»Das ist
meins!« Schon von klein auf stellt sich die Verteilungsfrage.
Doch was im Sandkasten eine harmlose Zankerei und Mittel der
Persönlichkeitsbildung ist, ist im globalen Maßstab zu einem
Hauen und Stechen mit massiven negativen Folgen für die
Enteigneten geworden. Die weltweite Konkurrenzgesellschaft hat
Verteilungskämpfe zum integralen Bestandteil fast jeden
Wirtschaftens werden lassen. Einer jagt dem anderen Anteile ab,
jede/r eignet sich an, was er oder sie kann. Und selbst das
Sparen in Zeiten der Krise ist bloß eine Form der Umverteilung.
»Das Geld ist nicht weg, es hat nur ein anderer«, brachte der
Kabarettist Matthias Deutschmann einmal das Wesentliche an den
gegenwärtigen Spardebatten auf den Punkt.
Die
prominentesten Verteilungskämpfe finden regelmäßig um die Löhne
statt, früher wurden sie unter der Bezeichnung »Klassenkampf«
zusammengefasst. Doch bei Verteilungsfragen sind nicht nur die
Lohnarbeitenden betroffen, oft geht es um viel
Grundsätzlicheres: Wem gehört die Welt, in der wir leben? Wer
hat Anspruch auf die Westsahara? Gehört das Agrarland in
Kolumbien den Großgrundbesitzern oder einer Gemeinde? Sollen
bolivianische Trinkwasserquellen in private Hand oder in
kommunale Selbstverwaltung kommen? Und überall gilt die Frage:
Soll staatliches Geld für Umweltschutz oder Straßenbau, für
Kultur oder Wirtschaftsförderung ausgegeben werden?
Gegenstand
von Verteilungskämpfen sind inzwischen sehr oft Güter und
Dienstleistungen, die bisher als öffentlich galten. Dazu zählen
zum Beispiel die Böden und das Meer, aber auch Bildung oder
Verkehr. Der Zugang zu ihnen war im Prinzip frei zugänglich, und
das Aneignungs- und Konkurrenzprinzip des Marktes war hier lange
Zeit zumindest partiell ausgesetzt. Öffentliche Güter oder
Allmendegüter kannten fast alle Gesellschaften, und potentielle
Rivalität gab es darum schon immer. Aber mit der totalen
Durchdringung des Eigentumsprinzips in alle Poren der
Gesellschaft wird der Bereich dessen, was als öffentlich gilt,
immer stärker eingeschnürt. Der Kampf um öffentliche Güter ist
heute oft eine defensive Reaktion auf die
Privatisierungspolitik, die immer mehr an Dynamik gewinnt. Gemäß
der Marktlogik und aufgrund leerer Staatskassen wird an private
Investoren übergeben, was früher zumindest theoretisch allen
gehörte. Im globalen Süden sind Verteilungskämpfe etwa um Land
sehr oft Kämpfe gegen bedrückende wirtschaftliche Not, sie
verdienen allein deshalb große Aufmerksamkeit. Dort wie hier
artikuliert sich in ihnen aber auch, welches Modell des
Zusammenlebens gewünscht wird.
Im
Einleitungsartikel dieses Themenschwerpunkts wirft Gerhard
Hanloser einen Blick darauf, dass die Geschichte der Menschheit
immer auch eine Geschichte von Verteilungskämpfen war. Die
Fortentwicklung zur klassenlosen freien Gesellschaft, in der
Allen Alles gehört, gelang aber nur in theoretischen
Großentwürfen. Heute werden kleinere Brötchen gebacken. Zuletzt
versucht beispielsweise die Debatte um die so genannten Commons,
der Verteilungsfrage einen neuen Impuls zu geben. Letztlich
sollen hier Selbstverwaltungsansätze vom Weideland einer
indigenen Gemeinschaft in Südmexiko bis hin zu Creative Commons
im Internet vereint werden. In Debattenbeiträgen stellen unsere
Autoren Stefan Meretz und Winfried Rust die Chancen und Grenzen
des Ansatzes dar.
Eine
soziale Bewegung für kostenlosen Personennahverkehr in Brasilien
zeigt, welchen Paradigmenwechsel solche Verteilungskämpfe
bewirken können. Anstatt dass die Armen weiter an ihre Orte
gebunden sind, wird ihre Mobilität gefordert. Die scheinbare
Selbstverständlichkeit, mal eben durch die Stadt fahren zu
können, gilt nämlich bei weitem nicht für alle StädterInnen
dieser Welt, wie Katja Polnik zeigt. Eine andere
Selbstverständlichkeit, nämlich dass die Fischer in der Bucht
von Sepetiba bei Rio de Janeiro fischen können, ist durch ein
neues Stahlwerk mit der einhergehenden Verschmutzung des Wassers
durchkreuzt. Die Fischer kämpfen gegen diese Art der
Umverteilung, die ihre wirtschaftliche Existenz zugunsten des
Profits von ThyssenKrupp gefährdet.
In
Südafrika leiden Menschen aus den armen Schichten unter
Wohnungsnot und wohnen in informellen Siedlungen. Ihre Kämpfe
gegen Abriss und Zwangsräumungen erhalten dabei offensive
Momente, etwa wenn sie sich auf die kostenlose Aneignung von
Land oder Elektrizität ausweiten, wie Gerhard Kienasts Beitrag
zeigt. Ein weiteres, offensives Moment ist die Ausweitung der
Kämpfe zu einer sozialen Bewegung, die in Debatten wie dem
»Recht auf Stadt« gänzlich andere Verteilungsweisen fordert. In
anderen Ländern tut sich also etwas in der Verteilungsfrage.
Auch in Projekten wie Gemeinschaftsgärten in Nord- und
Südamerika (siehe den Beitrag von Ella von der Haide/ Severin
Halde) oder der Genossenschaft Piedra Canteada in Mexiko (Samuel
Weber) werden Umverteilung und Selbstaneignung praktisch
erprobt.
Schwieriger
wird es im großen Maßstab. Die Verteilung der Meeresressourcen
wie Fisch und deren Nutzung im Einklang mit der Umwelt und den
globalen menschlichen Bedürfnissen sprengen den
Projektcharakter. Christoph Spehr zeigt, dass es nicht um ein
paar Fischkutter geht, denn allein der beteiligte
Lebensmittelkonzern Unilever beschäftigt über 150.000 Menschen.
Wie sich die Einzelnen hier assoziieren und wirkungsvoll agieren
können, ist unklar. Einfluss auf Regierungen nehmen? Die
Machtverhältnisse bei den wirtschaftlichen Akteuren ändern?
Verteilungskämpfe finden in jedem Fall weiter statt.
Schlechtenfalls heißt es aber nur zwischen den Konzernen: »Das
ist meins!«
die
redaktion
Wir danken
der Aktion Selbstbesteuerung – Friede durch gerechte
Entwicklungspolitik für die Förderung des Themenschwerpunkts.