Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Steuerpolitik 1: Depp wie Depardieu
Aufgebläht in jedem Sinne: Gérard Besoffsky-Raffky - Frankreichs prominentester Steuerflüchtling zwischen Putin und RasPutin.

01-2013

trend
onlinezeitung

Geh doch nach drüben! Am besten für immer! (Aber der Zaster bleibt hier…) – Ein Weinfass namens Gérard Depardieu macht Weltpolitik. Und befeuert eine fiskalpolitische Polemik in Frankreich. Dank Depardieu gleitet die Fiskaldebatte auf Fäkalniveau herab

Geld macht nicht unbedingt sexy, und erst recht nicht klug, aber verleiht doch Anziehungskraft. An der Intelligenz von Gérard Depardieu jedenfalls kann es kaum liegen, dass sich Lokalfürsten für ihn zum Affen machen machen, Präsidenten um ihn reißen und Künstlerkollegen sich seinetwegen zanken. Und ein neoliberal-neokonservatives Propagandaorgan wie ,Die Achse des Guten’ für ihn einsetzt (vgl. http://www.achgut.com/dadgdx/).

Marguerite Duras, die Depardieu 1972, seine erste Rolle als Schauspieler verschaffte, erklärte ihn – folgt man ihrer Biographin Laure Adler – zum hundertprozentigen Analphabeten. Depardieu selbst redete später wiederholt etwas von einer schweren Kindheit, und sprach notorisch dem Alkohol zu. Sein kindliches Gemüt half ihm jedoch in mancher Filmrolle.

(Der frühe Tod seines Sohnes hat Depardieu möglicherweise zusätzlich entgleisen lassen, wofür er wiederum nichts kann. In jüngerer Zeit ließ er sich mehrere Delikte der Trunkenheit am Steuer zuschulden kommen. Am 08. Januar 13 hätte er deswegen in Paris vor Gericht antanzen sollen; er zog es jedoch vor, der französischen Hauptstadt fernzubleiben und in Montenegro zu verweilen, vgl. http://actu.orange.fr)

Parvenü & Primitivling, Schauspieler & Suffkopp

Aber Geld vermag er zusammenzuhalten. Eine Zeitlang verdiente er es wie Heu. Unter anderem auch deswegen, weil der französische Staat im Namen der exception culturelle, einer Kulturpolitik der Abgrenzung von Hollywood und Bollywood, ebendieses Heu in rauen Mengen in Filme „aus französischer Produktion“ stopfen ließ. Bei Großproduktionen wie Asterix kam Monsieur Gérard gut weg.

Doch Depardieu, der laut eigenen, unüberprüfbaren Angaben „in den letzten 45 Jahren 145 Millionen Euro Steuern bezahlt“ hat – aber nicht verrät, wie viel er dabei verdient hat – zeigt sich neuerlich von seiner undenkbaren Seite. Da wollte der französische Staat doch glatt auf Jahreseinkünfte oberhalb von einer Million Euro einen Spitzensteuersatz von 75 Prozent auf die oberste Tranche legen. Das durfte nicht sein.

Ende Dezember 12 hat das französische Verfassungsgericht den Spitzensteuersatz zwar wegen nicht genügend progressiven, sondern zu abrupten Anstiegs (von 45 % auf 75 % beim Übergang von 999.999 zu einer Million Jahreseinkünften) für verfassungswidrig erklärt, und die vom Regierungslager angekündigte Überarbeitung gibt im Augenblick eher zu Chaos als zu klaren Plänen Anlass. (Vgl. dazu Artikel Steuerpolitik 2)

Depardieu selbst beschwerte sich darüber, er habe im vergangenen Jahr „85 % meiner Einkünfte an Steuern zahlen“ zu müssen. Diese Rechnung geht aber nur auf, wenn er allein seine Honorare zählt, und nicht auch den Wert seiner Immobilien und die Einkünfte aus ihnen.

Schon beleidigt

Doch Depardieu war schon beleidigt. Denn sein im Dezember 12 ruchbar gewordenes Ansinnen, sich in dem belgischen Nest Néchin – unmittelbar hinter der Grenze zu Frankreich – anzusiedeln, war von Premierminister Jean-Marc Ayrault als „armselig “ bezeichnet worden. Auch wenn Ayraults Vorgesetzter, der notorisch konsensliebende François Hollande, den lieben Frieden noch zu retten suchte und am 01. Januar 13 gleich persönlich mit Depardieu telefonierte (was tut der Mann sich nicht alles an?), um den Streit herunterzukochen – das Kind war in den Brunnen gefallen.

Der Schauspieler hatte von dem fiskalpolitischen Dumping, das sich viele EU-Staaten untereinander liefern, um Schwervermögende anzuziehen, profitieren wollen. Belgien wirbt offen um französische Steuerflüchtlinge (http://www.lemonde.fr), wie auch die britischen Kanalinseln, die Schweiz oder Québec. Der Bürgermeister des belgischen Kaffs ließ sich Anfang Januar 13 deswegen sogar in seinen Amtsräumen im Asterixkostüm filmen (vgl. http://actu.orange.fr), im Warten auf den Obelix-Darsteller Depardieu. Nach dem Motto: Wer würde sich nicht für einen Haufen Geld - auch wenn der Steuersatz in Belgien niedriger ausfällt als im Nachbarland - freiwillig lächerlich machen? (Allein für diese Rolle, als Obelix, hatte Depardieu dem Vernehmen nach drei Millionen Euro eingenommen. Ein lustiger Film zwar, aber er erforderte nicht eben eine intellektuelle oder kulturelle Meisterleistung...)
 

Als Reaktion auf Ayrault hatte der Schauspieler im Dezember 12 eilig angekündigt, er brauche seinen französischen Pass gar nicht mehr und gebe seine Nationalität dem Premier gerne zurück (vgl. http://actu.orange.fr/ und http://www.lemonde.fr/economie. Auch der französische Multimilliardär Bernard Arnault hatte Anfang September 12 seinen Staatsbürgerschaftswechsel, von Frankreich nach Belgien, aus steuerlichen Gründen angekündigt (vgl. nebenstehenden Artikel). Prompt hatte in Brüssel eine Demonstration gegen den Raffzahn und gegen andere Steuerflüchtlinge stattgefunden, vgl. http://www.lemonde.fr/

Doch erlaubt das Gesetz zwar unter einfachen Bedingungen den Wechsel des Wohnsitzes nach Belgien – nicht jedoch ebenso leicht jenen der Staatsbürgerschaft, wie Depardieu intendierte. Um Letztere zu erwerben, muss man in Belgien laut Gesetz mindestens drei Jahre dauerhaft im Land gelebt haben, in Frankreich sind es fünf. Es wurde also eng für Depardieu.

"200 Liter Wein erfolgreich nach Russland exportiert“

Rettung versprach sein Freund Wladimir Putin. Mit ihm hatte er in der Vergangenheit ebenso sympathisiert wie mit François Mitterrand, Nicolas Sarkozy oder dem slowakischen Rechtspopulisten Wladimir Meciar (den er für, laut einigen Quellen, „nur“ 50.000 Euro mit einem Auftritt unterstützte). Am 18. Dezember 12 kündigte Putin an, da Depardieu einen Pass benötige, habe er ihm auf die Schnelle einen russischen verliehen. Das war glatt geflunkert, aber vergangene Woche wurde es schnell nachgeholt: Ein Präsidentendekret vom 03. Januar 13 verlieh Depardieu par ordre du mufti die Staatsbürgerschaft Russlands. Laut Artikel 89 der Verfassung der Russischen Föderation entscheidet der Präsident direkt (allein & selbstherrlich) über die Verleihung von Staatsbürgerschaft oder politischem Asyl. In der Russischen Föderation werden Großverdiener mit nur 13 Prozent besteuert. Kritiker glauben, Putin gehe es auch nicht um Einnahmen aus Depardieus Vermögen fürs Staatssäckel, sondern um ein symbolisches Gegensignal zur Abwanderung von bisher drei Millionen frustrierten Russinen und Russen aus dem Land.

Am Wochenende des 05./06. Januar 13 hatte Depardieu nun seinen ersten Auftritt in Russland, und zwar in der Provinz Mordowinien, welche ansonsten für allem für die dort angesiedelten ausgedehnten Arbeitslager und Gefängnisse bekannt ist. Wladimir Putin erwog unterdessen sogar, Depardieu zum Kulturminister zu ernennen (vgl.  http://actu.orange.fr/une/r). Arme russische Kultur! Depardieus Beitrag zu selbiger bestand bislang in einer Rolle als Rasputin – das Original war allerdings dünn und knochig, Depardieu als Darsteller ist eher aufgequollen. Den Film, der am 18. Februar 13 auf ARTE ausgestrahlt wird, hat allerdings bislang in Russland niemand sehen können.

Die Satiresendung des französischen Fernsehsenders Canal +, die berüchtigten Guignols de l’info, kommentierte zur Ausreise des Schauspielers am Montag (den 07. Januar 13): „François Hollande hat es geschafft, 200 Liter nach Wein nach Russland zu exportieren.“ Und meinte damit Depardieus Luxuskörper. Es war vielleicht der bislang beste Beitrag zur Debatte.

Andere Reaktionen

In Frankreich zog der Orts- und Passwechsel Depardieus vielfach Hohn und Spott nach sich, auch wenn Politiker der konservativ-wirtschaftsliberalen Rechten wie bspw. Ex-Innenminister Claude Guéant (vgl. http://www.lefigaro.fr) ihn als ein Opfer des Steuerterrors gegen die armen Reichen in Schutz nahmen. Ein Politiker der liberalen Partei MODEM empfahl François Hollande, im Gegenzug den in Russland inhaftierten Pussy Riots die französische Staatsbürgerschaft zu geben. Die Pariser Grünen ihrerseits wollen selbigen nun die „Ehrenbürgerschaft“ der französischen Hauptstadt verleihen lassen.

Der rechtsextreme Front National – bei dem man mehrheitlich von Putin schwärmt, u.a. wegen seiner Einwanderungspolitik und aufgrund von Fantasien über einen „Eurasien“-Block - hielt sich mit Kritik auffällig zurück. Die Parteispitze (Louis Aliot und Marine Le Pen) merkte jedoch ironisch an, Depardieu wäre finanziell besser gefahren, hätte er die Staatsbürgerschaft von Qatar angenommen. Bei den Künstlern setzte es Kritik von dem für sozialdemokratisches Engagement bekannten Schauspieler Philippe Torreton, dagegen verteidigten gutbezahlte Kollegen wie Catherine Deneuve und Fabrice Luchini den Exilanten. Oder auch der reaktionäre Sänger Enrico Macias, der im selben Atemzug seiner Erwartung Ausdruck verlieh, Nicolas Sarkozy werde „(auf die politische Bühne) zurückkehren und Frankreich retten“. Sic!

In Russland selbst kritisierten vièle Oppositionelle, ob liberale oder Nationalbolschewiken und andere autoritäre Putin-Gegner, den Zuzügling. Der ursprünglich faschistische, heute Putins Autokratie anprangernde Schriftsteller Edward Limonow hieß Depardieu sarkastisch willkommen, um ihn aufzufordern, am 31. des Monats mit zu demonstrieren, wenn – wie an jedem Tag dieses Datums – Oppositionelle gegen das Putin-Regime demonstrieren. Auch demokratische Oppositionelle reagierten ähnlich kritisch. Der Autor Lev Rubinstein lobte Depardieu höhnisch für die Wohltaten, die seine Steuern künftig ermöglichten: „Gehaltserhöhungen für Tschekisten (politische Polizei), Staatsanwälte und Gorillas“. Inzwischen hat Gérard Depardieu seinerseits höhnisch über die russische Opposition hergezogen, um Wladimir Putin in höchsten Tönen zu loben. (Vgl. http://www.liberation.fr/ und http://www.lexpress.fr/ )

Unterdessen möchte eine andere prominente Französin ihrerseits nun Putin um die Verleihung der Staatsbürgerschaft bitten, oder jedenfalls Frankreich mit der Aussicht darauf unter Druck sitzen. Die frühere Schauspielerin und heute leicht verirrte Tierschützerin Brigitte Bardot kündigte solches an, und will in Richtung Russland ausreisen, falls zwei Elefanten aus einem Park in Lyon eingeschläfert werden. Die beiden Elefantenkühe leiden an einer ansteckenden Krankheit, Tuberkulose. Bardot hatte allerdings schon vor fünfzehn Jahren – und seitdem mehrfach – angekündigt, Frankreich zu entfliehen, wegen mangelnden Tierschutzes, zu vieler Einwanderer oder Verlusts der französischen angestammten Identität. Kürzlich behauptete die arme, arme Dame in einem Interview: „Seit 60 Jahren leide ich in Frankreich.“ Schluchz. (Vgl. bspw. http://www.lefigaro.fr)

Dazu ein Vorschlag zur Güte. Vielleicht könnte mensch ja einen akzeptablen Kompromiss finden – und die Elefantenkühe am Leben lassen, die Bardot aber trotzdem loswerden?

 

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.