„Niemand wünscht den Krieg, alle bereiten sich darauf vor“:
Diese Aussage charakterisiert nach den Worten des in Dubai
ansässigen Militärexperten Riad Kahwaji, zitiert durch die
libanesische Tageszeitung L’Orient-Le Jour vom 06. Januar
12, die aktuelle Situation der arabischen Golf-Anrainerländer.
Die Zeitung zitiert einen weiteren Beobachter, den kuwaitischen
Strategieexperten Sami Al-Faraj, mit den Worten: „Ein
Countdown ist am Golf eingeleitet worden, und niemand kann ihn
stoppen.“ Dessen Ansicht zufolge werden freilich die
arabischen Golfstaaten zu den Verlierern einer eventuellen
kriegerischen Auseinandersetzung gehören.
Hauptprotagonisten eines solchen militärischen Schlagabtauschs
am Arabisch-Persischen Golf wären die Islamische Republik Iran
(IRI) einerseits, militärische Kräfte aus den USA und/oder dem
Staat Israel sowie eventuell aus anderen NATO-Mitgliedsstaaten
auf der anderen Seite. Und natürlich trifft auf diese
Protagonisten gegebenenfalls nicht zu, dass niemand einen
militärischen Konflikt wünschte. Auf einer oder mehreren Seiten
wird ein Krieg gewollt, bevor er stattfindet, in der Regel aus
ökonomischen und/oder ideologischen Triebkräften - auch wenn
nicht alle seine Konsequenzen und Auswirkungen auch gewünscht
oder einkalkuliert werden. So ist es auch hier, wobei ein
vermeintlich eingegrenzter Konflikt (auch wenn seine
Folgewirkungen, u.a. im Hinblick auf die in den betroffenen
Gesellschaften produzierten Hasspotenziale, unabsehbar wären) in
Wirklichkeit sogar auf beiden Seiten seine Befürworter und
Nutznießer
hätte.
Die US-Administration oder Teile von ihr scheinen
nunmehr, ebenso wie Teile des politischen Establishments in
Israel, zum Angriff auf den Iran (unter bestimmten Bedingungen)
entschlossen zu sein. Dies war in jüngster Vergangenheit noch
anders: Am Ausgang der Bush-Ära, auch wenn man von dem zwischen
Januar 2001 und Januar 2009 amtierenden US-Präsidenten vielfach
Anderes erwartet hätte, wurde die Initiative für einen
kriegerischen Konflikt mit dem Iran ausgebremst. Anfang Dezember
2007 wurde der US-Geheimdienstbericht unter dem Titel NIE
(National intelligence estimate) publiziert, welcher
damals zu dem Schluss kam, das iranische Regime arbeite nicht
länger an militärischen Anwendungen der Atomenergie, vielmehr
seien entsprechende Programme im Jahr 2003 eingestellt worden.
Auf diese Weise hatte der US-amerikanische Militär- und
Sicherheitsapparat der damaligen Regierung signalisiert, dass er
für ein „Abenteuer“ im Iran - das als zu riskant und zu wenig
Nutzen versprechend eingeschätzt wurde - nicht zur Verfügung
stünde.
In Wirklichkeit war die Schlussfolgerung des
NIE-Reports, das im Iran herrschende Regime sei nicht länger
aktiv am Erwerb von Atomwaffen interessiert, ebenso eine -
taktisch motivierte -„politische Wahrheit“ wie die im Augenblick
verbreitete. Derzeit stützt sich der zum Durchgreifen
entschlossene Teil der politischen Entscheidungsträger auf ein
anderes Dokument: Am 18. November 2011 nahm der Gouverneursrat
der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA (International
Atomic Energy Agency) eine Resolution an, welche die
Behauptung enthält, entgegen eigenen Darstellungen arbeite das
iranische Regime auch weiterhin, verdeckt, auf den Erwerb von
Atomwaffen zu. Die Entschließung
wurde mit 32 Ja- und zwei Gegenstimmen bei einer Enthaltung
angenommen. Vorgelegt worden war sie durch die fünf ständigen
Mitglieder des UN-Sicherheitsrats zuzüglich Deutschlands. Bei
Verhandlungen im Vorfeld waren auch die Stimmen weiterer
„westlich“ orientierter Staaten wie Italien, Japan und
Australien gewonnen worden.
Beide Aussagen, jene vom NIE-Report zu
Ende 2007 getroffene und die aktuell in der AIEA-Resolution
enthaltene, sind jeweils „politische Wahrheiten“. Natürlich
trifft es zu, dass das iranische Regime darauf setzt, seine
technologische Fähigkeiten zur Herstellung von atomaren Waffen
demonstrativ unter Beweis zu stellen (wie dies Westdeutschland
und Japan, welche als Verlierermächte des Zweiten Weltkriegs
offiziell keine ABC-Waffen erwerben durften, in den 1970er
Jahren mit erheblichem Aufwand taten). Und nicht
unwahrscheinlich ist es, dass diese Beweisführung darüber, dass
man die technologischen Fähigkeiten herrscht, mit dem Wunsch
nach tatsächlicher realer Verfügung über eine A-Bombe - nachdem
Pakistan bereits eine „islamische Atombombe“ besitzt -
einhergeht. Es gilt gleichzeitig, dass zum Ersten der Iran nach
wie vor um einige Monate oder Jahre von der Beherrschung aller
technologischen Fähigkeiten bis zur „schlüsselfertigen“ Bombe
entfernt ist. Und zum Zweiten, dass die Atomwaffe eine
„politische Waffe“ bildet, deren Verfügungsgewalt nach wie
vor über den Platz eines Staats in der internationalen
Hierarchie, der „Hackordnung“ unter Staaten mit entscheidet -
aber unter aktuell vorstellbar Bedingungen nicht real einsetzbar
ist. Gerade auch im Falle des Iran wäre letztere Vorstellung mit
unmittelbarem Selbstmord gleichzusetzen, verfügt doch nicht nur
Israel über (mutmablich
300) Atomwaffen, sondern vor allem auch die US-Streitkräfte in
unmittelbarer geographischer Nähe zum Iran. Auch wenn diese zum
Jahresende 2011 aus dem Iraq abzogen, bleiben sie doch u.a. in
Kuwait, in Qatar, auf Flugzeugträgern im Golf und auf
Militärbasen im Indischen Ozean.
Die US-Administration erklärte infolge der
Annahme der Resolution, dass sie den Text begrübe,
er aber in ihren Augen nicht weit genug gehe. Kurz darauf
verabschiedete Washington verschärfte Wirtschaftssanktionen
gegen den Iran, die dessen Währung (Rial) innerhalb kürzester
Frist um 20 Prozent an Wert verlieren ließen.
Im Januar 2012 sollten entsprechende Sanktionen der Europäischen
Union, welche sich vor allem gegen die iranische Erdölindustrie
richten werden, folgen. Zahlreiche Einwohner des Landes stürzten
sich in Dollarkäufe, woraufhin das iranische Regime in der
zweiten Januarwoche 2012 das Versenden von SMS, die das Wort
„Dollar“ enthalten, unter Verbot stellte. Parallel dazu fanden
weitere Maßnahmen
statt, die vom Regime als Destabilisierungsoperationen
betrachtet werden. Bei einer Reihe von vordergründig
ungeklärten Attentaten, vor und nach dem 18. November 2011,
kamen iranische Nuklearwissenschaftler zu Tode. Zuletzt, am 11.
Januar dieses Jahres, starb Mostafa Ahmadi Roschan bei einem
Attentat in Teheran.
Manche Fraktionen im politischen Establishment
der USA oder Israels sind nun der Auffassung, durch solche und
andere Mittel (wie die Verbreitung des seit 2010 in der
iranischen Atomindustrie wütenden Stux-Computervirus) seien
hinreichend effiziente Nadelstiche, um den Iran auf seinem „Weg
zur Atombombe“ immer wieder zurückzuwerfen. Hingegen stehen
andere Fraktionen eher auf dem Standpunkt, hier handele es sich
um den Einstieg zur Anwendung härterer, und eben auch
militärischer, Mittel. Umgekehrt spielt das iranische Regime
seinerseits demonstrativ mit den Muskeln und kündigte ab dem
27./28. Dezember 2011 an, im Falle schärferer Sanktionen gegen
die Erdölindustrie seines Landes könnte es die „Straße
von Hormus“ militärisch blockieren. Diese Meerenge, welche
zwischen dem Iran und Oman verläuft und an manchen Stellen nur
50 Kilometer breit ist, stellt ein wichtiges Nadelöhr für den
weltweiten Handel mit Rohöl (und Erdgas) - und vor allem für die
Öllieferungen aus den Staaten am Arabisch-Persischen Golf -
dar. Bereits im Jahr 1988 kam es in der Schlussphase des
iranisch-iraqischen Krieges zu Versuchen des iranischen Regimes
(und nach dem Abschuss eines iranischen
Airbus-Passagierflugzeugs durch US-amerikanische Militärs), den
Transport durch diese Meerenge zu erschweren und zu blockieren;
woraufhin Öltanker aus Staaten wie Kuwait durch eine Armada
„westlicher“ Militärschiffe eskortiert wurden. Derzeit sticht
dieser geostrategische Trumpf jedoch - jedenfalls in absehbarer
Zukunft - wesentlich weniger, da ab Juni 2012 eine über Land
verlaufende Erdölpipeline auf dem Territorium der Vereinigten
Arabischen Emirate das eventuelle Hindernis umgehen wird.
Dass die USA von der gegen Schluss der Bush-Ära,
auf Grundlage des NIE-Papiers, verfolgten Doktrin in
Sachen Iran/Atompolitik abrücken, hat politisch-strategische
Gründe. Im Jahr 2007 fürchteten die Militärs, die auf das
Dokument Einfluss nehmen konnten, ein kriegerischer Konflikt mit
dem Staat im Mittleren Osten bringe weitaus mehr Schaden als
Nutzen. Zumal die USA damals noch tief im Schlamassel im
Nachbarland Iraq festzustecken schienen. Heute hat sich - durch
die Auswirkungen der Wirtschaftskrise, deren Überwindung im
kapitalistischen Rahmen „ohne Krieg“ bislang unabsehbar ist,
durch wachsende Rivalitäten mit China und andere Faktoren, sowie
durch die erfolgte Frontbegradigung in Sachen Iraq - die
Ausgangslage verschoben.
Aber auch die im Iran herrschende Diktatur könnte
einen begrenzten kriegerischen Konflikt eventuell gut
gebrauchen. Sofern - was höchstwahrscheinlich ist - es sich um
einen mit Flugzeugen (und Raketen) Bombenkrieg handeln würde, um
eine Kampagne von Luftangriffen wie im Irak im Januar/Februar
1991 und in Serbien von Ende März bis im Juni 1999, wäre nicht
nur die Macht des Regimes als solche ungefährdet. Auch wenn mit
hoher Wahrscheinlichkeit Zehntausende, möglicherweise - wie im
Irak bei der
Operation Desert Storm
mit mutmaßlich
150.000 Toten - auch Hunderttausende Menschen ihr Leben lassen
müssten, so würde doch die Macht der Diktatur dadurch nicht
angetastet. Und selbst das iranische Nuklear- und das behauptete
Atomwaffenprogramm würden dadurch keineswegs notwendig gestoppt.
Denn die meisten seiner Anlagen sind unterirdisch eingebunkert.
Einmal erworbene Technologien können reproduziert, zerstörte
Maschinen wiederhergestellt werden, sofern sich die politischen
Verhältnisse nicht ändern. Dass eventuelle Angreiferstaaten
hingegen eine militärische Besetzung des iranischen
Staatsgebiets zu Lande - vergleichbar jener des Nachbarlands
Iraq von 2003 bis zu ihrem stufenweisen Abschluss im Dezember
2011 - planen würden, darf als nahezu ausgeschlossen werden. Es
wäre im übrigen auch purer Wahnsinn; und im Fall der Fälle
würden die im Vielvölkerstaat Iran mit 75 Millionen Menschen auf
eventuelle Besatzertruppen (welche auch dort durch die
Bevölkerung nicht einfach mit Willkommensgrüßen
empfangen würden) wartenden Probleme jene im Iraq oder in
Afghanistan im Nachhinein als Kinkerlitzchen erscheinen lassen.
Im Iran sind die gigantischen
politischen und sozialen Probleme - in einem Land, dessen
Machthabern relevanten Teilen der Bevölkerung ausgesprochen
verhasst erscheinen - weit von ihrer „Bewältigung“ entfernt. Die
durch die Demonstrationen von 2009 aufgeworfenen innenpolitische
Probleme des Regimes sind keinesfalls (auf)gelöst: Damals hatte
sich eine Massenbewegung in die Bresche, die sich anlässlich der
Wahl vom 12. Juni 09 zwischen zwei rivalisierenden Fraktionen
innerhalb des herrschenden Systems aufgetan hatte, hinein
gestürzt. Zwar ging der Massenprotest in den folgenden Monaten
zurück, angesichts einer extrem harten Repression, aber auch,
weil die nominellen Anführer des Protests - also die unterlegene
Fraktion innerhalb des Regimes um Pir Hussein Mussawi -
keineswegs ein realer und legitimer Vertreter der Interessen
oder Wünsche der vorgeblich hinter ihnen stehenden
Massenbewegung waren. Vielmehr hatte Letztere nur die Bresche
genutzt, konnte aber nicht wirklich durch die schwächere
Fraktion innerhalb der Machthabergruppe selbst politisch
repräsentiert werden.
Doch die massenhafte Opposition aus
der Gesellschaft ist zwar von ihrem Ausdruck, von ihren
Symptomen (Demonstrationen, Proteste) her vorläufig abgeklungen,
doch das Problem für die Machthaber ist keinesfalls geregelt.
Zudem traten zwischen Letzteren weitere Konfliktlinien hervor,
etwa zwischen dem „religiösen Führer“ Ali Khamenei als
mächtigstem Mann im Staate und dem nominellen Staatsoberhaupt -
Präsident Mahmud Ahmedinedjad, dessen persönliche Machtfülle in
Wirklichkeit eher begrenzt ist - sowie dessen Anhänger. In den
letzten Monaten ging der Konflikt sogar so weit, dass Khamenei
öffentlich die Abschaffung der Präsidentschaftswahlen überhaupt
erwog (um den nominellen Staatschef zu einem „von oben“
ernannten, von den wahren Machthabern noch offener abhängigen
Quasi-Premierminister herabzustufen). Von den Parlamentswahlen
am 04. März 2012 erwartet sich zwar in der Gesellschaft niemand
irgendeine ernsthafte Veränderung. Doch könnten die durch
Repression, Folter- und Hinrichtungsdrohungen und Zensur
vorläufig abgebügelten und aufgestauten Konflikte aus diesem
Anlass eventuell wieder eine Entladungsmöglichkeit finden. Schon
hat die Regierung eine grobflächige
Zensur des Internet, im Kontext der Vorbereitung der Wahlen,
verhängt sowie Strafverfolgungen gegen Boykottaufrufe im
Zusammenhang mit den Wahlen angekündigt. Ein äuberer
Konflikt käme den Machthabern - völlig in der Tradition des
Gründers der „Islamischen Republik“, Ayatollah Khomenei, dessen
damals noch junge Macht im Jahr 1980 durch den Ausbruch des
Iran-Iraq-Kriegs (laut Khomeneis Worten war der iraqische
Angriff damals ein „Gottesgeschenk“) gerettet wurde - deshalb
durchaus recht. Um autoritär die Reihen zu schließen,
weil das islamische Vaterland bedroht sei.
Editorische Hinweise
Wir erhielten diesen Text vom
Autor zur Veröffentlichung in dieser TREND-Ausgabe.
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