Iran: Kriegsgefahr am Arabisch-Persischen Golf?

von Bernard Schmid

01/12

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„Niemand wünscht den Krieg, alle bereiten sich darauf vor“: Diese Aussage charakterisiert nach den Worten des in Dubai ansässigen Militärexperten Riad Kahwaji, zitiert durch die libanesische Tageszeitung L’Orient-Le Jour vom 06. Januar 12, die aktuelle Situation der arabischen Golf-Anrainerländer. Die Zeitung zitiert einen weiteren Beobachter, den kuwaitischen Strategieexperten Sami Al-Faraj, mit den Worten: „Ein Countdown ist am Golf eingeleitet worden, und niemand kann ihn stoppen.“ Dessen Ansicht zufolge werden freilich die arabischen Golfstaaten zu den Verlierern einer eventuellen kriegerischen Auseinandersetzung gehören. 

Hauptprotagonisten eines solchen militärischen Schlagabtauschs am Arabisch-Persischen Golf wären die Islamische Republik Iran (IRI) einerseits, militärische Kräfte aus den USA und/oder dem Staat Israel sowie eventuell aus anderen NATO-Mitgliedsstaaten auf der anderen Seite. Und natürlich trifft auf diese Protagonisten gegebenenfalls nicht zu, dass niemand einen militärischen Konflikt wünschte. Auf einer oder mehreren Seiten wird ein Krieg gewollt, bevor er stattfindet, in der Regel aus ökonomischen und/oder ideologischen Triebkräften - auch wenn nicht alle seine Konsequenzen und Auswirkungen auch gewünscht oder einkalkuliert werden. So ist es auch hier, wobei ein vermeintlich eingegrenzter Konflikt (auch wenn seine Folgewirkungen, u.a. im Hinblick auf die in den betroffenen Gesellschaften produzierten Hasspotenziale, unabsehbar wären) in Wirklichkeit sogar auf beiden Seiten seine Befürworter und Nutznießer hätte.   

Die US-Administration oder Teile von ihr scheinen nunmehr, ebenso wie Teile des politischen Establishments in Israel, zum Angriff auf den Iran (unter bestimmten Bedingungen) entschlossen zu sein. Dies war in jüngster Vergangenheit noch anders: Am Ausgang der Bush-Ära, auch wenn man von dem zwischen Januar 2001 und Januar 2009 amtierenden US-Präsidenten vielfach Anderes erwartet hätte, wurde die Initiative für einen kriegerischen Konflikt mit dem Iran ausgebremst. Anfang Dezember 2007 wurde der US-Geheimdienstbericht unter dem Titel NIE (National intelligence estimate) publiziert, welcher damals zu dem Schluss kam, das iranische Regime arbeite nicht länger an militärischen Anwendungen der Atomenergie, vielmehr seien entsprechende Programme im Jahr 2003 eingestellt worden. Auf diese Weise hatte der US-amerikanische Militär- und Sicherheitsapparat der damaligen Regierung signalisiert, dass er für ein „Abenteuer“ im Iran - das als zu riskant und zu wenig Nutzen versprechend eingeschätzt wurde - nicht zur Verfügung stünde.

In Wirklichkeit war die Schlussfolgerung des NIE-Reports, das im Iran herrschende Regime sei nicht länger aktiv am Erwerb von Atomwaffen interessiert, ebenso eine - taktisch motivierte -„politische Wahrheit“ wie die im Augenblick verbreitete. Derzeit stützt sich der zum Durchgreifen entschlossene Teil der politischen Entscheidungsträger auf ein anderes Dokument: Am 18. November 2011 nahm der Gouverneursrat der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA (International Atomic Energy Agency) eine Resolution an, welche die Behauptung enthält, entgegen eigenen Darstellungen arbeite das iranische Regime auch weiterhin, verdeckt, auf den Erwerb von Atomwaffen zu. Die Entschließung wurde mit 32 Ja- und zwei Gegenstimmen bei einer Enthaltung angenommen. Vorgelegt worden war sie durch die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats zuzüglich Deutschlands. Bei Verhandlungen im Vorfeld waren auch die Stimmen weiterer „westlich“ orientierter Staaten wie Italien, Japan und Australien gewonnen worden.

Beide Aussagen, jene vom NIE-Report zu Ende 2007 getroffene und die aktuell in der AIEA-Resolution enthaltene, sind jeweils „politische Wahrheiten“. Natürlich trifft es zu, dass das iranische Regime darauf setzt, seine technologische Fähigkeiten zur Herstellung von atomaren Waffen demonstrativ unter Beweis zu stellen (wie dies Westdeutschland und Japan, welche als Verlierermächte des Zweiten Weltkriegs offiziell keine ABC-Waffen erwerben durften, in den 1970er Jahren mit erheblichem Aufwand taten). Und nicht unwahrscheinlich ist es, dass diese Beweisführung darüber, dass man die technologischen Fähigkeiten herrscht, mit dem Wunsch nach tatsächlicher realer Verfügung über eine A-Bombe - nachdem Pakistan bereits eine „islamische Atombombe“ besitzt - einhergeht. Es gilt gleichzeitig, dass zum Ersten der Iran nach wie vor um einige Monate oder Jahre von der Beherrschung aller technologischen Fähigkeiten bis zur „schlüsselfertigen“ Bombe entfernt ist. Und zum Zweiten, dass die Atomwaffe eine „politische Waffe“ bildet, deren Verfügungsgewalt nach wie vor über den Platz eines Staats in der internationalen Hierarchie, der „Hackordnung“ unter Staaten mit entscheidet - aber unter aktuell vorstellbar Bedingungen nicht real einsetzbar ist. Gerade auch im Falle des Iran wäre letztere Vorstellung mit unmittelbarem Selbstmord gleichzusetzen, verfügt doch nicht nur Israel über (mutmablich 300) Atomwaffen, sondern vor allem auch die US-Streitkräfte in unmittelbarer geographischer Nähe zum Iran. Auch wenn diese zum Jahresende 2011 aus dem Iraq abzogen, bleiben sie doch u.a. in Kuwait, in Qatar, auf Flugzeugträgern im Golf und auf Militärbasen im Indischen Ozean.

Die US-Administration erklärte infolge der Annahme der Resolution, dass sie den Text begrübe, er aber in ihren Augen nicht weit genug gehe. Kurz darauf verabschiedete Washington verschärfte Wirtschaftssanktionen gegen den Iran, die dessen Währung (Rial) innerhalb kürzester Frist um 20 Prozent an Wert verlieren ließen. Im Januar 2012 sollten entsprechende Sanktionen der Europäischen Union, welche sich vor allem gegen die iranische Erdölindustrie richten werden, folgen. Zahlreiche Einwohner des Landes stürzten sich in Dollarkäufe, woraufhin das iranische Regime in der zweiten Januarwoche 2012 das Versenden von SMS, die das Wort „Dollar“ enthalten, unter Verbot stellte. Parallel dazu fanden weitere Maßnahmen statt, die vom Regime als Destabilisierungsoperationen betrachtet werden. Bei einer Reihe von  vordergründig ungeklärten Attentaten, vor und nach dem 18. November 2011, kamen iranische Nuklearwissenschaftler zu Tode. Zuletzt, am 11. Januar dieses Jahres, starb Mostafa Ahmadi Roschan bei einem Attentat in Teheran.

Manche Fraktionen im politischen Establishment der USA oder Israels sind nun der Auffassung, durch solche und andere Mittel (wie die Verbreitung des seit 2010 in der iranischen Atomindustrie wütenden Stux-Computervirus) seien hinreichend effiziente Nadelstiche, um den Iran auf seinem „Weg zur Atombombe“ immer wieder zurückzuwerfen. Hingegen stehen andere Fraktionen eher auf dem Standpunkt, hier handele es sich um den Einstieg zur Anwendung härterer, und eben auch militärischer, Mittel. Umgekehrt spielt das iranische Regime seinerseits demonstrativ mit den Muskeln und kündigte ab dem 27./28. Dezember 2011 an, im Falle schärferer Sanktionen gegen die Erdölindustrie seines Landes könnte es die „Straße von Hormus“ militärisch blockieren. Diese Meerenge, welche zwischen dem Iran und Oman verläuft und an manchen Stellen nur 50 Kilometer breit ist, stellt ein wichtiges Nadelöhr für den weltweiten Handel mit Rohöl (und Erdgas) - und vor allem für die Öllieferungen aus den  Staaten am Arabisch-Persischen Golf - dar. Bereits im Jahr 1988 kam es in der Schlussphase des iranisch-iraqischen Krieges zu Versuchen des iranischen Regimes (und nach dem Abschuss eines iranischen Airbus-Passagierflugzeugs durch US-amerikanische Militärs), den Transport durch diese Meerenge zu erschweren und zu blockieren; woraufhin Öltanker aus Staaten wie Kuwait durch eine Armada „westlicher“ Militärschiffe eskortiert wurden. Derzeit sticht dieser geostrategische Trumpf jedoch - jedenfalls in absehbarer Zukunft - wesentlich weniger, da ab Juni 2012 eine über Land verlaufende Erdölpipeline auf dem Territorium der Vereinigten Arabischen Emirate das eventuelle Hindernis umgehen wird.

Dass die USA von der gegen Schluss der Bush-Ära, auf Grundlage des NIE-Papiers, verfolgten Doktrin in Sachen Iran/Atompolitik abrücken, hat politisch-strategische Gründe. Im Jahr 2007 fürchteten die Militärs, die auf das Dokument Einfluss nehmen konnten, ein kriegerischer Konflikt mit dem Staat im Mittleren Osten bringe weitaus mehr Schaden als Nutzen. Zumal die USA damals noch tief im Schlamassel im Nachbarland Iraq festzustecken schienen. Heute hat sich - durch die Auswirkungen der Wirtschaftskrise, deren Überwindung im kapitalistischen Rahmen „ohne Krieg“ bislang unabsehbar ist, durch wachsende Rivalitäten mit China und andere Faktoren, sowie durch die erfolgte Frontbegradigung in Sachen Iraq - die Ausgangslage verschoben.

Aber auch die im Iran herrschende Diktatur könnte einen begrenzten kriegerischen Konflikt eventuell gut gebrauchen. Sofern - was höchstwahrscheinlich ist - es sich um einen mit Flugzeugen (und Raketen) Bombenkrieg handeln würde, um eine Kampagne von Luftangriffen wie im Irak im Januar/Februar 1991 und in Serbien von Ende März bis im Juni 1999, wäre nicht nur die Macht des Regimes als solche ungefährdet. Auch wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit Zehntausende, möglicherweise - wie im Irak bei der Operation Desert Storm mit mutmaßlich 150.000 Toten - auch Hunderttausende Menschen ihr Leben lassen müssten, so würde doch die Macht der Diktatur dadurch nicht angetastet. Und selbst das iranische Nuklear- und das behauptete Atomwaffenprogramm würden dadurch keineswegs notwendig gestoppt. Denn die meisten seiner Anlagen sind unterirdisch eingebunkert. Einmal erworbene Technologien können reproduziert, zerstörte Maschinen wiederhergestellt werden, sofern sich die politischen Verhältnisse nicht ändern. Dass eventuelle Angreiferstaaten hingegen eine militärische Besetzung des iranischen Staatsgebiets zu Lande - vergleichbar jener des Nachbarlands Iraq von 2003 bis zu ihrem stufenweisen Abschluss im Dezember 2011 - planen würden, darf als nahezu ausgeschlossen werden. Es wäre im übrigen auch purer Wahnsinn; und im Fall der Fälle würden die im Vielvölkerstaat Iran mit 75 Millionen Menschen auf eventuelle Besatzertruppen (welche auch dort durch die Bevölkerung nicht einfach mit Willkommensgrüßen empfangen würden) wartenden Probleme jene im Iraq oder in Afghanistan im Nachhinein als Kinkerlitzchen erscheinen lassen. 

Im Iran sind die gigantischen politischen und sozialen Probleme - in einem Land, dessen Machthabern relevanten Teilen der Bevölkerung ausgesprochen verhasst erscheinen - weit von ihrer „Bewältigung“ entfernt. Die durch die Demonstrationen von 2009 aufgeworfenen innenpolitische Probleme des Regimes sind keinesfalls (auf)gelöst: Damals hatte sich eine Massenbewegung in die Bresche, die sich anlässlich der Wahl vom 12. Juni 09 zwischen zwei rivalisierenden Fraktionen innerhalb des herrschenden Systems aufgetan hatte, hinein gestürzt. Zwar ging der Massenprotest in den folgenden Monaten zurück, angesichts einer extrem harten Repression, aber auch, weil die nominellen Anführer des Protests - also die unterlegene Fraktion innerhalb des Regimes um Pir Hussein Mussawi - keineswegs ein realer und legitimer Vertreter der Interessen oder Wünsche der vorgeblich hinter ihnen stehenden Massenbewegung waren. Vielmehr hatte Letztere nur die Bresche genutzt, konnte aber nicht wirklich durch die schwächere Fraktion innerhalb der Machthabergruppe selbst politisch repräsentiert werden.  

Doch die massenhafte Opposition aus der Gesellschaft ist zwar von ihrem Ausdruck, von ihren Symptomen (Demonstrationen, Proteste) her vorläufig abgeklungen, doch das Problem für die Machthaber ist keinesfalls geregelt. Zudem traten zwischen Letzteren weitere Konfliktlinien hervor, etwa zwischen dem „religiösen Führer“ Ali Khamenei als mächtigstem Mann im Staate und dem nominellen Staatsoberhaupt - Präsident Mahmud Ahmedinedjad, dessen persönliche Machtfülle in Wirklichkeit eher begrenzt ist - sowie dessen Anhänger. In den letzten Monaten ging der Konflikt sogar so weit, dass Khamenei öffentlich die Abschaffung der Präsidentschaftswahlen überhaupt erwog (um den nominellen Staatschef zu einem „von oben“ ernannten, von den wahren Machthabern noch offener abhängigen Quasi-Premierminister herabzustufen). Von den Parlamentswahlen am 04. März 2012 erwartet sich zwar in der Gesellschaft niemand irgendeine ernsthafte Veränderung. Doch könnten die durch Repression, Folter- und Hinrichtungsdrohungen und Zensur vorläufig abgebügelten und aufgestauten Konflikte aus diesem Anlass eventuell wieder eine Entladungsmöglichkeit finden. Schon hat die Regierung eine grobflächige Zensur des Internet, im Kontext der Vorbereitung der Wahlen, verhängt sowie Strafverfolgungen gegen Boykottaufrufe im Zusammenhang mit den Wahlen angekündigt. Ein äuberer Konflikt käme den Machthabern - völlig in der Tradition des Gründers der „Islamischen Republik“, Ayatollah Khomenei, dessen damals noch junge Macht im Jahr 1980 durch den Ausbruch des Iran-Iraq-Kriegs (laut Khomeneis Worten war der iraqische Angriff damals ein „Gottesgeschenk“) gerettet wurde - deshalb durchaus recht. Um autoritär die Reihen zu schließen, weil das islamische Vaterland bedroht sei.

Editorische Hinweise

Wir erhielten diesen Text vom Autor zur Veröffentlichung in dieser TREND-Ausgabe.