Bernard Schmid berichtet aus Frankreich
Der Front National bleibt in der Opposition – Andere Aussichten jedoch: trübe.

Frankreich nach dem zweiten Durchgang der Regionalparlamentswahlen vom Dezember 15 (TEIL 1)

01/2016

trend
onlinezeitung

Zwei Gewinner mit blauem Auge, einen halben Verlierer – ebenfalls mit einem blauen Auge – und einen Verlierer auf der ganzen Linie ließen die französischen Regionalparlamentswahlen an den vergangenen beiden Sonntagen (Anm.: 06. und 13. Dezember 15) zurück.

Die beiden Gewinner sind die regierende Sozialdemokratie sowie der rechtsextreme Front National (FN). Die Erstgenannte konnte zwar nicht die Kontrolle über eine Mehrheit der künftigen Regionalregierungen erringen und wird nunmehr fünf von insgesamt dreizehn französischen Großregionen regieren. Bis zu den Wahlen und zur jüngsten Gebietsreform war der Parti Sccialiste (PS) noch Regierungspartei in 21 von 22 früheren Verwaltungsregionen, aus denen ab dem 1. Januar 2016 – durch den Zusammenschluss mehrerer von ihnen – die neuen Einheiten offiziell entstehen werden. Dennoch muss man von einem Erfolg für die Pariser Regierungspartei sprechen. Denn noch vor wenigen Wochen hätte man ihr, angesichts des Desasters besonders ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik und der damaligen Umfragewerte für Präsident Françis Hollande, nicht einen Bruchteil ihrer jetzigen regionalen Wahlsiege zugetraut.

Spiegelbildlich dazu verhält es sich mit dem Block der Konservativen und Wirtschaftsliberalen, vertreten vor allem durch die beiden Parteien Les Républicains (LR) – ehemals UMP – sowie UDI, als den halben Verlierern. Ihr Zusammenschluss wird künftig sieben von dreizehn Regionen kontrollieren, die dreizehnte Region fiel am Sonntag an die korsischen Autonomisten und Inselnationalisten.

In zweien dieser Regionen, die nunmehr durch die Konservativen geführt werden, ging die Wahl am Ende nur sehr knapp zu ihren Gunsten aus, und ihre Vertreter in der Hauptstadtregion Ile-de-France sowie in der Normanie mussten noch weit bis in den Sonntag Abend hinein zittern. Hinzu kommt aber vor allem, dass viel böses Blut unter ihren Spitzenleuten herrscht. Ein Symtom dafür war, dass LR-Chef Nicolas Sarkozy dem Wahlabend seiner eigenen Partei zum Großteil fernblicb: Er verließ ihn zu einem sehr frühen Zeitpunkt, als etwa der Ausgang in der Region Ile-de-France - noch völlig offen war, und begab sich stattdessen ins Fußballstadion. Dies trug ihm sarkastische Kommentare etwa von Ex-Premierminister Jean-Pierre Raffarin ein. Ein anderes Krisenzeichen ist, dass die frühere Sprecherin Sarkozys im Präsidentschaftswahlkampf, die zum moderaten Flügel der bürgerlichen Rechten zählende Ex-Umweltministerin Nathalie Kosciusko-Morizet („NKM“), am Montag Mittag durch ihren Parteichef im Eilverfahren aus dem Vorstand gefeuert wurde. Am Wahlabend hatte sie in ihre in der Vorwoche geäußerte Kritik an der Linie Sarkozys wiederholt, welche sie als zu nahe an den rechtsextremen Front National angelehnt bezeichnete.

Sarkozy hatte unter anderem in der Woche zwischen den beiden Durchgängen der Wahlen erklärt, es sei „nicht unmoralisch, für den Front National zu stimmen“, und hatte die neofaschistische Partei sowie die Sozialdemokratie explizit auf die gleiche Stufe gestellt. Zugleich hatte Nicolas Sarkozy es scharf abgelehnt, Listen der eigenen Partei vor der Stichwahl zurückzuziehen, wenn die Sozialdemokratie besser platziert war, um eine Wahl der extremen Rechten zu verhindern. Die regierende Sozialdemokratie ihrerseits hatte dies unter anderem in den Schlüsselregionen in Nordost- und Südostfrankreich, also Nord-Pas de Calais-Picardie sowie Provence-Alpes-Côte d’Azur, wo der Front National bereits im ersten Wahlgang über vierzig Prozent gekommen war, zugunsten der Konservativen getan. Sarkozy verweigerte jegliche Gegenleistung und jegliches gleichartige Handeln, auch wenn er erklärte, er „respektiere“ die Entscheidung des PS. Die Widersprüche innerhalb des konservativen Blocks, seine Haltung zur extremen Rechten betreffend, brechen nunmehr voll auf.

Dass sich letztendlich die Sozialdemokratie auf Kosten der Konservativen unerwartet gut halten konnte, liegt am nationalen politischen Kontext. In Zeiten schwerer Attentate, wie sie sich am 13. November 15 in Paris ereigneten, oder außenpolitischer Krisen regieren viele Wählerinnen und Wähler mit einer Haltung, die man als légitimisme bezeichnet und die darauf beruht, dass man den gerade Regierenden den Rücken stärkt und en Schulterschluss mit ihnen vollzieht. In der Periode nach den Attentaten schnellten die Popularitätswerte von Präsident François Hollande von zuvor rund 17 auf genau 50 Prozent nach oben. Also noch erheblich stärker als nach den Attentaten im Januar dieses Jahres, infolge derer dieselben Beliebtheitswerte von 17 auf damals 34 Prozent gestiegen waren, bevor es in den Folgemonaten wieder bergab mit ihnen ging. Ein noch klareres Anzeichen dafür ist, dass der deutlichste Wahlsieger aus den Reihen der Sozialdemokratie der amtierende Verteidigungsminister ist, Jean-Yves Le Drian. Zwar hatte er in der Bretagne, wo er als Spitzenkandidat antrat, keinerlei Wahlkampf vor Ort betrieben und auch während der Wahlkampagne angekündigt, im Falle seiner Wahl werde er „Vollzeit-Verteidigungsminister“ in Paris bleiben. Dennoch honorierten es die Wähler. Wo in der Stichwahl eine relative Mehrheit genügt hätte – da drei Listen antraten -, konnte Le Drian über 51 Prozent der Stimmen sammeln.

Diese Situation geht damit einher, dass die Sozialdemokratie mit keinerlei sozialen, ökologischen oder demokratischen Versprechungen ihren Wahlkampf betrieb, sondern als Partei des Notstands, der Krisenverwaltung und der militärischen Interventionen. Eine moralische Veredelung erhielt dieses Auftreten dann jedoch in der Woche vor den Stichwahlen: Um die Republik zu retten, so lautete ihre Argumentation, verzichtete die Partei in mehreren Regionen zugunsten der Konservativen auf ein eigenes Antreten. Dies mag den Vorteil aufgewiesen haben, dass die Wahlchancen des Front National – dem man nach dem ersten Durchgang in vier bis fünf Regionen gute Aussichten auf die Regierungsübernahme prophezeit hatte – in der zweiten Runde dadurch geschmälert wurden.

Zugleich möchte insbesondere Premierminister Manuel Valls aus der Not auf Dauer eine Tugend machen und eine „republikanische Front“ zimmern, in welcher die Sozialdemokratie am besten aufgehen solle. Vor der Präsidentschaftswahl 2012, bei der er sich vergeblich um die Kandidatur für den PS bemühte, hatte Valls sich noch für eine Namensänderung der Partei stark gemacht, um das Wort „sozialistisch“ definitiv aus ihrem Namen verschwinden zu lassen. Damit hatte er zwar nur fünf Prozent bei der innerparteilichen Urabstimmung erreicht, an der er als Rechtsaußen im PS-Spektrum teilnahm. Heute setzt er diesen Kurs jedoch bruchlos fort. In der Wahlnacht am Sonntag setzte der Abgeordnete Julien Dray, der früher einmal zum linken Parteiflügel zählte und erheblich nach rechts wanderte, seinerseits die Frage einer Umbenennung – also der Entfernung des Adjkektivs „sozialistisch“ – erneut auf die Tagsordnung.

Zum Totalverlierer der Wahl wurde vor diesem Hintergrund die politische Linke jenseits der Sozialdemokratie, die mit ihren Themen im Gesamtklima überhaupt nicht punkten konnte. Die „Linksfront“, ein Zusammenschluss aus einer Linksabspaltung von der Sozialdemokratie und der französischen KP sowie kleinerer Gruppen, erhielt im ersten Wahlgang nur noch 4,1 Prozent. Allerdings trug dazu auch ihre Zerstrittenheit mit bei, die dazu führte, dass ihre Mitgliedsparteien mal mit-, mal gegeneinander antraten und ein völlig unkohärentes Bild abgaben. Hauptsächliche Ursache dafür ist der anhaltende Opportunismus der französischen KP gegenüber der Sozialdemokratie, deren Listen sie in manchen Regionen schon im ersten Wahlgang direkt unterstützte. Umgekehrt nimmt der Parti de gauche (PG, Linkspartei), die Abspaltung von der Sozialdemokratie unter Jean-Luc Mélenchon, mal etwas linkere und mal auch neostalinistische Positionen ein und trumpfte mitunter mit verbalradikalen Formulierungen auf. Zu Anfang dieser Woche wurde ihr Bündnis, die „Linksfront“, eingefroren und schien vor dem Auseinanderbrechen zu stehen. Auch die französischen Grünen, die von zuvor über zwölf Prozent bei den letzten Regionalparlamentswahlen 2010 – dieser Wahltyp ist besonders günstig für die Ökopartei - auf nur noch sechs absackten, scheinen politisch weitgehend marginalisiert. Es wird damit gerechnet, dass sie keine eigene Kandidatur zur Präsidentschaftswahl 2017 mehr präsentieren.

Es bleibt der Front National, der sich zu den Gewinnern rechnen darf, obwohl er es nicht schaffte, eine Regionalregierung zu übernehmen. Dies wurde durch die Stimmbündnisse der etablierten Parteien in mehreren neuralgischen Regionen verhindert. Es widerspiegelt zugleich das alte strategische Problem des FN, der keine Verbündeten aufweist, mit denen er sich im zweiten Wahlgang zusammenschließen könnte. Dort, wo eine relative Mehrheit nicht ausreicht, sondern eine absolute Mehrheit erforderlich ist – wenn nur zwei Listen in der Stichwahl antreten -, liegt die Hürde für ihn damit sehr hoch. Zwar wurden oder werden mehrere Regionen in Europa von Rechtsextremen mitregiert, wie Kärnten in der Vergangenheit, das Burgenland in der Gegenwart oder die Lombardei und Venetien in Norditalien. Doch die betreffenden Parteien, wie die FPÖ und die Lega Nord, erreichten nirgendwo alleine über 50 Prozent, sondern schlossen stets Koalitionen mit etablierten Kräften. Solche verweigert der französische FN bislang, und vor allem sein wirtschafts- und sozialpolitischer Diskurs ist dem des konservativen Blocks bislang scheinbar diametral entgegen gesetzt: Er setzt auf soziale Demagogie und auf Etatismus sowie vor allem auf „Antiglobalismus“, die Konservativen unter Sarkozy auf Wirtschaftsliberalismus und EU-Mitgliedschaft. Allerdings nahm er seit dem Frühsommer dieses Jahres inzwischen einige wirtschaftsliberale Korrekturen an seinem Kurs vor.

Der FN bleibt in den Regionen weiterhin eine Oppositionspartei, doch nimmt er künftig 358 Sitze in ihren Parlamenten ein. Nicht nur dies ist ein Rekordwert für ihn, sondern auch die absolute Zahl der für ihn abgegebenen Stimmen. Über 6,8 Millionen waren es im zweiten Wahlgang. Bislang lag sein Rekord bei 6,4 Millionen bei der Präsidentschaftswahl 2012. Auch weiterhin muss mit der rechtsextremen Partei gerechnet werden.

Editorische Hinweise

Wir erhielten diesen Artikel vom Autor für diese Ausgabe. Eine leicht gekürzte Fassung dieses Artikel erschien am 17. Dezember 15 in der Berliner Wochenzeitung ,Jungle World'.