Nichts gewonnen, nichts verloren

von Michael Prütz

01-2013

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In diesem Jahr, 2012, wurde eines sehr deutlich: ein wesentliches Element  der europäischen Politik drehte sich auf den vielen Gipfeltreffen und Konferenzen hauptsächlich um die Frage, wie die Krisenlasten, die durch  die vermeintliche Schuldenkrise entstanden sind, auf die Lohnabhängigen in den Süd- und Südosteuropäischen Ländern abgewälzt werden können. Dies bedeutet, die Fragestellung bewegte und bewegt sich um das Problem, wie die  Profitsicherung der internationalen Banken und Konzerne aufrecht erhalten  werden kann. Alle anderen politischen Fragen, mit denen wir in Zeitungen und Fernsehen so oft unterhalten werden, sind in den Hintergrund getreten und spielen keine wesentliche Rolle. Auf den EU-Gipfeltreffen wurde unter Vorherrschaft der deutschen Regierung immer wieder die Reformbemühungen Griechenlands, Spaniens, Portugals, aber auch anderer europäischer Länder, eingefordert. Diese gewollten Reformen beinhalten im Kern die Absenkung der Löhne und Gehälter, die Absenkung der Renten und die Privatisierung öffentlichen Eigentums. Im Falle Griechenlands und teilweise auch Spaniens und Portugals führte dies zu einer massiven  Verelendung, nicht nur der ohnehin schon prekären Schichten, sondern weiter Teile der lohnabhängigen Mittelklasse. So sanken die Löhne, und ebenso die Renten, in Griechenland seit 2008 durchschnittlich um 50 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit der 18 bis 25-Jährigen in Griechenland und Spanien beträgt deutlich über 50 Prozent. Diese massive Verarmungspolitik hat natürlich in einer Reihe von Ländern großen Widerstand hervorgerufen. So kam es in Griechenland, Spanien, Portugal und einer Reihe kleinerer Länder zu Generalstreiks, die sich gegen die von der jeweiligen Regierung verordneten Politik richteten. Der Höhepunkt dieser Generalstreikswelle war ein internationaler Aktionstag am 14. November, an dem circa 12-14 Millionen Menschen teilnahmen. Dies war in der Tat die größte Mobilisierung gegen die herrschende Politik seit über 40 Jahren.

Das Ergebnis allerdings ist ernüchternd. In keinem der betroffenen Länder  konnten die Sparmaßnahmen gestoppt oder gar umgekehrt werden. Dies zeigt, wie eng der Spielraum für Zugeständnisse der herrschenden Klasse geworden  ist. Die gleiche Mobilisierung vor 40 Jahren hätte nicht nur eventuelle  Sparmaßnahmen gestoppt, sondern auch zu weitergehenden Zugeständnissen der jeweiligen Regierungen geführt. Wenn sich also so viele Menschen mobilisieren lassen und trotzdem kein Ergebnis erzielt wird, stellt sich  die Frage, woran das liegt. Insgesamt werden diese Mobilisierungen von den jeweiligen Gewerkschaftsführungen in den betroffenen Ländern sowohl initiiert als auch reglementiert. Daraus lässt sich schließen, dass sich  die Gewerkschaftsführungen als Korrekturinstitutionen an der herrschenden Politik verstehen, und nicht so sehr als Organe der Mobilisierung zum Sturz der jeweiligen Regierung. Da aber, wie oben gesagt, der Spielraum für die jeweilige Regierung sehr klein ist, werden diese Mobilisierungen einfach ausgesessen. Nun ist die Vorstellung, dass Gewerkschaftsführungen zum  Sturz von Regierungen aufrufen, einigermaßen absurd, da ja eben diese  Gewerkschaftsführungen zutiefst ins bürgerliche System integriert sind. Zum Sturz von Regierungen wäre eine breite Selbstorganisation von unten  und ein akzeptiertes alternatives Programm von Nöten. Diese Selbstorganisation von unten ist bisher aber nur in Ansätzen sichtbar, vor allem in Griechenland. Linksreformistische und linksradikale Kräfte  verfügen nicht über die Autorität, die ein solches notwendiges alternatives Programm massenwirksam werden lassen könnte. Dies zeigt sich vor allem in Spanien und in Portugal.

Der Sonderfall Griechenland

In Griechenland stellen sich die Dinge etwas anders dar: hier wachsen  sowohl Formen der Selbstorganisation von unten, und eine linksreformistische Partei, Syriza, erlebt einen kometenhaften Aufstieg.  Bei den Juniwahlen in Griechenland wurde Syriza zur zweitstärksten Partei. Die aktuellen Wahlumfragen prophezeihen, dass bei eventuellen Neuwahlen Syriza zur stärksten Kraft in Griechenland werden würde. Was ist das  Besondere an Syriza? Syriza ist keine revolutionäre Partei, sondern will Maßnahmen gegen die Sparpolitik im Rahmen der kapitalistischen Ordnung durchsetzen. Nun haben aber die Vorschläge von Syriza, nämlich eine  Neuverhandlung der Schulden und die Stoppung der Schuldenzahlungen, eine solche innere Dynamik, dass sie bei Umsetzung zu einer schweren Krise des europäischen Kapitals und seiner Regierungen führen würde. Oder anders  gesagt, es würde zu einer Implosion der gesamten Politik der Europäischen  Union führen. Damit hätte die Errichtung einer – wie auch immer gestalteten – Linksregierung in Griechenland eine Signalwirkung für  die Kämpfe in anderen Ländern. Daher guckt heute der politisch bewusste Teil der europäischen Linken auf Syriza und schöpft Mut aus den Möglichkeiten, die sich dort anbahnen. Die revolutionär  antikapitalistischen Kräfte in Griechenland, die eine gewisse Rolle in den Gewerkschaften und den Bürgerbewegungen spielen, täten gut daran, bei  voller politischer und organisatorischer Unabhängigkeit, die eventuelle Regierungsübernahme von Syriza zu unterstützen.

Die radikale Linke in Europa

Die radikale Linke in Europa in ihren verschiedenen Organisationen zählt  viele tausend Menschen und spielt in verschiedenen sozialen Bewegungen eine große Rolle. Als Faktor auf der allgemeinpolitischen Ebene ist sie jedoch relativ konturlos und wird deswegen auch bei Wahlen nicht als Alternative  auf Massenebene wahrgenommen. Es ist bedauerlich, dass diese Kräfte es in den letzten zwei bis drei Jahren – in der größten Krise des  Kapitalismus seit 1945 – nicht geschafft haben, sich europaweit zu  koordinieren und sich auf einige Punkte zu verständigen, die in den Massenbewegungen tragfähig wären. Hier besteht dringender  Handlungsbedarf. So müssen wir feststellen, dass die Massenbewegungen in den verschiedenen Ländern weiterhin im Aufschwung sind, aber die bürgerlichen Regierungen nach wie vor in der Lage sind, ihre Politik gegen  ebendiese Massenbewegungen durchzusetzen. So gesehen existiert Ende 2012 also eine Pattsituation zwischen den jeweiligen Klassenkräften.

Ein Wort zu Deutschland

Wie schon an anderer Stelle oft beschrieben, ist die Situation in  Deutschland anders als in vielen europäischen Ländern. Obwohl auch hier  Prekarität und Armut zunehmen, ist es der Regierung Merkel gelungen, einen  relativen sozialen Frieden aufrecht zu erhalten. Ihr ist es schon deswegen gelungen, weil sie die circa 30 Millionen Lohnabhängigen, die nicht prekär sind, in Ruhe gelassen hat. Im Jahr 2012 ist es aber in einigen  Randschichten der Lohnabhängigen, insbesondere der der prekär Beschäftigten, zu einer Reihe von Streiks, hauptsächlich um Lohnfragen, gekommen, die auch teilweise zu Erfolgen führten. Gesamtgesellschaftliche  Bedeutung haben diese Auseinandersetzungen allerdings nicht erreicht. Ein Teil der radikalen Linken hat versucht, den vermeintlichen sozialen Frieden, z.B. durch die Blockupy-Aktionen im Mai, zu durchbrechen. Die  Absicht dahinter ist verdienstvoll, trotzdem erreichen diese Aktionen in Deutschland nur die seit 2008 üblichen 50-60.000 Menschen. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass die bei Blockupy geäußerte  Kapitalismuskritik schon ein politisches Bewusstsein voraussetzt, was weit über die unmittelbare Betroffenheit hinausweist. Aus meiner Sicht wäre es wichtig, dass die radikale Linke auch dort ansetzt, wo Auseinandersetzungen  und Kämpfe entstehen können. Zum Beispiel ist heute die Lohnfrage von entscheidender Bedeutung. Jegliche Lohnerhöhungen, die durchgesetzt werden konnten, werden von Inflation, Mietsteigerungen und der Verteuerung der  Energiekosten aufgefressen. Zwar sind Lohnfragen natürlich auch Tariffragen und damit Fragen der Gewerkschaften, aber der radikalen Linken würde es gut tun, die Frage von deutlichen Lohnsteigerungen in den  gesellschaftlichen Fokus zu rücken. Zu überlegen wäre es, ob wir nicht eine Kampagne starten sollten, in der wir dafür eintreten, für alle  Lohnabhängigen und Hartz4-Empfänger ein Euro pro Stunde mehr als einen  passenden Ausgleich für die oben beschrieben Teuerungen durchzusetzen. Darüber die Diskussion zu führen halte ich für notwendig und auch für
möglich.

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe. Michael Prütz ist Mitglied der BASG und der Sozialistischen Initiative Berlin, auf deren Blog sein Artikel diskutiert werden kann.