Abkommen zu erwünschten und unerwünschten Zuwanderern:
Mali sagt erneut ‚merde’ zu Frankreich


von Bernard Schmid

01/09

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Zum vierten Mal hintereinander hat die westafrikanische Republik Mali am vergangenen Donnerstag, den 8. Januar 09 die Unterzeichnung eines Abkommens mit Frankreich über die „gemeinsame Verwaltung der Migrationsströme“ (sur la gestion concertée des flux migratoires) verweigert.

An jenem Donnerstag musste der Generalsekretär des französischen Ministeriums „für Einwanderung und nationale Identität“, Patrick Stéfanini (über ihn, vgl. FUSSNOTE 1), unverrichteter Dinge aus Bamako wieder abreisen. Zuvor war es beiden Seiten nicht gelungen, zu einer Vereinbarung gelangen. Gleichzeitig demonstrierten mehrere hundert Menschen gegen das geplante Abkommen, in der Hauptstadt Bamako und in der Bezirkshauptstadt Kayes - im Westen des Staatsgebiets und im Mittelpunkt einer trocken-halbenwüstenhaften Zone, aus welcher ein Großteil der Ausland lebenden Arbeitsmigranten aus Mali stammt.

Vom Verfasser erscheint demnächst folgendes Büchlein über den französischen Neokolonialismus in Afrika:


Frankreich
in Afrika

Eine (Neo)Kolonialmacht in der Europäischen Union zu Anfang des 21. Jahrhundert
UNRAST-VERLAG

 

Bernhard Schmids neues Buch vermittelt ein detailliertes Bild von Frankreichs postkolonialem Einfluss in Afrika. Unter anderem geht es den aktuellen Fragestellungen nach, welche Rolle die »Mittelmeerunion« spielt, die von Präsident Sarkozy als Kern eines neuen »EurAfrika« bezeichnet wurde, und wie das offizielle Frankreich mit dem Vorwurf umgeht, 1994 in Rwanda den Völkermord begünstigt, gefördert und unterstützt zu haben.
Darüber hinaus beleuchtet Bernhard Schmid den Einfluss der neuen Akteure China und USA auf den Kontinent, die innere Verfasstheit der afrikanischen Staaten sowie die dort vorherrschende Rentiersökonomie.

Hätten die beiden Staaten das geplante Abkommen unterzeichnet, dann wären sie übereingekommen, dass Mali sich im Falle einer Abschiebung zur „Rücknahme“ seiner als unerwünschte Einwanderer nach Frankreich gelangenden oder als Sans papiers (illegalisierte Zuwanderer) in Frankreich lebenden Staatsbürger verpflichtet. Im Gegenzug hätte Frankreich sich bereit erklärt, eine bestimmte - vorab kontingentierte - Anzahl von Arbeitsmigranten auf seinem Boden aufzunehmen. In letzter Minute hatte Frankreichs Delegation sich laut einem Verhandlungsteilnehmer sogar bereit gezeigt, an letzterem Punkt einige unerwartete Konzessionen an die malische Seite zu machen. (Vgl. www.lemonde.fr/web/) Dies belegt freilich nur, wie sehr die französische Seite auf den Abschluss eines entsprechenden bilateralen Vertrages drängt. 

Schon mehrfach hatte die Republik Mali, die zu den wenigen „wirklichen“ (bürgerlichen) Demokratie in der französischen Einflusszone in Afrika zählt, in jüngerer Vergangenheit ihre Unterschrift unter ein solches Abkommen verweigert. (Vgl. http://www.labournet.de) Einer der Hauptgründe dafür besteht in den erheblichen Widerständen, die sich nach wie vor unter den in Frankreich  lebenden Staatsbürgern des westafrikanischen Landes wie auch in der „Zivilgesellschaft“ Malis gegen eine offiziell akzeptierte „Rücknahme“ von Abgeschobenen rühren. Während in Bamako die Verhandlungen liefen und ins Stocken gerieten, demonstrierten in Paris im Juni 2008 „Auslandsmalier“ gemeinsam mit französischen Solidaritätsinitiativen vor dem Konsulat Malis - gegen Konzessionen der Regierung in Bamako bei dieser Frage. Auch in Bamako fanden am selben Tag, dem 17. Juni 2008, eine Protestversammlung und ein Sit-in vor der Nationalversammlung Malis statt.  Aus Anlass eines damaligen Besuchs von Patrick Stéfanini in der Hauptstadt der westafrikanischen Republik demonstrierte damals die „Vereinigung der abgeschobenen Malier“ AME (Association des Maliens expulsés) gegen jegliche Beihilfe der Regierung ihres Landes bei künftigen Abschiebungen aus Frankreich und Europa. (Vgl. http://resf93.canalblog.com/archives/2008/06/14/9572650.html )

Um die Scharte symbolisch auszuwetzen, konnte die französische Delegation am darauffolgenden Tag - Freitag, den 9. Januar - ein vergleichbares Abkommen mit dem Nachbarland Burkina-Faso in dessen Hauptstadt Ouagadougou unterzeichnen. Der zuständige französische Minister Brice Hortefeux setzte seine Unterschrift unter die Vereinbarung, die auch 6 Millionen Euro „Entwicklungshilfe“ über einen Zeitraum von drei Jahren - als faktischen Lohn für die Kooperationsbereitschaft der Regierung Burkina-Fasos unter Präsident Blaise Compaoré - vorsieht. (FUSSNOTE 2) Gleichzeitig wurde auch eine identische Vereinbarung zwischen Frankreich und der „Westafrikanischen Währungsunion“ UEMOA unterzeichnet. Die UEMOA erkennt sich eine Zuständigkeit für die Thematik, da ihre Mitgliedsländer durch ein Assoziierungsabkommen untereinander verbunden sind, das auch Aspekte der Personenfreizügigkeit behandelt. Die frühere Kolonialmacht in der gesamten Region, Frankreich, ist ohnehin de facto Partei des Abkommens zur Währungsunion - denn die in ihren Mitgliedsländern benutzte Währung, der ‚franc CFA’, war früher durch einen festen Wechselkurs an den französischen Franc und ist jetzt in identischer Weise an den Euro angekoppelt. (Das Kürzel ‚CFA’ stand früher für „Colonies françaises en Afrique“ - französische Kolonien in Afrika -, nunmehr steht es für „Communauté financière africaine“ oder „afrikanische Finanzgemeinschaft“. De facto ist dennoch die post- und neokoloniale Kontinuität vollauf gewahrt.)

Um sein Gesicht zu wahren, verkündete Hortefeux bei seiner Etappe in Ouagadougou, auch in den Verhandlungen mit dem widerspenstigen Mali gebe es durchaus Fortschritte: „95 Prozent“ des umstrittenen Abkommens seien unterschriftsfrei. Nur bei den verbleibenden fünf Prozent, bei denen das Verhandlungsergebnis noch ausstehe, müsse man „weiterkommen“. Er, Hortefeux, habe „großen  Respekt“ für den malischen Präsidenten Amadou Toumani Traoré - kurz „ATT“ genannt -, der „eine intelligente, lebendige dynamische und wachsame Persönlichkeit“ sei. „Aber was ich sage“, fügte er hinzu, „ist, dass die Diskussion auf ruhige, gelassene Art und Weise geführt werden muss.“ Was immerhin darauf hindeutet, dass es ziemlich lebhaft hergegangen sein muss… - Brice Hortefeux hatte selbst nicht in Mali Station gemacht, wohin sein Generalsekretär Stéfanini gereist war, und hatte stattdessen seit vorigem Mittwoch Togo, Benin und am Schluss Burkina-Faso besucht.

Dies alles erklärte Hortefeux im Anschluss an Gespräche mit dem burkinabesischen Präsidenten Blaise Compaoré. Letzterer regiert sein Land seit 1987 ohne Unterbrechung. Damals kam er durch einen Rechtsputsch mit französischer Unterstützung gegen seinen Amtsvorgänger, den revolutionär orientierten - und nach wie vor in ganz Westafrika populären - Präsidenten Thomas Sankara an die Macht. Sankara wurde dabei am 15. Oktober 1987, nach gut vierjähriger Regierungszeit, ermordet.

Bislang haben acht afrikanische Staaten, Burkina-Faso eingerechnet, entsprechende Abkommen mit Frankreich unterzeichnet. Die anderen sieben sind die Kapverdischen Inseln, die Republik Senegal, Benin, die Öl-Mafiosirepublik Gabun, die Demokratische Republik Kongo (früher Zaire), Tunesien und die Insel Mauritius. Bislang ist allein das Abkommen mit der (bevölkerungsarmen) Erdölrepublik Gabun, das am 5. Juli 2007 abgeschlossen worden war, in Kraft getreten – seit dem 1. September 2008. Die übrigen bilateralen Vereinigungen müssen zur Zeit noch durch das französische Parlament ratifiziert werden. (Vgl. ‚Jeune Afrique’ vom 18. Januar, Liste St. 58)

Aber die mit Abstand stärksten – „zivilgesellschaftlichen“ - Widerstände gegen eine solche Politik bestehen offenkundig im westafrikanischen Staat Mali, dessen Bevölkerung im März 1991 die vormalige Militärdiktatur unter Moussa Traoré gestürzt und selbst die Demokratie eingeführt hat. Derzeit leben rund vier Millionen Malier im Ausland (gegenüber zwölf Millionen innerhalb Malis), davon der größte Teil als Arbeitskräfte in - vergleichsweise - wirtschaftlich bessergestellten Nachbarländern wie Elfenbeinküste und Senegal. Rund 200.000 Staatsbürger leben in Europa. Unter ihnen geschätzte 120.000 auf französischem Boden, davon 45.000 mit gesetzlichen Aufenthaltstiteln.

Vgl. auch:- http://www.afriquejet.com und  http://www.lefaso.net

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FUSSNOTEN:

1/  Patrick Stéfanini ist so etwas wie das „Gehirn“ des französischen „Ministeriums für Einwanderung und nationale Identität“, das bislang mit Brice Hortefeux besetzt war und nun seit Ende vergangener Woche von Eric Besson geführt wird. (VgL. dazu neben stehenden Artikel vom Verfasser dieser Zeilen ; der dort – anonym – zitierte hohe Repräsentant von Hortefeux- bisherigem Kabinett, der keine Visa für Frankreich an afrikanische Stipendiums-Studierende mehr verteilt sehen möchte, ist MÖGLICHERWEISE Patrick Stéfanini.)

Der Stellvertreter Stéfaninis als Generalsekretär, Gautier Béranger, war im vergangenen Jahr in ein strafrechtliche Untersuchung aufgrund mutmablicher rassistischer Äuberungen verwickelt: Ein Wachmann in einem Supermarkt (Carrefour) in Paris-Bercy, mit Namen Pierre Damien Kitenge, beschuldigte den hohen Ministerialbeamten, ihn am 26. April 2008 bei einem Streit - der rund um die Notwendigkeit, beim Ausstellen eines Schecks einen Personalausweis vorzuzeigen, entbrannt war - als „dreckigen Schwarzen“ rassistisch beleidigt zu haben. Einem Bericht der Wochenzeitung ‚Le Canard enchaîné’ zufolge soll Béranger ihm im Laufe des  Streits auch angedroht haben, er werde dafür Sorge tragen, dass man ihn „in sein Land zurückschicke“ – was, wie die Wochenzeitung dazu anmerkt, „schwierig würde, da der Mann Franzose ist“ (vgl. http://tempsreel.nouvelobs.com/ ). Später übte der Arbeitgeber von Pierre Damien Kitenge ihm zufolge beträchtlichen Druck auf ihn aus – er wurde per eingeschriebenen Brief abgemahnt –, um ihn zu veranlassen, seine Strafanzeige zurückzuziehen. (Vgl. dazu einen Bericht des Betroffenen vor einer Videokamera: http://20minutes.bondyblog.fr/) Ferner lieferten andere Angestellte desselben Supermarkts (deren jeweilige „ethnische Herkunft“ sofort öffentlich präzisiert wurde: „ein Vorgesetzter tunesischer Abstammung“ und „ein Kassierer afrikanischer Herkunft“) ihrerseits Zeugenaussagen, die jenen des Wachmanns widersprachen – wobei freilich Druck des Arbeitgebers nicht ausgeschlossen werden kann. (Vgl. http://diversite.20minutes-blogs.fr/ ) Laut dem Verf. vorliegenden Informationen soll die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen Béranger inzwischen eingestellt haben.

Zur politischen Laufbahn und Funktion und zur Persönlichkeit von Patrick Stéfanini selbst, vgl. http://www.mediapart.fr

2/ Vgl. auch http://www.mediaterre.org; das Abkommen soll laut offiziellen Angaben „keine massive Rückführung von in Frankreich lebenden Burkinabè (= Staatsbürgern Burkina-Fasos)“ zur Folge haben, vgl. http://france.123news.org/

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung.