Marokko: Neue Regierung im Amt, unter Anführung einer „moderat-islamistischen“ Partei.
Hier präsentiert durch ein Portrait ihres neuen Justizministers


von Bernard Schmid

01/12

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Seine Wutausbrüche im Parlament, wo er seit 2002 einen Sitz hatte, waren berühmt. Als Minister wird er sich diesbezüglich nun zurückhalten müssen. Nach einigem Hin und Her - weil der Königspalast anfänglich gegen seine Ernennung opponiert hatte -erreichte der 52jährige El Mustafa Ramid nun sein Ziel und wurde zum Justizminister des Königreichs Marokko ernannt.

Am 03. Januar 12 wurde die Zusammensetzung der neuen marokkanischen Regierung, nach vierzigtägigen Verhandlungen zwischen den Koalitionsparteien sowie dem Palast, bekannt. Ein Drittel der 30 Minister stellt die islamistische „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung“ (PJD), welche als stärkste Partei aus den Parlamentswahlen vom 25. November hervorging. 6 Minister kommen von der bürgerlich-nationalistischen Traditionspartei Istiqlal (Unabhängigkeit), sechs sind „unabhängige“ und dem Königshaus nahe stehende Technokraten. Je vier gehören der Berberpartei Mouvement populaire sowie der linksliberalen, ex-kommunistischen „Partei für Fortschritt und Sozialismus“ (PPS) an. Die wichtigsten Oppositionsparteien sind nunmehr die bisher regierende sozialdemokratische „Union der Volkskräfte“ (USFP) sowie konservative, monarchistische Klientelparteien.

Ramid war nicht nur zwischen dem PJD und dem Palast umstritten, sondern auch innerhalb der Partei. Als umtriebiger Anwalt kämpfte El Mustafa Ramid gegen die Korruption, ein in Marokko extrem verbreitetes Übel, und gegen Auswüchse der staatlichen Repression. Er trat zwar nicht für die Abschaffung der Todesstrafe, aber für ihre „Einschränkung auf die schwersten Verbrechen“ und gegen ihre in seinen Augen exzessive Verhängung in den letzten Jahren ein. Und, vor allem, er forderte eine Einschränkung der Macht des Monarchen - welche die gröte islamistische Partei in Marokko in ihrer Mehrheit nie offen antasten wollte.

1984, im Alter von 25 Jahren, wurde der im westmarokkanischen Sidi Bennour geborene Ramid zum Rechtsanwalt. Seit 2005 arbeitet er in der Wirtschaftsmetropole Casablanca. Er vertrat sowohl angeklagte Menschenrechtsaktivisten und nicht-islamistische Journalisten als auch inhaftierte Salafisten; also Anhänger der oft militanten, ideologisch extremsten Variante des Islamismus. Ferner leitete er eine NGO unter dem Namen Al-Karama („Die Würde“), die für eine Verteidigung individueller Freiheitsrechte gegen die Staatsmacht eintritt.

Nachdem fast das gesamte Jahr 2011 über massive politische und soziale Proteste auch in Marokko stattfanden, versuchte Ramid sich auf wechselnde Weise zu positionieren. Als Koordination der auerparlamentarischen Opposition, die tiefgreifende Reformen und in ihren radikaleren Flügeln auch eine Abschaffung der Monarchie fordert, trat und tritt noch immer die „Bewegung des 20. Februar“ - benannt nach dem Datum der ersten Demonstrationen in Marokko nach Ausbruch des „Arabischen Frühlings“ - auf. Ihr gehörten ursprünglich radikale Linke, Menschenrechtsorganisationen und die charismatische islamistische Bewegung Al-Adl wal ihsane („Gerechtigkeit und gute Taten“) an. Letztere trat jedoch im Dezember 11, „aufgrund der ständigen Angriffe“ von Linken und Liberalen, aus der Protestkoalition aus - und dürfte versuchen; sich dem nunmehr regierenden PJD anzunähern.

Am 22. Februar 11, also unmittelbar nach den ersten Demonstrationen am 20. Februar, trat Ramid aus dem Vorstand der Partei und vom Generalsekretariat des PJD zurück, um gegen die Abgrenzung der Partei von den Protesten zu protestieren. Diesen Schritt vollzogen neben ihm noch zwei andere Führungsmitglieder. Am 04. April 11 nahmen sie ihre Rücktrittserklärung jedoch zurück. El Mustafa Ramid, der sich weiterhin als Vorkämpfer „für demokratische Reformen“ profilierte und persönlich an Demonstrationen teilnahm, unterstützte im Frühsommer 2011 ebenso wie der Rest seiner Partei den Entwurf für eine modernisierte Verfassung, den das Königshaus am 17. Juni 11 vorstellte und im Schnelldurchlauf bei einer Volksabstimmung am 1. Juli 11 absegnen lie. Im Gegensatz zu anderen Parteifreunden rang Ramid allerdings um einzelne Bestimmungen in dem neuen Verfassungsentwurf, der die Vollmachten des Parlaments gegenüber dem König stärkt.

Moralisierungskampagnen

El Mustafa Ramid ist jedoch, neben seinem Eintreten für Grundrechte gegen die Macht des monarchischen Staatsapparats, auch ein Verfechter ideologischer Positionen der marokkanischen Islamisten in Gestalt ihrer Moralisierungskampagnen. Im Juni 2010 forderte er so das Verbot eines geplanten Auftritts des Sängers Elton John bei einem Festival in Rabat: Elton John, der zuvor behauptet hatte, Jesus Christus sei homosexuell gewesen, übe eine „schädlichen Einfluss“ aus. Er könnte Homosexualität propagieren. // Vgl. http://www.lefigaro.fr/ und http://www.lefigaro.fr/international // Und im August 2011 reagierte Ramid scharf auf die Bewegung der dé-jeûners. So hießen Individuen, die es ablehnten, das Fastengebot des Ramadhan zu befolgen, und demonstrativ in der Öffentlichkeit speisten - was Polizeieinsätze und Strafverfolgungsdrohungen auslöste. Der Anwalt und Abgeordnete erklärte dazu: „Der Gesetzgeber kann nicht die Gefühle von 99,99 Prozent der Marokkaner vernachlässigen, zugunsten von 00,01 Prozent, die öffentlich essen können möchten.“ Sie könnten es hingegen „heimlich tun“, „nichts hindere sie daran“. Und er fügte hinzu, anders zu entscheiden, „würde die Tür für die Diskussion über die freie Verfügung über den eigenen Körper, und damit für die Straffreiheit der Päderastie“. Wenn es so weiterginge, „dann fordern sie auch, nackt auf die Straße zu gehen.“ Vgl. http://fontenayplateau.forum-actif.eu/t343-etre-laic-au-maroc

Editorische Hinweise

Wir erhielten diesen Text vom Autor zur Veröffentlichung in dieser TREND-Ausgabe.