Bernard Schmid berichtet aus Frankreich
Französische Flughäfen: Polizei als Streikbrecher gegen Sicherheitsbedienstete eingesetzt.
Gesetzentwurf gegen Streikrecht im Flugverkehr wird Ende Januar 12 debattiert werden…

01/12

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Ungewohnte Töne in der französischen Streikdebatte, wie sie mittlerweile im Allgemeinen abläuft: Ein bürgerliches Presseorgan (die liberale Pariser Abendzeitung ,Le Monde’) beklagt in einem Leitartikel über die Weihnachtstage, im Zusammenhang mit einer Ausübung des Streikrechts, eine „Geiselnahme“. Und es meint - beinahe ist dies schon zur rühmlichen Ausnahme in der Medienwelt geworden - nicht die Streikenden, die die Öffentlichkeit (Passagiere, Nutzer/innen von Transportbetrieben) „als Geiseln“ nähmen. Sondern gemeint ist dezidiert die französische konservativ-wirtschaftsliberale Regierung, die durch ihr Vorgehen „das Streikrecht in Geiselhaft nimmt“. In gewisser Weise wird dadurch die Diskussion vom Kopf auf die Füße gestellt. (Vgl. http://www.lemonde.fr/) Ein positiv zu verzeichnender Schritt in der Berichterstattung. Doch worum ging es? 

Es dürfte wohl ziemlich dicht am Limit des gesetzlich Erlaubten liegen, doch es wurde entgegen einem anfänglichen Dementi durchgeführt: Polizistinnen und Polizisten ersetzten seit dem Vormittag des 22. Dezember 11 streikende Sicherheitsbedienstete am Pariser Flughafen Roissy-Charles de Gaulle. Am 26/27. Dezember 11 ging der Arbeitskampf dort mit einem Schlichtungsabkommen zu Ende. 

Sicherheitskontrollen durch Polizisten  

Die ersten Einheiten von Grenzschutzpolizei, PAF (Police aux frontières), und CRS (d.h. kasernierter Bereitschaftspolizei) trafen am Morgen des 22. Dezember an dem Flughafen ein. Es handelte sich zunächst um etwa zehn Beamte, doch war vorgesehen, ihre Anzahl bis auf 400 aufzustocken, um die Streikfolgen aufzufangen. An dem siebten Tag des Streiks von Sicherheitsbediensteten des Grobflughafens, welcher am 15. Dezember begonnen hatte, wurden die Sicherheitskontrollen für Flugpassagiere nunmehr durch uniformierte Beamte durchgeführt; vgl. http://lci.tf1.fr/ und  http://www.lemonde.fr 

Nun könnte man der Auffassung sein, dass dieses Vorgehen illegal sei: Jedem Arbeitgeber ist es in der Tat gesetzlich verboten, bislang nicht in seinem Dienst stehende Personen als Aushilfskräfte einzustellen, um einem Arbeitskampf zu begegnen oder ihn auszuhebeln. Ausdrücklich verbietet das französische Arbeitsgesetzbuch (Code du travail) in seinem Artikel L.1250-10 den Abschluss von befristeten Verträgen sowie Leiharbeitsverträgen, um auf diesem Wege einen Streik auszuhebeln. Doch Sinn der gesetzlichen Vorschrift ist es offenkundig, generell das Unterlaufen eines Arbeitskampfs durch vorübergehende Beschäftigung unternehmensfremder Personen zu untersagen. Dieses Verbot wird durch das jüngste Vorgehen der Regierung im Arbeitskampf an den Flughäfen auf manifeste Weise verletzt. - Auch öffentliche Arbeitgeber, also staatliche Strukturen, handelten diesem gesetzlichen Verbot in der Vergangenheit zuwider. Die französische Post wurde etwa vor nunmehr einem guten Jahrzehnt gerichtlich verurteilt, weil sie Leiharbeiter/innen in Paris als Streikbrecher eingesetzt hatte.  

Was jüngst am Pariser Flughafen Roissy praktiziert wurde, liegt vielleicht noch knapp unterhalb der gesetzlichen Verbotsgrenze, aber jedenfalls dicht davor. Denn der Staat ist nicht selbst der Arbeitgeber der zum damaligen Zeitpunkt seit einer Woche streikenden Lohnabhängigen. Historisch war dies zwar der Fall gewesen, doch die Sicherheitskontrollen an den französischen Flughäfen sind just im Jahr 2001 privatisiert worden (nachdem private Unternehmen erstmals ab 1996 in dem Sektor präsent waren) - und hier liegt just ein Teil der Problemursachen begründet. Zuvor war die Grenzpolizei PAF selbst für die Abwicklung der Sicherheitskontrollen zuständig gewesen. Der Staat konnte also, als vermeintlich jenseits der „Arbeitgeber“-„Arbeitnehmer“-Beziehung stehende Ordnungskraft, im Namen seiner „Verantwortung für die Aufrechterhaltung des Verkehrs“ eingreifen. Dass er jedoch eigene Bedienstete - die im Falle der betroffenen Polizeibeamten und -beamtinnen im Übrigen selbst kein Streikrecht besitzen - als Ersatzarbeitskräfte einsetzte, dürfte rechtlich zumindest Diskussionsstoff liefern und fragwürdig erscheinen.  

Die Gewerkschaft Force Ouvrière (FO, Profil: verbalradikal-schillernd) hat schon früh lautstark die Rolle der Polizei als „Streikbrecher“ angegriffen und zu Recht festgestellt, es handele sich „um einen Angriff auf das Streikrecht in privaten Unternehmen“; vgl. http://www.lefigaro.fr/ 

Am Tag zuvor - dem Mittwoch, 21. Dezember 11 - war aus dem Innenministerium zunächst noch ausdrücklich dementiert worden, dass es dazu kommen werde. Zu dem Zeitpunkt schien der Streik abzubröckeln. Er hatte am Wochenende des 17./18. Dezember 11 begonnen und wurde vier Tage später noch an mehreren Orten in Frankreich geführt (Paris-Roissy, Paris-Orly, Lyon, Nizza). An mehreren Flughäfen führte er zu örtlichen Verspätungen, aber ohne dass es zu irgend einer Unterbrechung des Flugverkehrs: Es fiel deswegen keine einzige Flugverbindung aus. Doch während in Lyon am 21.12.11 der Streik zu Ende zu gehen schien, wurde gleichzeitig bekannt, dass in Roissy eine Fortführung des Streiks für den Donnerstag, den 22. Dezember beschlossen worden sei; http://www.lefigaro.fr/  

Regierungspolitiker hetzen & poltern: „Asozialer Streik“ 

Es scheint ein - inszenierter oder realer - Wutausbruch von Präsident Nicolas Sarkozy am Kabinettstisch, während der mittwöchlichen Regierungssitz, gewesen zu sein, welcher den Ausschlag für ein unmittelbares staatliches Eingreifen gab; vgl. auch http://www.lefigaro.fr/   und http://www.ladepeche.fr  -  Sarkozy hatte seine Minister ultimativ dazu aufgefordert, „den Reiseverkehr zu Beginn der Weihnachtsferien zu garantieren“. Zuvor hatte Ex-Premierminister Jean-Pierre Raffarin (Regierungschef von Mai 2002 bis Mai 2005) den Streik wörtlich als „antisocial“, ins Deutsche also sinngemäß als „asozial“, bezeichnet. Vgl. dazu auch http://www.lefigaro.fr/ 

Die Leibes- und Sicherheitskontrollen an französischen Flughäfen sind im Jahr 2001 privatisiert und an mehrere unterschiedliche Privatfirmen vergeben worden. Seitdem herrschen dort nicht nur oft schlechte Arbeits- und Lohnbedingungen (die Löhne liegen in einer Spannbreite zwischen 1.100 und 1.600 Euro, bei Nacht- und Sonntagsarbeit, erhöhter Stress durch eine in jüngere Zeit um 20 Prozent erhöhte Anzahl zu kontrollierender Passagiere, daraus resultierende Spannungen mit Fluggästen… - vgl. ausführlich http://actu.orange.fr/une/outre-de-meilleurs-salaires-les-agents-de-surete-reclament-le-respect-afp_386318.html), sondern noch dazu unterschiedliche Bedingungen je nach Arbeitgeber. Und für Anfang des kommenden Jahres 2012 wurde eine erneute Erhöhung der Anforderungen erwartet, vgl. dazu http://moreas.blog.lemonde.Viele der betroffenen Lohabhängigen kommen aus armen Haushalten des Pariser Umlands und migrantischen Familien.  

Auf ihre Forderungen hin wurde mit einer strikten Verweigerung eventueller Verhandlungen geantwortet. Nur aus diesem Grund weitete sich der Arbeitskampf in der Vorweihnachtszeit aus, statt in etwaige Verhandlungsrunden zu münden. Eine Vertreterin der CGT, Christine Hamiami, erklärte dazu: „Unsere Arbeitgeber machen sich über uns lustig.“ Die offene Ausübung von Druck durch Regierungspolitikerin - die Haushaltsministerin Valérie Pécresse etwa forderte explizit und ultimativ „die Beendigung des Streiks“ und sprach (mal wieder) von einer „Geiselnahme der Fluggäste“, vgl. etwa http://www.lefigaro.fr/ - bezeichnete der sozialdemokratische Oppositionspolitiker Michel Sapin hingegen als „Umkehrung der Rollen“: „Wo es notwendig wäre, Druck auf die Arbeitgeber auszuüben (um sie zu Verhandlungen zu bewegen) wird stattdessen Zwang auf die Beschäftigten ausgeübt“, erklärte er in Radio Classique.  

Die linksliberal-grüne Präsidentschaftskandidatin Eva Joly antwortete auf diese Situation daraufhin mit dem Vorschlag, „vor der Eröffnung eines Streiks“ eine „Pflicht zu Verhandlungen“ einzuführen, vgl. http://www.lefigaro.fr/ - Dieser Vorstoß ist jedoch inhaltlich mindestens zweischneidig, da er sich auch in eine faktische Einschränkung des Streikrechts und dessen Umwandlung in eine Ultima Ratio, ein „allerletztes Mittel“, wie in der deutschen Rechtspraxis verwandeln könnte. 

Das Ende vom Lied 

Am 26. Dezember schlossen mehrere Gewerkschaften am Flughafen von Paris-Roissy ein Abkommen zur Beendigung des Streiks. Dieses sieht im Grundsatz vor, dass die Streikenden je einen Monatslohn als jährliche Prämie - in Form einer einmaligen Sonderzahlung - erhalten sollen. Die Ausständischen hatten eine Erhöhung um 200 Euro monatlich, und eine Angleichung an die am Flughafen von Marseille-Marignane herrschenden Bedingungen, gefordert. Vgl.
http://www.lemonde.fr/ 

Unterschrieben haben das Abkommen zunächst die Flugbediensteten-Branchengewerkschaft des christlichen Gewerkschaftsbunds CFTC, jene der „unpolitisch-reformerischen“ Gewerkschaft UNSA sowie die verbalradikal-schillernde FP (Force Ouvrière). Die eher sozialdemokratische Gewerkschaftsvereinigung CFDT überlegte zunächst noch, plante aber ebenfalls, das Abkommen zu unterzeichnen. Zunächst nicht unterzeichnet hat hingegen die „postkommunistische“, etwas linkere Gewerkschaft CGT, die zunächst ihre Basis konsultieren wollte. 

Der Ausgang des Streiks mit dem Abkommen entspricht nicht wirklich dem, was die Arbeitskämpfenden gefordert hatte. Doch ihre Befürchtung wuchs (bei einer Mehrheit der Ausständischen), dass ihr Streik unter Umständen ohne jegliches Ergebnis enden und sich totlaufen werde, falls es zu keiner schnellen Einigung käme. Während der Feiertage und der Periode des Jahresendes war die öffentliche Aufmerksamkeit für ihren Streik gering, aufgrund der Ferienflüge - auch wenn nur eine relativ kleine Minderheit von Franzosen in der Weihnachtszeit mit dem Flugzeug in den Urlaub abgeht - drohte zudem in Teilen der Öffentlichkeit der Unmut über den Streik geschürt zu werden. Und zu einer wirklichen Unterbrechung des Flugverkehrs kam es ja von vornherein nicht. Auch wenn der Einsatz von Polizisten umgekehrt die Verspätungen NICHT wirklich reduzierte (da die Beamten für die speziellen Kontrollen an den dafür eingerichteten Bildschirmen überhaupt nicht ausgebildet wurden), so drohte er doch zusätzlich psychologisch zermürbend auf die Streikenden zu wirken. 

Am 27. Dezember hatten daraufhin alle abhängig Beschäftigten am Flughafen die Arbeit wieder aufgenommen; vgl. http://www.lefigaro.fr

Neues Gesetz zur Einschränkung des Streikrechts (in der Praxis) geplant 

Am 24. Januar 2012 wird das französische Parlament im Übrigen über einen Gesetzentwurf beraten, der die Einführung eines Service minimum - eines auch in Streikzeiten garantierten Mindest-Dienstleistungssolls - im Flugverkehr zum Gegenstand hat; vgl. u.a. http://www.lemonde.fr/  - Er zielt darauf ab, eine Aufrechterhaltung des Luftverkehrs auch im Falle von Arbeitskämpfen zu garantieren, zwar nicht unmittelbar etwa durch ein Streikverbot, wohl aber durch die Pflicht zu individueller Vorab-Abmeldung einer Streikteilnahme durch jede/n Lohnabhängige/n. Auf diese Weise soll ein Streik zwar nicht repressiv unterbunden, wohl aber umgangen und völlig unwirksam gemacht werden; vgl. dazu auch die Sichtweise des Karikaturisten zum ‚Streikrecht minimum“: http://vidberg.blog.lemonde.fr  („Nein nein, ich möchte ich Ihnen das Streiken nicht verbieten - ich fordere Sie nur dazu auf, sich in die Vorwarnliste für den Zeitraum 2012 bis 2017 einzutragen und darauf zu achten, dass Sie nicht einen Streiktag am selben Tag wie ein Kollege nehmen“.)

Die Regierung hat bereits ihre Unterstützung für die Gesetzesinitiative angekündigt; vgl. http://www.lemonde.fr/. Wir werden unsere Leser/innen selbstverständlich über den Fortgang dieser, gefährlichen, Debatten auf dem Laufenden halten.

Editorische Hinweise

Wir erhielten diesen Text vom Autor zur Veröffentlichung in dieser TREND-Ausgabe.