20 Jahre sozialpolitische Theorie und Praxis
von Peter Nowak

01/09

trend
onlinezeitung

Die Hamburger Gruppe „Blauer Montag“ hat ihre Wurzeln in der Jobberbewegung der 80er Jahre. Seit über 20 Jahren ist sie mit theoretischen Debatten und politischen Aktionen an die Öffentlichkeit getreten. Jetzt hat die Gruppe ihre Debattenbeiträge zum Thema Arbeitsmarkt und Sozialpolitik in Buchform veröffentlicht.

Zum besseren Verständnis für die nicht mit allen Details der sozialpolitischen Debatte vertrauten Leser, haben die Autoren den politischen Kontext der Beiträge erläutert und die politischen Aussagen der Beiträge aus heutiger Sicht bewertet.

Die meisten der dokumentierten Texte sind auch heute noch aktuell. Lange bevor der Begriff Prekariat auf den Wirtschaftsseiten großer Zeitungen zu finden war, untersuchte der Blaue Montag die prekären Arbeits- und Lebensbedingungen. Ein Jahrzehnt bevor der Begriff Hartz IV die Runde machte, hat sich die Gruppe mit der zunehmenden Disziplinierung von Erwerbslosen befasst.

Der Blaue Montag scheut auch keine innerlinken Auseinandersetzungen. So kritisiert die Gruppe, die Auseinandersetzung mit den eigenen Arbeitsverhältnissen in der Linken noch immer zu wünschen übrig lasse. Die Beschäftigung mit prekären Arbeitsverhältnissen bleibe oberflächlich, wenn man sich dabei nur auf die Ränder der Arbeitswelt stützt. Prekäre Arbeitsverhältnisse haben schon längst auch bei den Kernbelegschaften Einzug gehalten, schreiben die Autoren und nennen Beispiele aus verschiedenen Branchen.
Auch mit dem Existenzgeld hat sich der Blaue Montag schon in den 80er Jahren befasst. Dass die Forderung heute in aller Munde ist und selbst in Unionskreisen auf Unterstützer trifft, wird von den Autoren kritisch betrachtet. So heißt es über die Existenzgeldforderung: “Verblüffenderweise ist sie heute auf dem Papier viel unumstrittener als in den 80er Jahren. Das ist nur erklärbar über eine Änderung des – gedachten – Inhalts. Reduziert auf eine Geldforderung an den Staat werden all die weiterreichenden Vorstellungen einer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausgeblendet.“

Eine ähnliche Metamorphose stellen die Autoren bei der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung fest, die heute oft nur noch auf eine Verfügbarkeit der Arbeitskräfte nach der aktuellen Auftragslage des Betriebes verkommt. Die Autoren betonen, dass solche Forderungen nicht am grünen Tisch durchgesetzt werden können, sondern das Ergebnis von Kämpfen im Betrieb und im Jobcenter sind. Das Buch mit seiner Dokumentation einer 20jährigen sozialpolitischen Theorie und Praxis kann Hilfestellung bei der Organisierung dieser Kämpfe und nützliche Anregungen für die Debatte zwischen Gewerkschaftslinken, Erwerbslosengruppen und außerparlamentarischen Initiativen bieten

Diskussionsangebot ernst nehmen

Eine Stärke der Beiträge ist der Bezug auf soziale Auseinandersetzungen. Wenn in den Texten von den neuen Regulationsformen gesprochen wird, die durch Hartz und andere Maßnahmen in Gang gesetzt werden, oder wenn am Beispiel der kurzlebigen Hamburger Schill-Bewegung über die Rolle des Rechtspopulismus diskutiert wird, gelingt eine Verbindung von Theorie und Praxis. Der Vorteil ist die gute Verständlichkeit, die allerdings mit damit erkauft wird, dass die Beiträge manchmal doch zu eng an den Tagesereignissen kleben bleiben Eine größere theoretische Durchdringung hätte man sich manchmal schon gewünscht. Sympathisch ist allerdings, dass sich die AutorInnen einem linken Laster enthalten, nämlich als eine Art linker Propheten aufzutreten. In den Texten werden Ist-Zustände beschrieben und analysiert, gelegentlich wird auch mal ein Blick in die Zukunft gewagt. Aber niemals wird der Eindruck erweckt, man wisse wegen des linken Bewusstseins schon wie die Geschichte weitergeht. So können sich die Autoren jetzt auch weitläufige Erklärungen sparen, warum sie die Wirtschaftskrise nicht vorher geahnt haben Die kommt nämlich auch in den neueren Texten nicht vor. Aber wir können sicher weitere Texte vom Blauen Montag erwarten, wo sie mit ihrem profunden Hintergrundwissen, solider theoretischer linker Schulung und einer 20jährigen Kampferfahrung aufwarten können. In einer Zeit, in der die Haltbarkeit linker Gruppen und Diskussionszirkel bei unter 5 Jahren liegt, ist das ein Pfund, mit dem die Genossen wuchern sollten Sie sollten sich bloß kein Vorbild an der Lupus-Gruppe nehmen, die Anfang der 90er Jahre schlaue Texte zum Thema Nation, Rassismus und die Linke schrieb, ehe sie sich als Gruppe verabschiedet. Der Blaue Montag hat seinen Beitrag ausdrücklich als Diskussionsangebot an die verstreuten linken Zusammenhänge und Einzelpersonen verstanden. Das Angebot sollte nicht ausgeschlagen werden. Wir sollten bei unseren künftigen Kämpfen gegen die Krisen des Kapitalismus darauf zurückkommen.
 

Gruppe Blauer Montag (Hg)
Risse im Putz
Autonomie, Prekarisierung
und autoritärer Sozialstaat


Verlag Assoziation A
Hamburg-Berlin 2008
ISBN 978-3-935936-72-9
192 Seiten, 14 Euro