Texte
zur antikapitalistischen
Organisations- und Programmdebatte

01/12

trend
onlinezeitung

Es gibt einen Überblick über alle bei TREND 2011 veröffentlichten Texte zur Debatte über Organisation und Programm, angeregt durch die "Sozialistische Initiative Berlin" (vormals Berlin-Schöneberg)

Zu den Fragen des revolutionären Feminismus heute

Von Olga (RSB), Januar 2012

Poststrukturell?

Eine erkennbare Wirklichkeit zu leugnen ist eine Ausrede, sich nicht bewegen zu müssen. Ohne Erkenntnisse und ohne Analyse fehlt auch eine Perspektive, wie mensch es „besser machen“ könnte und somit der Grund zum Handeln. Wer keine Kategorien mehr definieren mag, kann auch keine Kategorie der Unterdrückten erkennen und somit keinen Kampf für die Emanzipation führen. Da es aber eindeutig ist, dass die Gesamtsituation nicht unverändert weiter bestehen sollte, bleibt nichts anderes übrig, als einen Standpunkt einzunehmen und mit der Analyse zu beginnen.

Welcher Sexismus?

Um die Frage zu beantworten, was zu tun wäre, ist zunächst die Frage zu klären, wogegen mensch sich richtet. Sexismus ist die Unterdrückung aufgrund der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht, insbesondere aufgrund der Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht. Es gibt ihn in der klassischen Form (Frauen wären die schwächeren, dümmeren, etc) und der modernen (Es gäbe keinen Sexismus mehr, weshalb Forderungen nach Gleichberechtigung unberechtigt sind). Es gibt den feindlich gesonnenen Sexismus(Frauen wären das minderwertige Geschlecht) vs den „ritterlichen“ Sexismus (da Frauen so schützenswerte Wesen wären, müsste ihnen jede schwere Arbeit abgenommen werden). Alle genannten Formen, auch der „ritterliche“ Sexismus sind bekämpfenswert.

Sexismus kann die Form eines ökonomischen Verhältnisses annehmen, in Form von schlechteren Jobs und niedrigeren Löhnen, er kann aber auch als psychologisches Phänomen in Erscheinung treten, in dem durch verbale Diskriminierung Menschen der Lebensmut und das Selbstbewusstsein genommen wird. Sexismus tritt in Form von struktureller Gewalt auf den Plan, in dem an wirklich jedem Ort ein überzogenes Einheitsschönheitsideal propagiert wird, oder in Form von ganz konkreter Gewalt, häuslicher- und/oder sexualisierter Gewalt.

Sexismus ist ein gesellschaftliches Verhältnis, nicht in erster Linie etwas, was die Männer den Frauen antun. Auch wenn es eindeutig ist, dass Männer die Privilegien kassieren und im Rahmen der Emanzipation einige von diesen werden abgeben müssen. Eine Auseinandersetzung zwischen den Geschlechtern entsteht dann, wenn die liebgewordenen Ansprüche nicht hergegeben werden wollen.

Jedoch sind auch Frauen Teil der Gesellschaft und reproduzieren Sexismus, gegenüber anderen Frauen und auch gegenüber sich selbst. Somit ist der Feministische Kampf ein Kampf auf allen Fronten, selbst gegen die eigenen Stereotypen und Vorurteile.

Auch die Linke Szene ist ein Teil der kapitalistischen Gesellschaft und reproduziert Sexismus. Wenn auf Demos Frauen aus der ersten Reihe verbannt werden, weil sie „zu schwach“ wären, beispielsweise. Wenn junge Männer vermummt aber mit freiem Oberkörper auf die Polizeikette losrennen, hat das mit der Weltrevolution nichts, aber auch gar nichts zu tun. Dann geht es nur um Testosteronkult. Ebenso fragen sich viele Männerdiskussionszirkel, was sie denn nur falsch machen, dass sich nie eine Frau zu ihnen verirrt, während sie auf eine Art diskutieren, bei der niemand mitreden könnte, der nicht mindestens über das Ego eines von copy und zu paste Guttenberg verfügt. Themen, bei denen es um Emanzipation, Gender und Sexismus geht, werden oft als Frauenthemen abgetan, welche nicht wichtig genug sind, bearbeitet zu werden. Dabei sind Frauen nicht weniger politisch, wie die rege Beteiligung an Demos und Aktionen beweist.

Sexismus gegenüber Männern?

Auch Männer sind von Sexismus betroffen, insbesondere dann, wenn sie nicht dem männlich-heteronormativen Stereotyp entsprechen. Somit können auch sie sich am antisexistischen Kampf beteiligen und Feministen sein. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Männer im gleichen Maß von Sexismus betroffen sind, denn sie haben auch stets Vorteile davon.

Ein nicht-stereotyper Mann wird immer noch sozial höher eingeschätzt als jede Frau.
Die Frage, wer denn nun das unterdrückende Subjekt ist, kann mit dem Konzept der sogenannten double oppression (doppelte Unterdrückung) beantwortet werden. Es gibt zwei Ebenen der sexistischen Unterdrückung. Zum einen das sexistische Klassenverhältnis, welches Männer und Frauen betrifft. Es gibt jedoch auch eine Ebene, auf der Männer die Sexismus ausübenden Personen werden. Dies spiegelt das soziale Machtgefälle innerhalb der ArbeiterInnenklasse wieder, welches zwischen Männern und Frauen verläuft. Dies lässt Männern trotzdem die Möglichkeiten frei, sich von ihrer Rolle als „Herdenführer“ zu emanzipieren.

1.Haupt- und Nebenwiderspruch?

Haupt- und Nebenblödsinn! Es wird gern, auch in der revolutionären, Linken behauptet, die Frage der Frauenbefreiung griffe den Akkumulationsprozess des Kapitals nicht an und sei darum zurückzustellen hinter dringendere Fragen, wie etwa den aktuellen Tarifkonflikten. Diese Behauptung ist nur richtig, wenn mensch sie nicht zu ende denkt.

Die Unterdrückung aufgrund von Geschlecht oder rassistische Diskriminierung sind das Ergebnis von Klassengesellschaften. Daraus folgt, dass der Kampf um das Ende des Sexismus nur ein Kampf gegen die Klassengesellschaft sein kann. Diesen Zusammenhang herzustellen ist die Aufgabe revolutionärer FeministInnen.

Sexistische Unterdrückung hat ganz konkrete, materielle Wurzeln, sie fußt aber auch auf Erziehung und gesellschaftlichen Traditionen. Gegen diese gilt es ebenso anzukämpfen. Zweiterer Kampf kann tatsächlich die Akkumulationskette nicht stoppen, dennoch ist er wichtig. Der Kapitalismus braucht Spaltungslinien. Diese Risse zu schließen bedeutet zwar nicht, den Kapitalismus zu zerschlagen, es bedeutet aber, ihn zu schwächen. Und je schwächer er ist, je einfacher ist die Zerschlagung hinterher.

Dies gilt nicht nur für die Unterdrückung von Frauen, denn auch Männer können von Sexismus betroffen sein, wenn sie dem männlichen Stereotyp nicht entsprechen oder ihre sexuelle Orientierung von der Norm abweicht. Nicht zuletzt darf nie vergessen werden, dass es außerhalb der Kategorien Männer und Frauen noch viele weitere Menschen gibt, die von sexistischer Diskriminierung betroffen sind und sich irgendwo in den Buchstaben des Kürzels LGBTI verstecken (Lesbian, gay, bi, transgender, intersexuell). Für ihre Rechte muss ebenso gestritten werden, auch wenn sie zahlenmäßig der Gruppe „Frauen“ unterlegen sind.

Und selbst wenn der Kampf gegen Sexismus den Kapitalismus überhaupt nicht tangieren würde, würde er dennoch auf die Agenda einer revolutionären Organisation gehören, da jeder Mensch das Recht auf ein Leben frei von Unterdrückung hat. Aufgrund dieses Rechts treten wir doch erst gegen den Kapitalismus an.

2. Feminismus- nach außen oder nach innen gerichtet?

Es ist taktisch wichtig, zwei Formen von feministischer Aktivität zu unterscheiden: Nach außen- und nach innen gerichtete Kämpfe.

Die nach außen sind für die männlichen GenossInnen oft leicht zu unterstützen: Gemeinsam auf der Straße zu stehen für diese und jene Rechte, gemeinsam sexistische Werbung demolieren ist einfach. Man richtet sich gemeinsam gegen den Sexismus der Gesellschaft.

Schwieriger wird es beim Kampf gegen den eigenen Sexismus, also bei sexismuskritischen Auseinandersetzungen in der eigenen Organisation. Natürlich sind alle Menschen in der Organisation im Kapitalismus groß geworden und mensch kann eine gesamte Sozialisation nicht einfach an der Garderobe abgeben. Dies bedeutet aber keine Entschuldigung („ich kann nix dafür, das ich ein Macho bin, ich wurde so sozialisiert!“), sondern viel mehr, dass wir den Kampf gegen den eigenen Sexismus innerhalb einer Organisation nie abschließen werden, sondern ihn in mühevoller Kleinarbeit immer weiter führen müssen.

Es gilt der Grundsatz: Nicht die Frauen müssen gut genug (selbstbewusst und männlich-dominant genug) für die Organisation werden. Die Organisation muss gut genug für Frauen werden.

Nach „innen“ gerichtete antisexistische Arbeit ist die Grundlage für nach außen gerichtete Arbeit. Eine Organisation, die den Sexismus einer Gesellschaft anprangert, während in den eigenen Reihen Frauen, LGBTI-Menschen etc diskriminiert werden, wäre nicht nur unglaubwürdig, sie würde sogar den von ihnen angegriffenen Sexismus weiter festigen. Es darf nie dazu kommen, dass eine Gruppe von Männern den Frauen vorschreibt, welche Aspekte der Gesellschaft sie besonders unterdrücken und wie sie sich zu befreien haben. Dies ist auch wichtig, wenn wir mit Menschen in die Diskussion kommen, die nicht deutsch sozialisiert sind, explizit mit weiblichen Muslimen, die sich dafür entschieden haben, ein Kopftuch zu tragen. Woher nehmen „wir“ eigentlich das Recht, anderen vorzuschreiben, was unemanzipiert ist und was nicht? Natürlich müssen wir all jene Strukturen angreifen, die Frauen zwingen, gegen ihren Willen ein Kopftuch zu tragen. Aber wir müssen akzeptieren, wenn Frauen sich freiwillig dazu entscheiden. Dieser scheinbare Widerspruch löst sich darin auf, das Recht auf Selbstbestimmung zu verteidigen. Es ist nicht an den deutsch-christlich sozialisierten Frauen, den „anderen“ zu erklären, wie sie sich zu befreien haben.

3. Vorschlag für eine Agenda

Es folgt der Vorschlag einer politischen Agenda, an welchen Punkten wir konkret arbeiten können. Dabei ist es wichtig, keine Grenzlinie zu ziehen, zwischen „feministischer“ Politik und sonstiger Politik. Das abhalten eines ganz normalen Seminars kann eine antisexistische Aktion werden, wenn darauf geachtet wird, dass mindestens 50% der ReferentInnen nicht männlich sind, dass 50% der Diskussionsbeiträge nicht männlich sind und das die Themen nicht nur aus einer weiß-männlich-mittelschicht-Perspektive beleuchtet werden.

Einige konkrete Vorschläge, selbstverständlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

3.1 Zunächst einmal eine klassische, feministische Forderung
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, verbunden mit einem Kampf um eine menschenwürdige Grundsicherung. Prekarisierung und Minijobs betreffen Frauen besonders stark, aber die Emanzipation die wir wollen ist nicht, dass es gleichviele Männer ohne Existenzgrundlage geben soll.

3.2 Für etwas andere Quoten
Auch in linksradikalen Organisationen reproduziert sich ein in unserer Gesellschaft angeblich überholtes Rollenbild und so finden sich oft die Frauen beim Abwasch zusammen. Ein Vorschlag für eine nach innen gerichtete, feministische Aktion wäre, eine 50%-Quote in jeglicher care-Arbeit. Mindestens 50% der Reproduktions- und Hausarbeiten müssen von männlichen GenossInnen verübt werden.

3.3 Kinderbetreuung
Noch heute wird über 70% der Care-Arbeit von Frauen verrichtet. Das führen von Haushalten und das versorgen von Kindern (Nur 10% der Alleinerziehenden sind männlich) ist nach wie vor ein wichtiges Mittel, um Frauen aus dem gesellschaftlichen Leben, aus der Arbeitswelt und auch aus politischem Engagement fernzuhalten.

Für die Aktion nach außen bedeutet dies, flächendeckende, kostenlose Kinderbetreuung einzufordern und, im Falle etwa eines Streikes, einer Besetzung etc selbst zu organisieren.

Aber auch für die Arbeit innerhalb der Organisation haben diese gar nicht neuen Erkenntnisse Konsequenzen. Eine neue antikapitalistische Organisation wird wahrscheinlich nicht so schnell anwachsen, das eine Kinderbetreuung während Plena und Aktionen immer gewährleistet werden kann. Bis dieses Fernziel erreicht ist, muss darauf geachtet werden, alle Strukturen so transparent zu gestalten, das nicht jedeR jederzeit anwesend sein muss, um über alles informiert zu sein. Es ist elementar wichtig, mitarbeiten zu können, ohne einen Zweitjob als revolutionäreR FulltimerIn anzunehmen. Dies ist auch elementar, wenn prekär Beschäftigte, Menschen mit 12h-Jobs, etc teilnehmen müssen. Diese sind zwar besonders häufig weiblich, aber nicht immer.

3.4 Kampf gegen Schönheitsnormen
Schönheits- und Bekleidungsnormen sind ein wichtiges Element sexistischer Unterdrückung. Zum einen kostet es Frauen viel Kraft, sich in diese vorgefertigte Form zu drücken, Diät zu halten, sich zu schminken, zu shoppen… zum anderen reproduzieren Schönheitsnormen Sexismus. Die Schönheitsnorm für Frauen ist eines kleinen Mädchens, große Augen, helle Haare (Kinderblond), zarte Figur (Das westliche Schönheitsideal erlaubt maximal 10-15% Körperfettanteil, was dem Körperbau vor der Pubertät entspricht. Im Erwachsenenalter sind 20-25% normal und gesund), wohingegen das Schönheitsideal für Männer dem eines Erwachsenen entspricht. Starke, bzw stark aussehende Frauen gelten meist als unsexy, als „Mannsweiber“ u.ä.

Des weiteren ist der Körper der Frau ein Investitionsfeld für zahlreiche Unternehmen. Es ist ein unerschöpflicher Absatzmarkt für Diätprodukte, Kosmetik und make-up. Diese Zusammenhänge aufzudecken muss ein Teil unserer Bildungsarbeit sein. Nach außen gerichtet empfiehlt sich jede Aktivität, die jene Medien angreift, mittels derer Schönheitsnormen übermittelt werden. Bei diversen Organisationen sind in letzter Zeit Aufkleber mit dem Aufdruck „Sexistische Kackscheiße!“ beliebt geworden. Sie können als Grundwerkzeug dienen. Das Entfernen, Verfremden oder Übermalen sexistischer Werbung kann als Form der direkten Aktion genutzt werden. Nach innen hin bleibt es wichtig, darauf zu achten, dass die Organisation ein Werbefreier Raum bleibt.

Ein Fehler, der allerdings oftmals in feministisch orientierten Gruppen begangen wird, ist, all jene Frauen die ihre äußere Erscheinung weiterhin dem Mainstream gemäß zu gestalten, als unemanzipiert abzulehnen. Dadurch entsteht ein Subkulturen-Ideal dem Frauen sich dann genauso unterzuordnen haben wie vorher dem Mainstream-Ideal. Emanziption bedeutet nicht, sich irgendjemandes Vorstellungen von einer „guten Frau“ zu unterwerfen. Es bedeutet, die volle Entscheidungsfreiheit über den eigenen Körper, ohne dafür Diskriminierung zu erleiden.

3.5 Schutz vor sexualisierter Gewalt
Ca 25% aller Frauen und 3-7% aller Männer haben in ihrem Leben mindestens einmal sexualisierte Gewalt erfahren. Daraus folgt, dass es sich um ein gesellschaftliches Problem handelt, dass uns alle angeht. In jeder Gruppe, die mindestens vier Personen umfasst, befindet sich statistisch gesehen eine betroffene Person, auch wenn die anderen drei davon selten wissen.

Zunächst einmal ist es wichtig, in den öffentlichen Diskurs einzugreifen, der nur all zu oft die Schuld für sexualisierte Gewalt den Betroffenen zuschiebt. „Wer herumläuft wie eine Nutte, braucht sich nicht wundern…“ lautete sinngemäß übersetzt der Satz eines kanadischen Politikers, der die weltweiten Slutwalks ins Rollen brachte. Wieviele, auch bis dahin unpolitische, Frauen sich plötzlich auf der Straße wiederfanden zeigt, wie relevant diese Diskussion ist. An einem Übergriff ist immer der/die TäterIn schuld. Egal, wie „schwach“, wie spärlich bekleidet oder wie betrunken die betroffene Person war.

Aber auch eine antikapitalistische Organisation ist nicht notwendigerweise ein Raum der frei von sexualisierten Übergriffen ist. Für diese Fälle ist es unverzichtbar, in der einen oder anderen Form ein Gremium oder eine Gruppe zu wählen, an die sich gewendet werden kann. Des Weiteren muss die Diskussion, wie in solch einem Fall mit TäterInnen umgegangen werden soll, vorher geführt werden.

Warum eigentlich das Wort „TäterIn“ gendern? Es gibt männliche Betroffene sexualisierter Gewalt und es gibt weibliche TäterInnen. Es ist ebenso Sexismus, davon auszugehen, dass Männer nicht betroffen sind, weil sie ja stets stark und gewaltbereit sind. Ebenso falsch ist es, davon auszugehen, dass Frauen nie TäterInnen werden, weil sie ja so schwach und gutherzig sind. Diese Vorstellungen führen dazu, dass betroffene Männer aus Scham fast nie Hilfe suchen.

Nur darf mensch den Fehler nie begehen, die Relationen zu verwechseln. Das Problem betrifft Frauen sehr viel häufiger und es ist deshalb vordergründig (aber nicht ausschließlich) als sexistisches Problem zu betrachten.

3.6 Aktive Beteiligung an Diskussionen
Es ist nicht nur so, dass Frauen weitaus seltener organisiert sind als Männer, sie bringen sich auch meist weitaus weniger ein. Nicht, weil sie nicht wollten, sondern sehr oft, weil mensch sie nicht lässt. Ohne bösen Willen verwenden Menschen, insbesondere Männer, alltäglich Techniken, die Menschen mit geringerer sozialer Macht, fast immer Frauen, aus Gesprächen ausschließen. Männer beanspruchen statistisch gesehen 80% der Redezeit, sie unterbrechen Frauen fünfmal so häufig wie umgekehrt, es werden Informationshierarchien aufgebaut und dergleichen mehr. All diese Verhaltensweisen müssen sichtbar gemacht und hinterfragt werden. Nur so kann es gelingen, dass Frauen sich in den Diskussionsprozess einbringen können, ohne das männlich-dominante Verhalten zu kopieren und somit ihrerseits zu unterdrückenden Personen zu werden.

3.7 Egalitärere Erziehung
Wie bereits erwähnt ist eine starke Wurzel des Sexismus die verschiedene Erziehung, die Mädchen und Jungen vom ersten Tag ihres Lebens an widerfahren. Noch bevor der erste Bauklotz und die erste Puppe verschenkt wird, wird über Lieder vorsingen versus „toben“ über blau versus Rosa ein Geschlechtsunterschied hergestellt. Natürlich trägt das verschenken der entsprechenden Spielzeuge sein übriges dazu bei. Später in der Schule werden Mädchen gelobt, weil sie „tüchtig“ sind, Jungen, weil sie „schlau“ sind. Mädchen, weil sie sich „angestrengt“ habe, Jungen weil sie „stark“ sind.

Diese Erziehung dauert fort bis in das Erwachsenenalter. Auch mit vierzig oder fünfzig Jahren wird man stets aufs neue erzogen durch Filme, Werbung, Pöbelein der Mitmenschen bei nicht stereotypenkonformen Verhalten. Informationen über diese Mechanismen durch Zeitungsartikel, Infoabende und Diskussionsveranstaltungen sind ebenso wichtig, wie darauf zu achten, dass diese Lebenslange Erziehung in den eigenen Reihen möglichst wenig reproduziert wird.

3.8 Frauenräume
Diskussionsveranstaltungen, Seminare und physisch abgetrennte Räume, die nur für weiblich sozialisierte Menschen zugänglich sind, sind ein wichtiges Werkzeug. Mitnichten handelt es sich hiermit um umgekehrten Sexismus. Sie bieten Frauen die Möglichkeit, frei von Unterbrechungen und Dominanzverhalten zu diskutieren. Somit entsteht ein Raum für diejenigen, die sonst nicht zu Wort kommen, um Selbstbewusstsein zu sammeln, wenn mensch erfährt, dass die eigene Meinung ja doch von anderen gehört wird. Frauenräume sind kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, damit es irgendwann keine Frauenräume mehr geben muss.

4. „Guten Tag, ich weiß nicht, ob sie mich erkannt haben…

… ich bin hier die Quotenfrau! Ich sitze hier, damit ihr euch gut fühlen könnt, weil ja doch eine einzelne Frau in der bundesweiten Koordinationsgruppe ist und damit ihr ansonsten nichts weiter für die Emanzipation tun müsst.“

Wer sich in Organisationen durchzusetzen versucht, findet sich hin und wieder in der Rolle als Quotenfrau wieder. Eine einzelne Maßnahme, eine Quote, eine Redeliste, ein einmaliges Frauentreffen, wird durchgeführt, zur Beruhigung des Gewissens der männlichen GenossInnen. Und in den nächsten Jahren wird jede Forderung, jede Kritik abgeschmettert mit dem Argument: „Wir bemühen uns doch schon, wir haben doch eine Quote!“ „Wir sind keine SexistInnen, wir haben 2007 mal diese Flyer-Aktion gemacht.“

Das ist genau der gleiche Mechanismus, mit dem der bürgerliche Staat die Forderungen nach mehr Gleichberechtigung abtut. Es würde ja bereits etwas getan und im übrigen seien Frauen innerhalb der eigenen Grenzen ja gar nicht mehr diskriminiert.
Eine revolutionäre Organisation darf diesen Fehler nicht wiederholen. Feminismus ist kein Sonntags-Hobby. Es gibt keinen Ablass für den allgemeinen Sexismus, weil mensch einmal eine Infoveranstaltung zum Thema organisiert hat.

Differenzfeminismus und Queer-Theory

Der Differenzfeminismus erklärt, Frauen seien zwar anders, verdienen aber nichtsdestotrotz die gleichen Rechte, die gleiche Anerkennung und den gleichen Respekt. Der Queer-Feminismus hingegen geht davon aus, dass jegliche Form von Unterschieden zwischen Geschlechtern lediglich konstruiert sind und in einer freien Gesellschaft nicht mehr weiter existieren. Dabei ist eine wichtige Erkenntnis die Unterscheidung zwischen „sex“ (dem biologischen Geschlecht) und „gender“ (dem psychologischen Geschlecht) einer Person.

Eine Standard-Antwort auf die Queer-Theory ist stets: „Gewisse biologische Unterschiede existieren aber doch“ und „Männer und Frauen sind nun einmal verschieden“. Eine Antwort auf die Antwort. Die vielgerühmten „Unterschiede“ sind stets Unterschiede des Durchschnitts. Im Durchschnitt sind Männer größer als Frauen. Dies bedeutet aber längst nicht, dass jeder Mann größer als jede Frau ist, die er beim Spazierengehen auf der Straße antrifft. Dies gilt um so mehr für die Durchschnittsunterschiede des „gender“, die häufig sehr, sehr viel kleiner sind, als die Evolutions„wissenschaftler“ behaupten. Es gibt auch keine voneinander abgrenzbaren Kategorien, ein maskulines und ein feminines Gender. Es gibt einen fließenden Übergang zwischen beiden. Ebenso verhält es sich mit dem biologischen Geschlecht. Es gibt auch zwischen den biologischen Kategorien einen fließenden Übergang. Es gibt Menschen, die ohne ein eindeutiges Geschlecht oder mit zweien zur Welt kommen. Es gibt Männer mit Brüsten und Frauen mit Bärten. Es gibt keine klare Grenze, ab der jemand definitiv keine Frau oder kein Mann mehr ist. Und selbst die Unterschiede, die objektiv gegeben zu sein scheinen, sind es nicht. Beispielsweise veränderte sich der Unterschied in der Stimmhöhe von Frauen im letzten Jahrhundert. Frauenstimmen wurden beträchtlich tiefer und näherten sich der Tonlage der Männerstimmen. Viele dieser scheinbar biologischen Unterschiede können also auch durch die gesellschaftlichen Gegebenheiten verändert werden. Nur eine Gefahr lauert in der queerfeministischen Praxis: Nur, weil mensch die Konstruiertheit von „sex“ und „gender“ erkennt, verschwindet diese nicht. Wenn mensch sich weigert, diese Kategorien zu verwenden, weil sie künstlich erzeugt wurden, beraubt mensch sich selbst seiner Analysewerkzeuge und überhaupt der Fähigkeit, Sexismus anzuprangern.

Nach welcher Analyse sollte mensch sich also richten?

Dabei gibt der Differenzfeminismus etwas her für den Umgang mit Geschlechterverhältnissen in der heutigen Gesellschaft: Es gibt die Kategorien „Frauen“ und „Männer“, denn sie werden mit allen Mitteln errichtet und aufrecht erhalten. Es gibt -in gewissem Rahmen betrachtet- Unterschiede zwischen den Angehörigen der jeweiligen Kategorien, denn sie werden Tag für Tag mit neuem Druck in die Schablonen gepresst. Solange der Kapitalismus weiter existiert, kann es gelingen, dass einzelne sich mit viel Mühe ein Stück weit daraus befreien, dies behält aber immer die Form einer individuellen Lösung von Personen oder kleinen Gruppen.

Solange dieses kapitalistisch-sexistische Verhältnis besteht, bleibt nichts anderes übrig als zu sagen: Ja, es gibt in gewissem Ausmaß Unterschiede. Wir arbeiten daran sie zu beseitigen. Bis wir dies geschafft haben gilt: Für jede Person der gleiche Lohn, auch wenn sie unterschiedlich oft kranke Kinder pflegen, für jede Person die gleiche Chance für den Chefposten, trotz unterschiedlichem Habitus, etc.

Der Queer-Feminismus hingegen bietet uns die Perspektive, wohin wir wollen. In dem wir heute erkennen, wie die Unterschiede zwischen den Geschlechtern künstlich geschaffen und konstruiert werden, können wir sie morgen, im Sozialismus (respektive Anarchismus, Anarchosyndikalismus oder welcher Name uns für unsere Utopie beliebt) zerschlagen. An der Queer-Theory sollte mensch sich orientieren bei jeder

Differenz für heute, queer als Perspektive

5. Proletarischer Feminismus und bürgerlicher Feminismus

Eine wichtige Abgrenzung ist die, zwischen bürgerlichem und proletarischem Feminismus. Ein gewisses Stück weit gehen sie beide gemeinsam, denn natürlich ist die Anerkennung der bürgerlichen Freiheiten auch für Frauen ein wichtiger Fortschritt. An einem gewissen Punkt scheiden sich jedoch die feministischen Geister. Der bürgerliche Feminismus erkauft die Berufstätigkeit weißer Mittelschichtfrauen damit, dass meist illegalisierte Immigrantinnen (nicht gender-neutrale Form ist hier bedeutungstragend) zuhause ihre Kinder hüten. Er baut die Illusion auf, der Kampf um die Befreiung der Frau sei ein Kampf aller Frauen gegen aller Männer. Das ist falsch und kontraproduktiv. Der Kampf für die Befreiung der Frau ist ein Kampf gegen ein gesellschaftliches Verhältnis, ein Klassenverhältnis um konkret zu sein. Es ändert sich nichts, aber auch gar nichts, an der strukturellen Benachteiligung von Frauen in der Arbeitswelt, dadurch das einzelne andere Frauen in die Chefetage aufsteigen. Der bürgerliche Feminismus kann zwar Frauen Aufstiegschancen öffnen, im Sinne von individuellen Lösungen, aber er wird den Sexismus nicht aufheben.

Eine proletarische, feministische Bewegung hat es in Deutschland seit den 1920ger Jahren nicht mehr gegeben. Es ist schwer, eine Prognose abzugeben, wie eine solche Bewegung heute aussehen könnte.

Auf jeden Fall wird sie sich einsetzen für eine Erweiterung der bürgerlichen Freiheiten um jene, eine sozialistische Gesellschaft mit sich bringt: Die Freiheit darüber zu bestimmen, was produziert wird und wie, um mittels dieser Entscheidungsbefugnisse die ökonomische Diskriminierung am Arbeitsplatz aufzuheben und die Care-Arbeit zu einer Gesellschaftlichen Angelegenheit zu machen. Eine proletarisch-feministische Bewegung sollte das Mittel des politischen Streiks nutzen, um sich somit gegen die KapitalistInnen zu richten, und nicht gegen proletarische Männer. Sie kann den Kapitalismus angreifen, in dem sie verweigert, den Körper der Frauen als Absatzmarkt herzugeben.

Es wäre denkbar, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen, in der Kinder die Chance haben, groß zu werden, ohne die blau-rosa-Grenze. Wieviele Möglichkeiten gibt es, an die wir nicht denken, weil wir uns eine solche Bewegung nicht vorstellen können?

6. Noch zwei Warnungen zum Schluss:

Erstens: Niemals dürfen all jene sexistischen Diskriminierungsformen vergessen werden, die nicht Frauen betreffen, auch wenn die Betroffenengruppe oft geringer ist. Ein besonders vergessener Kampf ist z.B. der Kampf der Intersexuellen Menschen, die sich dagegen wehren wollen, entgegen ihrer Persönlichkeit in eine Geschlechtskategorie gesteckt zu werden – oft mit physischer Gewalt, d. h. Zwangsoperation. Alles hier Geschriebene gilt auch für sie, für die Betroffenen von Heterosexismus, für Transgender etc.

Zweitens: Emanzipation bedeutet nicht, dass am Ende alle so sind wie Männer, weil Männer in der heutigen Gesellschaft nun einmal die höher geschätzten sind. Es hat mit Emanzipation wenig bis gar nichts zu tun, wenn nur Männer und Mann-artige Menschen akzeptiert und respektiert werden. Und im schlimmsten Fall nicht-männlich-stereotype Personen noch unter Druck geraten, sich den anderen anzupassen.

Solange es noch einen Konkurrenzkampf um die Position des Alpha-Männchen gibt, gibt es auch Menschen, die darin verlieren und auf der Strecke bleiben und da der kapitalistische Sexismus uns nun einmal umgibt, werden es besonders häufig Frauen sein, auch wenn in Einzelfällen eine Frau die Alpha-Männchen-Position erobern kann. Eine Bundeskanzlerin bedeutet nicht, dass die hunderttausend prekär beschäftigten Krankenpflegerinnen auf einmal ihren männlichen Kollegen die Stationsleitung abluchsen.

Emanzipation bedeutet, allen Menschen Respekt entgegenzubringen und ihnen ihr Recht auf Selbstbestimmung zu lassen, welches biologische Geschlecht und welches Gender auch immer sie haben mögen.

Editorische Hinweise

Den Text erhielten wir von der Autorin. Erstveröffentlicht wurde er im SIB-Blog, wo er diskutiert wird.
http://arschhoch.blogsport.de/2012/01/16/zu-den-fragen-des-revolutionaeren-feminismus-heute/ 
 

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