Der Anteil der
Atomkraft an der weltweiten Energieproduktion macht nur sechs
Prozent aus. Und voraussichtlich werden in den kommenden
Jahren weltweit mehr alte AKW abgeschaltet als neue gebaut.
Doch damit ist die Geschichte der Atomenergie noch lange nicht
besiegelt, denn die deutsche Atomindustrie blickt auf den
Weltmarkt.
von Regine Richter
Der
vieldiskutierten Renaissance der Atomkraft steht in Deutschland
eine Renaissance der Anti-Atom-Bewegung gegenüber. Die Proteste
und Kampagnen nehmen primär die Laufzeitverlängerung der
Atomkraftwerke in Deutschland ins Visier. Auch die Politik
konzentriert sich in ihren Statements auf dieses Thema. Von der
Atomaußenpolitik der Bundesregierung oder dem internationalen
Geschäft rund um die Kerntechnologie ist hingegen wenig die
Rede.
Dabei sind
die weltweit geäußerten Pläne für AKW-Neubauten erschreckend.
Die World Nuclear Association listet von Argentinien bis zu den
Vereinigten Arabischen Emiraten zahlreiche Länder auf, die neue
AKW bauen wollen. Dazu gehören alte Atommächte wie Frankreich
oder England und solche, die es werden wollen, etwa
Aserbaidschan und Vietnam. Selbst in Schweden, wo bereits Anfang
der 1980er Jahre der Atomausstieg beschlossen wurde, hat die
konservative Regierung nun den Neubau von AKW als Ersatz für
stillzulegende Reaktoren erlaubt.
In den
nächsten Jahren werden jedoch voraussichtlich mehr Reaktoren aus
Altersgründen vom Netz gehen, als neue AKW ihren Betrieb
aufnehmen werden1. Ein Grund dafür ist das enorme
wirtschaftliche Risiko beim Neubau von Atomkraftwerken. So
erklärten im November 2009 die Analysten der Citibank: »New
Nuclear – The Economics Say No«2. Sie warnen vor fünf großen
Risiken, denen Atomkraftwerksbauer ausgesetzt sind: Die Planung
(dauert lange), der Bau (dauert immer viel länger als geplant
und die Kosten explodieren), der Strompreis (ist oft nicht hoch
genug, um die Baukosten wieder hereinzubekommen), der Betrieb
(insbesondere wenn aufgrund von Problemen die Kraftwerke
runtergefahren werden müssen) und der (sehr teure) Rückbau. Die
Risiken Bau, Strompreis und Betrieb bezeichnet die Citibank als
»Corporate Killers«, die selbst größte Energieunternehmen
finanziell in die Knie zwingen könnten. Das Papier sagt den
britischen Atomplänen voraus, dass sie ohne Staatsbürgschaften
nicht realisiert werden können.
Öffentlich
gefördert ...
Tatsächlich
hängt der Bau neuer AKW in Form von Bürgschaften am staatlichen
Tropf. Ohne massive staatliche Unterstützung und politischen
Willen hätte die Atomenergie nie den Anteil am Strommix
erhalten, den sie heute hat. In Deutschland werden 22 Prozent
der gesamten elektrischen Energie in Atomkraftwerken erzeugt, in
Frankreich sind es 87 Prozent.
Die direkte
Unterstützung beschränkt sich jedoch nicht auf nationale
Atompläne durch Subventionen. Auch der Export von
Atomtechnologie ins Ausland wird gefördert, in Deutschland
mittels so genannter Hermesbürgschaften. Mit diesen Bürgschaften
versichert die Bundesregierung Exporte deutscher Unternehmen in
so genannte ‚schwierige Märkte’ gegen politische und
wirtschaftliche Risiken. Eine Firma, die Turbinen,
Schaltanlagen, Bauleistungen oder Flugzeuge vor allem in
Entwicklungs- und Schwellenländer exportieren will, kann eine
Hermesbürgschaft dafür beantragen. Sie zahlt wie bei einer
Versicherung eine Prämie. Kann der Käufer dann nicht zahlen,
wird die Bürgschaft fällig und Euler Hermes zahlt im Auftrag der
Bundesregierung. Wenn nur wenige Bürgschaften
fällig
werden, kann Euler Hermes diese aus seinen Prämieneinnahmen
begleichen. Gerade in Zeiten der Krise kann es jedoch zu enormen
Ausfällen kommen, die dann von den SteuerzahlerInnen getragen
werden.
Bis 2001
gab es in Deutschland eine lange Tradition der Exportförderung
für Atomreaktoren: so erhielten die Kernkraftwerke Atucha in
Argentinien, Angra in Brasilien, Bushehr im Iran, Mochovce in
der Slowakei und Lianyungang in China Hermesbürgschaften.
Bushehr, ein AKW des iranischen Atomprogramms, wurde von Siemens
begonnen, wofür der Konzern in den 1970er Jahren Bürgschaften
erhielt. Wegen der iranischen Revolution wurden die Bauarbeiten
eingestellt, inzwischen soll das russische Atomunternehmen
Rosatom den Reaktor fertig bauen.
... staatlich
verschuldet
Die AKW
Atucha und Angra 2 sind zwei Beispiele aus einer langen Liste
der geförderten Atomprojekte im Ausland, die für ein weiteres
Merkmal der Atomexportförderung stehen: für Verschuldung. Hinter
den Hermesbürgschaften steht als Absicherung zunächst der
Bundeshaushalt, doch darüber hinaus werden oft Gegenbürgschaften
in den Bestellerländern verlangt, wo zum Beispiel das dortige
Finanzministerium eine Gegengarantie gibt. Wenn das Geschäft
dann dem – zum Beispiel brasilianischen – Käufer zu teuer wird
und er nicht zahlen kann, wird die Bürgschaft fällig, sprich,
sie wird zu einem Schadensfall. Dann verwandeln sich die
Schulden des brasilianischen Käufers erst in Schulden gegenüber
dem deutschen Bundeshaushalt, werden dann umgehend dem
brasilianischen Haushalt aufgeladen und somit zu bilateralen
Schulden zwischen Brasilien und Deutschland.
Das ist ein
klassischer Fall einer Kollektivierung von Verlusten. Damit
werden die Bürgschaften zu einem hohen finanziellen Risiko für
die Bestellerländer. So musste Brasilien für das Atomkraftwerk
Angra 2 insgesamt 1,4 Milliarden Euro Schulden allein aus
geplatzten Hermesbürgschaften gegenüber Deutschland abstottern.
Und Argentinien häufte 1,5 Milliarden Euro Schulden aus
geplatzten Hermesbürgschaften für das Atomkraftwerk Atucha an.
950 Millionen Euro sind noch offen, seit 2002 kann Argentinien
diese wegen der Wirtschaftskrise nicht mehr bedienen3.
Im Jahr
2000 sorgte eine Hermesbürgschaft für das chinesische AKW
Lianyungang sowie eine Liste mit insgesamt vierzehn
Atomprojekten, für die Hermesbürgschaften vergeben werden
sollten, für Wirbel in der Öffentlichkeit und großen Knatsch in
der rot-grünen Koalition. Als Reaktion entstanden 2001 so
genannte Umweltleitlinien für die Vergabe von
Hermesbürgschaften. Diese schlossen die Exportförderung für
Nukleartechnologie aus. Umweltorganisationen haben von Anfang an
gewarnt, dass das Wort »Nukleartechnologien« einigen
Interpretationsspielraum lässt. Siemens trat den Beweis an. Im
Jahr 2003 beantragte der Konzern eine Bürgschaft für Turbinen
für das finnische Atomkraftwerk Olkiluoto. Siemens
argumentierte, dass die Turbinen schließlich keine
»Nukleartechnologie« und deshalb vom Ausschlusskriterium nicht
betroffen seien. Der Fall gelangte an die Öffentlichkeit und
sorgte für Wirbel. Nachdem klar war, dass die Bürgschaft
abgelehnt werden würde, zog Siemens den Antrag kurz vor der
Entscheidung zurück.
Mit den
Wahlen 2009 und der neuen Bundesregierung gelang es den
AtomkraftbefürworterInnen jedoch, die alten Umweltleitlinien
kurzerhand abzuschaffen. Dies war im Koalitionsvertrag so
vorgesehen, und bereits im November 2009 stellte Areva/ Siemens
einen Antrag auf eine Hermesbürgschaft für das brasilianische
AKW Angra 3. Gegen das Projekt sprechen zahlreiche Gründe, unter
anderem seine Lage in einer erdbebengefährdeten Region und an
der einzigen Straße, die für Evakuierungen genutzt werden kann,
die jedoch wegen Erdrutschen immer wieder unpassierbar ist. Die
Atomaufsichtsbehörde in Brasilien ist nicht unabhängig, sie hat
über eine Tochtergesellschaft direkte kommerzielle Interessen an
Angra 3. Und Brasilien hat das Zusatzprotokoll des
Atomwaffensperrvertrags nicht unterschrieben und weigert sich
immer wieder, Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde
in seine Anlagen zu lassen. Hohe Regierungsmitglieder träumen
laut vom Besitz einer Atombombe. Dies alles beeindruckte die
Bundesregierung nicht, sie bewilligte im Februar 2010 Areva/
Siemens grundsätzlich eine Hermesbürgschaft über 1,3 Milliarden
Euro für Angra 3.
Intransparente
Bankgeschäfte
Damit ist
die Angelegenheit für Areva/ Siemens allerdings noch nicht
abgeschlossen. Denn endgültig wird die Bürgschaft erst, wenn die
Kreditverträge abgeschlossen sind. Dafür schafft die Bürgschaft
überhaupt erst die Voraussetzung, da hermesverbürgte Geschäfte
für Banken relativ sicher sind. Für Angra 3 verhandelt Areva/Siemens
vornehmlich mit französischen Banken, BNP Paribas ist der
aussichtsreichste Kandidat.
BNP Paribas
ist nicht nur bei Angra 3 involviert, sondern insgesamt ein
bedeutender Finanzier der Atomindustrie. Generell spielen Banken
bei der Geldbeschaffung für die Atomindustrie eine große Rolle.
Und gerade in diesem heiklen Bereich halten sie das
Bankgeheimnis sehr hoch, Finanzdienstleistungen für die
Atomindustrie gehören zu den wenig transparenten
Geschäftsbereichen. Um Licht in dieses Dunkel zu bringen, haben
einige europäische Umweltorganisationen eine Recherche bei dem
Forschungsinstitut Profundo beauftragt, das auf Finanzinstitute
spezialisiert ist. Identifiziert wurden 80 Firmen, die der
weltweiten Atomindustrie zuzurechnen sind und vom Uranabbau, der
Brennelemente-Produktion, bis hin zum Reaktorbau, -betrieb und
dem Management radioaktiver Abfälle alles abdecken.
Das
Ergebnis der Studie listet die Top Ten der »radioaktiven
Banken«, angeführt von BNP Paribas, Barclays und Citi4. Die
Deutsche Bank steht auf Platz sieben. Sie zählt fast alle großen
Atomkonzerne zu ihren Kunden und war (gemeinsam mit der
Landesbank Baden-Württemberg und Unicredit/Hypovereinsbank sowie
zahlreichen anderen internationalen Banken) an einem großen
Kredit über 2,5 Milliarden US-Dollar für Areva beteiligt. Areva
erwarb damit das südafrikanische Uranunternehmen Uramin, um
seine Uranaktivitäten in Afrika auszubauen. Wohin dies führt,
zeigt sich im Falle Nigers: 40 Jahre Areva-Aktivitäten haben der
Bevölkerung keinen Vorteil, sondern viele ökologische und
soziale Probleme eingebracht.
Anmerkungen
1)
Mycle Schneider, Steve Thomas, Antony Froggatt, Doug Koplow: The
World Nuclear Industry Status Report 2009, August 2009, im
Auftrag des BMU
2)
Citi Group Global Markets: New Nuclear – The Economics Say No,
9. November 2009
3)
Bundestagsdrucksache 17/494, 22.01.2010
4)
http://nuclearbanks.org/
Regine Richter ist Mitarbeiterin der
Organisation urgewald.