Kapitalistischer Stadtumbau & Stadtteilkämpfe
Mieterstreik in New York

von
Robert Friedman

01-2013

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Coop City ist kein durchschnittliches Wohnprojekt. Was das World Trade Center in New York für Bürohochhäuser bedeutet, ist Coop City für Trabantenstädte. Coop City ist überdimensional groß. Es liegt in der nordöstlichen Bronx, einem Stadtteil von New York, und besteht aus 35 Wohnsilos, jeder durchschnittlich 30 Stockwerke hoch. Die Betonwüste erstreckt sich über eine Fläche von fast 1,5 Quadratkilometern. Coop City umfaßt drei Einkaufszentren, die die 60.000 Menschen von Coop City versorgen, die dort in 15.382 Mietwohnungen leben. Coop City ist eine Stadt für sich. Welche Probleme mit derartigen Trabantenstädten in den USA bestehen - hier werden sie in aller Schärfe deutlich.

Als das Projekt entwickelt wurde, erschien es äußerst vielversprechend. Es sollte ein Zufluchtsort für Tausende von Weißen - viele von ihnen Juden und viele Veteranen der Gewerkschaftsbewegung - werden, die nur über niedrige oder mittlere Einkommen verfügten und in verfallenden Teilen der Bronx zu leben gezwungen waren. Die Mieten in Coop City waren mit 23 Dollar monatlich für ein Zimmer unglaublich niedrig angesetzt. Subventioniert wurde das Projekt durch den Staat New York. Bauträger war die United Housing Federation (UHF). Entscheidend war jedoch, daß Coop City in das Eigentum der Bewohner übergehen und von diesen auch selbstverwaltet werden sollte. In dieser Situation öffentlicher Reformbereitschaft gratulierte der bekannte New Yorker Architekt Robert Moses, der das Projekt als erster entworfen hatte, an einem Frühlingsmorgen des Jahres 1966 anläßlich der Feier zur Grundsteinlegung des Projektes dem Gouverneur des Staates New York, Nelson Rockefeller, der eine Staatshypothek von 250 Mio. Dollar durchgesetzt hatte, um damit den Bau zu finanzieren. Dieser wiederum gratulierte Jacob Potofsky, dem Vorsitzenden der Amalgamated Clothing Workers Union, und einem Direktor der UHF. Jeder war zufrieden.

Das war lange bevor die ersten Menschen von East Tremont und dem Grand Concourse nach Coop City zogen und das Projekt von hohen Kostensteigerungen und schweren Schulden belastet war. Das war lange bevor die Mieten zu steigen begannen.

Eine von Bewohnern von Coop City angestrengte und gegenwärtig vor dem Obersten Bundesgerichtshof des Staates New York anhängige Klage beschuldigt die UHF, finanzielle Abmachungen mit einem ganzen Netz von Tochtergesellschaften wie der Riverbay Corp, eingegangen zu sein, um Coop City zu bauen, zu verwalten und zu versichern. Mit Hilfe dieser Vereinbarungen sollen Hunderttausende von Dollar in die Taschen von Geschäftsfreunden geflossen sein. Die Kosten dieses Betrugs aber wurden den Mietern von Coop City auferlegt. Als sich die finanzielle Verschuldung von Coop City zunehmend vergrößerte, wandte sich die Riverbay Corp, erneut an den Staat, um weiteres Geld zu erhalten. Die Verschuldung erreichte schließlich 346 Mio. Dollar. Um den steil ansteigenden Hypothekenbelastungen zu begegnen, wurden die Mieten erhöht. 1974 war die Miete für ein Zimmer bereits von 23 auf 43 Dollar gestiegen. Für viele Bewohner, die von ihrer Rente oder einem fixen Einkommen leben mußten, war dies eine schwer zu tragende Belastung. Im Frühjahr 1975 erhöhte die Riverbay Corp., den Bankrott vor Augen, die Miete für ein Zimmer sogar auf 53 Dollar. Dieses Mal weigerten sich die Mieter, die niemals zuvor hinsichtlich der Mieterhöhungspolitik befragt worden waren, obwohl ihnen zugesichert worden war, daß Coop City gemeinsam verwaltetet werden sollte, die Mieterhöhung zu zahlen.

Im Juni 1975 begann der größte Mietstreik in der amerikanischen Geschichte. In den Eingangshallen der 35 Wohnsilos wurden Tische aufgestellt und die Mieter aufgefordert, ihre Mietschecks in grünen Plastikmüllsäcken zu hinterlegen. Zur Überraschung des Mieterkomitees, das diesen Streik organisierte, nahmen mehr als 80 % aller Familien in Coop City bereits im ersten Monat an diesem Protest teil.

Nathalia Lange, eine ehemalige Aktivistin der United Electrical Workers Union und eine Streikführerin in Coop City, sagte: „Was immer man sonst über Coop City denken mag, es war ein guter Ort, um Menschen zu organisieren. Jeder mußte zweimal täglich durch die Eingangshallen. Der Streik stellte in dieser Gemeinde erstmals ein Gefühl von Gemeinsamkeit her. Es gab ein Bewußtsein von Solidarität. Die Menschen hatten etwas zu tun. Ihr Leben bekam plötzlich einen Sinn. Der Streik machte die Alten wieder jung." Der Streik dauerte dreizehn Monate bis zum Sommer 1976. In dieser Zeit brachte das Streikkomitee 20 Mio. Dollar an Miete zusammen, die es an geheimen Verstecken außerhalb von Coop City unterbrachte.

Die Direktoren der Riverbay Corp, kündigten und überließen die Verwaltung des Projekts dem Staat. Die Reparaturarbeiter wurden entlassen, Instandsetzungsarbeiten an den Gebäuden unterblieben und die Elektrizitätsgesellschaft Consolidated Edison drohte, die Stromlieferungen einzustellen. Die staatliche Housing Financing Agency versuchte, die Hypothek für verfallen zu erklären, und drohte, notfalls die Zwangsräumung gegen alle Mieter durchzusetzen. Gouverneur Hugh Carey, der den Wahlkampf in Coop City mit dem Versprechen geführt hatte, die Mieten niedrig zu halten, sah sich einer politisch unangenehmen Situation gegenüber. Die Streikführer wurden wegen Nichterscheinens vor Gericht angeklagt. Gegen jeden von ihnen wurden Strafen von 235 000 Dollar verhängt, gegen das Streikkomitee sogar eine Strafe von 3 Mio. Dollar. Dennoch blieb die Solidarität der Streikenden ungebrochen.

Ende Juni 1976 wurde eine Übereinkunft erzielt, die den völligen Stillstand in den Verhandlungen — zumindest vorübergehend — beendete. Das Streikkomitee willigte ein, der Riverbay Corp, die Mietschecks in Höhe von 20 Mio. Dollar auszuhändigen und monatlich Hypothekenzahlungen in Höhe von 2360000 Dollar zu leisten. Als Gegenleistung wurde den Bewohnern die Kontrolle über Coop City für eine Probezeit von sechs Monaten übertragen, um herauszufinden, ob Coop City unter Selbstverwaltung der Mieter effizienter als unter der Kontrolle der Riverbay Corp, zu verwalten ist. Von einem Tag auf den anderen wurden die Mitglieder des Streikkomitees zu neuen Riverbay Corp. Direktoren. Charlie Rosen, der vierunddreißigjährige Führer des Streiks, wurde Vorsitzender des Verwaltungsrates. Seine erste Entscheidung: Beibehaltung der Miete von 43 Dollar für ein Zimmer. Die Autorität, über die Rosen und der neue Verwaltungsrat der Mieter verfügen, wird durch den Staat beschränkt. Jeder neue Vertrag und jede wichtige Entscheidung muß zunächst staatlichen Wohnungsbaubeamten zur Zustimmung vorgelegt werden. Und Gouverneur Carey und nicht die Bewohner von Coop City selbst entscheiden schließlich darüber, ob die vorübergehende Regelung dauerhaft wird. Rosen erklärte: „Wir wissen, daß wir in dieser Zeit nur ausführende Organe der Regierung sind. Sie kommen dabei auf jeden Fall gut davon. Wenn wir beweisen, daß wir in der Lage sind, Coop City zu verwalten, hat der Staat davon einen Vorteil, weil er früher unfähig war, dies selbst zu tun. Wenn wir scheitern, hat der Staat davon ebenfalls einen Vorteil, weil er uns dann als unfähig entlarvt hat. Aber wir sind nicht so dumm, wie sie glauben. Wir haben nichts zu verbergen. Der Staat aber hat hier eine Menge zu verschleiern."

Um einen Plan zur finanziellen Stabilisierung von Coop City zu entwickeln, untersuchten Rosen und sein Verwaltungsrat, was vorher in Coop City getan worden war. Sie trafen sofort auf das erste Hindernis: seit zwei Jahren waren die Finanzen der Riverbay Corp, amtli-cherseits nicht mehr überprüft worden. Mühsam versuchten sie, die Verbindungen zwischen dem Staat, der Riverbay Corp, und Con Edison aufzudecken, um zu verstehen, aus welchem Grunde ein Elektrizitätswerk im Wert von 27,2 Mio. Dollar in Coop City gebaut worden war, das Coop City ausreichend mit Strom und dies zu einem wesentlich niedrigeren Preis als Con Edison versorgen konnte, das dann aber praktisch niemals in Betrieb genommen worden war. Die Inbetriebnahme dieses Elektrizitätswerkes und die Übertragung der Eigentumsrechte an den Staat als Gegenleistung zu einer Senkung der Coop City auferlegten Hypothekenbelastung erschien Rosen als die Lösung, um die Mieten niedrig zu halten.

Die erste Anweisung des neuen Verwaltungsrates bestand jedoch darin, die Reparaturarbeiten in Coop City wieder in Gang zu setzen. Zweifler haben Radikale immer mit der Frage verspottet: Und wer wird den Müll nach der Revolution beseitigen? In Coop City ging es zunächst weniger um Müll als um Waschmaschinen. Das Problem war dennoch das gleiche. Gegen Ende des Streiks, als die Riverbay Corp, kaum noch Instandsetzungsarbeiten durchführte, waren die meisten der eintausend Waschmaschinen in Coop City außer Betrieb. Nach der Beilegung des Streiks trat der Verwaltungsrat sofort in Verhandlungen mit einer Waschmaschinenfirma, um neue Maschinen zu installieren. Trotzdem war nicht jeder damit zufrieden. Auf einer Versammlung des neuen Verwaltungsrates (die im Gegensatz zu den Treffen des alten Verwaltungsrates öffentlich sind und nicht mehr fünfzehn Meilen entfernt im Sitz der Riverbay Corp, in Manhattan stattfinden) wurde beklagt, daß die neuen Maschinen teurer sind, weniger Wäsche waschen und der Waschgang sieben Minuten kürzer ist. „Zum ersten Mal habe ich einen schwarzen Ring um den Kragen gehabt", sagte ein Rentner. Rosen beruhigte den Kritiker mit dem Hinweis, daß die neuen Maschinen bis an den Rand zu füllen seien. Aber nicht alle Konflikte waren so einfach zu lösen. Im September 1976 kam es zur ersten Krise, als die Tarifverhandlungen mit den Reparaturarbeitern scheiterten. Die ehemaligen Führer des Mietstreiks fanden sich plötzlich auf der anderen Seite des Verhandlungstisches wieder und hatten Managementfunktionen zu erfüllen. Rosen bat die Gewerkschaftsvertreter, ihre Lohnforderungen um sechs Monate zurückzustellen, bis die neue Verwaltung von Coop City einen besseren Überblick über die Finanzlage gewonnen hätte. Die Gewerkschaft erklärte, daß es ihr gleichgültig sei, wer im Arbeitgebersessel säße. Sie forderte eine Lohnerhöhung entsprechend dem Anstieg der Lebenshaltungskosten. Rosen antwortete, daß es nicht genügend Geld gebe. Die Gewerkschaft stimmte für Streik. Nach vierundzwanzig Stunden war er beendet. Der Gewerkschaft wurden fast alle Forderungen erfüllt, und in einer Frage — der Wiedereinstellung der unter dem alten Verwaltungsrat entlassenen Arbeiter — erhielt sie sogar mehr, als sie gefordert hatte.

Rosen schien trotz der von ihm anfänglich vertretenen harten Linie mit dem Ausgang der Verhandlungen zufrieden. „So schwer war das gar nicht, auf der anderen Seite des Tisches zu sitzen. Ich war immer der Ansicht, daß die Arbeiter die Lohnerhöhung verdient hatten. Am Ende hatten sie den besten Vertrag, den sie je bekommen haben. Unser Verhältnis zur Gewerkschaft war die ganze Zeit hindurch sehr freundschaftlich."

Der Gewerkschaftssprecher meinte dazu: „Es war schon eine merkwürdige Situation, daß hier Gewerkschaftsbewegung und Mieterbewegung einander gegenüberstanden. Aber Charlie Rosen und seine Leute haben unser Problem verstanden."

Noch unangenehmer als der Streik war ein von der schwarzen Bürgerrechtsorganisation Urban League wenige Wochen später erhobener Vorwurf, daß die Vermietung von Wohnungen unter der neuen Verwaltung rassendiskriminatorischen Praktiken folge und ein Quotensystem in Kraft sei, das den Anteil der schwarzen Bevölkerung auf 30 Prozent beschränke. „Erstmals erfuhr ich von diesen Anschuldigungen aus der New York Times", sagte Rosen. „Ich ging an die Decke. Nichts davon entsprach der Wahrheit."

Wie sich herausstellte, war tatsächlich kein Quotensystem in Kraft. Niemand hatte bei der Urban League eine formelle Klage eingereicht, und die Vorwürfe waren nicht untersucht worden. Aber es hatte verschiedene Diskussionen unter den Mitgliedern des Verwaltungsrates über eine Einführung eines Quotensystems gegeben, und irgend etwas mußte davon an die Öffentlichkeit gekommen sein. Rassenfragen sind in Coop City ein heikles Thema. Niemand scheint genau zu wissen, wie groß der Anteil der schwarzen Bevölkerung dort ist. Schätzungen zufolge beträgt er 20 Prozent. Viele der Weißen, die nach Coop City zogen, flohen aus Nachbarschaften, die schwarz waren oder dies zunehmend wurden. Sie betrachten Coop City häufig als weiße Enklave. Selbst innerhalb von Coop City leben die Schwarzen zum größten Teil getrennt von den Weißen, größtenteils in einem gesonderten Häuserblock (Block Fünf).

Während des Mietstreiks handelten Weiße und Schwarze gemeinsam. Aber die Kontroverse um das Quotensystem hat zu einigen Spannungen geführt. In einem Leserbrief an die Coop City Times, eine der beiden dort wöchentlich erscheinenden Zeitungen, kritisierte der Black Caucus, eine der Organisationen rassischer Minderheiten in Coop City, das Verhalten des Verwaltungsrates mit folgenden Worten: „Die Mehrheit der Schwarzen unterstützte den Mietstreik und dessen Führer. Überhaupt die Frage zu diskutieren, ob angesichts von Hunderten von leerstehenden Wohnungen ein Quotensystem einge. führt werden solle, ist ein Schlag in das Gesicht jeder schwarzen Familie, die hier lebt."

Rosen ist in dieser Frage sehr empfindlich. Er war in der Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre aktiv und ist stolz auf das gemeinsame Vorgehen der Angehörigen der verschiedenen Rassen während des Mietstreiks. „Es ist schwer für mich, mit diesen Vorwürfen zu leben."

Die Probleme, vor denen der Mieterrat von Coop City steht, sind die gleichen, die jeden städtischen Hausbesitzer und jedes derartige Wohnprojekt in den Vereinigten Staaten betreffen. Was einmalig in Coop City ist, ist die Tatsache, daß die Menschen, die hier leben, erstmals ihre Sache in die eigenen Hände nehmen. Die damit verbundene Begeisterung ist ebenso zu spüren wie die damit einhergehende Gefahr der Frustration. Ein Mann im Warteraum der Riverbay Corp, beklagt sich, wie schwer es geworden ist, Rosen zu treffen. Eine Frau über sechzig berichtet, wie sie im Verlauf des Streiks erkannte, daß der wirkliche Feind die Regierung und die lokale politische Struktur ist. Ein Mieter ist auf einer der wöchentlichen Versammlungen des Mieterrates erbost darüber, daß es für ihn so schwer war, eine Wohnung für seine Schwester zu bekommen.

Die Zeit ist ein ebenso großer Gegner dieses Versuchs wie der Staat. Die Zeit ist knapp, um das über Coop City gespannte Netz finanzieller Verfilzungen zu entwirren und eine neue Struktur zu verwirklichen. Die Probleme, vor denen das Projekt steht, reichen weit über die unmittelbaren Grenzen von Coop City hinaus. Dazu zählen eine hohe Schuldenlast gegenüber dem Staat, eine mächtige gegnerische Elektrizitätsgesellschaft, steigende Kosten, gleichgültige Politiker und eine Gesellschaft, die sich kaum um die Alten und noch weniger um rassische Minderheiten kümmert. Andererseits aber ist die Zeit auch auf seilen der Mieter. Gouverneur Carey hat kaum eine andere Wahl, als das Projekt weiterhin finanziell zu stützen oder aber 60 000 Menschen durch Zwangsräumung von dort zu vertreiben, wo sie sich wohlfühlen. Und wenn der Streik etwas gelehrt hat, so die Tatsache, daß sich diese Menschen nicht so einfach vertreiben lassen werden.

Editorische Hinweise

Den Aufsatz scannten wir  aus Margit Mayer, Roland Roth, Vorkhard Brandes (Hrsg): Stdkrise und soziale Bewegungen, Ffm 1978, S. 231-237. Der Artikel wurde erstveröffentlicht unter dem Titel „$ 20 Million in Green Garbage Bags", erschienen in: In These Times, 1. Jg Nr. 15. vom 21.11.1976, S. 12f. Übersetzung: Volkhard Brandes. vgl. auch Vivian Gornick, „The 60.000 Rent Strikers in Coop City", in: Liberation 19. Jg., Nr. 8/9, Spring 1976.

Weitere Informationen zur Entwicklung und zur Struktur dieses Stadteils siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Co-op_City_%28Bronx%29