Imperialismus: Alter Wein in neuen Schläuchen
Frank Deppe, David Salomon, Ingar Solty: Imperialismus

rezensiert von  Christin Bernhold

01-2013

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Der nach dem Ende des Kalten Krieges prognostizierte Weltfrieden ist nie eingetreten – stattdessen leben wir heute in einer Welt neuer Kriege. Die NATO führt seit über einem Jahrzehnt Krieg in Afghanistan, 2011 hat sie zwecks Regime Change Libyen in Schutt und Asche gelegt, im selben Jahr wurde der Südsudan mit Hilfe westlicher Staaten abgespalten. In Syrien arbeiten die NATO-Mächte mittels Sanktionen, verdeckter Interventionen und finanzieller, logistischer sowie militärischer Unterstützung von Assad-Gegnern an einem Sturz der Regierung. Schließlich ist das Kriegsgeschrei gegen den Iran kaum mehr zu überhören.

Das durch diese Politik produzierte Leid und Elend schreit nach einer Auseinandersetzung mit ihren Gründen, um sie zu beseitigen. Parallel zu den neuen Waffengängen der westlich-kapitalistischen Staaten versiegten jedoch stattdessen Debatten über Imperialismus und Geopolitik im letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts zunehmend oder wurden als Relikte des „Zeitalters des Imperialismus“ mit Lenin und Luxemburg ins Theorie-Museum verfrachtet. Doch dort sind sie fehl am Platze. Es ist daher zu goutieren, dass die Autoren des Basiswissen-Bandes „Imperialismus“, Frank Deppe, David Salomon und Ingar Solty, einen Einstieg in diese Diskussion ermöglichen und zugleich für selbstverständlich erklären, dass der Begriff Imperialismus für die Linke nicht nur nach wie vor brauchbar, sondern substanziell ist. Imperialistische Politik, von den Autoren definiert als „offene oder latente Gewaltpolitik zur externen Absicherung eines internen Regimes“ (S. 40) (die kapitalistische Logik der Kapitalakkumulation vorausgesetzt), ist wandelbar. Sie ist kein Schnee von gestern, sondern wird tagtäglich nicht nur militärisch, sondern auch politisch und ökonomisch durchgesetzt. Ihr Spektrum reicht von direkter Kontrolle externer Territorien durch offene Gewalt und Krieg bis zur Durchsetzung machtpolitischer, geostrategischer und/oder wirtschaftlicher Interessen etwa durch Sanktionen, Strukturanpassungsmaßnahmen, Handelsabkommen oder Zölle.

Die Analysen Lenins und Luxemburgs, so Deppe, Salomon und Solty in Kapitel 2, haben ihre Relevanz nicht gänzlich verloren, waren aber auch nicht fehlerfrei. Zweifelsohne kann und sollte man mit der heutigen Weltlage vor Augen Debatten über mögliche Veränderungen des Imperialismus nicht scheuen. Die knappen zwei Seiten zur Begründung, weshalb die „marxistischen Imperialismus-Analysen des frühen 20. Jahrhunderts“ (S. 39) heute für die Autoren nicht mehr der Bezugspunkt ihrer Analyse sind, werden Lenin, Luxemburg und anderen jedoch leider nicht gerecht.

Der „Zusammenhang zwischen der inneren und äußeren Bewegung der Widersprüche der Kapitalakkumulation“ konfiguriert sich nach den Autoren in jeder historischen Periode des Kapitalismus neu. Oder anders formuliert: Der Widerspruch zwischen kapitalistischer und territorialer Machtlogik (David Harvey) reproduziert sich in der Geschichte des Kapitalismus in immer neuen Konstellationen und lässt sich in seiner genauen Form nur historisch-konkret bestimmen.

Die Politologen Frank Deppe, David Salomon und Ingar Solty schlagen daher eine Analyse des Imperialismus in verschiedenen Perioden vor: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verursachte die ökonomische und geopolitische Konkurrenz zwischen den Industrienationen zwei Weltkriege, gefolgt von einer Periode des „Supermachtimperialismus“ während des Kalten Krieges zwischen den USA und der Sowjetunion. Seit dessen Ende sind sowohl das Zusammenspiel aus politischer und ökonomischer Macht als auch die Art und Weise, wie territoriale Herrschaft ausgeübt wird, komplexer geworden. Eine multipolare Weltordnung ist entstanden. Der einstige Hegemon USA wird durch den ökonomischen Aufstieg von Regionalmächten (vor allem Chinas, in Lateinamerika aber auch Brasiliens) herausgefordert. Auch politisch wird den Vereinigten Staaten zunehmend die Stirn geboten.

Die Textteile zur „globale[n] Durchsetzung des Neoliberalismus und seine Krise“ (Kapitel 4), zum US-Imperialismus und seinen Widersprüchen (Kapitel 5) und zum „Euroimperialismus“ (Kapitel 6) sind interessant geschrieben und enthalten zahlreiche wichtige Informationen für die aktuelle Debatte. In Kapitel 7 wird die Frage aufgegriffen, ob es einen „guten Imperialismus“ gibt. Sich mit dieser Frage zu befassen (und sie klar mit nein zu beantworten) ist aus linker Perspektive wichtig, nicht zuletzt weil PolitikwissenschaftlerInnen wie zum Beispiel Herfried Münkler „Imperien“ eine positive Rolle zuschreiben. Gründe für imperialistische Kriege wurden indes zeit ihrer Existenz zu Haufe kolportiert. Die Strategien zur Legitimation von Kriegen haben sich aber heute dem neokonservativen Zeitgeist angepasst – die „guten Imperialisten“ kämpfen nun vorgeblich gegen den „islamistischen Terror“ und für Freiheit, Zivilisation und Menschenrechte (S. 103ff).

Der von Deppe, Salomon und Solty vorgelegte Band aus der Reihe „Basiswissen“ des Papyrossa-Verlags regt insgesamt dazu an, sich an der Imperialismus-Debatte zu beteiligen. Zugleich bietet er vor allem für Einsteiger einen hilfreichen Überblick sowohl über die Geschichte als auch über aktuelle Entwicklungen des Imperialismus und seiner Analyse. Einen Ersatz dafür, sich mit „Klassikern“ wie Lenin, Bucharin oder Luxemburg zu beschäftigen, kann (und will) das Buch allerdings nicht sein.

Die Thesen der Autoren können als Plädoyer gelesen werden, die Kritik des Imperialismus nicht preiszugeben, wie zahlreiche Ex-Linke es getan haben, die heute die Existenz des Imperialismus negieren oder gar zu VerfechterInnen von Kriegen, Sanktionen und anderen Mitteln der Geopolitik gehören. Man dürfe nicht von einer allgemeinen Begriffsklärung absehen, sondern müsse die Kritik des Imperialismus aus einer Analyse der aktuellen globalen politisch-ökonomischen Konstellation herleiten.

Eine klare Schwäche hat das Buch im letzten Kapitel „Antiimperialismus gestern und heute“: Die Autoren parallelisieren hier verschiedene Varianten „mehr oder weniger antiimperialistischer Programmatiken“ (S. 115). Ohne notwendige Differenzierungen vorzunehmen, nennen sie den vermeintlichen Antiimperialismus des konservativen Staatsrechtlers Carl Schmitt oder das Projekt der Taliban in einem Atemzug mit dem bürgerlich-liberalen und dem sozialistischen Antiimperialismus. Es führt politisch in die völlig falsche Richtung, sozialistischen Antiimperialismus ohne weiteres als einen Punkt unter den genannten (falschen) Antiimperialismen – und Carl Schmitt neben den Taliban aufzureihen. Zudem sei die Frage erlaubt: An wen richten sich die Autoren hier? Linke, die marxistische Kritik an imperialistischer Politik im Kern teilen und zur Grundlage ihres Handelns machen, müssen nicht extra davon abgehalten werden, sich mit Herrschaftsprojekten zum Beispiel der Taliban zu solidarisieren.

Die abschließenden Handlungsaufforderungen von Deppe, Salomon und Solty sind jedoch ohne Frage zu unterstützen: Wir brauchen eine Friedensbewegung, die sich dem heutigen Imperialismus in seinen verschiedenen Formen, Ausbeutung und Krieg sowie der Entdemokratisierung und der Militarisierung der Gesellschaft entschieden entgegenstellt und erkennt, dass sie ohne einen „kapitalismuskritischen Kern (…) hilflos oder beliebig“ (S. 127) wird.

Frank Deppe / David Salomon / Ingar Solty
Imperialismus

PapyRossa Köln
Pocketformat, 134 Seiten
EUR 9,90 [D] / EUR 10,20 [A] / SFR 14,90
ISBN 978-3-89438-439-5
 

Editorische Hinweise

Die Rezension erschien am 4.12.2012 bei http://www.kritisch-lesen.de

Nähere Infos zur Rezensentin gibt es dort unter:
http://www.kritisch-lesen.de/autor_in/christin-bernhold