Der vergangene Sonntag
sollte ein entscheidender Tag für Katalonien und im
besonderen für die Strategie der radikal
antikapitalistischen und sezessionistischen CUP (Candidatura
d´Unitat Popular, "Kandidatur der Volkseinheit")
werden, die es nicht aufgibt, das erstarrte, aber
übermächtige Machtkonglomerat Junts pel Sí
("Gemeinsam für ein Ja") zu konditionieren, bzw. deren
Hauptkräfte, die rechte Convergència und die
ERC (linksreformerische Republikaner) an der
kurzen Leine zu halten. Ohne die höchst umfangreiche
Diskussion der letzten Tage hier zusammenfassen zu
können: es betrifft dies unter anderem den pla de
choc (spanisch plan de choque, Sozialen Notplan),
also eine radikal sozialpolitische Perspektive, die
hier programmatisch umgesetzt wurde, einen Set von die
äußerste Not lindernden Sofortmaßnahmen, den die CUP
als harte Verhandlungsmasse eingebracht hat, und ich
möchte bloß erwähnen, daß die sonntägliche Abstimmung
in Sabadell nordwestlich von Barcelona (die
aus Platzgründen nicht, wie ursprünglich vorgehabt, in
Girona stattfand) effektiv eine absolute
Stimmengleichheit zwischen mit Konditionen verbundener
Zustimmung zum Amtsantritt von Artur Mas (dem mit
Korruption und Repression assoziierten Kandidaten für
das katalanische Parlament von der reaktionären CDC,
Convergència de Catalunya) und denen, die ihm
eine Abfuhr erteilen wollen, gebracht hat. Eine
definitive und majoritäre Ablehnung der Unterstützung
Mas´ kam nicht zustande.
Nach der gut
organisierten, erstmals breit sondierenden
Massenabstimmung im nördlicher gelegenen Manresa
vor zwei Wochen, wo die Mehrheit für eine Ablehnung
war, stellt nun diese seit einiger Zeit anberaumte und
vorbereitete Abstimmung politisch-verfahrensmäßig eine
Erweiterung, Intensivierung und Verkomplizierung der
Entscheidungsfindung der Bewegungspartei dar, was aber
für die Basisdemokratizität der CUP spricht – welche
den Kern ihrer Politik ausmacht. Daran könnten sich
manche hiesigen Organisationen ein Beispiel nehmen.
Insofern könnte die Basiskultur der CUP ein Modell für
die verfaulte Linke hierzulande bilden.
Hier ist besonders zu
bemerken, daß erstens einmal nur Personen abstimmen
durften, die als CUP-Aktivisten registriert wurden, es
konnten keine großsprecherischen Ichs ohne
organisatorische Verantwortung und bewiesenes und
langfristiges Engagement oder aus anderen politischen
Bereichen Eingetrudelte und sich als Sympathisanten
Maskierende aufspielen und Einfluß nehmen (500
„infiltrados“ wurden abgelehnt!), zweitens aber auch
solche, die nicht CUP-Mitglieder sind, aber in
Organisationen tätig sind, die ihre politische und
historische Affinität zur CUP unter Beweis
stellen können, und hiermit wird das dumme Prinzip der
bloßen Parteienidentität durchbrochen, der
Betriebspatriotismus – ich brauche nicht zu erwähnen,
welche hiesige Gruppierung diese dumpfe
Kadaveridentität mit der Partei am starrsten
durchexerziert …
Damit wird dem
grundlegenden Konzept unidad popular, "Volkseinheit",
Rechnung getragen, das nicht auf eine bloße Reminiszenz
im Sinne der Formation Allendes reduzierbar ist,
sondern auf das Postulat, Organisationsaxiom von
breiter Versammlung, Sammlung und Bündelung der
Volkskräfte, also auf eine CUP über die CUP hinaus. -
Anders kann man überhaupt heute keine innovatorische
Politik machen.
Warum der – meiner
Meinung nach – échec dieser Abstimmung? Weil
die puren independentistas, die vordringlich
für Unabhängigkeit kämpfenden cupaires (die,
denen EU und NATO egal sind) zu ungeduldig geworden
sind. Unbedingte Ablehnung der NATO wie der
Europäischen Union steht aber im Programm der CUP, die
CUP ist eine Anti-NATO-Partei (wie die Izquierda
Unida, Vereinigte Linke) und eine
Anti-EU-Partei, und nicht nur eine Partei der
Abtrennung vom Gesamtstaat. Aber leider sagen viele:
Hauptsache Unabhängigkeit!
Wird dem großen
liberal-bis-rechten Unabhängigkeitsblock zugestimmt,
dann könnte man beschwingt die Unabhängigkeit gleich in
großem Stil einführen, mit einer großen Masse, die sich
aus dem ja bedeutenden Elektorat der ERC speist und die
man natürlich weiter bekneten muß. Dann sind wir
wir und haben keine Sorgen mehr.
Aber damit macht man es
sich zu einfach. Würde eine solche "unabhängige"
Republik unter der Führung des gewieften Taktikers Mas
nicht zu einem bürgerlichen und gleichgerichteten
Modellstaat führen, in dem alle Politik eines radikal
sozialpolitischen pla de choc, mit dem den
Verarmten Strom, Wohnung, Mindesteinkommen garantiert
wird, wieder erstickt wird und untergeht? Wo im Taumel
der Unabhängigkeit der Anspruch des auf der Straße
Liegenden keine Rolle mehr spielt – da wir ja nun alle
unabhängige Katalanen sind? - - - Die in erster Linie
an sozialen Veränderungen interessierten
CUP-AktivistInnen haben bei dieser Abstimmung nicht
genügend gepunktet.
Die jetzige
Massenabstimmung war jedoch von der organisierenden
Partei von Anfang an nicht als endgültiges, bindendes
Votum konzipiert worden - eigentlich recht klug, denn
so kann man die Gegenseite noch ein wenig an der Nase
herumführen und gleichzeitig ungünstige Schnellschüsse,
premature Konsequenzen vermeiden. Die endgültige
Entscheidung wird auf den 2. Jänner verschoben, im
Rahmen eines consell polític (politischen
Ausschusses), an diesem Prozeß werden andere
organisierte Instanzen der Partei beteiligt sein.
Aus der Not macht der
derzeitige Sprecher Antonio Baños eine Tugend
und fordert Junts pel Sí bei der an die
Massenveranstaltung anschließenden Pressekonferenz mit
sehr ernster Miene auf, „sich zu bewegen“ und einen
neuen Kandidaten vorzuschlagen – ein Vorschlag, der
nicht neu ist. Ein neuer Kandidat, da die
Pro-Mas-Option bei der Abstimmung ja nicht die
Mehrheit erreicht habe - was auch nicht ganz unrichtig
ist.
Eine Vielzahl von
unterschiedlichsten, aus der radikalen Vergangenheit
der letzten Jahrzehnte hervorgegangenen parteiinternen
Gruppierungen hatten bereits vor und während der
Abstimmung in der Sporthalle von Sabadell eine Reihe
von (einander zum Teil scharf widersprechenden)
Statements und Grundsatztexten verbreitet, Zeichen für
eine radikale interne Diversität, und es soll
nicht verschwiegen werden, daß es auf der Konferenz zu
einer offenen, harten, emotionalen Konfrontation
zwischen einem „independència“ rufenden Block und einem
lauthals „anticapitalistes“ rufenden gekommen ist –
womit ja die zwei Grundtendenzen bezeichnet sind, die
ohne Zweifel in der Zukunft noch weiter
auseinanderdriften werden.
Die katalysatorische
Funktion der radikal linken CUP hat für ganz Katalonien
Bedeutung, und eine Radikalisierung der politischen
Kräfte Kataloniens hat für ganz Spanien Bedeutung, und
damit werden die Gegenkräfte, die sich überall gegen
den mörderischen EU-Imperialismus richten, ein wenig
gestärkt. Die CUP befindet sich in einer radikalen
Koexistenz mit derjenigen - nicht-sezessionistischen! -
Bewegung, genannt En Comú-Podem, die in
Katalonien bei den Parlamentswahlen einen überragenden
Wahlerfolg erzielt hat und die durch die genuine
Politikerin, Feministin, Antikapitalistin und soziale
Aktivistin Ada Colau repräsentiert wird, die
jetzige Bürgermeisterin von Barcelona. Weite Bereiche
der Basis von En Comú-Podem haben aber auch eine enge
emotionale Bindung zur CUP, zumindest eine sehr hohe
Akzeptanz erwiesen. Mit seinen zwei lebendigen
Radikalismen ist Katalonien das Herz Spaniens.
Editorische Hinweise
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