TREND EXTRA: Bernard Schmid berichtet von den Klassenkämpfen in Tunesien

Teil 3: Generalstreik vorläufig abgesagt  Verfasst am 14.12.2012

01-2013

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Generalstreik abgesagt - Stattdessen hatte der stärkste Gewerkschaftsdachverband, die UGTT, am Vortag in zähen Verhandlungen mit der Regierung eine Vereinbarung getroffen. Dazu eine aktuelle kurze Einschätzung.

Und erstes kam es anders, und zweitens als man zu Anfang der Woche noch dachte. Damals noch hatte sich für diesen Donnerstag, den 13. Dezember 2012 ein 24stündiger Generalstreik – auf Aufruf der UGTT hin – in Tunesien angekündigt. Die UGTT ist der mit Abstand stärkste gewerkschaftliche Dachverband in Tunesien, auch wenn seit 2011 mittlerweile zwei weitere konkurrierende Dachorganisationen, CGTT und UTT, hinzugekommen sind. Diese sind jedoch bislang nicht zu annähernd vergleichbarer Bedeutung gelangt.

Im Laufe des Dienstag Abend (11. Dezember 12) verdichteten sich die Informationen und Gerüchte darüber, dass Verhandlungen zwischen UGTT und Regierungslager stattfänden, um den Generalstreik abzusagen. Im Laufe des Mittwoch, den 10. Dezember 12 hielt den ganzen Tag über eine unsichere Nachrichtenlage dazu an: Die Kommissionen der UGTT tagten und tagten, um über ihren Beschluss zu diskutieren. Letztendlich erfolgte tatsächlich die Absage des auf gestern terminierten, eintägigen Generalstreiks.

Dabei handelt es sich auf manifeste Weise nicht um einen ,Durchmarsch’ des rechteren Flügels, welcher in der Vergangenheit tendenziell mit dem Ben ’Ali-Regime kooperierte, während linkere Kräfte innerhalb der UGTT die ganze Zeit hindurch gegen die damalige Diktatur mehr oder minder offen opponierten. So einfach liegen die Dinge nicht. Als einer der ersten forderte Adnan Hajji, Funktionär der UGTT in Redeyef im Bezirk Gafsa (Phosphat-Bergbaubecken) und damit in einem der rebellischsten Kreisverbände – von Januar bis Juli 2008 fand dort eine Massenrevolte statt, bei der die UGTT eine wichtige Rolle spielte – am Dienstag, den 11. Dezember 12 eine Absage oder Verschiebung des Generalstreiks. (Vgl. http://www.tuniscope.com/  oder http://www.youtube.com )

In seinen Augen stand das Kräfteverhältnis nicht günstig. Inzwischen hat auch Hamma Hammami – Literaturprofessor und prominenter politischer Häftling unter Ben ’Ali, Anführer der Partei der Werktätigen (PT, früher PCOT = ,Kommunistische Arbeiterpartei Tunesiens’) und einer der Sprecher des linken bis linksradikalen Bündnisses Front populaire (FP, ungefähr , Volksfront) – den Beschluss der UGTT zur Absage des befristeten Generalstreiks unterstützt.

Es war also keine Links-Rechts-Entscheidung.

Vielmehr geht der Beschluss auf eine Einschätzung des Kräfteverhältnisses zurück, welcher zufolge die UGTT drohte, die sich verschlechternde Wirtschaftslage im ganzen Land in die Schuhe geschoben zu bekommen. Just gestern wurde bekannt, dass die Ratingagentur ,Fitch’ die Ländernote Tunesiens erneut herabstuft (wie mehrfach seit dem Sturz Ben ’Alis im Januar 2011 geschehen), zudem liegt der Tourismus nach wie vor ziemlich lahm. Die der Regierungspartei En-Nahdha nahe stehenden „Ligen zum Schutze der Revolution“ machen just damit Kampagne, der UGTT einerseits Korruption und die Beherbergung früherer Ben ’Ali-Anhänger in ihren Reihen zu unterstellen, andererseits aber auch eine Mitschuld an der desolaten Situation zuzuschanzen.

Am Mittwoch Nachmittag, den 10.12.12 schlossen Regierung und UGTT ein (sehr allgemein formuliertes) Abkommen in acht Punkten, dessen wichtigste Eckpunkte lauten, dass:

  • eine „gemeinsame Untersuchungskommission“ für die Ereignisse am 04. Dezember (d.h. den durch die „Ligen für den Schutz der Revolution“ vor dem Sitz der UGTT veranstalteten Anlauf, und die dort dann stattfindende Schlägerei) eingesetzt wird,
  • eine Strafverfolgung von Schlägern und gewalttätig gewordenen Personen in diesem Zusammenhang angekündigt wird,
    sowie die Regierung „die zentrale Rolle der UGTT als wichtigen Partner im Prozess der Entwicklung und des sozialen Friedens“ (Rhabarber Sülz) anerkennt. VgL. dazu http://www.jawharafm.net/

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Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.