Betrieb & Gewerkschaft
Autozulieferer Mahle
Muster-Kapitalist will raus aus dem Ländle

von Frederik Haber

01/2016

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Siebenhundert Beschäftigte aus der Mahle-Fabrik in Öhringen protestierten Anfang Oktober vor der Konzernzentrale in Stuttgart. Das Management hatte zuvor angekündigt, den Bereich Industriefiltration zu verkaufen. Davon wären das Werk in Hamburg und die Hälfte der Beschäftigte im Werk in Öhringen betroffen. Die andere Hälfte produziert dort für die Autoindustrie, ihre Zukunft ist genauso ungewiss.

Zuvor schon wurde seitens der Bosse das Aus für zwei kleine Standorte in Schwäbisch Hall verkündet, das Schicksal der Werke in Kornwestheim und Pforzheim ist bereits besiegelt. Weitere Standorte dürften demnächst auf die Abschussliste kommen.

Währenddessen verhandeln der Gesamtbetriebsrat und die IG Metall seit über einem Jahr über eine Standortsicherung, die durch die Forderung der Bosse nach 15 Prozent Lohnsenkung ihre besondere Würze erhielt. Die zusätzlichen Angriffe führten bereits zweimal zum Abbruch der Verhandlungen. Deren Wiederaufnahme aber macht klar, dass Gewerkschaft und Betriebsräte die zusätzlichen Zumutungen hinnehmen wollen. Es ist zu befürchten, dass die Ankündigung des Stuttgarter IG Metallchefs Meinhard auf der Protestkundgebung „Keiner verlässt den Konzern bis 2020 gegen seinen Willen“ ebenso aufgegeben wird wie sein gleich lautendes Versprechen an die Belegschaft von Behr in Stuttgart-Feuerbach vor fünf Jahren.

Expansion

Mit der Übernahme des Kühlerherstellers Behr war Mahle zum viertgrößten deutschen Zulieferer aufgestiegen, mit der Übernahme des slowenischen Unternehmens Letrika und der Kühlersparte von Delphi wurde die Weltmarktposition weiter ausgebaut. Im letzten Jahr erreichte der Konzern rund 10 Milliarden Euro Umsatz und einen Gewinn von fast 300 Millionen. An über 170 Standorten in über 30 Ländern arbeiten über 66.000 Menschen.

Auch die Standorte in Schwäbisch Hall sollen laut ihren Betriebsräten Gewinn machen. Sie verstehen die Welt nicht mehr. Warum werden Werke geschlossen, warum sollen Beschäftigte unter Tarif arbeiten, wenn es der Firma so prima geht? Dies beklagen nicht nur die BetriebsrätInnen, auch die meisten Beschäftigten haben tief verinnerlicht, dass es ihnen gut geht, wenn es der Firma gut geht. Diese Behauptung haben die KapitalistInnen und ihre IdeologInnen immer gepredigt, seit einiger Zeit predigen Gewerkschaften das Gleiche.

Jetzt demonstrieren die Kapitalisten, dass ihre Worte hohl sind. Nicht nur bei Mahle. So stößt Bosch unter anderem seine Starterproduktion ab - ein Produkt mit hoher Tradition und nicht in den roten Zahlen. Die Autokonzerne haben im letzten Jahr milliardenschwere Einsparprogramme auf Kosten der Belegschaft gefahren - trotz Gewinnen in Milliardenhöhe.

Weltmarkt und Krise

Dass Gewinne Arbeitsplätze sichern - und Firmen vorm Untergang bewahren - gilt einigermaßen für Zeiten der Ausweitung des Marktes. Diese Zeiten sind vorbei.
Ausdehnung ist für die Auto-Industrie derzeit nicht gegeben. Im letzten Jahr stieg die Weltproduktion von PKW gerade mal um 0,5%, die von LKW liegt trotz leichter Steigerung noch immer deutlich hinter den Zahlen von 2011.

Aber es geht nicht nur um Märkte für einzelne Produkte. Herrschaft des Finanzkapitals - der Fusion von Industrie- und Bankkapital - bedeutet auch, dass Anlagekapital sofort in die Branchen strömt, in denen die Profitrate höher liegt als im Durchschnitt. Das heißt im Umkehrschluss, dass Kapital, das nicht die durchschnittliche Profitrate erreicht, unter enormen Druck gerät, egal in welcher Branche es angelegt wurde.

So wie in der Epoche des Imperialismus die Großmächte um eine Neuaufteilung der Welt kämpfen, so kämpfen auch die verschiedenen Kapitalien ständig um eine Neuaufteilung der Märkte. Mahle, ein Konzern, der da vorne mit dran ist und jährlich ein bis zwei andere Kapitalisten vernichtet, operiert also in keinem Naturschutzgebiet. Ja, je mehr die Firma Mahle in den Weltmarkt vorgestoßen ist, desto rauer weht ihr auch der Wind entgegen.

Widerstand ist nötig!

Insofern ist die Handlungsweise der Mahle-Bosse wie die ihrer Konkurrenten durchaus logisch. Im Sinne kapitalistischer Logik.

Sie ist deshalb noch lange nicht berechtigt. Sie bedeutet Zerstörung, Arbeitslosigkeit, Verelendung von Regionen und Vernichtung von Werten, die in Fabriken und Anlagen stecken, von Qualifikation und Lebensstandard für die Entlassenen.

Sie hat auch keine Zukunft. Die Stilllegungen in Deutschland, vor allem in Baden-Württemberg, dem Stammland des Mahle-Konzerns, sind mit Verlagerung der Produktion verbunden. Motorenteile gehen nach Polen, Filter nach Rumänien, Kühler nach Tschechien - oder gleich China und Indien. Die Konkurrenten gehen den gleichen Weg, die Profite steigen nicht. Da sind dann immer noch die Großkapitalisten in Form der Autokonzerne davor, die immer stark genug sind, ihre Profitanteile an der Herstellung eines Autos auf Kosten der Zulieferer zu erhöhen.

Ein Aspekt der Krise des kapitalistischen Systems besteht darin, dass die Masse an Profit weniger steigt als die Summe aller Kapitalien. Dies heizt die Konkurrenz zusätzlich an. Aber es macht auch klar, dass dies - verbunden auch mit einer noch stärkeren Rationalisierung - die Situation nicht ändert.
Wenn also Konzernchefs behaupten, dass sie mit ihren Maßnahmen die Zukunft des Unternehmens sichern würden, so liegen sie falsch. Sie verschärfen direkt den Konkurrenzkampf sofort und letztlich beschleunigen sie die Krise des gesamten Systems.

Nächste Opfer für die “Zukunft”

Ganz praktisch können die Belegschaften der anderen Mahle-Werke wie Markgröningen, Rottweil, Lorch und Mühlacker damit rechnen, dass sie als nächstes dran sind und für die „Zukunft des Konzerns“ geopfert werden.

Widerstand ist also nicht nur aus der Sicht der einzelnen Opfer der Mahle-Strategie berechtigt. Das System ist todgeweiht und jeglicher Widerstand gegen die Kapitalisten ist wichtig und richtig. Es hilft nichts, um Aufschub beim Arbeitsplatzabbau zu betteln und dafür Lohn zu opfern. „Zukunftssicherung“ gibt's nur, wenn den Bossen die Macht genommen wird, Existenzen zu vernichten.

In einer Industrie, die so arbeitsteilig ist wie die Autoindustrie, muss letztlich die gesamte Branche verstaatlicht und unter die Kontrolle von Fabrikausschüssen gestellt werden, die die Produktion nach dem Bedarf und den Bedürfnissen der Menschheit steuern. An die Stelle des Marktes muss eine gesellschaftliche, demokratische Planung treten.

Editorischer Hinweis
Wir erhielten den Bericht von ARBEITERMACHT-INFOMAIL, Nummer 855, 17. Dezember 2015,  www.arbeitermacht.de