Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Mobilisierung gegen Homosexuellen-Ehe
Erfolg für die Demonstration der Gegner. Und jetzt?

01-2013

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Über eine halbe Million Menschen demonstrierten am Sonntag, den 13. Januar 13 in Paris gegen den Plan der sozialdemokratischen Regierung, die Homosexuellen-Ehe zu erlauben. Vordergründig versuchten die Gegner des Vorhabens sich dabei jedoch modern, aufgeschlossen und keinesfalls homophob zu geben. So jedenfalls das Auftreten, um das sie sich vor den Kameras bemühten. Rechte unterschiedlicher Schattierungen waren, neben den Angehörigen verschiedener Religionsgemeinschaften, vor allem aber der katholischen, ebenfalls aktiv dabei.

Ihr Vorhaben, eine Stärkedemonstration durchzuführen, dürften die Gegner des französischen Gesetzesvorhabens unter dem Titel „Ehe für Alle“ erreicht haben. Über eine halbe Million Menschen dürften an diesem Sonntag, den 13. Januar 13 an ihrer sternmarschförmigen Demonstration in Paris teilgenommen haben. Diese verlief auf drei (bzw. dreieinhalb) Hauptrouten parallel, bevor die Züge sich vereinigten. Und, als ironischer Bezug auf den Gesetzentwurf zur „Ehe für alle“, war sie auf den Titel „Die Demo für Alle“ (La manif‘ pour tous) getauft worden.

Es handelte sich um eine ,nationale’ (d.h. frankreichweite) Demonstration, zu der Teilnehmer/innen aus ganz Frankreich angereist waren. Allein 90 Sonderzüge vom Typ TGV (Hochgeschwindigkeitszüge) und 800 bis 900 Busse waren angemietet worden. Und tatsächlich traf man Demonstranten aus der Auvergne, aus der Picardie, aus der Normandie, aus der Vendée... Parteiabzeichen oder offene Symbole politischer Zugehörigkeit waren so gut wie gar nicht zu sehen, stattdessen dominierten Kennzeichen regionaler Zugehörigkeit oder schlichte Erkennungsmerkmale (wie das sichtbar getragene Schild „Caen, Bus 8“), neben den immergleichen Slogans „Nein zur Homosexuellen-Ehe“.

Wie bei größeren Protestzügen in Frankreich üblich, sind auch hier die Zahlenangaben zwischen den Veranstalter/inne/n – sie sprechen von 800.000 Teilnehmern – und den Polizeizahlen (340.000) umstritten. Oft liegt die Wahrheit rechnerisch ungefähr in der Mitte. - Nach eigenen Beobachtungen des Verfassers dürfte die Grenze der 500.000 in jedem Fall überschritten worden sein. Auf der Demonstrations-Route von der Porte Dauphine zum Stadtzentrum etwa kam die Spitze gegen 13.30 Uhr auf der Höhe des Trocadéro-Platzes an. Das Ende der Demonstration zog kurz vor 18 Uhr am selben Ort vorbei. Und dies war nur einer von drei (respektive dreieinhalb) Zügen, die gleichzeitig stattfanden.

Allerdings blieb die Mobilisierung hinter jener vom 23. Juni 1984, bei welcher Rechte unterschiedlicher Schattierungen gegen eine Einschränkung der Vorrechte der katholischen Privatschulen (unter der damaligen Linksregierung) demonstrierten, zurück. Damals protestierten laut Polizeizahlen mindestens 850.000, laut Veranstaltern zwei Millionen Menschen. Allerdings gingen ihr seit März 1984 mehrere andere Demonstrationen, auf regionaler Ebene, voraus. Darauf berufen sich nun manche Kritiker/innen der Mobilisierung, um zum Schluss zu kommen, man dürfe dieselbe auch wieder nicht überschätzen; vgl. http://www.ufal.info/

Nunmehr stellt sich die Frage: „Und was jetzt?“ (Vgl. http://actu.orange.fr ) Tatsächlich steht nun, nach der – seit Wochen angekündigten – Demonstration, die Parlamentsdebatte zum Gesetzentwurf zur „Ehe für Alle“ auf dem Programm. Die Regierung und der Elysée-Palast haben unterdessen bereits angekündigt, zwar sei die Mobilisierung stark ausgefallen, aber inhaltlich gedenke man nicht nachzugeben. (Vgl. http://actu.orange.fr/france )

Worum geht es ?

Entgegen dem diesbezüglich vielleicht irreführenden Titel „Ehe für Alle“ geht es bei dem Gesetzentwurf keinesfalls darin, alle Menschen in die Ehe zu zwingen. Vielmehr soll es eine vollständige Rechtsgleichheit zwischen hetero- und homosexuellen Paaren ermöglichen. Den Gegnern geht es deswegen auch nicht darum, einer drohenden Existenz mit Schwiegermutter zu entfliehen. (Auch wenn ein Demonstrant mittleren Alters es witzig fand, seine Gegnerschaft zur Homo-Ehe mit dem Slogan „Nein zu zwei Schwiegermüttern“ – ansonsten konkret ein Nonsens-Spruch – auszudrücken). Vielmehr stören sie sich an der geplanten rechtlichen Gleichstellung zwischen Homo- und Heterosexuellen.

Manche tun dies aus schlicht homophoben Gründen (nach dem insgeheim vertretenen Motto: „Das sind doch Perverse“). Andere aus eher religiösen Motiven – „ein Sakrament wie das der Ehe darf nicht angetastet werden“ -, und wieder andere führen eher bevölkerungspolitische Motive an: „Frankreich benötigt mehr Kinder.“

,Institut Civitas’ marginalisiert

Bei den rechtsextremen Splittergruppen, die am 18. November 12 in Paris eine aufgrund von Gewalttaten am Rande viel beachtete Demonstration gegen die Homosexuellen-Ehe durchgeführt hatten, las man etwa auf Transparenten schlecht: „Frankreich braucht Kinder, nicht Homos.“ Dieselben Gruppen, wie das ultrarechte katholisch-fundamentalistische „Institut Civitas“ – der Veranstalter vom 18. November 12 – waren zwar auch an diesem Sonntag, den 13. Januar d.J. dabei. Das „Institut Civitas“ war allerdings auf eine räumlich getrennte, vierte und kleinere Demo-Route (deswegen die Formulierung „dreieinhalb“) abgedrängt worden. Dort demonstrierten diese Franco-Anhänger zusammen mit rechtsextremen Kleingruppen wie der für ihre Gewalttätigkeit berüchtigten, von Studenten geleiteten Schlägergruppe GUD (Groupe Union-Défense) oder den neonazistischen ’Jeunesses Nationalistes’ (JN).

Im November 2012 waren ukrainische Feministinnen der Protestgruppe ,Femen‘, die damals am Rande der „Civitas“-Route eine ihrer Oben-Ohne-Protestaktionen durchgeführt hatten, zum Teil erheblich verletzt worden. Das Gros der Demonstrationen und Demonstranten vom Sonntag wollte nicht mit solchen Exzessen in Verbindung gebracht werden. Auf der Spezial-Route von „Institut Civitas“, GUD und Co. liefen deswegen letztendlich nur rund 2.000 Menschen mit. Am 18. November letzten Jahres hatten bei der „Civitas“-Demo noch rund 9.000 Personen teilgenommen, die dieses Mal mutmaßlich zum Großteil woanders eingereiht waren.

Anders steht es um „etablierte“ rechtsextreme Kräfte wie vor allem den Front National (FN). Diese Partei beteiligte sich nicht am Extra-Demozug des ,Institut Civitas‘, sondern mischte sich unter einen der drei größeren Demozüge, völlig unabhängig vom ,Institut Civitas‘. (Letzteres marschierte vom Südosten der französischen Hauptstadt aus – von der Place d’Italie – los, der FN und andere Kräfte dagegen vom Pariser Nordwesten aus.) Aber auch der FN hatte seine erheblichen politischen Probleme im Zusammenhang mit der Demo. Dazu später mehr, vgl. Unten.

Inhalt des Gesetzesvorhabens

Unabhängig von der sexuellen Orientierung sollen die Partner künftig frei zwischen drei Möglichkeiten wählen können: einem Zusammenleben ohne rechtliche Regelung, einer eingetragenen Lebenspartnerschaft ohne Trauschein – dem 1999 eingeführten PACS (Pacte civil de solidarité) – sowie einer Heirat. Ob sie nun gleichen oder verschiedenen Geschlechts seien. Bis jetzt standen homosexuellen Partnern nur die ersten beiden Optionen, nicht jedoch die dritte Möglichkeit offen. Da der PACS jedoch rechtlich als eine Vertragsbeziehung, nicht jedoch als familiäre Bindung gilt, waren fest zusammenlebende gleichgeschlechtliche Partner darum von verschiedenen Rechten ausgeschlossen. So entfaltet er die nicht die Wirkungen im Erbrecht oder – bei Partnern unterschiedlicher Nationalität – im Staatsbürgerschaftsrecht, die verheirateten Paaren offenstehen.

Die geplante Einführung der Homosexuellen-Ehe in Frankreich vollzieht eine Entwicklung nach, die in mehreren EU-Ländern wie Belgien (2003), Spanien und mehreren skandinavischen Staaten bereits seit längerem ihren Abschluss gefunden hat.

Am 29. Januar 13 soll der Gesetzesentwurf dazu nun ins Parlament eingebracht werden, nachdem das französische Kabinett ihn am 07. November 2012 abgesegnet hatte. Aber dagegen regt sich heftiger Widerspruch. Im Parlament, und nun auch auf der Straße.

Vorzug für die Vettern-Ehe

Der laute Einspruch der rechtskatholischen Abgeordneten Christine Boutin blieb dabei ungehört. Die Dame wurde in ganz Frankreich hinlänglich bekannt, seitdem sie 1998 in der französischen Nationalversammlung eine Bibel schwenkte, um gegen die damals diskutierte Einführung der eingetragenen Lebensgemeinschaft unter dem Namen PACS zu protestieren – blieb dabei ungehört. Die frühere Präsidentschaftskandidatin und Wohnungsbauministerin unter Nicolas Sarkozy erklärte am 24. Dezember 2012 in einem Fernsehsender, das Problem stelle sich doch gar, denn die Homosexuellen könnten ja bereits heute längst alle heiraten. „Nur nicht untereinander“ (vgl. http://www.huffingtonpost.fr/ und http://www.lemonde.fr/ ), fügte sie treuherzig-schlitzohrig hinzu.

Christine Boutins Ehemodell dürfte dabei allerdings in weiten gesellschaftlichen Kreisen nur eine sehr begrenzte Attraktivität entfalten. Denn einerseits ist die Dame seit Urzeiten mit ihrem leiblichen Cousin verehelicht – der arme Vetter!, könnte man freilich dazu denken. Zum Anderen aber führt sie in oben erwähntem Interview auch wörtlich aus: „Bei der Ehe geht es um die Hoffnung auf eine Geburt. Die Ehe hat mit Liebe überhaupt nichts zu tun.“

Unverkrampft auftreten!

Zwar lief Christine Boutin an diesem Sonntag, den 13. Januuar bei einem der drei Demonstrationszüge, die gleichzeitig losliefen, als Prominente in vorderster Reihe mit. (Vgl. http://www.lemonde.fr/) Dennoch bemühten die Veranstalter sich, auf der großen Bühne, die in 100 Meter Entfernung vom Eifelturm aufgebaut worden war, andere Töne anzuschlagen.

Die mehrheitlich jungen Redner bemühten sich so immer wieder zu betonen, ihr Protest sei „unpolitisch und unkonfessionell“. So stand es auch dick im offiziellen Aufruf. Dem widersprachen zumindest die Fakten, dass mehrere politische Parteien mit ihren Mandatsträgern mehr oder minder sichtbar in den drei Zügen vertreten waren - vor allem die stärkste Oppositionspartei, die konservativ-wirtschaftsliberale UMP, sowie der rechtsextreme Front National. Und dass einige Demonstranten Priesterkleidung oder Nonnenkluft trugen, sowie 25 französische Bischöfe zur Teilnahme aufgerufen oder „ermutigt“ hatten.

Allerdings fällt die Ablehnung des Gesetzentwurfs der Regierung insofern zwar nicht un-, aber doch zumindest „überkonfessionell“ aus, dass alle organisierten Religionsgemeinschaften mit Ausnahme der Buddhisten sich dagegen aussprachen. Auch die Geistlichen im Judentum und im Islam lehnten die Homosexuellen-Ehe also ab. Jedoch waren keine an äußeren Merkmalen erkennbare jüdische oder moslemische Menschen in den Demonstrationen sichtbar, ihre Gruppen zogen offenkundig eher das Fernbleiben vor. (Allerdings nahmen – vor allem im hinteren Teil des Demozugs, aber nicht nur – eine Reihe von afrikanischen Menschen, dem Vernehmen nach eher evangelikale oder adventistische Christen und Christinnen, teil. Auch einige Menschen mit asiatischen Gesichtszügen waren anzutreffen, über deren ideologische Hintergründe ich keine Aussage zu treffen vermag.)

Homophob? Wir doch nicht

Auch als homophob wollen jedenfalls die offiziellen Veranstalter nicht gelten. Vielmehr betonten sie, sie seien „gegen die Homosexuellen-Ehe, gegen die Adoption durch Homosexuelle, und vor allem gegen Homophobie“, so einer der Moderatoren auf der Bühne. Formal riefen zu der Demonstrationen weder politische Parteien noch Kirchen auf, sondern rund 40 Initiativen – von denen viele Briefkastenfirmen sind -, vor allem aber ein Kollektiv, das die Moderatorinnen und Moderatoren auf der Bühne stellte. Seine wichtigste Figur ist die, bei vielen Zeitgenossen als leicht verrückt geltende, katholische Komikerin „Frigide Barjot“. Ihr Künstlername, er bedeutet so viel wie „Verklemmt Bescheuert“, soll den Namen von Brigitte Bardot persiflieren. Die 50jährige, die zwanghaft als witzig gelten möchte, ist auch die Erfinderin des vermeintlich genialen Slogans, mit dem sie bei der ersten Demonstration am 17. November letzten Jahres die Ablehnung des Eheschlusses zwischen zwei Männern begründete: „Weil es in den Hoden keine Eierstöcke gibt!“ (Im Originalton: ,Il n’y a pas d’ovules dans les testictules.’) Indirekt besagt dies natürlich auch, dass ein Eheschluss zwingend zum Kinderkriegen da sein muss. Prompt prangte der Slogan, wohl weil er so peppig wirkt, am gestrigen Sonntag auf zahlreichen mitgeführten Schildern. Ebenso wie die andere, scheinbar freche Parole: „Wir wollen Sex, nicht Gender!“ Zumindest sollte das Tragen solcher Parolen durch eine Reihe von Teilnehmern wohl den sonst zu starken Miefgeruch oder – wahlweise – Weihrauchdunst ein wenig übertönen.

Rosa und Blau (statt Rosa & Karl)

Im Zentrum der Furcht von Veranstalterinnen und Teilnehmern schien aber klar zu stehen, dass die sauber definierten und klar voneinander getrennten Geschlechterrollen durcheinander geraten könnten. Daher der Seitenhieb auf die Gendertheorie. Und deswegen auch die Auswahl der Farben, in die die gesamte Demonstration getaucht war: Diese präsentierte sich als ein Meer auf Rosa und Blau. Ganz raffiniert, blaue Farbe für kleine Jungs, rosafarbene Kleidung für Mädchen. Hinzu kam dann noch Weiß. Denn da die Demonstration sternmarschförmig auf drei Routen verlief, die am Scheitelpunkt – auf dem „Marsfeld“, dem früheren Exerzierplatz, der heute zwischen Invalidendom und Eifelturm liegt – zusammentrafen, wurde an jedem der drei Abmarschpunkte eine Unmenge von Fahnen verteilt. Am einen Startpunkt waren es blaue, am zweiten rosafarbenen, am dritten weiße. Bei der Ankunft sollte dies dann ein Bild ähnlich der französischen Nationalflagge ergeben. Deren Farben sind allerdings blau-weiß-rot, aber rosa ist ja vom letzteren Farbton nicht gar so weit entfernt.

Auf der Bühne wechselten sich die Redner ab, von denen viele es anscheinend nicht gewohnt waren, vor Publikum zu reden – die Parteiredner waren in den Demonstrationszügen vertreten, ergriffen jedoch nicht offiziell das Wort auf der Bühne. Zwischendurch traten immer wieder Künstler an: Jongleure, Tänzerinnen und Tänzer, Sänger. Als Ersten aber wurde das Wort drei Personen erteilt, die sich selbst als „Homosexuelle“ bezeichneten, jedoch nach eigenem Bekunden das Gesetzesvorhaben ablehnen. Zuerst kam „Jean-Pierre, 50“ dran. Er outete sich als Schwulen, der in einem PACS mit einem Mann zusammenlebe. Aber er mache sich Sorgen über die Kinder, die künftig von verheirateten homosexuellen Paaren adoptiert werden könnten. Dies zählt tatsächlich zu den Hauptkritikpunkten oder Angriffsflächen für die Gegner – und wirklich wird man beispielsweise darauf achten müssen, das künftig adoptierte Kinder, die in gleichgeschlechtlichen Haushalten aufwachsen, nicht der Gefahr sozialer Ausgrenzung etwa in der Schule unterliegen. In jedem Falle entscheiden über Adoptionsbeschlüsse Kommissionen, die das Kindeswohl im Auge haben und die konkrete Situation in einem Haushalt beobachten müssen.

Nach diesem ersten Redner kam ein 32jähriger dran, der jedoch entweder eine Komödie vorspielte oder so durcheinander war, dass er einiges Grundsätzliche durcheinander brachte. Denn der offizielle Diskurs der sich „moderat“ gebenden Gegner des Gesetzentwurfs lautet, man respektieren alle Liebesbeziehungen, auch das Recht von Homosexuellen auf Zusammenleben. Nur sei die Ehe eben eine andere Sache, weil es hier neben der Liebe – die es genauso auch bei gleichgeschlechtlichen Paaren geben könne – eben auch um Fortpflanzung und den Aufwuchs von Kindern gehe. Prompt redete der 32jährige sich jedoch in das Gegenteil hinein: „Die Ehe ist nicht nur eine Sache von Fortpflanzung und Kindern, nein nein. Es geht auch um Paarbeziehung und um Liebe. Und während der erste Punkt kein Problem wäre, wird es beim zweiten Punkt kritisch. Denn ohne Unterschiedlichkeit“ – gemeint war die Geschlechterdifferenz – „kann es auch keine wahre Liebe geben. Denn diese Liebe muss sich in einer Person verkörpern. Und das geht nicht ohne Differenz.“

Diese Ausführungen waren zwar ganz im Sinne vieler Demonstranten, die Schilder mitführen, mit denen sie ein Recht auf „den Respekt von Differenz“ forderten und Geschlechterdifferenz meinten. Nur gingen sie im Sinne der Einwände, die bis dahin offiziell gegen die Homosexuellen-Ehe formuliert waren, voll daneben. Zumal man nicht mehr verstehen konnte, wie der Redner nach seinen grundsätzlichen Ausführungen noch schwul sein konnte, nachdem er dies theoretisch als Ding der Unmöglichkeit dargestellt hatte. Ähnlich wirr war nach ihm auch der nächste und dritte Redner. Er sprach davon, dass die Vorstellung der Regierung, gleichgeschlechtlichen Paaren einen gesetzlichen Status wie den geplanten zu geben, „der Lebensrealität“ widerspreche. Denn diese verlange, erraten, nach „Differenz“. Allerdings war nicht mehr verständlich, wie diese mehrfach betonte „réalité“ sich mit der zur Schau getragenen Homosexualität des Redners vertrug.

Für öffentliche Aufmerksamkeit sorgte dann noch der Mitveranstalter Xavier Bongibault. Der Student tritt ebenfalls als Homosexueller, der absolut gegen die Schwulen-Ehe sei, auf. Und verglich vor laufenden Kameras wiederholt François Hollande mit – Adolf Hitler. Denn dadurch, dass Hollande glaube, alle Homosexuellen müssten für das Rechte gleichgeschlechtlicher Paare auf Heiraten eintreten, reduziere er sie auf ihre Homosexualität. Dies aber sei, irgendwie, dasselbe wie Hitler. Im Laufe des Sonntag entschuldigte der junge Mann sich dann für den Vergleich, schob ihn jedoch auf seinen berechtigten „Zorn“. (Vgl. http://www.lemonde.fr/)

Widersprüche auf der Rechten

Unterdessen marschierten in den Demonstrationszügen auch die organisierten politischen Verbände auf. Zu den politischen Hauptgewinnern dürfte dabei die stärkste Oppositionspartei UMP gehören, die massiv mit Abgeordneten und anderen Mandatsträgern präsent war.

Größere Schwierigkeiten im Vorfeld hatte dagegen die extreme Rechte in Gestalt des Front National (FN). Ursprünglich hätte man vielleicht erwarten können, dass das Thema eher ein gefundenes Fressen für ihn darstellt - ist man doch auf der extremen Rechten leicht dazu geneigt, gegen alle abweichenden Lebensentwürfe zu Felde zu ziehen oder andere Menschen gleich als „Perverse“ einzustufen. Doch die 44jährige Parteichefin Marine Le Pen zögerte erkennbar, zu einer Teilnahme aufzurufen. Einerseits wollte sie die Bemühungen um „Modernisierung“ und „Entdämonisierung“ im Erscheinungsbild ihrer Partei, die sich auch verstärkt um weibliche Wählerinnen und jüngere Generationen bemühen soll, nicht ruinieren. Zu dieser Strategie gehört auch eine neue Offenheit für berufstätige oder nicht ganz den traditionellen Rollenbildern entsprechende Frauen – Marine Le Pen selbst ist zweifach geschieden -, aber auch eine zumindest verbale Toleranz etwa gegenüber Homosexuellen.

Diese lässt sich freilich einer Strategie unterordnen, die versucht, alle Kräfte gegen einen Hauptfeind zu bündeln. Da als Hauptfeind seit dem Antritt Marine Le Pens an der Parteispitze klar die „islamische“ Einwanderung bestimmt wird (in der Vergangenheit konkurrierte dieses Feindbild in der Partei stark mit antisemitischen Ideologien, deren Einfluss die neue Chefin jedoch zurückdrängen versucht), ist es Teil der Strategie, sich gegen „den rückschrittlichen Islam“ bisweilen auch auf Frauen- oder Schwulenrechte zu berufen. In den letzten Jahren hatten es zuerst Pim Fortuyn und dann Geert Wilders in den Niederlanden den europäischen Rechten vorgemacht. Seit dem Wechsel an der Parteispitze, von Jean-Marie Le Pen zu Marine Le Pen im Januar 2011, versucht nun auch die französische extreme Rechte in diese Richtung zu gehen.

Zum Anderen wollte Marine Le Pen aber auch vermeiden, den Eindruck zu erwecken, sie laufe Initiativen des großen Konkurrenten UMP hinterher, mit dem der FN sichtbar um gemeinsame potenzielle Wähler ringt. UMP-Parteichef Jean-François Copé rief seit mehreren Wochen zu den Demonstrationen auf. Derzeit ist er allerdings der unpopulärste Politiker in ganz Frankreich; er löst in Umfragen stärkere Antipathiebekundungen hervor als Marine Le Pen, deren Namen normalerweise erheblich polarisiert. (Vgl. http://www.lemonde.fr/) Und Copés aufgrund höchst wahrscheinlicher Manipulationen sehr umstrittene Wahl in den Parteivorsitz vom 18. November 2012 muss nun – nach einer jüngst getroffenen Vereinbarung mit seinem Rivalen François Fillon – im September 2013 wiederholt werden. (Vgl. http://www.lexpress.fr/ )

Zurück zum Front National: Dort war die eher zögerliche Position Marine Le Pens allerdings zunehmend umstritten; vgl. http://www.lemonde.fr/politique/. Unterdessen sah die rechtsextreme Wochenzeitung Minute bereits den FN, zu ihrem Bedauern, unter dem angeblichen Einfluss einer „Homosexuellen-Lobby“ (die mit Marine Le Pen in die Partei eingedrungen sei) stehen. Vgl. http://www.rue89.com/

Letztendlich verhalf die rechtsextreme Partei sich mit einem Formelkompromiss: „Diejenigen Mitglieder, Funktionsträger und Wähler, die protestieren wollen“, waren zur Teilnahme an der Demonstration eingeladen. Parteichefin Marine Le Pen selbst erschien jedoch bei ihr nicht. Im Vorfeld erklärte sie mittels Pressekommuniqué vom 04. Januar 13, zwar gegen die Homosexuellen-Ehe zu sein, Demonstrationen dagegen jedoch als „Falle“ zu betrachten. Denn es passe zum Kalkül der Regierung, mit solchen Themen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit abzulenken. Stattdessen solle Frankreich nämlich lieber „über die Sparpolitik, den sozialen Kahlschlag, den zerstörerischen Wirtschaftsliberalismus, (...) die Masseneinwanderung, die permanente Unsicherheit, die Massenarbeitslosigkeit und die Abwanderung von Industrien“ diskutieren. Also über die so genannten harten Themen.

Vom FN nahmen hingegen Marine Le Pens Vizepräsident (und zugleich ihr Lebensgefährte), Louis Aliot, sowie die beiden Abgeordneten der Partei im französischen Parlament – der Anwalt Gilbert Collard und die junge Jurastudentin Marion-Maréchal Le Pen – teil. Altvater und Parteigründer Jean-Marie Le Pen war persönlich verhindert, ließ aber über die Medien erklären, auch er nehme „geistig“ teil. Eine Delegation des Front National traf um 12.30 Uhr an der Porte Maillot, im äußersten Nordwesten von Paris, ein. (Vgl. http://www.lemonde.fr/)Von dort aus lief sie vor Demobeginn um 13 Uhr zur einige Hundert Meter weiter südlich gelegenen Porte Dauphine, wo der offizielle Auftaktort für einen der drei größeren Demozüge des Sternmarschs lag. Im weiteren Verlauf des Nachmittags waren die FN-Vertreter allerdings nicht mehr erkennbar; entweder gingen sie in der Masse unter, oder sie hatten sich im Laufe der Stunden dann doch zurückgezogen. Auch der außerparlementarische Aktivistentrupp des Bloc identitaire, der in den Tagen zuvor ebenfalls zur Demoteilnahme aufrief, hatte sich am selben Ort wie der FN – an der Porte Dauphine – verabredet.

Alles in allem hat der FN sich mit seinen Verrenkungen im Vorfeld, die durch die bürgerlichen Medien natürlich relativ gern ausgeweidet wurden, vielleicht um einen politischen Vorteil gebracht. Die Früchte der Mobilisierungen dürfte augenblicklich wohl viel eher die konservative Rechte einfahren.

Auch die Pro-Seite geht auf die Straße

Am Sonntag, den 27. Januar 13 wollen nun dagegen die Befürworterinnen und Befürworter der „Ehe für Alle“ demonstrieren. Zum ersten Mal in der bisherigen Auseinandersetzung waren sie in Paris und anderen Städten am 16. Dezember letzten Jahres auf die Straße gegangen. In der französischen Hauptstadt waren sie damals rund 60.000.

Und die Öffentlichkeit?

Die französische Öffentlichkeit ist gespalten, laut jüngsten Umfragen waren je zwischen 54 und 60 Prozent der Befragten für das Prinzip der „Ehe für Alle“; vgl. http://www.lefigaro.fr/sowie http://www.lefigaro.fr/flash-actu/ - Über zwei Drittel (69 % ) sind jedoch laut Umfrageergebnissen vom 03. Januar 13 auch für eine Volksabstimmung zum Thema; vgl. http://www.lefigaro.fr/

Allerdings sind besonders die konservativ- bis reaktionär- katholischen Milieus zu dem Thema so mobilisiert wie zu kaum einem anderen, geht es doch in ihren Augen darum, ein „Sakrament“ anzutasten. Die Auseinandersetzung dürfte sich also vorläufig nicht beruhigen. Die politische Rechte aller Couleur wird den Konflikt als Steilvorlage nutzen, um in der Opposition neue Energien zu finden.

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe. Siehe dazu auch den Artikel  Wie man ,soziale Bewegung’ von Rechts initiiert in dieser Ausgabe.