Dem Vergessen entrissen
Ein Buch erinnert an die Bewegung der Revolutionären Obleute und ihre Rolle in der Novemberrevolution

von Peter Nowak

01/09

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Geschichte ist auch in der Linken oft eine Abfolge berühmter Männer und weniger Frauen. In diesen Kreis ist Richard Müller nicht vorgedrungen. Dabei spielte er als Vorsitzender der Revolutionären Obleute  in der Novemberrevolution eine zentrale Rolle.  Für kurze Zeit war er nominell sogar als Vorsitzender des Rats der Volksbeauftragten Staatsoberhaupt im nachrevolutionären Deutschland. Doch selbst der ausgewiesene Kenner der Geschichte der  ArbeiterInnenbewegung,  wie der Marburger Politologe  Wolfgang Abendroth schrieb über Müller: „Dann verlieren sich seine Spuren in der Geschichte“. 

Der Berliner Historiker Ralf Hoffrogge hat mit seinem Buch Müller und die Revolutionären Obleute dem Vergessen entrissen. Er hat Müllers Werdegang beschrieben, angefangen von seinen ersten Aktivitäten als junger Gewerkschafter, wo er sich im Selbststudium zum Tarifexperten  weiterbildete. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges entwickelte er sich zum linken Arbeiteraktivisten und geriet damit in Opposition zur Führung seiner Metallarbeitergewerkschaft, die sich noch vor der Mehrheits-SPD auf die Burgfriedenspolitik verständigt hatte. Den Prozess der  Radikalisierung beschreibt Hoffrogge sehr detailliert.   Die Revolutionären Obleute, die in den wichtigsten Berliner Betrieben gut verankert waren,  könnte man ideologisch am ehesten als rätesozialisitsch einordnen.  Obwohl sie mit der USPD, die zum Sammelbecken der kriegsgegnerischen Sozialdemokraten geworden war, in engen Kontakt standen und Müller sogar als deren Reichstagskandidat  aufgestellt worden war, betonten die Obleute ihre Unabhängigkeit. Das galt auch für den Spartakusbund, der am linken Rand der USPD stand und sich spätestens nach der Oktoberrevolution auf die Bildung einer kommunistischen Organisation vorbereitete. Wie in dem Buch beschrieben wird, scheinen neben taktischen Differenzen auch  persönlichen Animositäten  zwischen Müller und Liebknecht die Zusammenarbeit erschwert zu haben.  Das war für die Entwicklung der jungen revolutionären Bewegung eine Tragödie. Denn durch die Zusammenarbeit der Mehrheits-SPD mit den gerade gestürzten Mächten und die Aufstellung der Freikorps wurden alle Kräfte, die die Revolution weite treiben  wollten, kriminalisiert. Das zeigte sich bei den  in der Geschichte noch immer fälschlich als Spartakusaufstand firmierenden  Abwehrkämpfen der Berliner Arbeiter im Januar 1919. Am Ende waren neben Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht auch Tausende namenlose Arbeiter ermordet worden. Das Wüten der Freikorps ging weiter, wie Hoffrrogge darlegt. Im März 1919 wurden sie gegen eine landesweite Streikbewegung eingesetzt und am 13. Februar 1920 richteten sie ein Blutbad an, als tausende Arbeiter vor dem Reichstag für eine reale Arbeitermitbestimmung demonstrierten. Die Soldaten schossen in die unbewaffnete Menge, töteten 42 Demonstranten und verletzten Hunderte.

Hoffrogge beschreibt Müllers kurzzeitige Aktivitäten als Gewerkschaftsverantwortlicher der KPD und widmet sich    seinen   Schriften über die „Reine Rätedemokratie“ und die Geschichte der Novemberrevolution. Das Buch leistet  einen wichtigen Beitrag zur Rekonstruktion einer linken Geschichtsschreibung, was   uns  nicht nur aus historischen Gründen interessieren sollte.

Sehr positiv ist zu vermerken, dass Hoffrogge Müller nicht verklärt, sondern seine politischen Schwankungen und Schwächen, die gelegentlich auch in seiner aktiven politischen Zeit fatale politische Konsequenzen hatten,    offen anspricht. Kurz geht er auf, Müllers Lebensweg ein, nach dem er sich Ende der 20er Jahre, enttäuscht von der politischen Entwicklung ganz aus dem politischen Leben zurückgezogen hat. Er machte als Bauunternehmer Karriere und starb weitgehend vergessen am 11.Mai 1943 im Alter von 63 Jahren.  Der Schritt kam nicht ganz überraschend, wie Hoffrogge aufzeigt.  Spätestens mit der Wahl von Hindenburg hatten sich bei Müller pessimistische Tendenzen bemerkbar gemacht.

 Zurvor waren seine verschiedenen Versuche, eine langfristige Organisierung aufzubauen,  immer wieder gescheitert. So hatte er in seiner Tätigkeit als für Gewerkschaftsfragen zuständiger KPD-Politiker schon eine gute Aufbauarbeit geleistet, die auch parteiintern anerkannt war. Doch, weil er sich den schnell gescheiterten Aufstandsversuch der KPD im März 1921 widersetzte, geriet er bald in die Opposition. Zunächst versuchte Lenin persönlich in dem Konflikt zu vermitteln, weil ihm daran gelegen war, in die KPD aktive Arbeiteraktivisten einzugliedern Doch als der Streit weiter gegangen ist, nahm auch Lenin dann gegen ihn Stellung. Trotzdem ist es fraglich, ob Hoffrogges Bewertung Richtung ist, dass Müller „zwischen den Mühlsteinen von Sozialdemokratie und Marxismus-Leninismus zermahlen“ wurde. Denn es war ja eher der ultralinke Kurs der damals noch nicht gefestigten KPD, die Müller aus der Partei trieb. Dass aus Moskau schon damals Einfluss auch auf die KPD-Politik genommen wurde, ist richtig. Doch hat Müller selber Lenin gebeten, in der Auseinandersetzung zu vermitteln.  Seine letzte politische  Tätigkeit führe Müller in den linken Deutschen-Industrieverbandes, die parteiunabhängig aber auch sehr kurzlebig war. Auch hier setzte sich Müller noch einmal mit voller Energie ein, um dann doch wieder zu scheitern. Ob er sich Ende der 20 Jahre wieder der Sozialdemokratie angenähert hat, kann Hoffrogge nicht mit Sicherheit beantworten. Doch führt er dafür einige Indizien auf.        

Nicht nur Geschichte

Mehr noch als das Wieder entdecken dieses vergessenen Arbeitermilitanten kann uns die Lektüre der damaligen Konzepte, beispielsweise die Schriften für eine Reine Rätedemokratie auch Impulse für unseren heutigen Kampf geben.

Dabei stellen sich für uns heute viele Fragen:. Warum ist es den Revolutionären Obleuten trotz ihrer Verankerung in vielen Betrieben nicht gelungen, die Revolution weiter zu treiben? Warum haben sich die Räte selbst entmachtet und für die Einrichtung der Nationalversammlung gestimmt? Warum gelang es der Sozialdemokratie, die gerade noch mit der Bewilligung der Kriegskredite gezeigt hat,  dass sie die Seiten gewechselt hat, so schnell wieder den in den Kriegsjahren verlorenen Einfluss in der Arbeiterschaft  zurück zu gewinnen?

Und vor allem, was können wir heute aus diesen Erfahrungen der Revolutionären Obleute   lernen?  Sind nicht die neuen Medien eine gute Hilfe bei der Etablierung eines Rätesystems? Wie kann  aber das Rätekonzept so ausgeweitet werden, dass aus den Arbeiter- und Soldatenräten, wie sie Müller und den Obleuten vorschwebten, ein Rätesystem für alle Menschen  macht? Viele Fragen und bisher  wenig Antworten: aber, wenn zumindest die Diskussion darum beginnt, wäre schon viel gewonnen. Dazu kann das Buch über Richard Müller beitragen,
 

Ralf Hoffrogge
Richard Müller
Der Mann hinter der Novemberrevolution.
Band VII der Reihe „Geschichte des Kommunismus und Linkssozialismus"

Dietz Verlag, 2008
233 Seiten mit Abb.
16,90 €
SBN 978-3-320-02148-1