge und die Deutschen, in Solidarität miteinander umgehen.   

Quelle: http://www.wsws.org/de/articles/2016/01/09/koel-j09.html    | 9.1.2016