Italien
Generalangriff auf die Arbeiterklasse

von Martin Suchanek

01/12

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Ende Januar legten Beschäftigte im Taxi-, Transport- und Tankstellengewerbe - allesamt von der Liberalisierung im Zuge des „Programms für mehr Wettbewerb“ - kurzzeitig die Arbeit nieder.

Denn kaum im Amt beginnt die Regierung Monti, flächendeckende Angriffe umzusetzen. Das hatten IWF, EU, der dort führende deutsche Imperialismus wie auch die italienische Bourgeoisie Silvio Berlusconi nicht mehr zugetraut. Deshalb - und nicht wegen seiner offen chauvinistischen, rassistischen und frauenfeindlichen Äußerungen und Politik - musste der korrupte Politikaster gehen.

Das Programm Monti

An seine Stelle tratt die Regierung des „Experten“ und ehemaligen EU-Kommissars Monti, um das „Anti-Krisen-Programm“ des europäischen Finanzkapitals konsequent umzusetzen. Es liest sich wie ein Wunschkatalog der Großbourgeoisie. Es ist das Programm eines historischen Angriffs auf die italienische Arbeiterklasse:

  • Einsparungen in Öffentlichen Dienst von 24 Milliarden im Jahr 2012; Einfrieren der Gehälter bis mindestens 2014, massive Einsparungen bei den Ausgaben für Sozialleistungen, Bildung, Transport;

  • Privatisierung von kommunalen und staatlichen Unternehmen und Leistungen;

  • weitere Liberalisierungen in ganzen Branchen (Banken, Apotheken, Taxi- und Tankstellengewerbe)

  • Erhöhung des Renteneintrittsalters und Absenkung des Rentenniveaus;

  • Mehrwertsteuererhöhung auf 21 Prozent;

  • ein ausgeglichenes Budget wird angestrebt und dieser „Vorsatz“ soll in der Verfassung verankert werden, Angriffe auf das Arbeitsrecht, insbesondere auf die Schutzrechte gegen Kündigungen;

  • Unterstützung des Großkapitals bei Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen und den Rechten der Beschäftigten.

So ergriff Monti in der Presse öffentlich Partei für den FIAT-Konzern-Chef Marchionne, der die Rechte der Gewerkschaften im Unternehmen und v.a. die Position der Metallarbeitergewerkschaft FIOM, der größten und kämpferischsten Gewerkschaft des Landes brechen will.

Monti, Merkel und die EU

Niemand sollte sich daher von Montis „forderndem“ Auftreten gegenüber der EU und v.a. der deutschen Regierung täuschen lassen. Natürlich will Monti als Regierungschef eines imperialistischen Staates und der drittgrößten Volkswirtschaft im Euro-Raum mit „Respekt“ von anderen StaatsführerInnen behandelt werden. Schließlich, so erklärt er Merkel, mache seine Regierung ihre „Hausaufgaben“. Dafür wolle sie auch gute Noten - sprich billigere Kredite und eine Ausweitung des europäischen Rettungsschirms.

Monti ist nicht nur ein technokratischer Handlanger des europäischen Großkapitals, sondern vertritt auch die, wenn auch schwächer gewordene, italienische Großbourgeoisie, den italienischen Imperialismus. Ein ökonomischer Zusammenbruch dieses Landes würde wahrscheinlich den Euro und die EU in den Abgrund ziehen und die deutschen Weltmachtpläne weit zurückwerfen - schließlich ist Italien „systemrelevant“ für die Zukunft eines imperialistischen Europas unter deutscher Führung. Mit diesen Drohszenarien ermahnt er Merkel und Sarkozy, dass er „Juniorpartner“ und nicht bloß „Laufbursche“ sein will.

Doch die daraus resultierenden Unstimmigkeiten zwischen Rom und Berlin, die inneren Gegensätze der herrschenden Klassen verschwinden, sobald des darum geht, was der italienischen Arbeiterklasse, der Jugend, den RentnerInnen, ja selbst großen Teilen der Mittelschichten zuzumuten ist.

Da ist auch Merkel des Lobes für „ihren“ Monti. Und wenn die FAZ zu den „Reformen in Italien“ titelt „Monti braucht mehr Mut“, so kann das sowohl als Kritik wie auch als Anfeuerung des neuen Regierungschefs verstanden werden. Dass die BRD, Frankreich und die EU-Kommission Monti zur Eile drängen, hat einen einfachen Grund: die Opposition in Italien ist schwach, die Bevölkerung politisch unsicher und desorientiert.

Breite parlamentarische Unterstützung

Das EU-Diktat zum Sturz Berlusconis als Regierungschef hatte schließlich auch zu Freude geführt. Große Teile der Arbeiterbewegung, der Gewerkschaften, der sozialen Protestbewegungen waren und sind froh, ihren erzreaktionären Feind endlich los zu sein. Was die parlamentarische Opposition, die Gewerkschaften, die Linke jahrelang versucht hatten und aufgrund ihre politischen Unentschlossenheit nicht zu erreichen vermochten, stellte sich jetzt als „Geschenk der EU“ ein.

Das schlachtet nicht nur Monti aus. Auch die parlamentarische Linke, die „Demokratische Partei“, die aus einer Fusion großer Teile der einstigen PCI und einer Minderheit der ehemaligen Christdemokratie hervorging, rechtfertigt ihre 100prozentige Unterstützung der Expertenregierung Montis damit, dass eine Rückkehr Berlusconis an die Macht mit allen Mitteln verhindert werden müsse. Damit meint sie keinen Kampf, keine Mobilisierung gegen die Rechten, sondern die widerstandslose Hinnahme des Programms von Monti, das allenfalls in den Hinterzimmern des Parlaments etwas „verbessert“ und „ausgewogener“ gestaltet werden dürfe.

Schließlich geht es ihr um die „Rettung des Landes“, also des italienischen Kapitalismus. Dafür hatte sie schon dem Milliarden-Sparprogramm der Regierung Berlusconi im Frühjahr 2011 zugestimmt.

Doch nicht nur die parlamentarische „Linke“ und die Parteien der „demokratischen“ Mitte unterstützen Montis Expertenkabinett. Auch Berlusconis „Popolo della Liberta“ (Volk der Freiheit) stimmte für die Angriffe auf die Arbeiterklasse, die sie selbst nicht so radikal umsetzen konnte, wie von der herrschenden Klasse gefordert. Einzige parlamentarische „Opposition“ ist die rechte, chauvinistische „Lega Nord“ von Bossi, die EU, MigrantInnen und den „faulen Süden“ Italiens für die Krise verantwortlich macht.

Diese fast schon totale Unterstützung einer Regierung, die viel direkter als jede parlamentarische Kombination von der herrschenden Klasse Italiens und der EU bestimmt ist, wird aber nicht ewig andauern, auch wenn z.B. die Demokratische Partei in vorauseilendem Gehorsam angekündigt hat, Monti „so viel Zeit zu geben, wie er braucht“.

Die Rolle der Gewerkschaftsbürokratie

Ebenso wird die Angst der Arbeiterklasse, von GewerkschafterInnen oder der sozialen Bewegungen vor einer Rückkehr der Rechten nicht ewig Widerstand und Mobilisierungen schwächen - auch wenn die Führungen der großen Dachverbände der Gewerkschaften nach wie vor auf Verhandlungen setzen.

Sie stellen das Haupthindernis für die Mobilisierung der italienischen Arbeiterklasse gegen den größten Angriff auf die Klasse seit Jahrzehnten dar.

Unter dem Druck von unten sahen sich die großen Verbände CGIL, CISL und UIL schon im letzten Jahre gezwungen, mehrmals zu Aktionstagen und befristeten Streiks aufzurufen.

Am 15. Oktober 2011 - also noch unter der Regierung Berlusconi - demonstrierten allein in Rom 200-300.000 gegen die Politik der Regierung. Außerdem erlitt Berlusconi auch bei sozialen Abwehrkämpfen gegen die Wasserprivatisierung oder beim Referendum über die Atomkraft empfindliche Niederlagen.

Nach der Bildung der Regierung Monti gab es war einen dreistündigen Generalstreik im Dezember, aber wie in vielen europäischen Ländern will die Gewerkschaftsbürokratie, dass es bei solchen einmaligen und befristeten Manifestationen des Unmuts bleibt, damit die Basis „Dampf ablassen“ kann und die Regierung auf Verhandlungen mit den Gewerkschaftsführungen eingeht, die sich ihrerseits „vernünftigen“ und „ausgewogenen“ Sparmaßnahmen nicht entziehen wollen.

Keine Strategie

Hinzu kommt, dass die Führungen der großen Dachverbände keine Strategie haben, wie und mit welchem Ziel Widerstand geleistet werden soll. Dieses Problem wird durch die dramatische Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage noch verschärft. Schon heute sind rund 5 Millionen Lohnabhängige arbeitslos. Hinzu kommt ein großes Heer prekär und unterbeschäftigter ArbeiterInnen.

Die italienische Wirtschaft schlittert in eine tiefe Rezession und steht schon heute weit schlechter als der europäische Durchschnitt da. Nicht nur das Bruttosozialprodukt soll um rund 1,6 Prozent im Jahr 2012 schrumpfen. Noch alarmierender ist der Einbruch der Industrieproduktion. Während die BRD-Wirtschaft längst mehr produziert als vor der globalen Rezession, liegt die Produktion in Italien noch immer fast 20 Prozent unter dem Vorkrisenniveau, was etwa dem Stand von 1994 entspricht. 2012 wird sie weiter zurückgehen.

Selbst die Unternehmerverbände rechnen daher allein im produzierenden Gewerbe mit rund 210.000 Entlassungen im kommenden Jahr - die Gewerkschaften mit bis zu 300.000, v.a. im Transport, in der Autoindustrie, bei Telekommunikation und Bekleidung.

„Unauswogen und unfair“ seien die Angriffe, jammert die Vorsitzende des größten Dachverbandes CGIL. Doch was fordern die Gewerkschaftsführungen? Die Regierung müsse sich angesichts solcher Spannungen und der Gefahr sozialer Unruhen „endlich mit den Gewerkschaften beraten und dürfe nicht mehr alles alleine regeln.“ (Neues Deutschland, 3.1.2012).

Doch solche Bittstellerei wird die Regierung nur ermuntern. Sie verkennt vollkommen, dass die Krise des italienischen wie des europäischen Kapitalismus nicht durch „vernünftigen Ausgleich“, durch „Ausgewogenheit und Fairness“ gelöst werden kann. Dazu ist vielmehr ein Generalangriff auf die Lohnabhängigen und Unterdrückten und die Zerstörung ihrer potentiell vorhandenen Kampfkraft erforderlich. Daher stellt der Angriff auf die Gewerkschaftsrechte bei FIAT auch einen Kern der Klassenauseinandersetzung in Italien dar. FIAT beschäftigt fast 200.000 Menschen. Hunderttausende weitere Jobs in der Zulieferindustrie hängen daran. Zugleich ist bei FIAT die Metallarbeitergewerkschaft FIOM, die am linken Flügel der CGIL steht und wohl die kampfstärkste Massengewerkschaft des Landes darstellt, stark verankert. Im Gegensatz zu anderen, kleineren und rechteren Gewerkschaften, die durchaus bereit sind, mit dem Konzern - nicht zuletzt auf Kosten der FIOM - zu kooperieren, lehnt sie eine Aushebelung der Tarifverträge und der Rechte der Gewerkschaften bisher recht entschieden ab.

Ein Schlag gegen die FIOM wäre ein Schlag gegen die Avantgarde der italienischen Arbeiterklasse und würde deren Kampfkraft massiv, wenn nicht entscheidend schwächen (so wie die Niederlage der Bergarbeiter unter Thatcher der britischen Arbeiterklasse eine historische Niederlage bescherte).

Generalstreik!

In dieser Situation ist ein drastischer Kurswechsel der italienischen Arbeiterbewegung notwendig! Von den Gewerkschaften, den sozialen Bewegungen, ja allen Gruppierungen der Arbeiterbewegung muss der vollständige Bruch mit jeder Unterstützung der Regierung Monti gefordert werden!

Der Generalangriff kann nur durch entschiedene Kampfformen - durch einen unbefristeten politischen Generalstreik - gestoppt werden. Dazu ist der Aufbau von Streik- und Aktionskomitees notwendig, sowie von Selbstverteidigungsgruppierungen gegen rechte und staatliche Provokateure und Repression - also Keimformen von Räten und Arbeitermilizen.

Mit ihrem Programm hat die Regierung Monti - gestützt auf die ganze Macht der EU, der italienischen Kapitalisten und die bürgerlichen Parteien aller Couleur - der Arbeiterklasse den Krieg erklärt. Ein Generalstreik würde nicht nur das gesamte Angriffsprogramm, sondern auch die notdürftig parlamentarisch verhüllte Technokratendiktatur des Kapitals in Frage stellen. Er würde die Machtfrage aufwerfen.

Daher braucht die Arbeiterklasse ihrerseits ein Programm, das über die Ablehnung der Regierung hinausgeht - sie braucht ein Programm für die Bildung einer Arbeiterregierung, die, gestützt auf Räte und Selbstverteidigungsorgane, die staatlichen Repressionsorgane zerbricht und entwaffnet und die Krisenkosten dem Kapital aufzwingt. Wie? Durch die entschädigungslose Enteignung der Banken und Konzerne unter Arbeiterkontrolle, die Einführung einer demokratischen Planung gemäß den Bedürfnissen der Arbeiterklasse.

Zweifellos könnte eine solche Bewegung, die das gesamte Programm von EU und IWF zurückweist, die Schulden der Imperialisten streicht und eine neue, ökonomische Ordnung etabliert, nicht auf Italien begrenzt bleiben. Sie müsste vielmehr zum Motor des Widerstands in ganz Europa und zum Ausgangspunkt für den Kampf für die europäische Revolution, für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa werden.

Revolutionäre Arbeiterpartei

Diese Perspektive würde eine realistische Perspektive für die Klasse darstellen, mag sie auch den vielen „realistischen“ Reformpolitikern noch so fern und „utopisch“ erscheinen. Utopisch ist in einer historischen Krise des Kapitalismus in Wirklichkeit jedoch jedes Programm der friedlichen, langfristigen Reform und des Ausgleichs zwischen den Klassen.
Doch um eine solche Perspektive real werden zu lassen, braucht es auch eine Kraft, die sie bewusst verfolgt. Die italienische Linke, die italienische Arbeiterbewegung steht vor der Aufgabe, eine solche Partei zu schaffen.

Gewerkschaften wie die FIOM oder COBAS, die verschiedenen „kommunistischen“ und „sozialistischen“ Gruppierungen müssten dazu die Schaffung einer neuen Arbeiterpartei in Angriff nehmen und Revolutionäre müssten in ihr von Beginn an nicht nur für den Generalstreik und militanten Widerstand, sondern auch für ein revolutionäres Aktionsprogramm kämpfen.
 

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel von:

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 601
26. Januar 2012

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