Überzähligkeitsangst
Auch eine Erinnerung an Reinhard Opitz (1934-1986)

von Richard Albrecht

01/12

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Was Klaus Ottomeyer in sozialpsychologischen Grundzusammenhängen als moderne ´Überzähligkeitsangst´ ansprach[1] – das subjektive „Gefühl, nicht gebraucht zu werden“ (Anna Seghers) – nannte der 1986 verstorbene Autor und Politikwissenschaftler Reinhard Opitz[2] in seiner historisch-kritischen Analyse reaktionärer Ideologien und/als faschistischer Demagogie[3] zutreffend

  • “Beschwörung von Übervölkerungsängsten“

  • „Verbreitung von Panik-Ängsten vor einer Übervölkerungs-Katastrophe

Reinhard begann als Lyriker, arbeitete für das Hamburger Studentenmagazin „konkret“ und später für die Kölner Monatszeitschrift „Blätter für deutsche unter internationale Politik“. Dort erschien 1965 seine Kritik am Konzept „Formierte Gesellschaft“ des damaligen Bundeskanzlers Ludwig Erhard . Seitdem war Reinhard auch bundesweit als Redner aktiv: etwa für die Deutsche Friedens-Union, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und den Bund demokratischer Wissenschaftler.

Reinhard veröffentlichte wichtige Studien zur Geschichte des deutschen Sozialliberalismus bis 1933 (1973), zur imperialistischen Bewußtseinsfalsifikation (1974), über Europastrategien des deutschen Kapitals bis 1945 (1977) und über Faschismus und Neofaschismus (1984; 1988). Die beiden Zitate oben verweisen nicht nur auf einen sowohl für Heutige als auch für Nachgeborene linkspolitisch bedeutsamen Analytiker. Sondern auch darauf, daß Reinhard Marxist war: Reinhard benützte nicht wie die Meute aller oberflächlich als Marxisten getarnter Ideologen mittlerer Reichweite und Preisklasse von „Marxistische Blätter“ bis „Rosa-Luxemburg-Stiftung“[4] das an Hans Grimms „Volk ohne Raum“ (1926) erinnernde Irrwort „Überbevölkerung“. Reinhard sprach zutreffend von „relativer Übervölkerung“[5]. Und das war - und das ist - nur gut so.

Anmerkungen

[1] Klaus Ottomeyer, Prinzip Neugier. Einführung in eine andere Sozialpsychologie. Heidelberg 1992

[2] Richard Albrecht, Reinhard Opitz´ These der Bewußtseinsfalsifikation – nach 30 Jahren, in: Topos, 24/2005: 124-146; Nachdruck in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, 4/2006: 125-143; erweiterte Netzfassung:/en: http://www.grin.com/de/e-book/108957/reinhard-opitz-these-der-bewusstseinsfalsifikation-30-jahre-spaeter [und] http://www.duckhome.de/tb/archives/9164-BEWUSSTSEINSFALSIFIKATION.html

[3] Reinhard Opitz, Juden raus – Türken raus – Demokratie raus. Zur Geschichte und Aktualität reaktionärer und faschistischer Strategien [Dokument]; in: 1999 – Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, 1/1989, 84-100, hier 99

[4] http://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Utopie_kreativ/129-30/129_130.pdf [Christan Fuchs];

http://compay.twoday.net/topics/Aufsätze [Thomas Lühr]

http://www.erinnyen22.erinnyen.de/Rezensionen/rezensionen.html [Dr. Werner Seppmann];

http://www.andreas-wehr.eu/klasse-und-klassenbewusstsein-in-den-herforder-thesen.html [Dr. Andreas Wehr]

[5] Richard Albrecht, Alte Armut – Neue Armut. Theorie und Empirie des Pauperismus, in: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 42 (2006) 2/3: 145-161; ders., Pauper(ismus): Geschichte und Aktualität von ´Neuer Armut´ und ´Arbeitenden Armen´, in: JahrBuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung, II/2007: 19-32; Netzversion: http://www.trend.infopartisan.net/trd0608/t190608.html (jeweils mit philologisch genauen Nachweisen); Netzkurzfassung: http://www.kominform.at/article.php/20050207094911357

Editorische Hinweise

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